NetzwerkdurchsetzungsgesetzBundesregierung beschließt Pflicht zur Passwortherausgabe

Nach dem antisemitischen Attentat von Halle und dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke steht die Bundesregierung unter Druck, mehr gegen Rechtsextreme und Rechtsterroristen zu tun. Doch eine heute von der Regierung verabschiedete umstrittene Gesetzesänderung droht neue Probleme zu schaffen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) bei einer Pressekonferenz nach dem rechtsextremen Mordanschlag in Hanau. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Reiner Zensen

Eine Gesetzesverschärfung soll dabei helfen, Hass aus dem Netz zu fegen. In sozialen Medien geäußerte Drohungen, Beleidigungen oder Verleumdungen sollen künftig unter das Strafgesetz fallen und können mehrjährige Haftstrafen nach sich ziehen. In bestimmten Fällen müssten große Plattformen wie Facebook oder Twitter beanstandete Inhalte nicht nur löschen, sondern sie auch an das Bundeskriminalamt (BKA) melden, inklusive IP-Adressen, Portnummern und sogar Passwörtern derjenigen Nutzer:innen, die diese Äußerungen verantworten.

Die heute von der Bundesregierung beschlossene Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ist die erste von zwei geplanten Änderungen. Im Dezember hatte das BMJV einen ersten Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vorgestellt. Sie folgt auf eine Reihe an rechtsextremen Anschlägen, unter anderem dem Mord am Kasseler Lokalpolitiker Walter Lübcke und dem antisemitischen Anschlag von Halle. Nun liegt der Ball beim Bundestag, der in den kommenden Monaten über die Gesetzesänderung beraten wird.

Wirksamkeit „höchst zweifelhaft“

Der grundsätzlichen Absicht der Bundesregierung, etwas gegen Rechtsextremismus und Hetze unternehmen zu wollen, stellt sich kaum jemand entgegen. Dennoch stößt der Gesetzentwurf seit seiner Vorstellung im Vorjahr auf heftige Kritik, sie kommt von Bürgerrechtlern, Wirtschaftsverbänden und Juristen gleichermaßen. „Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen stellen sehr weitgehende Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung dar“, sagt etwa Elisabeth Niekrenz von der Digital-NGO Digitale Gesellschaft. „Dabei ist die Wirksamkeit gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität höchst zweifelhaft“.

Die NGO hatte zuletzt einen offenen Brief an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) unterzeichnet, dem sich auch Wikimedia Deutschland und netzpolitische Verbände wie cnetz oder LOAD angeschlossen haben. Sie befürchten einen gesetzlichen Schnellschuss, der letztlich mehr schaden als helfen könnte. So sei etwa die geplante Übermittlung von Daten an das BKA dazu geeignet, ein „polizeiliches Zentralregister“ zu schaffen, was mit den Grundsätzen der Medien- und Informationsfreiheit nicht zu vereinbaren sei.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast, die selbst von einer Hasswelle betroffen war und jüngst zwei Gerichtsverfahren wegen Beleidigung für sich entscheiden konnte, fordert eine „kritische Prüfung“ des Entwurfs. „Bei der geplanten Meldepflicht für Hasskommentare an das BKA setzt der Gesetzentwurf auf eine pauschale und umfangreiche Weitergabe von Daten der Nutzerinnen und Nutzer ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts“, sagt die Bundestagsabgeordete.

Unterbesetze Ermittlungsbehörden

Das Justizministerium schätzt, dass jährlich etwa 250.000 gemeldete Inhalte beim BKA landen werden. Zwar sind weitere Stellen bereits geplant, laut dem Deutschen Richterbund (DRB) werden diese aber nicht reichen. Der Verband rechnet mit rund 150.000 neuen Verfahren pro Jahr, was sich mit der vorgesehenen Besetzung nicht bewältigen ließe. „Ohne deutlich mehr Personal und eine weitergehende Spezialisierung in der Justiz wird es aber nicht gehen“, sagt DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.

Einen „beispiellosen rechtsstaatlichen Dammbruch“ und ein „trojanisches Pferd für die Meinungsfreiheit“ befürchtet Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Anstatt effektiv gegen Online-Hetze vorzugehen, werde „eine Verdachtsdatenbank beim BKA aufgebaut, in der Inhalte und zugehörige IP-Adressen gespeichert werden“.

Zudem drohe die Bundesregierung das Problem der privatisierten Rechtsdurchsetzung zu verschärfen. „Die Anbieter Sozialer Medien sollen nun nicht nur als Hilfs-Sheriffs herhalten, sondern werden zur ausgelagerten Rechtsabteilung der Justiz“, sagt Höferlin in einer Stellungnahme.

Ausweitung privatisierter Rechtsdurchsetzung

Diese Befürchtung teilt der wirtschaftsnahe Digitalverband Bitkom. „Die Auslegung der Gesetze und die Durchsetzung geltenden Rechts obliegen auch im Internet den Gerichten und Staatsanwaltschaften – nicht privaten Unternehmen“, schreibt der Verband. Der bereits im ursprünglichen NetzDG enthaltene Anreiz werde nun weiter ausgedehnt. „Im Ergebnis werden die betroffenen Plattformen dazu verleitet, eher zu viele als zu wenige Nutzerdaten an Strafverfolgungsbehörden zu melden – auch aus Sorge vor Bußgeldern“.

Zugleich weist Bitkom darauf hin, dass vor allem Staatsanwaltschaften personell unterbesetzt sind. Im Kampf gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität brauchten die zuständigen Behörden mehr Personal sowie Digitalkompetenz und „keine fragwürdigen, neuen Befugnisse“.

In die selbe Kerbe schlägt der Verband der Internetwirtschaft eco. „Das geplante Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz ist datenschutzrechtlich, verfassungsrechtlich und europarechtlich in höchstem Maße besorgniserregend“, sagt eco-Vorstand Oliver Süme. Es drohten erhebliche Einschnitte in bürgerliche Freiheiten sowie herbe Verluste der Integrität und Vertrauenswürdigkeit in digitale Dienste.

Zwar herrsche Einigkeit darüber, sagt Süme, dass konsequent gegen Straftaten im Internet vorzugehen ist. Aber dies dürfe nicht dazu führen, die Pflichten der Sozialen Netzwerke unermesslich auszuweiten. „Die Einführung einer Meldepflicht für die Unternehmen kann nur dann sinnvoll sei, wenn auch die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden über die notwendigen personellen Kompetenzen und technischen Kapazitäten verfügen“.

Neuer Anlauf mit der Zivilgesellschaft

Die Initiativen Ichbinhier und HateAid, die Opfern von digitaler Gewalt zur Seite stehen, fordern in einer gemeinsamen Bewertung der beiden Gesetzentwürfe, den Prozess zu entschleunigen und beim neuerlichen Anlauf „die Zivilgesellschaft mitzunehmen“. Obwohl einige der von der Regierung anvisierten Ziele durch die Novellen erreicht werden könnten, verfehle das Vorhaben die nötige „Akzeptanz als auch die Effizienz“ herzustellen.

Es sei „absolut notwendig“, den demokratiegefährdenden Komponenten von digitaler Gewalt entgegenzuwirken, heißt es in der Stellungnahme.“Dies darf aber nur durch eine verhältnismäßige und nicht mehr als erforderliche Einschränkung anderer Grundrechte wie z.B. des Rechts auf Informationelle Selbstbestimmung geschehen“.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

18 Ergänzungen

  1. Das nennt man „KANN-Regierung“. Wir haben KANN-Regierung.

    Es KANN sein, dass die Maßnahmen für und/oder gegen etwas bzw. irgendwie bzgl. und/oder für bzw. gegen die beworbenen Effekte und/oder Gründe, JEDOCH…

    es KANN auch sein, dass alles gut geht, die Gesetze nur zur Wahrung der Demokratie und zum Wohl der Menschen eingesetzt werden, sowie nur in real bedürftigen Fällen zum Einsatz kommen. Es KANN aber auch sein, dass dem von Anfang an nicht so ist, und später für noch schlimmeres verwendet werden.

    Die Demokratie wird auch zur KANN-Option, KANN AM ARSCH.

  2. Ein DDoS auf die vollkommen überlasteten Justizbehörden von der eigenen Regierung…
    Und ist es nicht Wahnsinn, so hat es doch Methode!

  3. Scheint mir vor allem ein hervorragendes Instrument zur Austragung von Privatfehden zu werden: Missliebige Personen einfach anschwärzen und den gesamten Justizapparat für sich arbeiten lassen. Als Mitkommentator wird man dann noch möglicherweise zum Zeugen gemacht, der in einem Verfahren keinerlei Rechte hat.

    Die Vernünftigen werden sich dann endgültig verabschieden, um nicht in irgendwas hineingezogen zu werden. Schon die Anmeldepflicht ist für mich ein Grund, das (unbezahlte) Kommentieren zu unterlassen, da über den Nutzerlink die komplette Historie aller Kommentare listbar wird.

    Von irgendeinem Extremisten Kindskopf wegen angeblicher Terrorunterstützung, Antsemitismus etc. jahrelang in Schwierigkeiten gebracht zu werden, kann man sich schenken.

    Sieht man ja seit Jahren, wie das in der Türkei unter der AKP läuft.

  4. So was. Ich dachte „[i]n sozialen Medien geäußerte Drohungen, Beleidigungen oder Verleumdungen“ fallen bereits unter das Strafgesetz.

  5. Was kann die sch…. Parteienregierung damit erreichen? Gar nix. Nur mehr Überwachung und Regulierung der Daus. Wer verhindern will, das seine Kommunikation nicht mitgelesen wird, der hat alle Mittel, um das zu verhindern. Imei ändern,Vpn, Tor, 2FA, Imsi Detectoren, Kommunikation auf undokumentierten Frequenzen, Proxies, PGP- und Cloud-Verschlüsselung, selbst Prepaids sind heute noch anonym zu haben. Das Internet war bis 2006 frei, als alles begann mit dem Urheberrecht, als CD- Brenner keine fehlerhaften Sectoren mehr lesen durften, um Securum new und andere Schutzmechanismen mit Alcohol 120% zu umgehen. Seitdem wird das Inet reguliert auf eine Weise, wo man nur sagen kann, “ Die da oben haben ein Rad ab und nicht mehr alle Tassen im Schrank“. Das Inet muss ein rechtsfreier Raum bleiben, denn es ist weltumspannend. Im analogen Leben kann ich sagen was ich will, da steht auch keiner, der mir vorschreibt, was ich zu sagen habe oder nicht. Wenn jemand beleidigt wird, hat er halt Pech, wird ja ein Grund geben. Wenn die Regierung beleidigt wird, wird es auch ein Grund geben ( sie haben mal wieder Sch.. gebaut).Sowas zu unterbinden, verstößt gegen die Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist nicht zu regulieren, das sagt das Wort selber schon. Hassreden, Shitstorms und andere Sachen spiegeln nun mal die Meinung über jemanden oder andere wieder und können nicht reguliert werden, es ist halt im Inet, wie im normalen Leben. Schluss aus.

    1. „Das Inet muss ein rechtsfreier Raum bleiben“, soso. War es das denn jemals? Und wenn Sie selbst nicht wissen, was gegen die Meinungsfreiheit verstößt, tun Sie mir echt leid. Schluss aus.

  6. Bitte gendern:
    „Dennoch stößt der Gesetzentwurf seit seiner Vorstellung im Vorjahr auf heftige Kritik, sie kommt von Bürgerrechtlern, Wirtschaftsverbänden und Juristen gleichermaßen.“

    Danke.

    Mich würde zudem interessieren, was die Behörden mit den Passwörtern bzw. den Hashes anfangen wollen. Ist da etwas bekannt? Sollen nichtöffentliche Daten dee Accounts abgegriffen werden? Oder öffentliche Daten manipuliert werden?

    1. Die KANN alles: Abgreifen, Impersonifizieren, woanders probieren.

      Das ist, was jetzt „ist“. Was „Anbieter“ machen oder können … mal sehen.

  7. Das ist ja höchst interessant.

    Die staatlichen Organe, in denen nachweislich heute noch Nazis arbeiten, sollen noch mehr Befugnisse erhalten, noch bevor man sicher gestellt hat, dass nur berechtigte und treue Staatsdiener Überwacher spielen?

    Wenn das mal nicht noch mehr Morde, Anschläge usw. durch Nazis bedeutet weiß ich auch nicht.

    1. Der einfachste Weg: Begriffe umdeuten, z.B. „Vertrauenswürdigkeitsoffensive der Demokratie“.

      Wir erleben Vertrauen in der besten und reinsten Form, zu der Macht und Geld in der Lage sind. Also inetwa wie zu behaupten, die Menschen folgteten dem Prinzip „Geiz ist Geil“, unter Ausklammerung der Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrtausende.

  8. Mein Bullshitdetektor schlägt Alarm!

    > Es sei ‚absolut notwendig‘, den demokratiegefährdenden Komponenten von digitaler Gewalt entgegenzuwirken, heißt es in der Stellungnahme.

    „digitale Gewalt“, was soll denn das schon wieder sein?
    Und warum ist sie demokratiegefährdend? Glauben die ernsthaft, die Demokratie wird durch ein paar Hasspostings im Internet zerstört? So ein Schwachsinn!

    Und im gleichen Atemzug fordert HateAid gGmbH gleich mal »effektive Strafverfolgung«. -_- Also »digitaler Gewalt« (was auch immer das sein soll) mit realer (Staats-)Gewalt beantworten … Also hat man wieder mal nur die schlechte alte Abschreckungstaktik auf Lager, aber keine echten Lösungen. Enttäuschend.

  9. Das ist wirklich erstaunlich, dass die Nazis und Werteunionisten damit durchkommen. Die Gesetzesverschärfungen, die unsere Freiheit schleichend beschneiden, sind wirklich gefährlich. Denn es wurde ja schon erwähnt. Wir haben parlamentarisch und in der Verwaltung noch keine Voll-Nazis am Ruder. Wenn es dann soweit sein sollte, freuen die Voll-Nazis sich, die Gesetze sind jetzt schon so scharf, da müssen die dann nichts mehr verändern. Die freiheitliche Gesellschaft schafft sich selbst ab- die Nazis stellen die Falle und wir laufen rein.

    1. Der Gesetzentwurf kommt vom Justizministerium, das ist SPD gefuehrt, von Linksblinker-und-Rechtsabbieger Partei.

  10. Abgesehen von der massiven Verunglimpfung der Fachwelt, rein mathematisch gesehen, empfinde ich dieses Vorgehen als „Debilisierung des bereits Blöden“.

    Das betrifft das offensichtlich Zerrbild des Menschen, der vermeintlich in so einer Demokratie lebt. Manipulation mit stetigem Aufwand… wie soll so eine Gesellschaft, konzeptionell gesehen, nicht aussterben müssen?

  11. Wie wäre es mal mit mehr Sozialarbeiter:innen und einer Verschärfung des Waffengesetzes?
    Wie wäre es mal mit digitaler Bildung, die nicht nur digitales konsumieren unterstützen, sondern auch das kritische Denken fördern?
    Immer nur schleichend die Freiheit beschränken spielt am Ende den Nazis in die Karten. Dann haben Sie schon Gesetze, die Sie selber durchpeitschen würden.

  12. Ich bin der Überzeugung, dass durch die Herausgabe/Übertragung der Passworte zum BKA (auf einer Amazon Cloud ?) dem kriminellen Zugriff auf Passworte ein Bärendienst geleistet wird.

    Wie soll ich mir das denn überhaupt vorstellen, wenn also (nur mal so angenommen) 20 Anfragen oder Beschwerden/Tag kommen und dann die BKA Leute der Beschwerde nachgehen müssen ?
    Es muss ja irgend jemand sich beim „Verdächtigen“ einloggen und die eMails durchlesen….
    Wie soll ich denn da was finden ?
    Und was, wenn das Postfach leer ist ??
    Muss ich dann jeden Tag kontrollieren, ob der „Verdächtige“ was schreibt oder Post erhält ?
    Oder wird dann eine Software installiert , die automatisch sich einloggt und die Post abgreift, ohne dass der User merkt, dass die Post bereits gelesen wurde ??
    Und dann muss der BKA Mensch wieder alles durchlesen ? Bevor die Nachricht gelöscht wurde ?
    Oder wird dann doch alles „stumpf“ aus dem eMailpostfach zum BKA zwecks weiterer Bearbeitung kopiert ???

    Daten über Daten … und der Terror geht weiter … und die Datenberge werden größer und größer … Und dann kommt die künstliche Intelligenz oder die intelligenten Logarithmen und finden alles automatisch ?

    Offen gestanden, das klingt mir alles mehr wie : Die Intelligenz abgeben ….

  13. Konzern 1+2 bauen die Infrastruktur, die „angelernten 300“ bearbeiten die eingehenden Meldungen vor, so dass 100 Juristen mit der finalen Bearbeitung zurechtkommen. Die 100 sind natürlich nicht neu eingestehlt, die fehlen dann… idk Grundschulen, Spielplätzen, Hausfluren, sowas.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.