Liebe Leser:innen,
gestern hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hätte das Handy einer afghanischen Asylsuchenden weder auslesen noch auswerten dürfen. Denn es hätte weniger eingriffsintensive Möglichkeiten gegeben, Hinweise auf ihre Identität und Herkunft zu bekommen. Damit steht fest: Das BAMF muss seine Praxis zur Datenträgerauswertung bei Geflüchteten ändern. Die Asylbehörde kann nicht einfach weiter standardmäßig Handys auslesen, ohne vorher zu schauen, ob es mildere Mittel gibt.
Das habe ich gestern zu einem kurzen Artikel verarbeitet. Ein Artikel wie viele andere auch, die täglich bei uns erscheinen. Für mich selbst war das Urteil aber weit mehr als nur eine Neuigkeit unter vielen. Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit den digitalen Hilfsmitteln, die das BAMF eingeführt hat. Ich habe viel geschrieben und noch viel mehr recherchiert, vor allem über die automatische Dialekterkennung und das Auslesen von Handys. Habe Informationsfreiheitsanfragen gestellt und monatelang gespannt auf Antwort gewartet. Habe versucht zu verstehen, was genau da passiert, habe mit Geflüchteten sowie ihren Anwält:innen und Unterstützer:innen geredet. Habe Antworten auf parlamentarische Anfragen gewälzt.
All das habe ich getan, weil ich das Thema wichtig finde. Weil wir genau hinschauen müssen, wenn plötzlich Computeranalysen das Schicksal von Menschen beeinflussen. Wenn Menschen wie selbstverständlich ihr Smartphone zum Auslesen über den Tisch reichen sollen. Nicht, weil sie etwas falsch gemacht haben und verdächtig sind. Sondern weil sie Schutz suchen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat nun klar gemacht: Es muss sich etwas ändern. Aus juristischer Sicht ist eine entscheidende Frage zum Umgang mit den Handydurchsuchungen noch offen: Sind die deutschen Regelungen überhaupt mit Europarecht vereinbar?
Hinter alledem verbirgt sich jedoch etwas viel Größeres, nämlich die Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft mit Geflüchteten umgehen? Sehen wir diejenigen, die hier Schutz suchen, vor allem als Risiko? Ist unsere Grundhaltung von Misstrauen geprägt? Geht es um Effizienz – bei computerisierten Asylverfahren, bei Abschiebungen, bei der Verwaltung von Daten im Ausländerzentralregister? Oder geht es um Menschen?
Für mich ist die Antwort auf diese Fragen klar. Deshalb werde ich mit meinen Kolleg:innen weiter hinschauen, wenn jemand versucht, soziale Probleme mit Technik zu lösen und dabei Grundrechte betroffen sind.
Ein schönes Wochenende wünscht euch
anna
„ Geht es um Effizienz – bei computerisierten Asylverfahren, bei Abschiebungen, bei der Verwaltung von Daten im Ausländerzentralregister? Oder geht es um Menschen?“
Das ist ein Fehler in der Argumentationskette, eine falsches Alternativverhältnis. Effizienz bei der Rechtsanwendung und menschliche Rechtsanwendung stehen nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis. Die Legitimation bezieht das demokratisch geschaffene Recht gerade auch daraus, dass es effizient angewandt wird.
„Die Woche, in der Grundrechte vor Gericht verteidigt wurden“
Nicht nur Grundrechte werden verteidigt, sondern auch der entgegengesetzte Datenfluss: Zum Cookieterror kommt jetzt noch einer dazu: trustpid.com
Gejagte sollt ihr sein!