Netzpolitischer Wochenrückblick KW6: Was der Koalitionsvertrag kann

Wir haben uns diese Woche tief im Vertrag der schwarz-schwarz-roten Koalition vergraben und uns einen Überblick über die netzpolitischen und grundrechtlichen Vorhaben verschafft. Unterdessen verschärfen Bayern und Hessen ihre Polizei- und Geheimdienstgesetze. Zudem bieten wir hintergründigen Lesestoff für ein gemütliches Wochenende.

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Wenn Union und SPD Innenpolitik machen, dann ächzt es erfahrungsgemäß im Gebälk des Grundgesetzes. Im Bereich Innere Sicherheit einigten sich die Parteien auf einen massiven finanziellen und personellen Ausbau von Geheimdiensten und Polizeien. Auch ihre Überwachungsbefugnisse sollen sich erweitern. Zudem könnten um das äußere Aussehen erweiterte DNA-Analysen in das Repertoire von Strafverfahren aufgenommen werden. Dass sich diese neue Maßnahme vor allem aus rassistischen Ressentiments speist, hat die Biologin Anna Müller in ihrem #34c3-Vortrag ausgeführt.

Im Koalitionsvertrag bekennen sich Union und SPD zwar zu den ab Mai geltenden Datenschutzregeln der EU – fügen aber hinzu, dass diese innovationsfreundlich umgesetzt werden sollen. Auch wenn die schwarz-schwarz-rote Koalition sich in Bezug auf das Urheberrecht für mehr Open Access einsetzt, bleibt der Wermutstropfen, dass sie weiterhin auf einem europäischen Leistungsschutzrecht für Verleger beharrt. Wenig überraschend hält sie auch am viel unter Beschuss geratenen Hate-Speech-Gesetz „NetzDG“ fest. Immerhin aber lehnen die Koalitionäre die auf EU-Ebene diskutierten Upload-Filter gegen Urheberrechtsverletzungen als „unverhältnismäßig“ ab.

Endlich Bewegung gibt es hingegen in der digitalen Bildung. Neue Ideen und große Visionen hat die Große Koalition zwar nicht. Dafür sieht es aber immerhin so aus, als würden Union und SPD endlich alte Versprechen einlösen und zumindest dringend benötigte Grundlagen für eine zeitgemäße Bildungspolitik schaffen.

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bleibt in der Hand der CSU. Wir haben analysiert, was in Bezug auf Glasfasernetze, den Mobilfunkmarkt und die Netzneutralität geplant ist. Der Etikettenschwindel Vectoring ist jedenfalls nicht vom Tisch. Aufhorchen ließen die Verhandler mit einem geplanten Rechtsanspruch auf schnelles Internet. Diesen wollen sie in der kommenden Legislaturperiode gesetzlich festschreiben, gelten soll er aber erst ab 2025. Dagegen läuft die Industrie Sturm und bezeichnet das Vorhaben als „Planwirtschaft“.

Überraschung: Neues Bayerisches Polizeigesetz

Beinahe untergegangen in den Diskussionen rund um die Regierungsbildung auf Bundesebene ist ein Gesetz in der Heimat des designierten Bundesinnenministers Horst Seehofer. Ein neues Polizeiaufgabengesetz befindet sich im bayerischen Landtag in erster Lesung. Es sieht vor, die Polizei mit bisher ungekannten präventiven Kompetenzen auszustatten und zahlreiche Einschreitschwellen abzusenken. Zu den Maßnahmen soll auch die Anwendung von Gesichtserkennung auf Demonstrationen gehören.

Die Volksrepublik China hat sich unlängst dazu bekannt, bis 2020 Gesichtserkennung flächendeckend einzusetzen. Als nächsten Schritt auf dem Weg dahin bekommen Polizeibeamte nun Brillen zur mobilen Videoüberwachung und Gesichtserkennung.

Scharfe Kritk am geplanten Hessen-Trojaner

Währenddessen arbeitet der hessische Landtag an einer Novellierung des Geheimdienstgesetzes. Es geht unter anderem um Staatstrojaner für den Landesverfassungsschutz. Die geladenen ExpertInnen zweifeln mit großer Mehrheit an der Verfassungskonformität des Vorhabens, während die Zivilgesellschaft Proteste organisiert. Unweit der hessischen Landeshauptstadt, in Frankfurt, hat die Polizei in der Vergangenheit missliebige Follower auf Twitter geblockt. Sämtliche geblockte NutzerInnen sollen nun entblockt werden. Damit könnte sich die Polizei selbst amnestieren. Denn es ist umstritten, ob die bisherige Praxis rechtskonform ist.

Kein Geoblocking beim Online-Shopping

In Straßburg hat das EU-Parlament diese Woche eine Geoblocking-Verordnung beschlossen. Fortan dürfen KonsumentInnen bei grenzübergreifenden Online-Einkäufen nicht mehr diskriminiert werden. Ausgenommen von der Verordnung sind allerdings Audio- und Videoinhalte.

Falschnachrichten sind offenbar Teil des Facebook-Geschäftsmodells. Mit der Instant-Article-Funktion der Plattform werden nach Untersuchungen von Buzzfeed massiv Falschnachrichten verbreitet und damit Geld verdient. Ein öffentlich gewordenes Patent zeigt zudem, wie Facebook NutzerInnen in gesellschaftliche Schichten einteilt, um damit effektivere Werbung zu schalten.

Lesestoff für das Wochenende

In einer Recherche bieten wir Einblicke in eine rechtsradikale Troll-Armee. Sie kapert Hashtags auf Twitter, teilt massenhaft Inhalte rechtsextremer Populisten, kommentiert Videos auf YouTube und versucht sich dabei als Gamer zu tarnen, um nicht aufzufallen.

In unserer Interview-Serie zu Perspektiven auf die Blockchain haben wir diesmal Sergio Veiga interviewt. Im letzten Gespräch der Reihe erklärt er, warum er Bitcoin als „Prototyp eines Traums“ ansieht.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

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