PolizeiBodycams richtig einsetzen – oder abschaffen

Polizeiliches Fehlverhalten zeichnen Bodycams nur selten auf. Im Gegenteil verstärken sie einseitig das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürgerschaft. Wenn also schon Bodycams eingesetzt werden, dann bitte auch zur Kontrolle der Polizei. Ein Kommentar.

Bodycam auf der Schulter eines Polizisten
Wer kontrolliert die Bodycam? (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Sven Simon

Dieser Kommentar ist vom August 2022, an der Einschätzung hat sich seit damals nichts geändert.

Seit einigen Jahren halten Bodycams bei der Polizei in Deutschland Einzug. Die großen Polizeigewerkschaften begrüßen das, aber bitte nur als Instrument zum Schutz der Polizei. Die Kamera am Revers soll dem Bürger zeigen, dass er gleich aufgenommen werden könnte. Das soll angeblich deeskalierend wirken – und im Zweifel Beweismaterial liefern. Dabei könnten Bodycams eigentlich auch den Bürger:innen helfen, gegen Fehlverhalten von Polizist:innen vorzugehen. Doch in der polizeilichen Praxis sind die Kameras bei umstrittenen Einsätzen auffallend häufig ausgeschaltet.

In Dortmund erschoss die Polizei vergangene Woche einen psychisch kranken Jugendlichen. In einer internen Mitteilung erklärte das Polizeipräsidium Dortmund nun, dass keine:r der zwölf beteiligten Polizist:innen in der Situation die Bodycam angeschaltet hatte.

Bei einem Einsatz in Frankfurt 2020 ist angeblich der Akku leer gegangen. Später soll ein Polizist auf einen Festgenommenen eingetreten haben, was nur von einem Bürger aufgezeichnet wurde. Nach einer Polizeikontrolle in Mannheim starb ein Mann. Auch hier waren die Bodycams ausgeschaltet.

„Einseitige Drohkulisse“

„Aktuell stellt die Bodycam eine einseitige Drohkulisse dar, da sie ausschließlich zulasten von Bürgerinnen und Bürgern eingesetzt wird, unabhängig davon, ob sich die Polizei rechtswidrig verhält oder nicht“, schreiben die Polizeiexperten Hartmut Aden und Jan Fährmann. Schon bei der Einführung der Bodycams in den Bundesländern gab es Kritik an der Art und Weise und den gesetzlichen Regelungen – die sich nun immer wieder bestätigt.

Die wichtigste Frage bei Bodycams ist: Wer entscheidet, was wann gefilmt wird? Und wer darf wie darauf zugreifen?

Bürgerrechtsorganisationen in den USA hatten im Jahr 2015 gefordert, dass die überwiegende „Mehrheit der Interaktionen mit der Öffentlichkeit – einschließlich aller Fälle, in denen Gewalt angewendet wird – auf Video aufgezeichnet werden“ solle. Die Verpflichtung zum Aufzeichnen müsse laut der Organisationen disziplinarrechtlich streng verankert sein, damit die Polizist:innen sich auch an die Regeln hielten.

Wer kontrolliert die Kamera?

Auch für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist zentral, wann die Kamera ein- oder ausgeschaltet ist. Dabei gibt es ein Dilemma: Aus Datenschutzgründen könne die Bodycam nicht permanent laufen, gleichzeitig könnten auch strenge Dienstvorschriften nicht davor schützen, dass die Kamera in manchen Situationen ausgeschaltet bleibt oder zu spät eingeschaltet wird. Deswegen schlägt Amnesty vor, „dass auch auf Verlangen von kontrollierten Personen oder Dritten die Kamera eingeschaltet wird.“ Dadurch sei es möglich, auch im Nachhinein eine polizeiliche Handlung überprüfen zu können.

Andere Stimmen fordern, dass die Kameras einfach immer laufen sollen und dafür der Zugriff auf diese Daten streng reglementiert sein müsse. Auch andere Berufsgruppen wie Pilot:innen oder Angestellte im Supermarkt würden permanent überwacht. Sie müssten dies hinnehmen, ohne dass sie wie die Polizei auch Gewalt gegen Bürger:innen einsetzen dürften. Das schreibt beispielsweise Frida Thurm in der Zeit.

In Deutschland liegt die Kontrolle über Kamera und Material bei der Polizei. Doch solange die Polizei entscheidet, ob sie filmt und speichert, fördern Bodycams die Allgegenwart von Überwachung und erhöhen das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürgerschaft.

Überwachung in beide Richtungen

Wenn wir also durch die Akzeptanz der Bodycam ein Mehr an Überwachung hinnehmen, dann muss die Überwachung zum Ausgleich in beide Richtungen verlaufen und so ein Mehr an Kontrolle des Staates liefern. Sie muss Transparenz und Nachprüfbarkeit herstellen sowie bei rechtswidrigen Handlungen von Polizist:innen bei der Aufklärung helfen.

Um das zu erreichen, ist wichtig, dass die Videos nicht unbemerkt manipuliert werden können. Amnesty schlägt deswegen vor, dass dafür nicht eine übergeordnete Polizeistelle das Material sichtet, bewertet und über die (fristgerechte) Löschung entscheidet, sondern eine unabhängige Kontroll-Kommission.

Während in den USA die Einführung von Bodycams von bürgerrechtlicher Seite anfänglich als große Chance gegen Polizeigewalt gesehen wurde, kehrt nun nach ein paar Jahren wieder Ernüchterung ein. Eine Überblicksstudie kam zum Ergebnis, dass Bodycams den Einsatz von polizeilicher Gewalt nicht statistisch nennenswert beeinflussen. Gleichzeitig wurde das Material von Staatsanwälten nur selten genutzt, um gegen polizeiliches Fehlerverhalten vorzugehen. Dafür aber häufig als Beweis gegen Bürger:innen.

Die ACLU Washington kommt deshalb zum Schluss, dass Polizeigewalt nicht durch den Kauf von mehr Technik und durch mehr Ressourcen für die Polizei weniger würde, sondern indem das Geld für andere nicht-polizeiliche Maßnahmen ausgegeben würde, die mehr Sicherheit schaffen.

Schieflage in Deutschland

Bodycams in Deutschland sind derzeit eine reine Stärkung der Polizei – ohne die demokratische Kontrolle zu erweitern oder zu verbessern. Und die Kameras entwickeln sich zur Standardausrüstung. Damit verstärkt sich die Asymmetrie zwischen Bürger:innen und Ordnungskräften. Denn wenn sie selbst von Umstehenden mit Smartphones gefilmt werden, gehen Polizist:innen oft hart dagegen vor. Dabei ist eindeutig: Film- und Tonaufnahmen von polizeilichen Einsätzen im öffentlichen Raum sind grundsätzlich erlaubt.

Wir sollten uns also entscheiden: Entweder wir machen die Bodycam zu einem Instrument, das auch die Träger:innen des Gewaltmonopols kontrolliert – oder wir schaffen sie wieder ab, weil sie das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürger:innen sowie das Ausmaß an Überwachung unverhältnismäßig erhöhen.

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18 Ergänzungen

  1. „Wir sollten uns also entscheiden: Entweder wir machen die Bodycam zu einem Instrument, das auch die Träger:innen des Gewaltmonopols kontrolliert – oder wir schaffen sie wieder ab, weil sie das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürger:innen sowie das Ausmaß an Überwachung unverhältnismäßig erhöhen.“

    Nur leider haben die Innenminister die Kameras eben genau deswegen eingefuehrt, „weil sie das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürger:innen sowie das Ausmaß an Überwachung unverhältnismäßig erhöhen“, und natuerlich werden die Politiker das nicht abschaffen, wenn es funktioniert. Sie werden allerdings absehbar das Filmen von Polizei in der Oeffentlichkeit unter Strafe zu stellen versuchen.

    Um Buergerrechte zu schuetzen, braeuchte man eine Regierung ohne CDU/SPD/Gruen an entscheidender Stelle.

  2. Zahlreiche private Citystreifen (private Sicherheitsdienste i. öffentl. Auftrag) laufen mittlerweile – im Rahmen von „public private security“, im Auftrag bundesdeutscher Kommunalbehörden – Streife im öffentlichen Raum und setzen dabei Bodycams ein; die (datenschutzrechtliche) Rechtmässigkeit dieser privaten Videoaufnahmen wurde bis heute nicht geklärt.

    https://www.shz.de/lokales/kellinghusen/artikel/citystreife-2022-und-polizeipraesenz-in-nord-glueckstadt-soll-sicherer-werden-22848156

    1. Ein wichtiger Punkt ist die Antwort auf die Frage: nur Bild, oder auch Ton? Denn es sind die Tonaufnahmen die strafrechtlich verfolgbar sind (§ 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes). Für einen privaten Sicherheitsdienst gelten darüber hinaus keine Sonderrechte: sie können zur Beweissicherung Aufnahmen erstellen z.B. wenn sie beleidigt oder bedroht werden – aber eben nicht präventiv.

  3. Eine kleine Ergänzung zur Rechtsprechung, laut LTO Artikel https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/olg-zweibruecken-1olg2ss-smartphone-aufnahme-polizei-einsatz-film-ton-201-stgb-strafbar/ hat das OLG Zweibrücken, als erste OLG, eine gegenteilige Entscheidung, als das LG Osnabrück getroffen. Es bleibt also spannend ob es ein Verfahren mal bis zu den obersten Gerichten schafft und wie diese dann entscheiden.
    Es wäre super, wenn es möglich wäre, diese OLG Entscheidung in Ihrem Artikel im vorletzten Absatz zu ergänzen, um die aktuelle, nicht eindeutige Rechtslage aufzuzeigen.

  4. Die im Artikel erwähnte Forderung, dass Betroffene eine Aktivierung der Bodycam verlangen können sollen, ist bereits in mindestens zwei Bundesländern (Bremen und Berlin) umgesetzt. In beiden Ländern ist außerdem gesetzlich vorgeschrieben, dass die Bodycams aktiviert werden müssen, sobald unmittelbarer Zwang (also Gewalt) angedroht (nur in Bremen) oder angewandt wird (§ 33 Abs. 3 BremPolG, § 24c Abs. 2 ASOG Bln). Letzteres ist auch in Sachsen im Koalitionsvertrag vereinbart. Im Koalitionsvertrag von Nordrhein Westfalen ist überdies vorgesehen, Bodycams und Taser miteinander zu koppeln, so dass die Kamera beim Aktivieren des Tasers automatisch aktiviert wird.

    Zur Manipulationsanfälligkeit der Aufnahmen sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Bodycams insoweit viel verlässlicher sind als die sonst üblichen Kameras der Beweis- und Festnahmeeinheiten. Letztere verwenden meist handelsübliche Kameras, die ganz normale Videodateien ablegen, welche dann wiederum per Speicherkarte oder USB auf einen Computer geladen und ganz normal bearbeitet werden können. Bodycams hingegen nutzen geschlossene, proprietäre Verfahren, die jede Aktion (inkl. Löschen) protokollieren, wobei Löschungen überhaupt nur mit besonderen Benutzerrechten möglich sind. Ein einfacher Beamter oder Dienstgruppenleiter, der eine unliebsame Aufnahme aus der Welt schaffen möchte, wird die komplette Bodycam vernichten bzw. verschwinden lassen müssen, bevor die Videodaten an den Behörden-Server des Bodycam-Systems übermittelt werden.

    1. „Bodycams hingegen nutzen geschlossene, proprietäre Verfahren, die jede Aktion [..]“

      Ich ziehe diese Aussage für die genannten Bundesländer nicht in Zweifel, aber möchte doch darauf Hinweisen, dass man so pauschal keine Aussage für alle Bodycams (Hersteller/Modelle) machen kann. Technische Standards zu Bodycams sind mir soweit auch nicht bekannt – jedes Bundesland scheint seine eigenen Anforderungen zu haben.

      „Ein einfacher Beamter oder Dienstgruppenleiter, der eine unliebsame Aufnahme aus der Welt schaffen möchte, wird die komplette Bodycam vernichten bzw. verschwinden lassen müssen, bevor die Videodaten an den Behörden-Server des Bodycam-Systems übermittelt werden.“

      Oder man schaltet die Bodycam eben gar nicht erst an. Das scheint zumindest bei manchen Polizeikräften inzwischen Standardvorgehen zu sein. Man könnte nun mutmaßen warum das so ist.

    2. Was nutzt es wenn die BC propitätere Verfahren benutzten um eine Manipulation am/im Gerät selbst nicht zu ermöglichen.
      Die Filme müssen irgendwohin.
      Spätestens wenn die Aufnahmen die Kamera verlassen haben, ist eine Bearbeitung möglich.

      1. Das mit der kryptographischen Sicherung und dem audit trail ist ja jetzt nicht so neu oder ungewöhnlich.

        Der Datenexport und die so exportierten Daten sind überprüfbar authentisch und integer machbar. Bearbeitung muss dann reproduzierbar dokumentiert werden (das sollte sie ohnehin immer), und das Ergebnis muss zwingend mit dieser Dokumentation und den vollen Originaldaten vorgelegt (und archiviert) werden.

        Wenn man wollte wäre das kein echtes Problem.

  5. Bodycams lassen sich nicht „richtig“ einsetzen. Es wird immer irgendein Missbrauchspotential geben. Entweder lebt man damit oder man schafft sie ab. Da ich nicht glaube dass die jemals wieder abgeschafft werden lerne ich damit zu leben.

    1. Das ist kein Widerspruch.

      Bodycams lassen sich richtig einsetzen, aber es ist davon auszugehen, dass sie nicht ausschließlich richtig eingesetzt werden.

      Wenn das negative überwiegt, fordert man die Abschaffung. Gut gemacht spricht einiges für Bodycams, aber das muss halt gegen Polizei und Politiker durchgesetzt werden.

  6. Es braucht eine neutrale Stelle, als Anlaufpunkt für Beschwerden über Polizei und Behörden.

    Und genau diese neutrale Stelle soll auch die Bodycams steuern.
    NICHT der Bodycam-Träger selbst.
    Und AUCH nicht die Polizei, denn die besonders nicht.

    Dass die deutsche Polizei von Staatsfeinden und rechtsradikalen Menschenfeinden unterwandert ist, das ist schon lange bekannt.

  7. Hier gäbe es mal einen sinnvollen Anwendungsfall für verteilte Transaktionslogs (->’Blockchain‘..).
    Die erfassten Daten könnten cryptographisch gegen Manipulation gesichert werden, der Vorgang (Ort, Aufzeichnungsbeginn, Blickwinkel, Einheit, etc.) und der Verlauf (Speicherung, Löschung, Backups) an mehrern Stellen, ebenfalls crypto- gesichert werden, zB. bei den Datenschutzbehörden. Diese Daten könnten bei einem Verfahren dann angefordert werden.
    Es gab mW. mal einen Fall, wo das System ein solches Log hatte und damit zumindest nachgewiesen werden konnte wann die Aufzeichnungen gelöscht wurden, nämlich als als die Verteidung der Beschuldigten diese anfordete…
    Solche zwingend notwendigen Logs wären auch bei anderen behördlichen Vorgängen praktisch, wem schonmal eine Quittung für eingereichte Unterlagen verweigert wurde kann dies sicher bestätigen ..

    1. Wie eigentlich immer geht das ohne Blockchain schon lange und einfacher, siehe „ewiges Logfile“.

      1. Mit Blockchain in der Produktbeschreibung wird es sich verkaufen, das ist vielleicht ein wichtiger Unterschied.
        Ich warte schon lange auf die Blockchain-Kamera. Eine kleine Kamera am Körper, z.B. beim Radfahren, schaltet sich ein bei Verkehr, und bei Problemen welcher Art (Erschütterung, Lärm, Extraknopf) auch immer wird der Stream 1 Minute zurückliegend verschlüsselt in die Blockchain gedrückt. Vorschlaghammer auf die Kamera kann das stoppen, aber die bisherigen Bilder sind sicher.
        Zugriff haben Anwälte, Richter, Staatsanwälte mit Einverständnis oder Initiative des Nutzenden Menschen.
        Ich würde dafür bischen Geld ausgeben, auch wenn mir klar ist, dass ich dadurch unser tolles Rechtssystem unterminiere.

        1. Auch das geht ganz ohne Blockchain einfacher, schneller, billiger und schon lange.

          Man kann in jedes Essen auch etwas Koks reintun, aber idR ist das kontraproduktiv. Blockchain ist genauso.

  8. Ich finde den Vorschlag eines übergeordneten Kontroll-Gremiums, dass für die Auswertung der Aufnahmen zuständig ist sehr sinnvoll.

    Die Kameras könnten immer eingeschaltet sein und müssten nach dem Einsatz abgegeben werden. Die Kontrollinstanz ist dann dafür zuständig die Daten überhaupt erst auszulesen, wenn eine mögliche Straftat gemeldet wurde, von wem auch immer. Ansonsten löschen sich die Daten automatisiert nach einer festgelegten Frist. Kein hochladen auf zentrale Server und keine Möglichkeit der Manipulation der Datei, da die Hardware selbst gelagert wird.

    1. Das wird sich in der Praxis schwierig gestalten, da nicht alle Straftaten zeitnah gemeldet werden. Welcher Zeitraum soll also auf den Kameras gespeichert bleiben? 3 Tage? 5 Tage? 14 Tage? 4 Wochen? (Hat die Kamera dafür überhaupt genug Speicherplatz?)
      Auch ein dauerhafter An-Zustand der Bodycams ist nicht ohne Probleme …

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.