Netzpolitik in DeutschlandDas wird 2023 wichtig

2023 muss die Bundesregierung ihre netzpolitischen Ambitionen unter Beweis stellen. Es geht unter anderem um Überwachung und Gewalt, um Gesundheit und Bildung. Wir zeigen die wichtigsten Baustellen für die kommenden Monate und ordnen ein, wo Vision und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

– Flugzeug: Pixabay/ Rauschenberger; Pegasus: Pixabay / Parker_West; Reichstagsgebäude: IMAGO / Marius Schwarz; Zettel: IMAGO / Lobeca; Glasfaser: Pixabay/ Majo1972; Montage: netzpolitik,.org

Mit gewaltigen netzpolitischen Ambitionen ist die neue Bundesregierung vor gut einem Jahr in ihre Amtszeit gestartet. Handfestes geliefert hat sie aber bislang wenig. Stattdessen dominieren die Konkurrenz zwischen verschiedenen Ministerien, fehlende Gelder an allen Ecken und Enden – sowie gefährliche Überwachungsfantasien. Auch die neue Digitalstrategie entpuppte sich als alter Wein in neuen Schläuchen und ließ zudem die Zivilgesellschaft außen vor.

Immerhin gelobte die Regierung zum Ende des Jahres 2022 zögerlich Besserung. Sie sagte zu, die Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen, und Justizminister Marco Buschmann (FDP) sprach sich erneut gegen anlasslose Massenüberwachung aus. Für 2023 bedeutet das umso mehr, dass sich die Regierung an ihren Versprechen wird messen lassen müssen. Wir werfen ein Schlaglicht auf die voraussichtlich wichtigsten netzpolitischen Themen und Debatten des neuen Jahres.

Oft sind Bundes- und EU-ebene miteinander verwoben, für den optimalen Überblick empfehlen wir deshalb auch unseren Artikel über die Netzpolitik in Europa 2023.

Strategie: Zwist in der Ampel wird deutsche Netzpolitik weiter bremsen

Ein grundlegendes Problem wird diese Regierung aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr nicht lösen können: Dass die digital- und netzpolitischen Zuständigkeiten auf verschiedene Ministerien und obendrein noch föderal verteilt sind. Das ist ein wesentlicher Grund für zwei weitere Probleme: Erstens schwelt nach wie vor der Konflikt zwischen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann über die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung und der Chatkontrolle. Er lähmt die Regierungskoalition bis in den Bundestag hinein, auch weil Faesers Positionen im Widerspruch zum Wortlaut des Koalitionsvertrags stehen.

Zweitens lässt die Digitalpolitik der Bundesregierung nach wie vor eine einheitliche Linie missen. Zwar will sie nun mit ihrer Digitalstrategie gleich 18 Leuchtturm-Projekte umsetzen – begleitet von einem Digitalbeirat. Dessen Aufgabe besteht allerdings vor allem darin, die Umsetzung zu monitoren und auf den letzten Metern „frische Impulse“ zu geben. An der überaus wirtschaftsfreundlichen Ausrichtung der Digitalstrategie werden die 19 Vertreter:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft jedoch nur äußerst wenig ändern können.

Damit die Digitalisierung endlich in Schwung kommt, bräuchte es außerdem ein Digitalbudget, wie es auch der Koalitionsvertrag vorsieht. Ein solches Budget müssen die Ministerien für Finanzen, Digital und Verkehr sowie Wirtschaft und Klima gemeinsam mit dem Kanzleramt untereinander aushandeln. Angesichts der zahlreichen Streitigkeiten insbesondere zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) darf man gespannt sein, wie der Deal am Ende aussieht und für welche Projekte am Ende noch Mittel vorhanden sind.

Neue Überwachung: Verhärtete Fronten bei Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle

Der Fortgang des Streits zwischen Faeser und Buschmann hat auch weitreichende politische Folgen. Zum einen geht der Konflikt Vorratsdatenspeicherung vs. Quick-Freeze in die nächste Runde. Dass die Koalition hier zeitnah eine Einigung erzielt – die obendrein den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages entspricht –, ist zweifelhaft. Denn die Fronten insbesondere zwischen Faeser und Buschmann scheinen verhärtet.

Gleiches gilt für das Thema Chatkontrolle. Weiterhin ist offen, ob und wie die europaweite Überwachung kommt. Buschmann schrieb zwar Mitte Dezember auf Twitter, dass er sich mit Faeser geeinigt habe und sowohl die Chatkontrolle als auch „eine anlasslose Überwachung privater Kommunikation“ vom Tisch sei. Allerdings lassen sich etwaige „Anlässe“, das lehrt die Vergangenheit, im Handumdrehen finden. Und selbst wenn sich die Bundesregierung zu einer einheitlichen Position durchringen kann, ist damit noch lange nicht gesagt, dass diese auch in der EU eine Mehrheit findet. Ende Januar wissen wir hoffentlich mehr – dann soll es offenbar ein neues Positionspapier zur Chatkontrolle geben.

Alte Überwachung: Da war doch was

Auch eine andere Form der Massenüberwachung wird die Bundesregierung beschäftigen müssen: Wegen eines Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden und eines vorausgegangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs darf das Bundeskriminalamt (BKA) Flugpassagierdaten von innereuropäischen Flügen nicht mehr mit polizeilichen Datenbanken abgleichen. Die Rechtsgrundlage, auf die das BKA die automatisierten Abgleiche stützte, ist nicht grundrechtskonform und muss neugefasst werden. Nimmt man den Inhalt und Wortlaut des Koalitionsvertrags ernst, kann dem BKA eine anlasslose Massenüberwachung nicht gestattet werden, sofern keine Anhaltspunkte für eine terroristische Bedrohung bestehen.

Ohnehin müssten die Überwachungspraktiken des Staates dieses Jahr grundlegend in Frage gestellt werden. Denn die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Überwachungsgesamtrechnung (ÜGR) vereinbart. Demnach will sie die Sicherheitsgesetze „auf ihre tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen sowie auf ihre Effektivität hin“ überprüfen. Geplant ist bis spätestens Ende 2023 „eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation der Sicherheitsgesetze und ihrer Auswirkungen auf Freiheit und Demokratie im Lichte technischer Entwicklungen“. Auch um den Einsatz von Überwachungssoftware durch den Verfassungsschutz soll es gehen.

Wir sind gespannt, was unterm Strich dabei herauskommt. Noch im vergangenen November hatte eine Studie des Bundestags kritisch beleuchtet, wie Überwachungstechnologien den Rechtsstaat herausfordern und Grundrechte einschränken.

IT-Sicherheit: Umgang Schwachstellen und offener Chefposten

Die Dauerbaustelle IT-Sicherheit wird die Bundesregierung ebenfalls weiterhin beschäftigen, ob sie will oder nicht. Zunächst wird sie aber einen Nachfolger für Arne Schönbohm finden müssen, den geschassten Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Allein um sich von der Vorgängerregierung abzusetzen, sollte sie bei der Wahl der Leitungsposition im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auf Kompetenz statt auf Seilschaften setzen.

Da der neue Chef im BSI zahlreiche auch politisch brisante Themen auf dem Schreibtisch haben wird, dürfte die Personalie keine leichte sein. Denn das BSI wird unter anderem die hochumstrittene Frage beschäftigen, wie ein künftiges Regelwerk zum Schwachstellen-Management aussehen könnte. Ein solches Regelwerk würde derzeit noch fehlende Vorgaben machen sowie handfeste Bewertungskriterien dafür schaffen, wie Behörden mit IT-Sicherheitslücken umzugehen haben, von denen sie Kenntnis erlangen. Dazu gehören beispielsweise die Geheimdienste und Polizeien, die Staatstrojaner nutzen wollen.

Druck hierzu kommt auch aus der EU, denn der Untersuchungsausschuss zum Pegasus-Skandal des EU-Parlaments wird in Kürze seinen Schlussbericht vorlegen. Darin wird er zweifelsohne Empfehlungen geben, wie künftig mit der florierenden Staatstrojaner-Branche umgegangen werden sollte. Angesichts dessen muss sich auch die Bundesregierung in Sachen Staatstrojaner endlich aus der Deckung wagen.

Infrastruktur: Der verschleppte Netzausbau

Spannend bleibt es auch hinsichtlich des staatlich geförderten Glasfaserausbaus. Bis heute dauern die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um die neue Förderrichtlinie an – die eigentlich zum Jahresbeginn hätte in Kraft treten sollen. Zudem fehlt mit der ebenfalls überfälligen Potenzialanalyse ein wichtiger Puzzlestein, ohne den sich das Digitalministerium staatliche Förderung nur schwer vorstellen kann. Eine solche Analyse bewertet, ob eine Region die Aussicht auf einen privaten Ausbau hat. Die meisten Länder wiederum wollen von einer verbindlichen Potenzialanalyse nichts wissen, sondern selbst darüber entscheiden, wie sie den Ausbau priorisieren.

Hintergrund sind zum einen die seit Jahresbeginn weggefallenen Aufgreifschwellen. Damit lassen sich auch Gebiete fördern, die schon mit 200 MBit/s oder mehr versorgt sind. Zum anderen gilt es, im laufenden Jahr ein Debakel wie im vergangenen Oktober zu verhindern, als über Nacht die Fördermittel erschöpft waren. Seitdem liegt das Förderprogramm auf Eis, und ohne Richtlinie kann es nicht wieder starten. In den kommenden Wochen stehen also wichtige Weichenstellungen für den weiteren staatlich unterstützten Ausbau an.

Unterdessen prahlen die privaten Netzbetreiber mit den Milliardeninvestitionen, die sie in den nächsten Jahren in den marktgetriebenen Ausbau stecken wollen. Doch ein guter Teil davon könnte in Baustellen landen, die eben erst zugeschüttet wurden: So überbaut etwa die Telekom Deutschland derzeit ein vorhandenes Glasfasernetz in Köln, obwohl sie sich beim Wettbewerber Netcologne einmieten könnte. Ein ordentliches Open-Access-Konzept könnte den Weg aus diesem volkswirtschaftlichen Unfug weisen, allerdings will das Digitalministerium erst Mitte des Jahres einen Statusbericht dazu vorlegen. Ob das ausreichen wird, um den dringend benötigten Ausbau schneller und effizienter zu gestalten, ist fraglich.

Ebenfalls offen bleibt vorerst, ob alternative Verlegemethoden endlich Einzug halten und so manches teure wie langwierige Tiefbauprojekt obsolet machen werden. In den kommenden Monaten will das Deutsche Institut für Normung allgemein akzeptierte DIN-Standards schaffen. An denen sollen sich die kommunalen Bauämter orientieren, wenn sie über Genehmigungen entscheiden. Dazu bedarf es jedoch wohl noch einiger politischer Überzeugungsarbeit, denn Widerstand kommt aus der Baubranche – und aus der einflussreichen Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, die mit einem konkurrierenden Regelwerk Unfrieden stiftet.

Gesundheit: Frustrierte Ärzt:innen und verworfene Vorhaben

Apropos Unruhe: Im Gesundheitswesen herrscht seit Jahren digitalpolitisches Chaos – weshalb es auch als verlässliche Lachnummer der Bundesregierung bezeichnet werden könnte. Elektronische Patientenakten, die Röntgenbilder auf CD und per Fax überflüssig machen sollen? Nutzt bisher in Deutschland so gut wie niemand. Das E-Rezept, das eigentlich schon Anfang 2022 eingeführt werden sollte? Nach massiven Pannen bis auf Weiteres vertagt. Die Aussage des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) aus dem November 2021 – „In wenigen Monaten werden wir uns die digitalen Elemente im Gesundheitswesen gar nicht mehr wegdenken können“ – klingt rückblickend mehr als ein bisschen unfreiwillig lustig. Ärzt:innen-Verbände sind inzwischen so frustriert vom planlosen Aktionismus der Regierung, dass sie zuletzt ein Moratorium für die Digitalisierung forderten.

Zumindest bei der elektronischen Patientenakte (ePA) – dem größten digitalpolitischen Sorgenkind im Gesundheitsbereich – will der zuständige Minister Karl Lauterbach (SPD) jetzt aufs Tempo drücken. Statt eines Opt-In-Verfahrens sollen Patient:innen künftig, solange sie nicht widersprechen, automatisch eine ePA verpasst bekommen. Bis 2024 soll das neue Verfahren laut aktuellem Zeitplan umgesetzt sein. Das aber dürfte schwierig werden, denn der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat sich bereits kritisch zu den Ideen geäußert. Und selbst wenn die Gesetzesgrundlage rechtzeitig fertig wird – die Praxissoftware der meisten Anbieter ist es noch lange nicht.

Die für all diese Projekte zuständige Gematik soll zu einer „digitalen Gesundheitsagentur“ ausgebaut werden, so stand es im Koalitionsvertrag. Das Geld dafür ist schon bereitgestellt, doch wofür genau es nun eingesetzt werden soll, ist bislang offen. Klar ist nur: Die Kompetenzen soll jene staatliche Agentur bekommen, die bereits jetzt mit Korruptionsverdacht zu kämpfen hat und der ohnehin schon vorgeworfen wird, gewaltige Geldsummen zu versenken und technische Lösungen vorbei an Praxen, Apotheken und Patient:innen-Interessen zu entwickeln. Das alles sieht weniger aus wie solide Digitalpolitik, sondern vielmehr nach etlichen weiteren Milliardengräbern.

Zumindest eine Neuerung gilt ab 1. Januar: Die Digitalisierung der Krankmeldung – auch bekannt als AU (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) – schreitet voran. Krankgeschriebene Patient:innen sollen so weniger Papierkrieg erledigen müssen. Praxen haben sich bereits im Vorjahr selbst an die Krankenkassen gewandt. Ab jetzt sollen die Krankenkassen auch digital als Anlaufstelle für Arbeitgeber:innen fungieren. Inwiefern das reibungslos klappt, muss sich allerdings noch zeigen.

Daten: Der lange Weg zu einer „neuen Datenkultur“

Viel Geduld braucht es auch noch mit der „Etablierung einer neuen Datenkultur“, die Digitalminister Volker Wissing (FDP) beharrlich einfordert. Helfen soll hier das neue Dateninstitut, das laut Digitalstrategie „die Datenverfügbarkeit und Datenstandardisierung in Deutschland vorantreibt und Datentreuhändlermodelle sowie Lizenzen etabliert“. Die Regierung erhofft sich, so „eine datenbasierte Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung“ zu stärken.

Das Dateninstitut soll hierzulande die gesamte Datenlandschaft zum Blühen bringen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Zwei Fragen sind allerdings noch offen: Zum einen ist ungeklärt, wie es das Institut mit dem Datenschutz hält, wenn es Datenreichtum predigt. Zum anderen soll dieser Datenreichtum, so das Versprechen der Bundesregierung, vor allem dem Gemeinwohl zugutekommen.

Sollen die Daten aber tatsächlich vorrangig nicht dem Profit, sondern der breiten Gesellschaft dienen, sollte dafür sinnvollerweise auch die Zivilgesellschaft eingebunden werden. Eben davon war und ist bislang jedoch wenig zu sehen.

Verwaltung: Im Schneckentempo zum digitalen Behördengang

Wenig zu sehen war auch vom Onlinezugangsgesetz (OZG). Rund 500 Verwaltungsdienstleistungen wollte die Bundesregierung eigentlich bis Jahresende ins digitale Zeitalter überführen. Mit etwas Glück will sie nun in diesem Jahr zumindest einige der gesetzlichen Vorgaben umsetzen. Dann könnte der Behördengang entfallen, wenn man sich ummelden oder Bürgergeld beantragen will. Aus Sicht der Verwaltung wäre es umgekehrt hilfreich, wenn etwa das Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) konsequent angewandt wird: Damit müsste nicht jedes Bundesland eigene Serviceleistungen entwickeln, sondern könnte sich an einer anderswo gut funktionierenden Lösung bedienen.

Während es also noch einigen Aufholbedarf aus vergangenen Jahren gibt, steht das Onlinezugangsgesetz 2.0 bereits in den Startlöchern. Jetzt darf es nur nicht stolpern: Denn entgegen früheren Ankündigungen liegt immer noch kein fertiger Gesetzesvorschlag aus dem Innenministerium vor, auch die Ressortabstimmung ist noch nicht eingeleitet worden. Einem von uns veröffentlichten Leak einer Entwurfsfassung ist zumindest eines bereits zu entnehmen: Entgegen der ausdrücklichen Empfehlung setzt der Gesetzgeber nicht ausreichend auf offene Standards und Open Source. An dieser Stellschraube könnten die Ministerien und der Bundestag noch drehen, um die deutsche Verwaltungsdigitalisierung nicht nur möglichst offen, sondern auch nachhaltig zu gestalten.

Eine wichtige Rolle sollte dabei eigentlich die Föderale IT-Kooperation (FITKO) spielen. Die gemeinsam vom Bund und den Ländern gegründete Anstalt soll ihnen bei der Digitalisierung der Verwaltung und der Entwicklung föderaler IT-Strukturen unter die Arme greifen. Doch Anlaufschwierigkeiten haben bislang dafür gesorgt, dass sie ihre potenziellen Stärken nicht ausspielen konnte. Im Gespräch ist nun ein neuer IT-Staatsvertrag, um die Anstalt handlungsfähig zu machen.

Digitale Gewalt: Von Accountsperren und Cyberstalking

Ein weiteres Vorhaben der Bundesregierung wird in diesem Jahr für Betroffene von Hass und Hetze im Netz interessant. Das geplante Gesetz zum Schutz vor digitaler Gewalt stand bereits im Koalitionsvertrag und hat es auch in die Digitalstrategie der Bundesregierung geschafft. Konkret sollen sich Betroffene demnach einfacher wehren können, wenn sie im Netz Gewalt erfahren: Sie sollen mutmaßliche Täter:innen einfacher anzeigen können. Richter:innen könnten den Plänen zufolge Plattformen dazu auffordern, gewaltsame Accounts zu sperren. Zuständig ist das Justizministerium. Der Verein „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ hat hierzu bereits Eckpunkte entworfen und zur Diskussion gestellt.

Gleichzeitig ist digitale Gewalt weit mehr als nur Hetze, die auf Plattformen stattfindet. Organisationen wie Hate Aid weisen seit längerem darauf hin, an welchen anderen Stellen Politik dringend handeln muss, unter anderem bei der Verbreitung von bildbasierter Gewalt, etwa in Form von gefälschten Nacktbildern und Videos. Einiges ist im Gange. Schon in der vorangegangenen Legislaturperiode hat die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) etwa den Stalking-Paragrafen erweitert. Er stellt nun explizit auch Cyberstalking unter Strafe. Ob die Regierung jedoch auch die vielen anderen Gewaltformen im Blick hat, unter denen vorwiegend Frauen und andere besonders vulnerable Menschen leiden, muss sie erst noch unter Beweis stellen.

Bildung und Klima: Vertagte Zukunft

Meilenweit hinterher hinkt auch die Digitalisierung im Bildungsbereich. Eine Großbaustelle ist die Nationale Bildungsplattform (NBP). Auf ihr sollen sich eines Tages all jene sammeln, die mit digitaler Bildung zu tun haben – und damit auch unseren Begriff von Bildung grundsätzlich neu definieren. Ein hehrer Anspruch, der bisher nicht umgesetzt ist: Der Aufbau der Plattform wurde 2018 angekündigt, seit 2021 ist sie in Planung. Und eigentlich sollte die NBP in diesem Jahr an den Start gehen. Dieser wurde im vergangenen September jedoch auf 2025 verschoben.

Im dritten Quartal dieses Jahres soll es laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) immerhin eine erste Beta-Version geben. Hoffentlich gibt es da mehr zu sehen als ein Login-Fenster und dahinter eine Handvoll PDF-Dateien zum Download.

Auch der Digitalpakt Schule 2.0 soll im kommenden Jahr endlich an den Start gehen. Er soll weit mehr als nur neue Tablets in den Unterricht bringen. Vielmehr sollen Klassenräume umfassend digitalisiert werden und Lehrkräfte sollen mehr Digitalkompetenzen bekommen.

Nicht zuletzt müsste die Bundesregierung in der Klimapolitik offensiver mit technologischen und digitalpolitischen Fragen umgehen. Schließlich sind die eigens dafür gegründeten Grünen nun an der Macht. Auch die SPD nennt in ihrem Parteiprogramm ausdrückliche Klimaziele; selbst die Liberalen bekennen sich zuweilen dazu. Wenigstens die tiefhängenden Früchte sollte die Ampel-Regierung daher in diesem Jahr ernten: Beim Energieeffizienzgesetz und nachhaltigeren Rechenzentren, bei einem sinnvollen Recht auf Reparatur sowie hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Hard- und Software.

3 Ergänzungen

  1. Ihr habt an einer Stelle „Jens Spahn (CSU)“ geschrieben, das ist aber leider nur gefühlt seine Parteizugehörigkeit. ;)

    1. Da haben wir uns wohl von aktuellen Debatten (ver)leiten lassen. Danke für den Hinweis, ist korrigiert.

  2. Solange unter Digitalisierung lediglich „machen wir mal ne App“ verstanden wird, wird das nix.
    Verbesserung – ach was, Schaffung – einer funktionierenden Infrastruktur wird solange scheitern, wie 16 Großfürsten ihr eigenes Süppchen kochen. In der Zwischenzeit wird Deutschland bezüglich Digitalisierung vermutlich noch von Nigeria abgehängt werden.
    Von ZDFheute gibt es übrigens eine interessante Doku („Kann der Rettungsdienst noch gerettet werden?“), wie durch intelligente Digitalisierung eine absehbare Krise abgewendet werden könnte. Aber das wird garantiert auch nix.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.