Grundrechte gefährdetÖsterreich bezieht Stellung gegen Chatkontrolle

Bei den kommenden EU-Verhandlungen über die Chatkontrolle wird Österreich auf der Seite der Kritiker:innen stehen. Der zuständige Ausschuss im Parlament hat eine Stellungnahme beschlossen, die sich gegen generelle Überwachungspflichten richtet.

Links unten ist ein Ausschnitt der österreichischen Flagge, rechts oben ein Teil eines Smartphones mit Social-Media-Apps. Der Hintergrund ist blau.
Von der Stellungnahme Österreichs erhoffen sich Bürgerrechtler:innen Signalwirkung (Symbolbild) – Flagge: IMAGO / Yay Images; Smartphone: IMAGO / Kirchner-Media; Montage: netzpolitik.org

Österreich hat seine kritische Haltung gegenüber der sogenannten Chatkontrolle untermauert. Am 3. November hat der EU-Unterausschuss des österreichischen Nationalrats fast einstimmig eine Stellungnahme verabschiedet, die sich als Absage an das Gesetzesvorhaben der Europäischen Kommission interpretieren lässt.

Die Parlamentarier:innen fordern eine grundrechtskonforme Ausgestaltung, die generelle Überwachungspflichten für Online-Anbieter ausschließt und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bewahrt. Genau das sind die zentralen Kritikpunkte von unter anderem Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützer:innen. Um „Material über sexuellen Kindesmissbrauch“ aufzuspüren sieht der Vorschlag der EU-Kommission unter anderem vor, dass Anbieter auf Anordnung sogar private Chatnachrichten durchleuchten.

Stellungnahme hat rechtliche und politische Wirkung

Die Stellungnahme des EU-Unterausschusses ist grundsätzlich bindend für die Regierungsvertreter:innen Österreichs in den künftigen EU-Verhandlungen und Abstimmungen zur Chatkontrolle. Laut Artikel 23e des Bundes-Verfassungsgesetzes von Österreich dürfen die zuständigen Regierungsmitglieder „nur aus zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen“ davon abweichen. Dann müssen sie den Nationalrat jedoch erneut befassen, ihn von ihrem Vorgehen unterrichten und Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Außerdem drohen politische Konsequenzen, wie zum Beispiel ein Misstrauensvotum, wenn zuständige Bundesminister:innen von einer Stellungnahme abweichen.

Der österreichische Parlamentarier Süleyman Zorba schreibt auf Anfrage von netzpolitik.org, „politisch bedeutend ist die Stellungnahme insofern, dass Österreich seine Positionen zur Chatkontrolle klar auf EU-Ebene kommunizieren und diesbezüglich Punkte einfordern kann, gestärkt durch parlamentarische Beschlüsse.“ Das mache die Positionierung Österreichs stärker. Zorba hatte den Antrag auf die Agenda des EU-Unterausschusses gebracht.

Damit ist Österreich das erste Land, das zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission klare Stellung bezieht. Ein Stimmungsbild der Rats-Arbeitsgruppe Strafverfolgung vom Juli 2022 hatte das bereits angedeutet: Damals hatten die Regierungsvertreter:innen Österreichs am deutlichsten Kritik geübt.

„Die Hoffnung liegt auf Deutschland“

Thomas Lohninger ist Geschäftsführer von epicenter.works. Die österreichische NGO setzt sich für digitale Bürger:innenrechte ein. Lohninger kommentiert den Beschluss aus Österreich auf Anfrage von netzpolitik.org: „Wir haben jetzt ein Land, das sagt: ‚Das geht so nicht‘ – und das einstimmig mit allen Parteien. Das ist eine Steilvorlage für ein zweites Land, sich dem anzuschließen.“

Die Hoffnung liege dabei auf Deutschland, so Lohninger. Gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes kann auch der Deutsche Bundestag europapolitische Stellungnahmen beschließen. Die Bundesregierung muss diese in Verhandlungen auf EU-Ebene berücksichtigen. Sie ist zwar rechtlich nicht an solche Stellungnahmen gebunden, von ihnen geht jedoch „eine nicht unerhebliche politische Wirkung auf die Bundesregierung aus“, schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages.

Der Bundesinnenminister von Österreich, Gerhard Karner, betont auf Anfrage die Offenheit der Verhandlungen zur Chatkontrolle. „Der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission ist grundsätzlich technologieneutral. Selbstverständlich braucht es eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Verordnung.“ Dafür sei noch Zeit, die „Diskussion zur Ausgestaltung der Verordnung steht erst am Anfang“. Er war bei der Verabschiedung der Stellungnahme im Unterausschuss anwesend.

In der Stellungnahme des EU-Unterausschusses heißt es dazu, die zuständigen Bundesminister:innen „werden ersucht, sich auf europäischer Ebene weiterhin für die Sicherstellung einer grundrechtskonformen Ausgestaltung dieser Verordnung aktiv einzusetzen“. Dazu gehöre der Verzicht auf generelle Überwachungspflichten und die Sicherstellung von Ende-zu-Ende Verschlüsselung.

„Wenn man sich anschaut, welche Bedingungen der Antrag an die Verordnung stellt, fragt man sich: Was würde da übrigbleiben? Das wäre ein gänzlich anderes Gesetz“, sagt Lohninger. Er setzt auf die Signalwirkung der Entscheidung in Österreich. „Wir haben eine sehr kritische Debatte im deutschsprachigen Raum. Es ist wichtig, dass diese Debatte auch in anderen EU-Ländern, auf portugiesisch, dänisch, spanisch geführt wird. Aktuell ist das noch eine deutsche Bubble“. Mehr über die Reaktionen anderer EU-Staaten auf die geplante Chatkontrolle haben wir hier berichtet, kritische Einschätzungen kommen unter anderem aus Polen und den Niederlanden.

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