Interne DokumenteEU-Staaten treten bei Chatkontrolle auf der Stelle

Die Verhandlungen der EU-Staaten zur Chatkontrolle sind festgefahren. Wir veröffentlichen den aktuellen Vorschlag und das eingestufte Verhandlungsprotokoll. Die Position der neuen Bundesregierung könnte entscheidend sein. Der Koalitionsvertrag bietet Spielraum für eine Änderung der deutschen Position.

Polnischer Justizminister Adam Bodnar
Der polnische Justizminister Adam Bodnar beim Rat „Justiz und Inneres“. – Public Domain Polnische EU-Ratspräsidentschaft

Seit fast drei Jahren streiten die EU-Institutionen über eine verpflichtende Chatkontrolle. Die Kommission will Internet-Dienste verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer auf Straftaten zu durchsuchen und diese bei Verdacht an Behörden zu schicken. Das Parlament bezeichnet das als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.

Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Manche Länder unterstützen den Vorschlag der Kommission, andere eher die Position des Parlaments. Letzte Woche hat der Rat erneut in der Arbeitsgruppe Strafverfolgung verhandelt. Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Sitzung.

Verpflichtend oder freiwillig

Seit Jahresbeginn hat Polen die Ratspräsidentschaft. Das Land sieht die Chatkontrolle kritisch. Anfang April hat Polen einen weiteren Vorschlag vorgelegt. Dieser ist noch nicht im offiziellen Dokumenten-System, daher veröffentlichen wir dieses Dokument auch.

Polen will Internet-Dienste nicht zur Chatkontrolle verpflichten, sie aber freiwillig erlauben. Das lehnen die Befürworter ab. Die Mehrheit der Staaten beharrt auf einer gesetzlichen Pflicht. Eine Sperrminorität der Staaten blockiert das aber.

Verhandler ohne Überblick

Die jüngste Verhandlungsrunde machte erneut deutlich, wie festgefahren die Verhandlungen sind. Wie üblich verschickte die Ratspräsidentschaft den neuen Vorschlag einige Tage vor der Sitzung. Die Delegationen der EU-Staaten fanden das aber zu kurzfristig. Sie bitten darum, „Textvorschläge künftig früher zu übermitteln, um eine inhaltliche Prüfung zu ermöglichen“.

Die Verhandler sehen laut Protokoll im 169-seitigen Gesetzentwurf inzwischen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. „Durch die zahlreichen Textänderungen in den letzten Jahren sei es schwer, alle Änderungen nachzuvollziehen. Es sei nach der langen Zeit und vielen Arbeit schwer, den Überblick über die unterschiedlichen Textfassungen zu behalten.“

Jemand schlug vor, die Verhandlungen von der Arbeitsgruppe in das nächst-höhere Gremium zu geben, den Referenten für Justiz und Inneres. Die allermeisten EU-Staaten lehnen das ab. Die Arbeitsgruppe müsse sich weiter „technisch“ mit dem Gesetz befassen, eine Weitergabe auf die JI-Referentenebene sei „noch nicht angezeigt“. Der Vorsitz sagte „zeitnahe Klärung und Information zu“.

Ausnahme freiwillige Chatkontrolle

Inhaltlich hat die Verhandlungsrunde wenig Ergebnisse gebracht. Einige Staaten begrüßten den polnischen Vorschlag als „positive Richtung“. Frankreich hinterfragte die Verhältnismäßigkeit des geplanten EU-Zentrums und brachte stattdessen eine Expertengruppe bei Europol ins Spiel. Andere Staaten stritten über „die Begriffsänderung von ‚Prävention‘ zurück zu ‚Risikominderung'“.

Ungarn und Bulgarien forderten erneut eine Verpflichtung zur Chatkontrolle. Eine „reine Freiwilligkeit“ reicht ihnen nicht. Auch die EU-Kommission will „effektive und durchsetzbare Instrumente“ für „die zuständigen Behörden“. Das Gesetz dürfe Internet-Diensten „keine Lücken [bieten], um sich ihrer Verantwortung zu entziehen“.

Die Slowakei sagte, „dass es keinen Rückschritt hinter den Status quo geben dürfe“. Das griff auch Deutschland auf. Die freiwillige Chatkontrolle ist derzeit nur ausnahmsweise erlaubt und läuft in einem Jahr aus. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Deutschland die „Weiterverhandlung“ als dringend. Chatkontrolle-Befürworter Ungarn unterstützte diese Position.

CSU-Minister könnte entscheiden

Möglicherweise entscheidet sich die Zukunft des Chatkontrolle-Gesetzes in Berlin statt Brüssel. Die deutschen Verhandler verwiesen auf „die noch andauernde Regierungsbildung“. Die alte Ampel-Regierung hatte sich mühsam auf einen Kompromiss geeinigt, eine verpflichtende Chatkontrolle abzulehnen. Mit seiner Macht hat Deutschland eine Einigung auf EU-Ebene bisher verhindert.

Die kommende Bundesregierung könnte diese Position revidieren. Die SPD hatte gefordert, „Chatkontrolle und Client-Side Scanning“ auf EU-Ebene „auch künftig nicht [zuzustimmen]“. Sie hat sich nicht durchgesetzt, dieser Satz fehlt im Koalitionsvertrag.

Stattdessen steht an anderer Stelle nur: „Grundsätzlich sichern wir die Vertraulichkeit privater Kommunikation und Anonymität im Netz.“ Für normale Menschen bedeutet „grundsätzlich“ „ohne Ausnahme“. Doch für Juristen bedeutet es „Ausnahmen sind möglich“.

Damit dürfte der nächste Innenminister entscheiden. Diese Person kommt von der CSU.


Hier das Protokoll in Volltext:

  • Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
  • Datum: 10. April 2025
  • Von: Ständige Vertretung der BRD bei der EU
  • An: Auswärtiges Amt
  • Kopie: BMI, BMJ, BMWK, BMF, BKAmt, BMDV, BMFSFJ
  • Betreff: Ratsarbeitsgruppe Strafverfolgung am 8. April 2025
  • Bezug: 7080/25
  • Hier: Hauptstadtbericht
  • Zweck: Zur Unterrichtung
  • Geschäftszeichen: 350.80

Ratsarbeitsgruppe Strafverfolgung am 8. April 2025

I. Zusammenfassung und Wertung

Im Mittelpunkt stand der Austausch zur CSAVO. Grundlage der Aussprache bildete der am 4. April von der POL Präsidentschaft übermittelte überarbeitete Kompromisstext. Alle wortnehmenden MS legten einen umfassenden Prüfvorbehalt ein und verwiesen auf die äußerst kurzfristige Übermittlung des überarbeiteten Kompromisstexts. KOM erinnerte an die Dringlichkeit, die Verhandlungen voranzubringen und legte erneut den Fokus auf die Wirksamkeit des VO-Entwurfs. Wichtig sei, dass die zuständigen Behörden effektive und durchsetzbare Instrumente an die Hand bekommen und Diensteanbietern keine Lücken geboten werden, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Diesbezüglich gäbe es noch Verbesserungspotenzial. Vorsitz bat um Übermittlung der schriftlichen Kommentare und Anmerkungen bis 15. April 2025.

Weiteres Thema der Sitzung war die polizeiliche Zusammenarbeit mit Georgien. Laut KOM verschlimmere sich die Situation in Georgien in Bezug auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die politische Situation Georgiens habe dazu geführt, dass man darüber nachdenke, Georgien von EU-geförderten Projekten auszuschließen. Man wolle die Stimmung unter den MS zu diesem Thema einfangen. Nähere Informationen zu den konkret in Rede stehenden Projekten werden auf Bitten des Vorsitz und mehrerer MS von der KOM zeitnah zur Verfügung gestellt werden.

Die nächste RAGS-Polizei Sitzung wird am 24. April stattfinden.

II. Handlungsempfehlungen

Kenntnisnahme.

III. Im Einzelnen

TOP 1: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council laying down rules to prevent and combat child sexual abuse (CSAVO)

Vorsitz eröffnete die Sitzung mit einer kurzen Zusammenfassung der auf den Rückmeldungen der MS basierenden Überarbeitungen des Kompromisstexts und schlug eine blockweise Diskussion an.

Block 1: Zu einzelnen Artikeln

Alle wortnehmenden MS (DEU, NLD, AUT, FRA, ESP, HUN, EST, CZE, ITA, LVA, ROU, SWE, FIN, IRL, LTU, MLT, HRV, GRC, PRT, SVN, SVK) legten einen umfassenden Prüfvorbehalt ein, mit Verweis auf die äußerst kurzfristige Übermittlung des überarbeiteten Kompromisstextes und der Bitte, Textvorschläge künftig früher zu übermitteln, um eine inhaltliche Prüfung zu ermöglichen.

Für DEU wurde weisungsgemäß auf die Dringlichkeit der Weiterverhandlung vor dem Hintergrund der auslaufenden Interims-VO im April 2026 – unterstützt von HUN und SVK – und gleichzeitig auf die noch andauernde Regierungsbildung hingewiesen. FRA verwies erneut auf die reduzierten Aufgaben des EU-Zentrums durch die Streichung der verpflichtenden Aufdeckungsanordnungen und zweifelte die Verhältnismäßigkeit der Errichtung des EU-Zentrums an. Die Aufgaben könnten auch durch eine Expertengruppe erfüllt werden, die man bspw. an Europol angliedern könne. ESP – unterstützt von LTU, HRV, SVN – regte an, Textänderungen künftig deutlicher zu erläutern, bspw. durch Anmerkungen oder Fußnoten. Durch die zahlreichen Textänderungen in den letzten Jahren sei es schwer, alle Änderungen nachzuvollziehen. Es sei nach der langen Zeit und vielen Arbeit schwer, den Überblick über die unterschiedlichen Textfassungen zu behalten.

Vorsitz verwies auf die Chronologie der Textänderungen und begrüßte den Vorschlag, Textänderungen durch Fußnoten ausführlicher zu erläutern. FRA und ITA begrüßten die Streichung der Risikokategorisierung. HUN und SWE äußerten sich positiv über die Begriffsänderung von „Prävention“ zurück zu „Risikominderung“. PRT sprach sich dagegen aus. HUN erläuterte erneut, dass eine reine Freiwilligkeit nicht ausreiche. Um einen Mehrwert zu bieten, müsse die CSAVO klare Verpflichtungen enthalten. BGR schloss sich an. Für NLD, FIN und SVK wurde der Text in eine positive Richtung weiterentwickelt. SVK stellte aber klar, dass es keinen Rückschritt hinter den Status Quo geben dürfe.

Die Mehrheit der wortnehmenden MS (FRA, ESP, IRL, ITA, NLD, HUN, EST, BGR, LTU, SWE, MLT, FIN, HRV, SVN, SVK, GRC, PRT) ist zudem der Ansicht, dass eine weitere technische Befassung mit dem Dossier im Rahmen der RAGS Ratsarbeitsgruppe erfolgen müsse und eine Befassung auf JI-Referentenebene noch nicht angezeigt sei. Vorsitz stellte klar, dass auch bei einer Weiterverhandlung auf JI-Referentenebene zwei Plätze in den Sitzungen zur Verfügung stünden und so auch ein technischer Experte auf Arbeitsebene teilnehmen könne. Man wolle aber in Erwägung ziehen, noch weitere RAGS-Sitzungen zur weiteren Textarbeit zu planen und die MS entsprechend informieren.

KOM erinnerte erneut an die Dringlichkeit, die Verhandlungen voranzubringen und legte den Fokus auf die Wirksamkeit des VO-Entwurfs. Wichtig sei, dass die zuständigen Behörden effektive und durchsetzbare Instrumente an die Hand bekommen und Diensteanbietern keine Lücken geboten werden, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Diesbezüglich gäbe es noch Verbesserungspotenzial. In Bezug auf die Diskussion rund um das Thema Verschlüsselung, sei Technologieneutralität besonders wichtig.

Block 2: Vorschlag einer Verschmelzung von Art. 5a) und Art. 27, sowie den Erwägungsgründen

Vorsitz wies darauf hin, dass Art. 5a) und Art. 27 zu einem Artikel zusammengefasst werden könnten und verwies diesbezüglich auf die Fußnote zu Art. 5a). JD-Rat unterstützt die Formulierung „shall require“ in Art. 5a), sieht ebenfalls Überschneidungen mit Art. 27 und begrüßt den Vorschlag, beide Artikel zusammenzufassen, solange darauf geachtet würde, dass inhaltlich nichts verloren gehe. KOM sieht eine Verschmelzung ebenfalls positiv, solange die einzelnen Punkte ohne Verlust übertragen würden.

Vorsitz bat die MS erneut um Übermittlung schriftlicher Kommentare bis zum 15. April, aber auch danach eingehende Kommentare würden noch berücksichtigt. Vorsitz schlägt den 18. April vor.

Auf Nachfrage ITAs, in welchem Format das Dossier weiterverhandelt werden solle, sagte Vorsitz zeitnahe Klärung und Information zu.

[…]

5 Ergänzungen

  1. „Damit dürfte der nächste Innenminister entscheiden. Diese Person kommt von der CSU.“
    Heißt im Klartext, es sieht – wenn kein Wunder geschieht – wohl eher nach einem „Ja“ als einem „Nein“ aus. Der Koalitionsvertrag mit den ganzen Überwachungsvorhaben sowie das fehlende Bekenntnis zu Verschlüsselung sprechen da Bände.
    Zudem war die Union ja auch in der Vergangenheit keine wirklich bürgerrechtsfreundliche Partei.

    Aber selbst wenn es wieder „nein“ heißt… was dann? Dann wird wieder weiter verhandelt, irgendwelche Textpassagen neu geschmückt (ich sag nur Ungarns „Upload-Moderation“) und irgendwelche Taschenspielertricks versucht, um kritische Staaten umzustimmen. Und wie leicht sich manche Politker da beeinflussen lassen hat man ja allein an Ungarn damals gesehen bzw eigentlich während der ganzen Verhadlungen um das Thema.
    Diese ganze Sch**** läuft ja mitlerweile über drei Jahre und die würden auch noch 5 weitere Jahre verhandeln, jede Wette.
    Die Mehrheit der Befürworter ist ja nicht bereit, irgendwelche grundrechtskonformen Vorschläge zu machen. Und die neue Kommission ist ja anscheinend auch genauso besessen davon wie die alte.

    Das ganze kann meiner Meinung nach – wenn überhaupt – nur gestoppt werden, wenn entweder im Trilog das EU-Parlament dagegen ist oder – falls es durchkommt – die Gerichte es nachträglich kippen. Andere Chancen sehe ich auf lange Sicht nicht, dafür sind zu viele für diesen Mist und anscheinend können die ja bis zum Sankt-Nimmerleinstag weiter verhandeln.

    Sollte es aber wirklich am Ende wegen Deutschland durchkommen… bin ich einmal mehr froh, nicht die Union gewählt zu haben bzw möchte ich nicht in der Haut eines Union-Wählers stecken.
    Dann haben sie nicht nur Deutschland enorm geschadet, sondern ganz Europa gleich mit.

  2. Clientsidescanning wird sofort noch schärferes DRM nach sich ziehen und augenblicklich quelloffene Systeme und freie Appstores taxieren. Das geht auch mit einer Quasikriminalisierung einher, wenn Kommunikation gerastert wird, aber keine Chatkontrollnutzung festgestellt werden konnte. Wenn nicht hier zuerst, dann vielleicht in Ungarn. Die dicken kommerziellen Messengermacher werden es sich nicht nehmen lassen, genau das passieren zu lassen.

    Alles klassische Toldyousauce, klar, sollte man aber nicht vergessen. Es ist nicht nur DIE Soße.

  3. Freue mich schon auf die Überlastung der Behörden durch die Chatkontrolle. Gibt es denn überhaupt eine Definition was unter CSAM in diesem Kontext zu verstehen ist?

    Ansonsten gibt es „CSAM“-Spammeldungen aus Finnland, Österreich und co. KG. ohne eine Möglichkeit der Sanktionierung. Das gleiche in Deutschland solange es in einer geschlossenen Chatgruppe erfolgt (vgl. Itiotentreff). Viel Erfolg!

    PS: Greift sowas im Übrigen nicht auch private Konversationen zwischen Kindern/Jugendlichen ab? Dadurch landen sie erst bei Erwachsenen. Ein Schelm der böses denkt.

    1. „Greift sowas im Übrigen nicht auch private Konversationen zwischen Kindern/Jugendlichen ab?“
      Wenn mich nicht alles täuscht, ist ja dafür die geplante Altersverifikation der App-Stores.
      Nach denen ihrer Vorstellung sollen Minderjährige ja gar nicht erst in der Lage sein, private Messenger bzw Kommunikationstools allgemein zu installieren.

      Genaueres kann man auch hier nachlesen
      https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/chatkontrolle

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.