In ihrem Koalitionsvertrag schreibt die mögliche neue Bundesregierung, Digitalisierung sei „der ökonomische Basistrend unserer Zeit“. Wenn es nach ihr geht, haben vor allem Start-ups Gründe dafür, optimistisch zu sein. Dass Digitalisierung und Wirtschaft aber auch eine gesellschaftliche Komponente haben, schlägt sich im Vertrag nur bedingt nieder. So soll ein Großteil der steuerlichen, finanziellen und regulatorischen Förderung von digitaler Innovation, entsprechend der bekannten Linie in Wirtschafts- sowie Finanzministerium, ohne gesellschaftspolitische Bedingungen verteilt werden. Dabei ist die Bundesregierung nicht zur Alternativlosigkeit gezwungen, schließlich erwähnen die Koalitionäre selbst Gegenentwürfe zu mittlerweile klassischen Modellen.
Als übergeordnetes Ziel gibt die mögliche schwarz-schwarz-rote Koalition aus, „starke deutsche und europäische Akteure der Plattformökonomie“ zu etablieren und dafür „vorhandene Hemmnisse“ abzubauen. Aus Europa stammende Facebooks, AirBnBs, Alibabas oder gänzlich neu konzipierte Plattformen sollen demnach zu den Platzhirschen aufschließen, sich auf dem Weltmarkt behaupten und dafür sorgen, dass der alte Kontinent nicht den digitalen Anschluss verliert. Das deckt sich mit der Feststellung einer geopolitischen Konkurrenz mit US-amerikanischen und chinesischen Unternehmen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt in Davos betonte.
Abseits der dort beschworenen „Datenökonomie“ soll dies mit einem modernisierten Kartell- und Wettbewerbsrecht gelingen, damit in Deutschland und Europa Digitalkonzerne entstehen können, die „international eine wettbewerbsfähige Größe erreichen“. Die Eckpunkte dieser Reform soll eine Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ entwickeln, angestrebt wird eine „Harmonisierung und Zusammenführung der rechtlichen Grundlagen im Digitalbereich“. Dabei sollen aber die Rechte von Beschäftigten und Verbrauchern nicht unter den Tisch fallen, insbesondere im Bereich der Plattformökonomie. So weit, so unscharf.
Schnellere Verfahren und bessere Marktbeobachtung
Vom Rest Europas dürfte sich jedenfalls die angekündigte „Verfahrensbeschleunigung und eine Neufassung der Marktabgrenzung“ kaum trennen lassen. Beides spielt etwa bei einem aktuellen Verfahren der EU-Kommission gegen Google eine Rolle. Über den Marktführer bei der Internetsuche hat die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager im letzten Sommer eine Rekordstrafe verhängt: Das Unternehmen habe seine Dominanz in einem Bereich ausgenutzt, um seinem der Konkurrenz hinterherhinkenden Preisvergleichsdienst einen unzulässigen Vorteil zu verschaffen.
Jedoch ist mit einer jahrelangen juristischen Auseinandersetzung zu rechnen, genauso wie ein Streit darüber entbrannt ist, wie sich solche und andere neu entstehenden Märkte sinnvoll voneinander abgrenzen lassen – kartellrechtliche Fragen, die uns noch eine Zeit lang beschäftigen werden. Bei einschlägigen Vorkommnissen in Deutschland soll dabei die Wettbewerbsbehörde vorläufig einschreiten können, bevor es zu spät ist, eine „kompetentere und aktivere systematische Marktbeobachtung“ aktuelle Entwicklungen im Blick haben und eine weiterentwickelte wettbewerbsbehördliche Aufsicht insbesondere Plattformunternehmen auf die Finger schauen.
All dies natürlich vor dem Hintergrund, grundsätzlich auf einseitige, nationale Regulierungen zu verzichten, wie es an anderer Stelle heißt. Oberstes Ziel bleibt weiterhin die Verwirklichung des einheitlichen digitalen EU-Binnenmarkts, um die europaweite Umsetzung von digitalen Geschäftsmodellen zu erleichtern. Doch trotz aller Beteuerungen, auch seitens der EU-Kommission, lässt sich dieses Ziel in einigen Bereichen hartnäckig nicht zufriedenstellend realisieren, etwa beim leidigen Geoblocking.
„Gerechte Besteuerung großer Konzerne“
Den Hebel will die kommende Bundesregierung aber auch bei der Steuergerechtigkeit ansetzen, damit zumindest ansatzweise Waffengleichheit herrscht. Ausdrücklich nennt der Koalitionsvertrag die US-Konzerne Google, Apple, Facebook und Amazon. Dass gerade diese Unternehmen ins Visier geraten, ist selbstverständlich kein Zufall: Gemessen am Börsenwert haben diese dominanten Technologiekonzerne traditionelle Spitzenreiter wie Öl-Multis oder Banken-Konglomerate mittlerweile hinter sich gelassen – ein Trend, der bis auf Weiteres anhalten dürfte und der finanziell deutlich schwächer ausgestattete europäische Unternehmen ins Hintertreffen geraten lässt.
Gleichzeitig profitieren diese großen Konzerne von der derzeitigen europäischen Steuerpolitik. Diese erlaubt ihnen, die in EU-Ländern erzielten und stetig steigenden Gewinne in Mitgliedstaaten wie Irland oder Luxemburg umzuleiten, wo sie dann kaum Steuern zahlen. Dagegen formiert sich jedoch langsam Widerstand auf EU-Ebene, der sich nun im Koalitionsvertrag widerspiegelt. Gemeinsam mit Frankreich wolle man eine Initiative starten, heißt es, die eine „gemeinsame, konsolidierte Bemessungsgrundlage und Mindestsätze bei den Unternehmenssteuern“ herstellt.
Mehr Wagniskapital, weniger Bürokratie für Gründerinnen und Gründer
Auch auf Bundesebene will die künftige Regierung in die Plattformökonomie eingreifen. Ende letzten Monats kam bereits ein gemeinsamer Vorstoß aus Finanz- und Wirtschaftsministerium, die Start-up-Förderung zu erhöhen. Ein „Tech Growth Fund“ soll mithilfe der staatseigenen Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eingerichtet werden. Dieser soll in den nächsten Jahren mehrere Milliarden Euro in „Venture Debt“ an Start-ups in der Wachstumsphase ausschütten. Das Vorhaben findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder, allerdings ohne Nennung dieser konkreten Fördersumme. Für privates Wagniskapital sollen nicht weiter erläuterte „steuerliche Anreize“ geschaffen werden. Zusammen mit der Industrie soll zudem ein „großer nationaler Digitalfonds“ eingerichtet werden. Dessen Struktur und finanzielle Ausstattung lassen die Koalitionäre im Dunkeln.
Die Maßnahmen fügen sich in die bisherigen Förderungen ein und setzen damit den eingeschlagenen Weg fort, neben Hochschulen privates Wagniskapital mit öffentlichen Mitteln zu bezuschussen. Insgesamt sollen sich daran „Privatwirtschaft, öffentliche Hand, KfW und europäische Finanzpartner beteiligen“. Auch die Digital-Hub-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums will die neue Bundesregierung „fortsetzen und ausbauen“. Dabei handelt es sich um eine Digitalisierungsoffensive für mittelständische Unternehmen.
Gründungen sollen zudem einfacher werden. Dafür soll „die Einführung einer Gründerzeit ähnlich der Familienpflegezeit“ geprüft werden. Ebenso will die mögliche Bundesregierung „Unterstützungsinstrumente“ für Gründerinnen erarbeiten. Für die Gründungsphase will die Koalition den bürokratischen Aufwand reduzieren: „Antrags-, Genehmigungs- und Besteuerungsverfahren werden wir vereinfachen. Ziel sollte ein ‚One-Stop-Shop‘ sein.“ Darüber hinaus sollen „Anpassungen im Insolvenzrecht“ geprüft werden, um den Bogen zur letzten Lebensphase vieler Start-ups zu spannen.
Die Stolperfallen des Start-up-ismus
Der Fokus auf Start-ups kommt nicht von ungefähr, denn dieses Modell der Unternehmensgründung hat sich über die Jahre als de-facto-Standard im IT-Sektor durchgesetzt. Üblicherweise geht es solchen neuen Unternehmen zunächst darum, mit einer innovativen Geschäftsidee ausgestattet Wagniskapital einzusammeln. Ist diese erste Hürde – die in den USA aus allerlei Gründen tiefer liegt als in Europa – genommen, versuchen sie, ohne Rücksicht auf Verluste möglichst schnell zu wachsen, dabei einen Markt für ihre Idee zu schaffen und ihn umfassend zu besetzen – meist mit Hilfe von Netzwerkeffekten, die allerdings eine Monopolbildung begünstigen. Haben sie einen hohen Wert erreicht, der nicht selten nur auf dem Papier besteht, werden die Gründer oft durch Manager ersetzt oder verkaufen ihr erfolgreiches Start-up an ein großes IT-Unternehmen.
Auf Dauer könnte sich diese Praxis als problematisch herausstellen, denn durch den häufigen Verkauf von erfolgreichen Start-ups nimmt die Marktmacht ohnehin übermäßig großer IT- und Industrieunternehmen weiter zu. Im Wettbewerb um die vielversprechenden Zukunftsideen setzen sie sich aufgrund ihrer finanziellen Schlagkraft tendenziell durch – siehe etwa die Übernahmen des beliebten Messengers WhatsApp oder der Foto-Sharing-Plattform Instagram durch den Social-Media-Riesen Facebook, der selbst Milliardenbeträge aus der Portokasse zahlen kann.
„Lock-In“ Teil des Programms
Start-ups setzen zudem oft auf geschlossene Produkte und Plattformen, um möglichst schnell hohe Gewinne einzufahren. Dafür versuchen sie mitunter Nutzerinnen und Nutzer, darunter auch Behörden, so viel und lange wie möglich in und auf ihrer Plattform zu halten. Sogenannte Lock-In-Effekte sind integraler Bestandteil ihres Geschäftsmodells. Gepaart mit der Marktmacht einiger weniger Konzerne wird damit Missbrauch auf allen möglichen Ebenen Tür und Tor geöffnet.
Und schließlich ist die Idee von Wagniskapital selbst zweischneidig. Beispielsweise nutzt der Transportdienstleister Uber seit seiner Gründung die nicht versiegen wollenden Milliarden US-Dollar an Wagniskapital, um durch preisliche Unterbietung andere Unternehmen beziehungsweise ganze Gewerbezweige vom Markt zu verdrängen. Es ist – bald neun Jahre nach der Gründung – immer noch nicht profitabel. Im letzten Quartal hat das Unternehmen 4,5 Milliarden US-Dollar Verlust gemacht, ohne Widerspruch seiner Investoren zu ernten. Das ehemalige Start-up Amazon wiederum schreibt zwar keine roten Zahlen mehr, verzichtet aber lieber auf Gewinne, um einen Markt nach dem anderen an sich zu reißen. Dabei hat das Unternehmen, insbesondere in den USA, auf zahllosen Feldern einen gewaltigen Flurschaden hinterlassen, vom Buch- bis hin zu anderen beliebigen Bereichen im Einzelhandel.
Diesen Strategien liegt die Überlegung zugrunde, historisch gewachsene Wertschöpfungsketten zu zerstören, um am Ende als alleiniger Herrscher über ein bestimmtes Marktsegment dazustehen. Ist dies geschafft und der Wettbewerb vom Markt gefegt, lassen sich Preise und sonstige Bedingungen nach Belieben setzen, zum Schaden von Mitarbeitern, Verbrauchern und einer zunehmend atomisierten Gesellschaft.
Plattformbasierte Genossenschaften als Alternativen
Es ist nicht so, als ob die Koalitionäre nicht von anderen Modellen der Plattformorganisation wissen würden. Diese werden aber mit schwammigen Lippenbekenntnissen abgespeist. Der zumindest vom Anspruch her soziale Ausleger der Start-up-Bewegung, das sogenannte „soziale Unternehmertum“, soll „noch stärker“ gefördert werden. Im Vergleich mit den Summen, die jetzt in Start-ups fließen sollen, hat das Wirtschaftsministerium in Bezug auf soziales Unternehmertum bis auf ein vages „finden wir gut“ nicht viel vorzuweisen, wie eine kleine Anfrage (pdf) aus dem letzten Jahr dokumentiert.
Zudem wird unverbindlich von der Stärkung von Genossenschaften gesprochen. Ein Magazin von Studierenden der Viadrina Universität zeigte unlängst, wie Genossenschaften als alternative Wirtschaftsform in die sogenannte digitale Plattformökonomie mitgenommen werden könnte. Durch die Beteiligung von Mitgliedern, die sich einen konkreten Nutzen von einer Plattform versprechen, wären die hohen Renditeerwartung, die Wagniskapitalgeber hegen, nicht vorhanden. Die Förderung digitaler oder plattformbasierter Genossenschaften, beispielsweise durch ein „Coop Debt“, wäre möglich. Stattdessen steht im Koalitionsvertrag:
Wir wollen Genossenschaften als nachhaltige und krisenfeste Unternehmensform in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen stärken. Dazu benötigen wir Maßnahmen, die eine starke Mitgliederbeteiligung unterstützen und kleinere Genossenschaften Orientierungshilfen bieten.
An Universitäten sollen immerhin „Open-Innovation-Ansätze“ und „soziale Innovationen“ gefördert werden. Auch das Vorhaben, „regionale Open Government Labore zu ermöglichen und einen Incubator/Accelerator für innovative E-Goverment-Lösungen“ zu schaffen hat es in den Vertrag geschafft. Was das konkret heißt und ob es dafür Gelder geben wird, bleibt unklar. Die Verantwortlichkeiten und Finanzierung werden größtenteils bei den Ländern liegen.
Was Fördermittel aus dem Bund für sozialverträgliche digitale Innovationen angeht, bildet das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine nennenswerte Ausnahme. Es hat 2016 mit dem „Prototype Fund“ einen Fördertopf für Projekte mit offener Software aufgesetzt. Damit hat es vorgemacht, dass öffentliche Gelder auch an Bedingungen wie Offenheit und Zugänglichkeit geknüpft werden können, und damit von mehr Menschen genutzt und weiterentwickelt werden können. Davon findet sich im Koalitionsvertrag allerdings kein Wort.
Ungelöste Interessenskonflikte beim Ride-Sharing
Unternehmer, Gründer und etablierte Akteure interessieren sich zudem für eine mögliche Änderung im Personenbeförderungsrecht. Die könnte erstmals kommerzielles Ride-Sharing in Deutschland erlauben. Darauf pochen Uber und mittlerweile auch der Konkurrent Lyft. Die mögliche Bundesregierung will das Gesetz nun „an die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und neue technischen Entwicklungen anpassen.“
Außerdem bräuchten „neue plattformbasierte digitale Mobilitätsangebote […] eine rechtssichere Grundlage für ihre Zulassung.“ Das soll aber an „gute soziale Rahmenbedingungen zum Schutz der Beschäftigten“ geknüpft werden. Umgekehrt soll der „Taxi- wie auch der Mietwagenbetrieb“ von „regulatorischen Entlastungen profitieren“ – eine Formulierung, die in aller Regel auf eine Senkung arbeitsrechtlicher Standards und sonstiger, hart erkämpfter sozialer Errungenschaften hinausläuft.
Endstation Gig-Economy?
Wie genau die Ziel- und Interessenskonflikte zwischen den Akteuren konkret gelöst werden sollen – darauf darf man gespannt bleiben. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD enthält jedenfalls keine Initiative zur Gestaltung der Frage, wie Arbeitsrechte in einer sogenannten Gig-Economy, in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich von Auftrag zu Auftrag hangeln, geschützt werden können.
An den Koalitionären geht damit weitestgehend vorbei, dass Start-ups nicht nur aus Gründerinnen und Gründern bestehen. Angestellte und „Freelancer“ sind in ihren Rechten von dem Geschäftsmodell betroffen. Gerade der Transportsektor und die Digitalisierung von Verwaltung sind zudem für Bürger und Bürgerinnen, Staat und den öffentlichen Raum wichtig. Hier in der Förderung und möglichen Gesetzesänderungen vordergründig auf Start-ups zu setzen, wäre aufgrund der wichtigen Rolle, die sie im Alltag vieler spielen, für demokratische und soziale Teilhabe fatal – ein freier Nahverkehr, den die geschäftsführende Bundesregierung momentan erwägt, wäre da ein Korrektiv.
Google, Apple, Amazon und Facebook, die im Zusammenhang mit den wettbewerbsrechtlichen Überlegungen im Koalitionsvertrag genannt werden, waren alle mal Start-ups. Die Monopoltendenzen multinationaler (IT-)Unternehmen, die die Koalitionäre mit einem teils verschärften Kartellrecht angehen wollen, könnten sie sich mit dem Start-up-Zuschnitt der Förderprogramme durch die Hintertür wieder einladen.
„Ist dies geschafft und der Wettbewerb vom Markt gefegt, lassen sich Preise und sonstige Bedingungen nach Belieben setzen, zum Schaden von Mitarbeitern, Verbrauchern und einer zunehmend atomisierten Gesellschaft.“
Ist doch ein alter Hut und wurde schon im 19. Jahrhundert vom so einem Vollbart-Hipster aus Trier beschrieben ;-)
Sie sind sogar schlimmer als der Hipster selbst!
Siehe https://twitter.com/evgenymorozov/status/964629682963537922
Staatliche Monopole* schlecht, private Monopole gut. –Silicon Valley
(*Überhaupt jegliches staatliche Eingreifen in die Wirtschaft.)
Immer wieder interessant zu beobachten ist auch, wie unterschiedlich die Debatten in den USA und Europa ablaufen. Wer hätte gedacht, dass die Plattformökonomie, wie hier am Fall von AirBnB nachgezeichnet, unerwünschte Nebenwirkungen haben kann? Der (eh gute) Artikel ist von…gestern.
Start-UP klingt so 1998.
2018 kann man schon fragen, wer die Kapitalgeber sind.
plattform ist das neue portal
Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, dann steig ab.“
Und wenn du merkst, dass es keine Einhörner gibt?
Haha, reingelegt, natürlich gibt es Einhörner!