NetzwerkdurchsetzungsgesetzBundestag überarbeitet Regeln zu Hassrede im Netz

Das überarbeitete Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Nutzer:innen-Rechte stärken, der Forschung besseren Zugang zu Daten sozialer Netze geben und die Anbieter zu mehr Transparenz verpflichten. Allerdings bleibt eine entscheidende Frage ungeklärt: Wer entscheidet über die Meinungsfreiheit im Netz?

Handy-Bildschirm mit Social-Media-Icons
Das überarbeitete Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll mehr Rechte für Nutzer:innen bringen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sara Kurfeß

Gleich mehrfach musste die schwarz-rote Koalition im vergangenen Jahr das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) anfassen, um eine Reihe an Schwachstellen zu beseitigen. Gestärkte Rechte von Nutzer:innen, erweiterte Transparenzpflichten und ein verbriefter Zugang für Forschende zu den Daten großer sozialer Netzwerke zählen zu den Kernpunkten der vorerst letzten NetzDG-Novelle.

Sie wurde heute im Bundestag beschlossen und folgt auf das im April in Kraft getretene Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Auch an dieser Stelle mussten die Abgeordneten eine Lücke schließen, die das umkämpfte Paket offengelassen hatte: Weiterhin sind Diensteanbieter dazu verpflichtet, potenziell strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt melden, neben dem Inhalt und der IP-Adresse muss die Meldung jedoch künftig auch einen Zeitstempel enthalten. Das soll dabei helfen, die Urheber:innen der Inhalte ausfindig zu machen.

Von der Vorgänger-Regierung auf den Weg gebracht, soll das NetzDG illegale Hassrede in großen sozialen Netzwerken bekämpfen. Vom Gesetz erfasste Anbieter wie Facebook, Twitter und Youtube müssen ihnen gemeldete strafbare Inhalte wie Hetze oder Verleumdung möglichst rasch entfernen, in manchen Fällen binnen 24 Stunden. Kommen sie den Auflagen nicht nach, drohen ihnen Geldstrafen.

Tricks der Anbieter

Dies weckte die Befürchtung, dass Online-Dienste im Zweifel lieber löschen würden, um Strafen aus dem Weg zu gehen. Diese Gefahr des sogenannten „Overblocking“ soll nun das neu eingeführte Gegenvorstellungsverfahren entschärfen. Sollte ein Anbieter ein Posting entfernt oder ein gemeldetes doch stehen gelassen haben, dann können Nutzer:innen eine Überprüfung dieser Entscheidung verlangen. Diese muss der Anbieter dann individuell begründen.

Allerdings gilt dieses neue Recht nur für Beschwerden, die nach dem NetzDG gemeldet worden sind. Andere Meldewege oder automatisierte Moderationsentscheidungen sind davon nicht erfasst. Immerhin ist nun vorgeschrieben, dass die NetzDG-Meldewege einfach am Inhalt auffindbar sein müssen. Das soll Tricks von Anbietern wie Facebook verhindern, welche diesen Meldeweg früher gut versteckt haben.

Auswirkungen hat dies auch auf die NetzDG-Transparenzberichte, welche die Betreiber regelmäßig vorlegen müssen. Darin werden weiterhin überwiegend Statistiken zu NetzDG-Meldungen auftauchen, inklusive der Anzahl von Gegenvorstellungen und wiederhergestellter Inhalte. Neu kommt jedoch eine Berichtspflicht über den Einsatz automatisierter Verfahren hinzu. Solche Werkzeuge erledigen inzwischen die allermeisten Löschentscheidungen.

Gemeinschaftsregeln oder Grundgesetz?

„Sämtliche Compliance-Vorschriften im Gesetz knüpfen rechtssystematisch an den Meldeweg nach NetzDG an“, erklärt der SPD-Berichterstatter Florian Post. „Die Problematik, wie sich Nutzerinnen gegen Löschungen oder Sperrungen wehren können, die nach AGB der Plattform erfolgen, aber nicht rechtswidrig sind, muss außerhalb des NetzDG gelöst werden.“

Bis auf Weiteres überlässt es die Regierung der Rechtssprechung, diese Fragen zu lösen. Die fiel bislang jedoch reichlich widersprüchlich aus: Das Bundesverfassungsgericht etwa hatte beschlossen, den gesperrten Facebook-Account einer rechtsextremen Kleinstpartei wiederherzustellen. Es räumte jedoch selbst ein, dass die verfassungsrechtlichen Rechtsbeziehungen noch ungeklärt seien.

Im Kern gehe es um die Frage, so Post, was Plattformen ausschließen dürfen. „Das betrifft auch Plattformen außerhalb des Geltungsbereiches des NetzDG und kann nur europäisch und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft beantwortet werden“, sagt Post. Tatsächlich enthält der im Dezember von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf des Digital Services Act erste zaghafte Schritte in diese Richtung. Allerdings löst der Vorschlag das Problem, etwa mit von den Online-Diensten unabhängigen Beschwerdestellen, bislang nur bedingt.

Gegenvorstellungsverfahren greift kurz

Dass das Verhältnis zu den AGB der Plattformen nach wie vor nicht geklärt ist, bedauert die Juristin Josephine Ballon von der Hilfsorganisation HateAid. Zwar ließe sich argumentieren, dass künftig alle Meldungen nach dem NetzDG behandelt werden müssten, egal wie sie eingehen. „Das ist nach unserem Dafürhalten aber nicht ausreichend“, sagt Ballon.

Auch wenn die neuen Regeln ein Schritt in die richtige Richtung seien, gebe es weiterhin Nachbesserungsbedarf. „Denn angesichts dessen, dass das Gegenvorstellungsverfahren ebenso wie alle weiteren Regelungen des NetzDG nur für Entscheidungen nach dem NetzDG gelten, können sich die Plattformen diesen Regeln weiterhin durch die vorrangige Anwendung ihrer sehr weit gefassten allgemeinen Geschäftsbedingungen entziehen“, sagt Ballon. Generell hätte sie sich eine Anwendung des Gegenvorstellungsverfahrens auf alle Moderationsentscheidungen gewünscht.

Mehr Zugang für Forscher:innen

Der künftig mögliche Zugang für die Wissenschaft soll ein besseres Verständnis darüber schaffen, wie die sozialen Netze intern funktionieren. Forscher:innen sollen etwa Auskünfte über Verfahren zur automatisierten Erkennung von Inhalten können, die entfernt oder gesperrt wurden. Ebenso sollen sie die Verbreitung von Inhalten untersuchen können, die Gegenstand von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte waren oder die vom Anbieter entfernt oder gesperrt worden sind.

Allerdings können die Betreiber den Zugang zu den verlangten Informationen unter bestimmten Bedingungen verweigern, etwa wenn ihre „schutzwürdigen Interessen das öffentliche Interesse an der Forschung erheblich überwiegen“, heißt es im Gesetz. Zudem können sie bis zu 5.000 Euro als Erstattung für den Aufwand verlangen, in manchen Fällen sogar mehr.

„Die geplanten Zugänge für Forschung spielen vor allem den Interessen der Plattformen in die Hände“, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast. Die Regeln seien „extrem eng gefasst und unverständlich“. Hier geht der Entwurf des Digital Services Act deutlich weiter und könnte womöglich mehr bringen – allerdings erst in mehreren Jahren, wenn das EU-Gesetz fertig verhandelt und beschlossen ist.

Abgelehnte Vorschläge der Opposition

Angenommen wurde die NetzDG-Novelle mit den Stimmen der Regierungsparteien. Mehrere Änderungsanträge der Opposition fanden keine Mehrheit. So forderten die Grünen ein verbindliches Wiederherstellungsverfahren sowie eine Prüfung, ob bestimmte Teile von Messengerdiensten wie Telegram, die inzwischen sozialen Netzen gleichen, künftig unter das NetzDG fallen sollen.

Die FDP hätte gerne das NetzDG ganz abgeschafft und einige Punkte ins Telemediengesetz überführt. Etwa ein unkompliziertes Wiederherstellungsverfahren, wenn rechtmäßige Inhalte gelöscht wurden, obwohl sie den Verhaltensrichtlinien der Anbieter entsprechen. Für schuldhaftes Overblocking müssten Plattformen in Haftung genommen und mit Bußgeldern belegt werden können, heißt es im abgelehnten FDP-Antrag.

Dass sich dies nicht im NetzDG findet, ärgert den FDP-Abgeordneten Mario Brandenburg. Insgesamt handle es sich beim Gegenvorstellungsverfahren um ein „Feigenblatt“, welches klare Pflichten der Plattformbetreiber ausklammere, sagt Brandenburg. Es fehle eine Wiederherstellungspflicht. Zudem fragmentiere das Gesetz die vorhandene Gesetzeslage in Europa, sagt Brandenburg: „Die Bundesregierung beschreitet mit dem NetzDG und den beschlossenen Änderungen regulatorischen Alleingang, anstatt eine europäische Lösung zu suchen.“

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

2 Ergänzungen

  1. Es fehlt die Einbeziehung von Online-Ausgaben der Print-Medien! Deren Kommentar-Foren haben sich zu einem Eldorado von Hass, Hetze, Beleidigungen und Lügen entwickelt, denen die Print-Medien nach meiner Erfahrung nicht mehr Herr werden!

  2. Vielleicht ist ja hier ein Jurist oder Politiker anwesend. Vielleicht könnte der mir mal einige Dinge erklären? Denn beim besten Willen, ich begreife es nicht.

    Wie kann es juristisch möglich sein, das die Wirksamkeit eines „Einspruchs“ von dem abhängt, welchen, vom Anbieter geschaffenen(!), Irrweg, welche Klickreihenfolge, man beim Einspruch nimmt? Anders gesagt: wieso ist der Meldeweg relevant?

    Wie kann es sein, dass die Annahme oder Rückweisung der Meldung eines Hassposts erst dann begründet werden muss, wenn man sich dagegen wehrt?

    Öffnet diese privatisierte „Rechtssprechung“ nicht der Willkür Tür und Tor? Jeder, auch der Anbieter selbst, kann jeden diskreditieren. Die Möglichkeit des Widerspruchs scheint mir nicht sehr schlagkräftig zu sein. Denn wenn der Widerspruch gerechtfertigt ist, dann war das ein Fehler des Anbieters. Muss ich um meine Rechte betteln?

    Wenn man youtube, Facebook, Twitter gerade wegen ihrer Omnipresenz als öffentlichen Raum sieht, müsste dann nicht das „Hausrecht“ Einschränkungen erfahren? Dann wäre der Staat verantwortlich.

    Warum ist das Recht auf Wiederherstellung nicht klar geregelt?

    Was soll wirklich mit diesen Gesetz bewirkt werden? Die Frage stellt sich weil ich meine, dass Anbieter massiv bevorteilt werden, sogar in die Position des Richters gehoben werden, ohne das formale Regeln existieren, die automatisch gegen Missbrauch und Fehler wirksam werden.

    Softwareentwickler würden sagen: Das skaliert nicht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.