Niedersachsen wählt. An diesem Sonntag sind gut sechs Millionen Menschen im Nordwesten aufgerufen, über die neue Landesregierung zu entscheiden. Die Zeichen stehen auf Wechsel, jedenfalls etwas: Die SPD von Langzeit-Ministerpräsident Stephan Weil würde künftig lieber wieder mit den Grünen regieren statt mit der CDU.
Den Umfragen zufolge stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Laut aktuellen Erhebungen kann sich die SPD Chancen ausrechnen, mit gut 30 Prozent erneut stärkste Kraft zu werden. Doch auch die CDU gibt noch nicht auf. Mit aktuell etwa 28 Prozent macht sich Bernd Althusmann, heute Wirtschaftsminister und Vizeministerpäsident, immer noch Hoffnungen, SPD-Mann Weil nach neun Jahren im Amt abzulösen. Während die Grünen Umfragewerte von etwa 16 Prozent verbuchen können, landet die AfD etwa bei 10 Prozent. Sorgen um den Einzug müssen sich die FDP und die Linkspartei machen, die in Umfragen derzeit bei 5 beziehungsweise 4 Prozent liegen.
Im Wahlkampf waren die vorherrschenden Themen von der aktuellen Krisensituation bestimmt: während viel über Energiepolitik und Inflation gesprochen wurde, waren Bürgerrechte selten Thema. Umso wichtiger ist es, dass sie nicht vergessen werden. Dafür sorgt in Niedersachsen seit Jahren die Gruppe „freiheitsfoo“. Auch in diesem Jahr hat sie Wahlprüfsteine an die Parteien geschickt, um ihre Positionen zu Themenfeldern wie Landespolizei oder Informationsfreiheit in Erfahrung zu bringen. Doch ausgerechnet die drei größten Parteien wollten in diesem Jahr nicht mitmachen: SPD, CDU und Grüne haben unter Verweis auf Überlastung keine Antworten geschickt, schreibt freiheitsfoo.
Damit man sich trotzdem ein Bild davon machen kann, wie die demokratischen Parteien in Niedersachsen zu Bürgerrechten stehen, haben wir uns einige der Fragen von freiheitsfoo mit Digitalbezug herausgesucht und sie den Pressestellen der Parteien in leicht abgewandelter Form zugeschickt. Und tatsächlich: Wir haben Antworten bekommen. In der Kombination mit den Wahlprüfsteinen von freiheitsfoo ergeben sie ein klares Bild von der Situation. In Sachen digitaler Bürgerrechte sind von beiden Parteien, die sich Hoffnung auf einen Sieg machen, keine großen Veränderungen zu erwarten. Ein stärkeres bürgerrechtliches Profil zeigen FDP, Grüne und Linkspartei.
Polizei: CDU und SPD gegen Kennzeichnungspflicht
Unter anderem wollten wir und freiheitsfoo wissen, wie die Parteien zur besseren Kontrolle der Polizei stehen, etwa durch pseudonyme Kennziffern. In mehr als der Hälfte der Bundesländer sollen sie dafür sorgen, dass zugeordnet werden kann, wenn ein:e Polizist:in eine Befugnis überschritten oder unrechtmäßig Gewalt angewendet hat. Die Vereinten Nationen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen weltweit empfehlen die Kennzeichnungspflicht, Polizeigewerkschaften sprechen sich dagegen aus.
In der Sache einig, wenn auch mit einem anderen Framing, stehen SPD und CDU zu dem Thema: Beide lehnen eine Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen ab. Während die SPD dabei zumindest grundsätzlich betont, dass sie „das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Polizei durch Offenheit und Transparenz“ stärken möchte, verwahrt sich die Union gegen eine angebliche „Misstrauenskultur gegenüber der Polizei“. Anders sehen das Grüne und FDP, die sich für eine Kennzeichnungspflicht bei geschlossenen Einsätzen aussprechen. Noch weiter geht die Linkspartei mit der Forderung nach einer grundsätzlichen Kennzeichnungspflicht. Sie sieht darin ein Mittel, um „Straftaten, die während Einsätzen begangen wurden, besser aufklären und gegebenenfalls verfolgen zu können“.
Ein ebenso umstrittenes Thema wie die Kennzeichnungspflicht ist der Einsatz von Body Cams durch Polizist:innen. Die kleinen Kameras sollen eigentlich sicherstellen, dass sowohl Angriffe auf Polizist:innen als auch rechtswidriges Verhalten von Polizist:innen dokumentiert werden. Doch auffällig häufig sind die Kameras ausgerechnet bei fragwürdigen Einsätzen ausgeschaltet, sodass sie derzeit für mehr Überwachung, aber nicht für mehr Aufklärung sorgen. Die Linkspartei lehnt den Einsatz der Kameras in ihrer heutigen Form deshalb ab. Wenn sie doch eingesetzt werden, dann dürften nur unabhängige Stellen Zugriff auf die Aufnahmen bekommen.
Die SPD sieht in Body Cams ein „sinnvolles Einsatzmittel (…) zur Eigensicherung im öffentlichen Raum“. Anders als die CDU, die den Einsatz ausweiten möchte, spricht sie sich gegen die Nutzung von Body Cams bei Einsätzen in Privatwohnungen aus.
Die FDP befürwortet den Einsatz von Body Cams, findet aber das sogenannte Pre-Recording verfassungsrechtlich bedenklich. Dabei wird kontinuierlich eine kurze Zeitspanne von wenigen Minuten aufgenommen und zwischengespeichert, die erst bei aktivierter Aufnahme dann auch dauerhaft gespeichert wird. Die FDP bemängelt, dass dabei Unbeteiligte verdeckt überwacht würden. Die Grünen wägen Vor- und Nachteile von Body Cams ab: Sie könnten Polizist:innen „in bestimmten Situationen besser schützen“, brächten bei flächendeckendem Einsatz aber auch eine Ausweitung der Videoüberwachung mit sich. Deswegen sehen die Grünen den Einsatz von Body Cams insgesamt kritisch.
Regierungsparteien pro Staatstrojaner
Noch deutlicher zwischen Opposition und Regierung verlaufen die Gräben beim Thema Staatstrojaner. Die staatlich genutzte Spionagesoftware, die heimlich auf die Geräte von Verdächtigen aufgespielt wird, um entweder ihre laufenden Kommunikation mitzuschneiden („Quellen-TKÜ“) oder jegliche Inhalte auszulesen („Online-Durchsuchung“), ist hochgradig umstritten. Bürgerrechtler:innen kritisieren das staatliche Hacking seit langem und das Bundesverfassungsgericht hat ihm Grenzen aufgesetzt. Dass die Technik in vielen Ländern gegen Journalist:innen und Oppositionelle eingesetzt wird, hat im vorigen Jahr international für Entsetzen gesorgt. Doch auch in Deutschland dürfen die Polizeien und Geheimdienste sie einsetzen.
Explizite Ablehnung des Überwachungsinstruments kommt von Grünen, FDP und Linken. Durch den Staatstrojaner werde der Staat zum Hacker und nutze IT-Sicherheitslücken aus, „die er eigentlich schließen müsste“, heißt es von den Liberalen. Ähnlich die Linken: „Diese Befugnisse stellen Menschen nicht nur unter Generalverdacht, sondern gefährden unnötig ihre digitale Sicherheit.“ Die Grünen schreiben, sie „lehnen generelle Hintertüren in digitalen Geräten und Anwendungen oder das Infiltrieren von technischen Geräten“ ab. Stattdessen wollen sie eine Verpflichtung einführen, „Sicherheitslücken zu melden und aktiv auf ihre Behebung hinzuwirken“.
Die CDU hingegen spricht sich sowohl für Quellen-TKÜ als auch für Online-Durchsuchung aus „sofern die Rechtsgrundlagen für deren Einsatz verfassungskonform ausgestaltet sind“. Am ausführlichsten Antwortet die SPD, die betont, dass sich Kriminalität im digitalen Raum ausbreite und ein Großteil der Kommunikation verschlüsselt erfolge, sodass „Freiheitssicherung auf Basis des aktuellen Standes der Technik“ betrieben werden müsse. Deshalb stehe die Partei dazu, dass Niedersachsen der Polizei den Einsatz von Staatstrojanern ermöglicht hat. Anders als die CDU möchte sie den Verfassungsschutz jedoch nicht ebenfalls damit ausstatten.
Reformbedarf beim Verfassungsschutz
In der neuen Legislaturperiode wird sich den Parteien die Aufgabe stellen, Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte kürzlich entschieden, dass der Verfassungsschutz dort zu weitreichende Überwachungsbefugnisse hat, etwa bei der Online-Durchsuchung oder bei V-Leuten. Auch die Datenweitergabe vom Verfassungsschutz an die Polizei und somit die Trennung von Geheimdienst und Strafverfolgung muss nachgebessert werden.
Die beiden Regierungsparteien weisen darauf hin, dass sich das niedersächsische Verfassungsschutzgesetz vom bayerischen unterscheidet und deshalb keine unmittelbaren Konsequenzen aus dem Gerichtsurteil zu ziehen sind. Dennoch will die CDU die „Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in jedem Fall unverzüglich“ umsetzen. Auch die SPD will das Gesetz am „Maßstab des Gerichtsurteils prüfen“ und anschließend anpassen. Dabei erlaubt sie sich noch einen kleinen Seitenhieb auf den bisherigen Koalitionspartner. Das Urteil zeige deutlich, dass die SPD gut beraten war, „die Forderungen der CDU nach noch weitreichenderen nachrichtendienstlichen Eingriffsbefugnissen entschieden zurückzuweisen“.
Weitreichendere Reformvorstellungen für den Verfassungsschutz legen Grüne und FDP an den Tag. Konkreter werden zumindest die Grünen allerdings nicht. Die Liberalen werten das Urteil des BVerfG als „klares Signal für die Stärkung der Bürgerrechte“. Darüber hinaus will sie die Bürgerrechte stärken, indem die Auskunftspflicht des Verfassungsschutzes nicht länger an besondere Bedingungen geknüpft sein soll.
Die Linkspartei antwortet auf die Frage nach dem Verfassungsschutzgesetz, dass sie das niedersächsische Polizeigesetz reformieren möchte.
Nur CDU stellt sich gegen mehr staatliche Transparenz
Im Transparenzranking von FragDenStaat landet Niedersachsen auf dem letzten Platz. Fast alle anderen Bundesländer haben seit Jahren schon Informationsfreiheits- oder Transparenzgesetze, die Bürger:innen Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand geben. Neben Niedersachsen verweigert sich nur noch Bayern der Transparenz. Doch das könnte sich bald ändern.
Grüne, FDP und Linkspartei sprechen sich klar für ein Informationsfreiheitsgesetz aus. Die FDP verweist darauf, 2013 einen Entwurf in den Landtag eingebracht zu haben, der jedoch abgelehnt wurde. Die SPD, die immerhin seit 2013 den Ministerpräsidenten stellt, spricht von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema in der letzten Legislaturperiode. Transparenz sei ein „Versprechen der Demokratie“ und könne einen wichtigen Beitrag zur politischen Partizipation und unabhängigen Meinungsbildung leisten. Als Begründung für den Transparenzstillstand verweist sie auf den Koalitionspartner CDU. Immerhin habe das Land 2022 angefangen, Daten nach dem Open-Data-Prinzip zu veröffentlichen.
Die CDU schreibt, dass die scheidende Große Koalition die Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze anderer Länder geprüft habe, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart worden war. In den Beratungen im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen konnte zwischen den Koalitionspartnern dann aber keine Einigkeit zum weiteren Vorgehen hergestellt werden. Nach eigenen Angaben möchte die Union zwar grundsätzlich allen Bürger:innen Einsicht in laufende und abgeschlossene Verwaltungsverfahren ermöglichen, doch sie sorgt sich um zusätzlichen bürokratischen Aufwand für die Verwaltung. Ohnehin würden bereits bestehende Akteneinsichts- und Auskunftsrechte in Niedersachsen ausreichen.
Videoüberwachung in Zügen: Linke, Grüne und FDP skeptisch
Ein anderes Streitthema, nach dem wir die Parteien gefragt haben, ist die Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr. Die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte hatte das Hannoveraner Verkehrsunternehmen Üstra, das die Fahrräume seiner Züge überwachen ließ, in seine Schranken weisen wollen. Vor Gericht hat dann aber das Verkehrsunternehmen Recht bekommen: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat die Überwachung im sogenannten Black-Box-Verfahren für angemessen und zulässig erklärt. Die Aufnahmen werden dabei nicht dazu genutzt, das Geschehen in den Zügen direkt im Blick zu behalten. Stattdessen werden sie für 24 Stunden gespeichert und nach Ablauf dieser Frist gelöscht, solange kein Vorfall gemeldet wird.
Die SPD lehnt flächendeckende Videoüberwachung ab, erachtet aber den Einsatz von Videoüberwachung an „Kriminalitätsschwerpunkten“ als sinnvoll, um das subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Allerdings bleibt unklar, ob sie den gesamten ÖPNV als Kriminalitätsschwerpunkt versteht. Die CDU möchte das Problem lösen, indem statt flächendeckender Videoüberwachung „intelligente“ Videosysteme verwendet werden, die „anlass- und situationsbezogen“ filmen. An die Videoüberwachung in öffentlichen Räumen will sie aber in jedem Fall nicht ran. Sie diene den Sicherheitsbehörden zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und sei deshalb notwendig.
Äußerst vage bleiben die Antworten von Grünen und FDP. Letztere gibt an, einer flächendeckenden Videoüberwachung kritisch gegenüberzustehen, geht aber nicht weiter ins Detail. Die Grünen verweisen auf eine Orientierungshilfe der Datenschutzbehörden zum Thema. Als einzige Partei lehnt die Linke flächendeckende Videoüberwachung klar ab. Sie gaukele Sicherheit lediglich vor, stattdessen müssten Sicherheitskonzepte präventiv, personell untermauert sowie demokratisch kontrollierbar sein.
Keine Partei will Abschied von Instagram, Twitter und Co.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat bereits mehrmals den Rückzug von Behörden aus Social-Media-Plattformen mit Sitz in den USA gefordert. Grund dafür ist, dass Dienste wie Twitter, WhatsApp, Instagram, TikTok und Facebook nicht dafür sorgen, dass die Betreiber:innen von Accounts ihrer gemeinsamen datenschutzrechtlichen Verantwortung gerecht werden. Sie wissen schließlich selbst nicht genau, was genau die Konzerne mit den Daten ihrer Nutzer:innen machen.
Was denken die Parteien zu dieser Forderung? Die CDU ist der Ansicht, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte nicht zuständig für Niedersachsen ist. Deswegen sehen sie die Verantwortung bei der Landesdatenschutzbeauftragten. Die FDP sieht für einen Rückzug ganz einfach keine Notwendigkeit und die Grünen beziehen sich in ihrer Antwort lediglich auf Kommunikation von Polizist:innen über WhatsApp und sprechen sich hier für eine landesweite Lösung mit einem sicheren Messenger aus.
Die SPD argumentiert, dass die Nutzung von US-Social-Media-Plattformen den Ministerien die Möglichkeit bietet, zielgerichtete und ausgewogene Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, die viele Bevölkerungsgruppen erreicht. Somit stellt der Auftritt in Social Media – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Plattform dar, dem verfassungsmäßigen Auftrag der Information der Bevölkerung nachzukommen. Gleichzeitig könnten laut der Partei Krisenkommunikation geleistet und Fake News entgegengetreten werden.
Auch die Linke zeigt sich wenig begeistert vom Vorschlag des Bundesdatenschutzbeauftragten. Der Status quo scheint für die Linke zwar auch nicht die Lösung sein, aber wegen mangelnder politischer Regulierung einen Rückzug zu machen, scheint den Linken nicht der richtige Weg zu sein. „Wir brauchen bessere Gesetze anstatt Appelle, problematische Plattformen nicht zu nutzen“ ist hier die klare Forderung.
>>> Keine Partei will Abschied von Instagram, Twitter und Co. <<<
Weil diese Plattformen als Herrschaftsinstrumente politischer Gruppierungen (ge|miss)braucht werden.