Geheimer BeschlussPädokriminelle Inhalte bleiben trotz Kenntnis der Polizei im Netz

Vor mehr als drei Jahren wurde bekannt, dass Polizeibehörden pädokriminelle Inhalte kaum melden und entfernen. Die Politik gelobte damals Besserung – und entschied sich geheim anders. Dabei wäre die Löschung einfach und wirkungsvoll, zeigt jetzt eine Recherche von Panorama und STRG_F.

Eine Frau schaut auf einen Computerbildschirm auf dem verpixelte Bilder zu sehen sind.
Eine Mitarbeiterin des LKA Nordrhein-Westfalen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Future Image

Löschen statt Sperren funktioniert eigentlich sehr gut: 99 Prozent der im Gesetz so genannten kinderpornografischen Inhalte werden bei deutschen Hostinganbietern innerhalb von einer Woche nach Meldung gelöscht, 85 Prozent der Inhalte schon nach 48 Stunden. Eigentlich ein Riesenerfolg und das seit Jahren.

Doch lange nicht alle kriminellen Inhalte werden von der Polizei auch gemeldet und gelöscht. Und das hat Prinzip. In einer ersten Recherche im Jahr 2021 fanden Journalisten heraus, dass das BKA die Löschung von Bildern nicht forcierte. Einige Monate später kam durch eine kleine Anfrage heraus, dass das BKA weiterhin keine Priorität auf das Löschen setzte und sich außerdem nicht für Löschmeldungen zuständig erklärte.

Die Politik gelobte daraufhin Besserung: In einer Talkshow von Markus Lanz hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Jahr 2022 gesagt, dass man mittlerweile wisse, wie wichtig es sei, die Bilder zu löschen: „Das BKA hat das Verfahren jetzt umgestellt, also beides zu tun, schnelle Beweissicherung aber gleichzeitig die Bilder zu löschen, weil das so wichtig ist für die Betroffenen“, so die Ministerin.

Geheimer Beschluss der Innenministerkonferenz

Doch geändert hat sich bis heute nichts. Schlimmer noch: Das damalige Nicht-Löschen ist nun ein offizieller Beschluss. „Deutsche Polizeibehörden lassen weiterhin Bilder und Videos bewusst im Netz – gedeckt von einem geheimen Beschluss der Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2023“, heißt es in einer gemeinsamen Recherche des ARD-Magazins Panorama und von STRG_F.

Die Recherche hat aber nicht nur das herausgefunden, sondern eine umfangreiche Datenanalyse in Darknet-Foren durchgeführt, in denen Pädokriminelle ihre Inhalte austauschen. Das Darknet ist ein Teil des Internet, in dem Menschen mit Anonymisierungswerkzeugen anonym unterwegs sein können – eigentlich ein Werkzeug für Oppositionelle in autoritären Staaten und für Whistleblower:innen.

Die Analyse der Journalist:innen hat gezeigt, dass diese Darknet-Foren auf Server im offenen Netz angewiesen sind, weil die Kapazitäten und die Geschwindigkeit im Darknet für den Austausch von Bildern und Videos nicht ausreichen. Das heißt: In den Foren werden Links gepostet, die auf Server verweisen, zu denen es Verantwortliche mit Namen und Adressen gibt. Die Betreiber dieser Server können also angeschrieben und auf kriminelle Inhalte hingewiesen werden – die sie dann recht schnell entfernen.

Doch genau das tun die Behörden nicht, so bleiben „Fotos und Videos, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, über Jahre im Netz“, heißt es in der Pressemitteilung der Recherchekooperation. Die Behörden argumentieren intern, dass sie nach Legalitätsprinzip die illegalen Inhalte nicht löschen dürfen, weil hinter jedem Bild eine Straftat steckt, gegen die sie ermitteln müssen. Außerdem habe man nicht die personellen Ressourcen.

Nach außen anders kommuniziert

Nach außen aber kommuniziert Bundesinnenministerin Nancy Faeser etwas anderes. Noch im Dezember 2024 bekräftigte sie gegenüber der Recherchekooperation: „Aus meiner Sicht ist es besser geworden. Wir haben jedenfalls unsere Bemühungen verstärkt.“ Sie halte das Löschen „für eine der wichtigsten Arten der Kriminalitätsbekämpfung“, so Faeser gegenüber Panorama und von STRG_F. Getan hat sich aber laut der Recherche nichts.

Dass die Löschung gar nicht so personalintensiv ist, konnten die Journalist:innen sogar in einem Pilotprojekt beweisen. So reichten schon zwei Personen, um über Monate hinweg in den großen pädokriminellen Darknet-Foren die dort verlinkten Fotos und Videos zu erfassen und zu melden: „Insgesamt deaktivierten die Speicherdienste Links zu über 300.000 Aufnahmen mit einer Datenmenge von 21.600 Gigabyte und löschten die Daten von ihren Servern“, heißt es in der Mitteilung. Die Inhalte waren zuvor laut Panorama und von STRG_F über 23 Millionen Mal heruntergeladen worden.

Allein dieses eine Pilotprojekt zeigte Wirkung, beschreiben die Rechercheure: „Zwei Darknet-Foren, in denen systematisch gelöscht wurde, stellten ihren Betrieb komplett ein, darunter das zweitgrößte der Welt. Ein weiteres wurde von den Betreibern nicht mehr gepflegt und von Nutzern als ‚totes Forum‘ bezeichnet.“ Das Pilotprojekt zeigte, wie effektiv Löschen statt Sperren sein kann und wie damit das Herunterladen des Materials erschwert werden kann.

Nicht löschen, aber Massenüberwachung fordern

Sicherheitspolitiker:innen nutzen immer wieder sexualisierte Gewalt gegen Kinder als Argument für die Vorratsdatenspeicherung oder Maßnahmen wie die Chatkontrolle. Mit der sogenannten Chatkontrolle sollen angeblich genau solche Inhalte bekämpft werden. In der Debatte um diese wird immer wieder von Befürworter-Seite darauf hingewiesen, dass es bei der Chatkontrolle auch darum gehe, dass solches Material nicht verbreitet würde. Dafür wollen die Befürworter mittels einer Technologie namens Client-Side-Scanning auf die Endgeräte von Millionen unbescholtener Bürger zugreifen – und Dateien vor der Verschlüsselung nach Inhalten mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder durchsuchen. Die Technik würde dazu führen, dass die sichere und private Kommunikation zwischen Menschen nicht mehr möglich ist und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung quasi sinnlos machen.

Wie passt das zusammen, dass der Staat die Verbreitung der Bilder auf der einen Seite, wo es sehr einfach ist, nicht stoppt und auf der anderen Seite immer mehr Überwachung fordert? Wir haben Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs gefragt, was er davon hält. „In diesen kriminellen Foren sind alle Inhalte strafbar, und es ist ein Leichtes, sie zu löschen. Trotzdem steht die Polizei untätig daneben und fordert stattdessen mit Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle die Massenüberwachung der unbescholtenen Bevölkerung“, sagt Neumann. „Wenn die Polizei offenbar schon mit solchen kriminellen Schwerpunkten überfordert ist und nicht einschreitet – was soll dann die Massenüberwachung der Bevölkerung mit Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung bringen?“, fragt Neumann.

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