Darstellungen von KindesmissbrauchBKA soll nur finden, nicht löschen

Die Rekordzahlen bei Ermittlungen gegen Kindesmissbrauch im Internet führen nicht dazu, dass diese Materialien auch konsequent gelöscht werden. Die Bundesregierung sagt nun, dass das Bundeskriminalamt gar nicht für Löschmeldungen zuständig sei.

Eine Frau schaut auf einen Computer und telefoniert
Die Ermittlung von Tätern steht im Vordergrund, das Löschen der Dateien angeblich nicht Aufgabe. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Future Image

Das Bundeskriminalamt (BKA) ist laut Bundesregierung nicht dafür zuständig, entdeckte Materialien von Kindesmissbrauch im Internet an die jeweiligen Provider zu melden oder löschen zu lassen. Das geht aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die wir an dieser Stelle veröffentlichen.

Dort heißt es, dass sich eine Rechtsgrundlage zur Anordnung der Löschung von rechtswidrigen Inhalten im Internet für das BKA weder aus dem Bundeskriminalamtgesetz noch aus anderen Gesetzen wie dem NetzDG oder Telemediengesetzen ergebe. Auch kann die Bundesregierung nicht sagen, wie oft das BKA eine Löschung veranlasst habe, weil es darüber keine Statistik führe. Nach Ansicht der Bundesregierung sind die jeweiligen Staatsanwaltschaften für die Anordnung von Löschungen zuständig.

Kritik, weil BKA keine Löschung veranlasst

Im letzten Jahr war das Bundeskriminalamt durch eine Recherche in die Kritik geraten, dass es trotz Kenntnis tausende Links zu Material von Kindesmissbrauchsdarstellungen nicht bei den jeweiligen Providern gemeldet hatte – und die Inhalte so weiterhin zur Verfügung standen. Das BKA begründete dies damals mit fehlendem Personal. Die Recherche löste eine Welle der Empörung aus.

Der damalige Innenminister Horst Seehofer hatte noch auf der letztjährigen Herbsttagung des BKA gesagt, die Löschung der Aufnahmen sei „unverzichtbar“. Die Tagesschau zitiert ihn mit dem folgenden Satz: „Das Bild- und Videomaterial darf auf keinen Fall dauerhaft online abrufbar sein. Die Betroffenen werden sonst immer wieder zum Opfer.“ Diese Aussage von Seehofer steht im Widerspruch zu den Antworten der Bundesregierung auf die kleine Anfrage, aus der hervorgeht, dass es keinen konsequenten Plan für die Löschung von Missbrauchsdarstellungen gibt.

Dabei ist das Löschen von solchen Materialien wirksam und effizient, geht schnell und einfach, das berichtet das Bundesinnenministerium selbst jedes Jahr.

„Erschütternd“

Doch solche Löschmeldungen haben beim BKA keine Priorität. Diese gibt sie laut den Antworten der Bundesregierung an die Staatsanwaltschaften weiter, die dann entscheiden, ob sie einen Löschantrag unternehmen. Meldungen über Materialien auf ausländischen Servern sendet das Bundeskriminalamt zudem an Interpol und geht damit auch nicht den schnellstmöglichen Löschweg. Man sende an Interpol, um „einerseits eine mögliche Strafverfolgung im Ausland gewährleisten zu können, andererseits möglicherweise bereits im Ausland laufende Ermittlungsmaßnahmen nicht zu gefährden.“ Auch hier stellt das BKA die mögliche Überführung von Tätern über die Löschung von kriminellen Inhalten. 

Anke Domscheit-Berg ist Digitalpolitikerin in der Linkspartei und hat die Anfrage gestellt. Sie sagt: „Die Löschung von Darstellungen sexualisierter Gewalt ist kein prioritäres Ziel: Das ist erschütternd, denn faktisch ist die Präsenz solcher Bilder eine Fortführung von Straftaten, die weiterhin minderjährige Opfer haben. Opferschutz muss immer ein höchstes Ziel sein!“

Für den Schutz der Kinder sei nicht nur die Ermittlung der Täter:innen wichtig, sondern dass sie sich sicher sein können, dass das Material aus dem Netz verschwindet. „Dass die Bundesregierung sich hier so wenig an internationalen Aktivitäten beteiligt, dass das BKA gar nicht erst versucht, die Hosting-Services im Ausland direkt zu benachrichtigen: das schockiert mich“, sagt Domscheit-Berg.

Wenig Statistiken

Über die Anzahl von Löschungen von Missbrauchsdarstellungen oder Anträge zur Löschung der Materialien, die auf One-Klick-Hostern oder Sharehostern lagen, liegen der Bundesregierung keine Statistiken vor. Auch über Zahlen, wie viele der rechtswidrigen Dateien tatsächlich im „Darknet“ liegen, gibt es laut der Bundesregierung keine Zahlen. 

Auch das kritisiert Domscheit-Berg. Vor diesem Hintergrund verstehe sie die ständigen Beteuerungen nicht, wie wichtig den Behörden das Thema sei. „Ich sehe meine Befürchtung bestätigt, dass der Schutz der Kinder womöglich teilweise nur das vorgeschobene Argument ist, um mehr Überwachungsbefugnisse zu bekommen.“

Aufhellung des Dunkelfeldes

Die Antworten auf die kleine Anfrage sind aber teilweise auch aufschlussreich. So weist das Bundesinnenministerium darauf hin, dass die starke Steigerung von Kindesmissbrauchsdarstellungen in der Kriminalitätsstatistik „ein Ergebnis der verstärkten Aufhellung des hohen Dunkelfeldes“ sei. Das heißt konkret, dass nicht die Anzahl der pädokriminellen Taten an sich steigt, sondern immer mehr Täter:innen ins Visier von Ermittlungen gelangen.

Die Bundesregierung sieht hier auch einen Zusammenhang mit der automatischen Erkennung von Material: „Durch immer bessere technische Detektionsmöglichkeiten und immer umfangreichere Beteiligung einzelner Provider an der aktiven Suche nach entsprechenden Dateien und Sachverhalten wird immer mehr inkriminiertes Material entdeckt und den Strafverfolgungsbehörden gemeldet.“

BKA wegen vieler Hinweise nur reaktiv tätig

Aus BKA-Kreisen heißt es, dass die Behörde wegen der Fülle dieser automatisierten Meldungen bei Kindesmissbrauchsdarstellungen derzeit fast nur noch „reaktiv“ unterwegs sei, dafür aber mehr Fälle als zuvor aufklären könne. Nichtsdestotrotz wollen Teile der EU weitere grundrechtsverletzende Detektionsmechanismen wie die „Chatkontrolle“ einführen. 

Das Instrument, das jegliche Messenger-Nachrichten noch vor dem Versand auf dem Smartphone auf Kindesmussbrauchsinhalte überprüfen soll, könnte in einem Gesetzespaket der EU-Kommission enthalten sein, das laut Medienberichten nun Ende April vorgestellt werden soll. Zuletzt war dafür noch der 30. März im Gespräch gewesen. Bürgerrechtsorganisationen in ganz Europa lehnen die so genannte „Chatkontrolle“ ab.

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7 Ergänzungen

  1. Das BKA soll ja nicht „löschen anweisen“ sondern einfach nur den Hoster „informieren“
    Der Hoster würde sich ja strafbar machen, wenn er selbst das Material filzt.

    Das Argument, das man durch eine Information evtl. Ermittlungen anderer behindern würde zeigt ja den tatsächlichen Grund,
    das Material im Netz zu halten: Es sind Köder.. also die wehrlosen Opfer nochmal zu mißbrauchen,
    im staatlichen Auftrag und Genehmingung.
    Möglicherweise werden diese Links auch seitens des BKAs benutzt um in Chatgruppen akzeptiert zu werden?
    Denn, Personen, die zufällig auf dieses Material gestossen sind und es dem Hoster melden könnten tun es nicht, weil sie -zurecht- fürchten, besuch vom Sqatteam zu bekommen, die „kurzmal“ alles „zur Sichtung“ einziehen was nicht offensuchtlich nur ne Bratpfanne ist. Immerhin mußten irgendwoher das Passwort nebst URL bekommen haben. Also ist „Zufall“ gaaanz dünnes Eis.
    So sind unsere Gesetze nunmal inzwischen.

    Zum Glück erkennen das inzwischen auch manche Politiker, das das etwas aus der Bahn gelaufen ist.

  2. Domscheit-Berg: „[…] faktisch ist die Präsenz solcher Bilder eine Fortführung von Straftaten, die weiterhin minderjährige Opfer haben. Opferschutz muss immer ein höchstes Ziel sein!“. Das ist faktisch nicht richtig, für Strafverfolger hat die Verfolgung der Straftat die höchste Priorität und das ist auch richtig so. Die vorherige Interpol-Meldung, um Ermittlungen anderer Strafverfolger nicht zu gefährden, ist ermessensgerecht. Gleichnishaft gesagt, wenn man den Körper eines Mordopfers gegen die Überführung des/der Mörder*in eintauschen könnte, sollte man das auch tun.

    1. Richtigerweise müsste man es wie folgt vergleichen: „Das vergewaltigte Mädchen wird liegen gelassen, vielleicht kommt ja noch ein Vergewaltiger vorbei.“

      Und was das Thema „Strafverfolgung höchste Priorität“ angeht – schon mal von etwas namens Gefahrenabwehr gehört?

      1. Nicht das Mädchen wird liegengelassen, das wäre schrecklich falsch. Das Bild wird liegengelassen. Das ist zwar schrecklich, aber nicht falsch.

  3. Hmm. Gibt es da keine allgemeine Rechtsgrundlage, die die Strafverfolgungsbehörden dazu verpflichtet, Straftaten zu verhindern wenn man von Ihnen Kenntnis erlangt hat? Ich meine das Stichwort wäre hier „Eingriff zur Gefahrenabwehr“.

    1. Leider gibt es bei vielen Straftaten/Ordnungswidrigkeiten das sog. Opportunitäts Prinzip.
      D.h. es steht im freien Ermessen des jeweiligen Polizisten eine Straftat/Ordnungswidrigkeit zu verfolgen/verhindern. Natürlich dürfen dabei keine anderen Gesetze vom Polizisten gebrochen werden. (Korruption, unterlassene Hilfleistung etc.). Und natürlich gibt es es Straftaten, die der Beamte verfolgen muß, schon wenn er davon Kenntnis hat. (IANAL).
      Gegen welches Gesetz verstößt der Beamten, wenn er sich die zusätzliche Arbeit spart, dem Hoster die Zugangsdaten zu geben? Derzeit scheint es keines zugeben. Und: Nur wenn es weiter diese Bilder gibt, hat er seine gewohnte Arbeit.
      Das Argument, Millionen Leichen nicht zu bestatten, weil zufällig irgendeine andere Polizei diese zum Überführen vin Tätern verwendet / verwenden könnte?
      Was ist denn das für eine kranke Logik?
      Rauschgift wird doch auch si schnell wie möglich vernichtet und nicht tonnenweise in Aserwatenkammern verwart. Es ist von dort schon mehr als einmal Rauschgift verschwunden.
      Dieser Verdacht könnte auch bei diesen Missbrauchbildern aufkommen und ist ja auch schon vorgekommen, oder..sind das des Kaisers neue Kleider?

      Da wäre also der Gesetzgeber gefordert. Der hat aber auch kein tatsächliches Interesse seinen Beamten die Arbeit wegzunehmen und benutzt diesen Mißbrauch zum Begründen der fortschreitenden Freiheit aller, wenn Terrorismus nicht paßt…
      So wie es derzeit ist, ist es ein Gewinn für den Staat. Verlierer sind unbehandelte Täter und deren hilflose Opfer…

      Schlimm.

  4. Das Nicht-Löschen kinderpornografischen Materials wirkt faktisch wie ein Honeypot, der potenzielle Täter anlockt und gegebenenfalls zu überführen hilft. Aber wie verträgt sich das mit dem Anspruch der Gesetzgebung, die Opfer zu schützen? Denn jeder weitere View ist ein weiterer Missbrauch der abgebildeten Opfer. Aber ist das Aufspüren von Konsumenten wichtiger als die Verhinderung des fortgesetzten Missbrauchs durch Abbildungskonsum?

    Im günstigsten Fall ist die fehlende Lösch-Struktur nur das Ergebnis organisierter Verantwortungslosigkeit durch kleinteilige Zuständigkeitsdelegierung. Im ungünstigsten Fall weckt sie tiefgehende Zweifel an der Motivation hinter der Gesetzgebung in diesem Bereich.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.