Der netzpolitische Wahlprogramm-Vergleich, Teil 7: Digitale Bildung

Im siebten Teil unseres Wahlprogrammvergleichs geht es um digitale Bildung. Alle Parteien widmen sich dem Thema und versprechen, etwas zu tun. Dabei bleiben sie aber über weite Strecken unkonkret. Spannend wird es beim Kooperationsverbot: Außer der CDU wollen alle, dass der Bund stärker in der Bildungspolitik und -finanzierung mitmischt.

Mit der digitalen Bildung ist das so eine Sache: Alle wollen sie – und trotzdem kommt sie kaum voran. Auch in den Wahlprogrammen der größeren Parteien finden sich wenig konkrete Pläne. CC-BY-SA 2.0 Lucélia Ribeiro

Am 24. September ist Bundestagswahl. Was sind die netzpolitischen Forderungen der Parteien? Wir haben die Wahlprogramme analysiert und präsentieren in einer Artikelserie, wer was verspricht – und welche Themen unter den Tisch fallen. Im 7. Teil dieser Serie geht es um „digitale Bildung“.

. - CC0 andrew jay

Richtig große Visionen findet man nicht, dafür aber so viel Einigkeit wie nur selten: Alle von uns untersuchten Wahlprogramme versprechen einen Einsatz für besseres Lernen mit digitalen Medien und für das Leben in der digitalen Gesellschaft. Der Handlungsbedarf ist schließlich seit Jahren unbestritten – die in Bund und Ländern regierenden Parteien können bisher allerdings eher erste Schritte und Modellprojekte statt großer Erfolge vorweisen. Über weite Strecken bleiben die Parteien beim Thema digitale Bildung allerdings auch in ihren Wahlversprechen vage.

Bei aller grundsätzlichen Einigkeit gibt es in den Perspektiven und Lösungsvorschlägen natürlich trotzdem deutliche Unterschiede. Das fängt bereits bei der Motivation an, überhaupt aktiv werden zu wollen: Während SPD, Linkspartei und Grüne Selbstbestimmung (alle drei), einen kritischen Umgang mit digitalen Technologien (Linke) und Gleichberechtigung (Grüne) zum Ziel erklären, heißt es bei der CDU, dass „genügend gut und hervorragend ausgebildete Arbeitskräfte“ produziert werden müssen, damit Deutschland die „großen Chancen“ der Digitalisierung nutzen kann. Die FDP hingegen betont in erster Linie das Potenzial der Digitalisierung, Bildung zu verbessern und zu flexibilisieren: „Für individuelles Lernen gemäß den eigenen Bedürfnissen und Talenten. Für neue Methoden, die zu den unterschiedlichsten Lebensentwürfen passen. Für eine neue Qualität von Bildung.“

Weg frei für die digitale Infrastrukturinitiative – oder?

Mit ihrer überraschenden Ankündigung eines „Digitalpaktes“ eröffnete Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) den Bildungswahlkampf bereits im Herbst 2016: Fünf Milliarden Euro wolle der Bund schon ab 2018 in die digitale Infrastruktur von Schulen investieren, dafür sollten die Länder tragfähige Konzepte für die Digitalbildung und die Schulung der Lehrkräfte vorlegen.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka - CC-BY-NC-SA 2.0 WorldSkills

Allein: Passiert ist seitdem wenig. Im vorläufigen Haushalt für 2018 ist kein Geld für einen Digitalpakt eingeplant. Die KultusministerInnen sind mangels konkreter Schritte, die auf Wankas Ankündigung hätten folgen müssen, inzwischen düpiert – auch die der unionsregierten Länder; der Koalitionspartner SPD war es angesichts des Alleingangs der Ministerin von Anfang an. Das Geld für den Digitalpakt müsse in den kommenden Koalitionsverhandlungen erstritten werden, sagte Wanka schon früh. Im Wahlprogramm der Union findet sich das Vorhaben dementsprechend auch wieder – von fünf Milliarden Euro oder gar einer anderen konkreten Zahl ist hier aber nicht mehr die Rede. CDU und CSU sind damit in guter Gesellschaft.

Alle Parteien versprechen, die Schulen technisch zu modernisieren. SPD und Linke werden gar nicht konkreter. Die Grünen sagen recht grundsätzlich, man wolle 10.000 (von gut 40.000) Schulen sanieren und modernisieren. Von den dafür veranschlagten zehn Millionen Euro solle der Bund vier zahlen. Außer ihnen nennt mit „Technik-Investitionen“ in Höhe von 1.000 Euro pro SchülerIn in den kommenden fünf Jahren dann nur noch die FDP einen halbwegs konkreten Wert. Warum die Liberalen sich nicht dazuzuschreiben trauten, dass dies bei derzeit rund elf Millionen SchülerInnen Investitionen von elf Milliarden Euro ergibt, bleibt allerdings ihr Geheimnis.

Bildungs-Clouds, freie Lehrmaterialen und Schul-Admins

Alle Parteien betonen dabei, es sei wichtig, sowohl in die Hard- und Software der Bildungseinrichtungen als auch in deren Internetanbindung zu investieren. Die Union verspricht außerdem die „Schaffung einer innovativen neuen Bildungs-Cloud, mit der wir über Deutschland hinaus neue Maßstäbe setzen werden.“ Auch die Sozialdemokraten fordern „vernetzte Lernplattformen“ – ebenfalls ohne weiter ins Detail zu gehen. Als einzige Partei fordert die Linke, zusätzlich in Schulpersonal zu investieren, das speziell für die Administration und Pflege der neuen Technik angestellt wird.

SPD sowie Grüne und Linke wollen zudem den freien Zugang zu Bildungsmaterialien durch „Open Educational Ressources“ (OER) stärken. Damit digitale Medien „nicht zum Einfallstor für die Privatisierung der Bildung“ werden, betonen letztere darüber hinaus, die an Schulen verwendete Software sollte freie Software sein. Hardware solle „nach Möglichkeit offen spezifiziert“ sein. Kinder, die sich selbst keine mobilen Endgeräte leisten können, sollen nach dem Willen der Linkspartei flächendeckend auf Leihgeräte an Schulen zurückgreifen können, damit alle unterschiedslos „frühzeitig und regelmäßig mit den Prinzipien der digitalen Technologien (etwa Funktionsweise von Speichern, Sensoren, Programmierkenntnissen) vertraut gemacht“ werden.

Alle außer der Union wollen ein Ende des Kooperationsverbotes

Die Parteien sind sich einig, dass die technische Infrastruktur der deutschen Schulen modernisiert werden muss – nur wie genau? (Symbolbild) - CC-BY-NC 2.0 Aids Librarian

Als Hauptgrund für den langsamen Fortschritt in Sachen digitaler Bildung wird häufig das im Grundgesetz festgeschriebene Kooperationsverbot genannt: Das Bildungswesen liegt in der Kulturhoheit der Länder, der Bund hat hier faktisch keine Kompetenzen. Die Schulen werden von den meisten Ländern aber seit Jahren unterfinanziert und die Koordination gemeinsamer Standards für die digitale Bildung ist den KultusministerInnen trotz Fortschritten bislang nicht gelungen. Der Bundestag beschloss im Sommer dieses Jahres deshalb, das 2006 im Rahmen einer Föderalismusreform verschärfte Kooperationsverbot wieder aufzuweichen. Artikel 104c des Grundgesetzes ermöglicht dem Bund inzwischen „gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur.“ Auf diese Ausnahmeregel stützt sich die Union bei der Ankündigung ihres Digitalpakts und sieht bei den Kompetenzverteilungen zwischen Bund und Ländern deshalb offenbar keinen weiteren Änderungsbedarf.

Alle anderen Parteien hingegen schon: Sie wollen das Kooperationsverbot komplett kippen. „Der Bildungsföderalismus darf nicht vorgeschoben werden, um wichtige Zukunftsinvestitionen zu verhindern“, heißt es etwa bei den Grünen, die den Ländern eine „gemeinsame Bildungsinitiative“ vorschlagen wollen. Die FDP will Bundesinvestitionen und die Kooperation mit den Ländern in einem eigenen Staatsvertrag festhalten, die Linke „Bildung als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz verankern.“ Auch die SPD will langfristig mehr Kooperation ermöglichen. Kurzfristig soll das 2017 ins Leben gerufene Schulsanierungsprogramm des Bundes für finanzschwache Kommunen in ein Schulmodernisierungsprogramm fortentwickelt werden, um die angekündigten Infrastrukturinvestitionen zu ermöglichen.

Schlüsselfrage: Wie werden die Lehrenden fit fürs Digitale?

Einig sind sich die meisten Parteien zudem darüber, dass es erhebliche Anstrengungen braucht, Konzepte für die digitale Bildung zu etablieren und diejenigen kompetent zu machen, die sie anwenden sollen. LehrerInnen dürften „keine digitalen Amateure“ sein, findet etwa die FDP – und schlägt vor, sie schlichtweg zu Fortbildungen in Sachen Medienkompetenz zu verpflichten. Damit es hier tatsächlich Fortschritte gibt, will sie die Länder im Gegenzug für Infrastrukturinvestitionen „in die Pflicht [nehmen], die digitale Bildung als festen Bestandteil in der Lehreraus- und -weiterbildung zu verankern.“

Auch die Linkspartei betont: „Der Ausbau der IT muss einhergehen mit der Ausbildung und mit Fortbildungsangeboten für Lehramtsstudierende und die aktiven Lehrkräfte“ – wie das aussehen könnte, beschreibt sie aber nicht. Ähnlich unkonkret kündigt die CDU an, die Länder dabei unterstützen zu wollen, „durch Weiterbildung von ausreichend Lehrerinnen und Lehrer [sic!] die digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler möglichst umfassend zu fördern.“ Die SPD plant, zu diesem Zweck die 2014 begonnene „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Lediglich die Grünen widmen der Schulung der Lehrkräfte keine eigene Forderung.

Dafür werden sie bei Konzepten für die digitale Bildung am konkretesten. Sie lägen aus Modellprojekten schließlich bereits vor – „wir wollen uns dafür einsetzen, diese endlich in den Regelbetrieb zu übertragen.“ Basiskompetenzen in den Bereichen Informatik, Medienanwendung und kritische Medienkunde sollten als Teil der naturwissenschaftlichen Bildung allen SchülerInnen verbindlich beigebracht werden, verlangt die Partei. SPD und FDP setzen in ähnlicher Weise auf Verbindlichkeit: Sie planen, für die Vermittlung von Digital- und Medienkompetenz deutschlandweit einheitliche Bildungsstandards zu etablieren. Beide Parteien wollen hier sowohl Technikkompetenz vermittelt wissen („Kompetenzen im Umgang, Einsatz, Gestaltung und in der Nutzung digitaler Medien und Technik“, SPD), als auch Informationskompetenz („aus der Informationsflut die Spreu vom Weizen trennen und Quellen kritisch hinterfragen“, FDP). Die Sozialdemokraten betonen, dass dies fächerübergreifend geschehen müsse.

Laut den Liberalen müsse sich der digitale Wandel zudem in der Unterrichtsmethodik widerspiegeln. Sie fordern, den Einsatz internetfähiger Geräte in Prüfungen nach dem „Open Book“-Prinzip zu erlauben. Einzig die Union geht auf inhaltliche und didaktische Herausforderungen der digitalen Bildung gar nicht ein.

Digitale Bildung für alle

Schlussendlich weiten die meisten Parteien ihre Versprechen zur Digitalbildung auch über den Kreis der allgemeinbildenden Schulen hinaus aus. So müssten auch berufsbildende Schulen stärker auf digitale Bildung setzen, sagen CDU, FDP und SPD. Die Union betont außerdem, auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benötigten Digitalbildung, da sie sich „qualifizieren und weiterbilden wollen und müssen, weil lebenslanges Lernen schon heute eine Selbstverständlichkeit ist.“ Hierfür will sie mit Arbeitgebern und Gewerkschaften eine „nationale Weiterbildungsstrategie“ auflegen.

Ähnliches findet sich bei der SPD, die in diesem Zusammenhang die Rolle der Volkshochschule hervorhebt, damit auch ältere Menschen „die Möglichkeiten der digitalen Gesellschaft besser nutzen können.“ Ebenso ist den Grünen Weiterbildung für alle wichtig, sodass Medienkompetenz als Allgemeinbildung gelte. Speziell betonen sie, dass Polizei und Staatsanwaltschaften besser geschult und mehr Beratungsstellen gegründet werden müssen, damit Opfer von Cybermobbing besser unterstützt werden können.

Hinweis zur Auswahl der verglichenen Parteien: Wir haben solche Parteien untersucht, die in den Umfragen des vergangenen Halbjahres bundesweit mindestens einmal bei über fünf Prozent lagen. Parteien, deren Wertesystem auf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit basiert, haben wir in diesen Vergleich nicht mit aufgenommen.

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2 Ergänzungen

  1. Es ist schon krass, ein Knopfdruck, und du weißt genau, wer uns wieviel kostet, sei es im Justizwesen, im Gesundheitswesen, im Sozialwesen oder im Rentenwesen. Da erübrigt sich doch das Thema Bildung. Es gilt einzig und allein, zu funktionieren.

  2. Es ist schon krass, ein Knopfdruck, und du weißt genau, wer uns wieviel kostet, sei es im Justizwesen, im Gesundheitswesen, im Sozialwesen oder im Rentenwesen. Da erübrigt sich doch das Thema Bildung. Es gilt einzig und allein, zu funktionieren.

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