In der Auseinandersetzung mit den netzpolitischen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD darf ein Bereich nicht fehlen: „Digitale Bildung“. Schon 2013 hatte die Große Koalition auf diesem Feld Fortschritte angekündigt. Passiert ist wenig. In einem Koalitionsvertrag, der ansonsten nicht durch besonders konkrete Pläne glänzt, finden sich hier dieses Mal tatsächlich einige handfeste Vorhaben.
Kooperationsverbot fällt, Digitalpakt kommt
Da ist an erster Stelle die Aufhebung des Kooperationsverbotes zu nennen, für die sich im Wahlkampf alle Parteien außer der Union ausgesprochen hatten. Seit einer Grundgesetzänderung im vergangenen Jahr darf der Bund immerhin bereits „finanzschwachen“ Gemeinden bei der Bildungsfinanzierung unter die Arme greifen. Die Einschränkung „finanzschwach“ soll nun gestrichen werden. Grundsätzlich bleibt Bildung also Ländersache, aber der Weg für ein größeres finanzielles Engagement des Bundes in der Bildungsförderung ist damit frei.
Im Rahmen einer größeren „Investitionsinitiative“, die auch zwei Milliarden Euro für Ganztagsschul- und Betreuungsangebote umfasst, soll nun der schon vor zwei Jahren angekündigte „Digitalpakt #D“ umgesetzt werden. Er sieht vor, dass der Bund die Länder finanziell bei der technischen Modernisierung der Schulen unterstützt. Schülerinnen und Schüler sollen „in allen Fächern und Lernbereichen eine digitale Lernumgebung nutzen können, um die notwendigen Kompetenzen in der digitalen Welt zu erwerben“, heißt es als Ziel im Koalitionsvertrag. Dafür sollen insgesamt 5 Milliarden Euro fließen, davon 3,5 Milliarden in dieser Legislaturperiode. Auch Berufsschulen sollen davon profitieren.
Wofür genau das Geld eingesetzt werden soll, beschreibt der Koalitionsvertrag nicht. Genannt wird in diesem Zusammenhang lediglich eine nationale Bildungsplattform, „die auch eine offene Schnittstelle für das Zusammenwirken mit bestehenden Lernplattformen und Cloudlösungen anbietet.“ An anderer Stelle kündigen die Koalitionäre zudem an, in dieser Legislaturperiode „Schulen, Gewerbegebiete, soziale Einrichtungen in der Trägerschaft der öffentlichen Hand und Krankenhäuser (…) direkt an das Glasfasernetz“ anzubinden. Laut Eckpunkte-Erklärung [PDF] des Bundes und der Länder zum Digitalpakt soll dies einen Schwerpunkt der Förderung bilden.
Offen bleibt jedoch, für wie viele Schulen das Versprechen der Versorgung mit schnellem Internet gilt. Alle? Hundert? Tausend? Das lässt der Koalitionsvertrag wohlweislich offen. Auch die von Bildungsaktivisten geforderten Bekenntnisse zu freier und offener Software an Schulen gibt es nicht.
Noch zu klären: Inhalte, Didaktik, Lehrkräfte
Dass eine entsprechende IT-Ausstattung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für gelungene digitale Bildung ist, ist auch Union und SPD klar. Wie von Noch-Bildungsministerin Wanka vorgeschlagen, soll die Vergabe der Bundesmittel deshalb an Bedingungen gebunden werden, die mit den Ländern verabredet werden. Dabei geht es laut Koalitionsvertrag insbesondere um die Qualifikation der Lehrkräfte, die inhaltliche Ausgestaltung in Form von Bildungs- und Lehrplänen sowie die Verantwortung für „Wartung und Interoperabilität der Infrastrukturen durch die Antragsteller.“ Ob der Digitalpakt tatsächlich ein Erfolg wird, hängt also maßgeblich davon ab, ob und wie sich Bund und Länder einigen können.
Zudem planen die Parteien „regionale Kompetenzzentren für Digitalisierung“, die mit bestehenden Akteuren und Initiativen vor Ort vernetzt werden sollen. Ziel der Zentren sei es, „technisches und pädagogisches Know-how zu vermitteln sowie Best Practice vorzustellen.“
Damit enden dann die Verabredungen, für die die Koalitionäre in spe sich auf eine hohe Priorität einigen konnten. Die weiteren Verabredungen sind nur noch mit dem deutlich unverbindlicheren Wort „wollen“ formuliert worden. Dazu gehört unter anderem eine Weiterentwicklung der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, über die der Bund Modellprojekte zur Verbesserung der Ausbildung des Lehrpersonals fördert. Auch die vom Bund geförderte Bildungsforschung soll künftig einen Schwerpunkt „Digitalisierung“ erhalten.
Vieles bleibt offen
Das gleiche gilt für die Ankündigung einer „umfassenden Open Educational Resources-Strategie“. Sie soll „die Entstehung und Verfügbarkeit, die Weiterverbreitung und den didaktisch fundierten Einsatz offen lizenzierter, frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien fördern und eine geeignete Qualitätssicherung etablieren.“ Das ist trotz niederiger Priorität immerhin konkreter als 2013, als es lediglich hieß, man wolle die „Verwendung freier Lizenzen und Formate“ sowie die „freie Zugänglichkeit von Schulbüchern und Lehrmaterialien“ ausbauen.
Was die digitale Zivilgesellschaft freuen dürfte: Auch die Förderung außerschulischer Medien- und Digitalbildungsprojekte für Kinder und Jugendliche steht (immerhin) auf der nice-to-have-Liste. Viele Initiativen kommen hier bislang mit ausgesprochen wenig oder gänzlich ohne staatliche Förderung aus. Als konkrete Maßnahme wird jedoch nur ein jährlicher Wettbewerb für die Auszeichnung von Bildungsprojekten genannt. Ähnlich sieht es bei der Erwachsenenbildung aus: Hier wollen Union und SPD „Programme und digitale Angebote für Menschen jeden Lebensalters fördern, die dem Erwerb von Digitalkompetenzen dienen, z. B. auch an Volkshochschulen und in Mehrgenerationenhäusern.“ Klingt gut, ist aber äußerst vage.
Insgesamt lässt sich in Sachen digitale Bildung also festhalten: Mit dem Koalitionsvertrag könnte vieles längst Überfällige endlich in Bewegung kommen. Anderes wiederrum ist so vage, dass es den engagierten Einsatz von Abgeordneten und Zivilgesellschaft brauchen wird, damit es im Koalitions-Kleinklein nicht untergeht. Spannend wird zudem, wer den Ministerposten übernimmt. Fest steht nach Medienberichten bislang nur, dass es jemand aus der CDU sein wird und Johanna Wanka das Amt abgibt. Sie hatte den Digitalpakt damals mit den Worten angekündigt, Jugendliche sollten digitale Medien auch mal zu anderen Zwecken als „nur zum daddeln“ nutzen. Vielleicht folgt ihr ja jemand mit etwas mehr Verständnis von der Materie.
Da werden wieder mal munter drei Dinge durcheinander geworfen:
– Die längst überfällige Hardwareausstattung und Internetanbindung der Schulen
– Medienbildung als Anwendungswissen
– informationstechnische Grundbildung
Die Internetanbindung der Schulen hat natürlich Priorität, denn ohne eine vernünftige Nutzung der Netzstrukturen geht schon mal gar nichts.
Aber auch reines Anwenderwissen oder reine Medienbildung sind nur ein kurzer Hopser auf dem Weg zu einer demokratischen und selbstbewussten Verwendung von IT-Strukturen. Es ist nicht ausreichend, Office-Programme nutzen zu können, um Vorteile und Nachteile der umfassenden Vernetzung zu verstehen.
Notwendig ist ein Schulfach, das informationstechnische Grundbildung vermittelt. In Chemie oder Physik wird das Grundlagenwissen aus der Zeit der Industriellen Revolution vermittelt, wir befinden uns aber in einer (Achtung! Schlagwort!)“digitalen Revolution“. Es sollte das ‚I‘ in MINT endlich mal ernst genommen werden.
Leider ist das immer noch Ländersache und wenn man sich mal anschaut, wie die diversen Landespolitiker mit manchmal verblüffender Unkenntnis agieren, dann habe ich da wenig Hoffnung. Ja, da steht: „Wir wollen…“. Bedauerlicherweise wird in vier Jahren dann wohl stehen: Sie haben sich redlich bemüht.
Schön und gut, aber wo werden diese Dinge durcheinander geworfen? Im Text weise ich ja genau auf den von dir benannten Unterschied zwischen IT-Ausstattung und Kompetenzvermittlung hin – nebst „Ländersache“.
Ich kann die Einschätzung, dass „endlich alte Versprechen“ eingelöst und „dringend benötigte Grundlagen“ geschaffen werden sollen, keineswegs teilen. Eine schnelle Internetverbindung in der Schule, Clouds und neue Rechner – das halte ich für Rückschritt (Kommerzialisierung von Bildung und Industrie-Subvention) statt Fortschritt (mehr Medienmündigkeit), solange essentielle Fragen (Datenschutz, Weiterentwicklungs- und Wartungsfragen, Proprietät, …) nicht geklärt sind und (Lehr-/Lern-)Konzepte entwickelt wurden.
Zuvorderst steht also:
– Klärung von Begriffen wie Medienbildung, Medienmündigkeit, „digitale Bildung“ und dem „wo-wollen-wir-hin?“.
– Konzeptentwicklung: Ohne Konzept, keine Infrastruktur und Geräte.
– Durchsetzung von Tracking-Verbot an Schulen und bei Lernsoftware, klare Datenschutzregeln und Datensicherheit (Schulserver).
– Festlegung auf freie und offene Software und damit kompatible Geräte.
Leseempfehlung: Stellungnahme [https://hessischer-landtag.de/sites/default/files/scald/files/stn._dr.m.burchardt.pdf] von Dr. Burchardt in der Enquetekommission im Hessischen Landtag zu Bildungsfragen in der Sitzung zur Digitalisierung von Bildung [https://hessischer-landtag.de/content/enquetekommission-bildung-24-sitzung].
Das sehe ich – wie im Artikel beschrieben – größtenteils ja auch so. Nur: Das kann der Bund schlecht in einer föderalistischen Demokratie schlecht allein bestimmen. Hier wird es auf Vereinbarungen und Initiativen der Länder ankommen. Das eingelöste Versprechen sind die Investitionen in die Infrastruktur. Wie geschrieben: Hier wäre ein Fokus auf freie Software und dezentrale Ansätze für die Cloud wichtig gewesen.