BayernVerfassungsschutzgesetz verstößt teilweise gegen das Grundgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat viele der Überwachungsbefugnisse im bayerischen Verfassungsschutzgesetz beanstandet. Eine Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner, Kommunikationsdatennutzung und andere Befugnisse des Ländergeheimdienstes hatte in weiten Teilen Erfolg. Bayern muss nun nachbessern.

Flagge der VVn-BdA auf einer Gedenkveranstaltung
Beschwerdeführer waren Mitglieder des VVN-BdA. Der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten wurde jahrelang vom bayerischen Landesverfassungsschutz beobachtet. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / aal.photo

Weite Teile von Überwachungsbefugnissen des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes sind verfassungswidrig, urteilt das Bundesverfassungsgericht, darunter auch Regelungen zu Staatstrojanern. Die Entscheidung des Gerichts bezieht sich auf eine Beschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) aus dem Jahr 2017.

Die Organisation für strategische Klagen ging gegen mehrere Punkte des neuen bayerischen Verfassungsschutzgesetzes vor, das 2016 in Kraft getreten war. Dadurch erhielt der Landesgeheimdienst etwa die Möglichkeit, auf Vorratsdaten zuzugreifen. Kritiker:innen wie die bayerische Abgeordnete Katharina Schulze (Grüne) kritisierten das als Verletzung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten.

Beschwerdeführer sind drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist:innen. Der Verein wurde jahrelang im bayerischen Verfassungsschutzbericht aufgeführt und beobachtet. Erst im jüngsten vorgestellten Bericht zum Jahr 2021 blieb eine Erwähnung aus.

Vorratsdaten, Staatstrojaner, V-Personen

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Kommunikationsdatenerhebung und weitere Regelungen in dem Gesetz, darunter auch die Möglichkeit zum Einsatz von Staatstrojanern und von Verdeckten Mitarbeiter:innen und V-Personen. „Wir müssen verhindern, dass unverhältnismäßige Überwachung unbescholtener Menschen durch Geheimdienste wie jetzt in Bayern Schule macht“, sagte der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer. Die Freiheitsrechtler:innen fürchteten, dass andere Länder die bayerischen Regelungen als Vorbild nehmen könnten, um die Befugnisse ihrer Geheimdienste ebenfalls auszuweiten.

Das Bundesverfassungsgericht bewertet in seinem Urteil die Vorschriften zur sogenannten Online-Durchsuchung, also der verdeckten Durchsuchung von Geräten durch Staatstrojaner, als verfassungswidrig. Bei den Befugnissen zur Auswertung der Daten sei der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht ausreichend geschützt. Außerdem dürfe ein solcher Staatstrojaner-Einsatz nur durchgeführt werden, um eine „mindestens konkretisierte Gefahr im polizeilichen Sinne“ abzuwehren. Diese Begrenzung auf konkrete Gefahren leiste das Gesetz derzeit nicht.

Beim Zugriff auf Vorratsdaten von Diensteanbietern verstoße das Gesetz gegen das Gebot der Normenklarheit. Die Vorschrift verstoße gegen das Fernmeldegeheimnis, „weil sie zum Datenabruf ermächtigt, ohne dass die betroffenen Diensteanbieter nach Bundesrecht zur Übermittlung dieser Daten an das Landesamt verpflichtet oder berechtigt wären“. Den entsprechenden Paragrafen deklariert das Gericht als nichtig, er gilt damit nicht mehr. Bei den anderen beanstandeten Vorschriften wie etwa der Ortung von Personen, dem Einsatz von Verdeckten Mitarbeitenden und der Online-Durchsuchung haben die bayerischen Gesetzgeber nun bis Juli 2023 Zeit nachzubessern.

„Urteil strahlt in die ganze Republik aus“

Bijan Moini, Prozessbevollmächtigter der GFF, sieht in der Entscheidung des Gerichts das erhoffte Grundsatzurteil: „Dieses Urteil strahlt in die ganze Republik aus“, so Moini in einer Pressemitteilung. „Denn viele andere Verfassungsschutzbehörden in den Ländern und im Bund haben ähnliche Befugnisse. Sie müssen nun ihre Gesetze kritisch prüfen und überarbeiten.“

Neben dem bayerischen Verfassungsschutzgesetz reichte die GFF 2020 auch Beschwerde gegen Regelungen aus Hamburg ein, auch dort bekam der Länder-Geheimdienst die Befugnis zum staatlichen Hacken.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte das Urteil. Auf Twitter bezeichnete er das Urteil als „klares Signal für die Stärkung der Bürgerrechte, gerade auch im digitalen Raum“. Die Entscheidung gebe der Bundesregierung „Rückenwind für das Programm unseres Koalitionsvertrages“. Darin haben sich SPD, Grüne und FDP etwa vorgenommen, zu prüfen, ob der Bundesverfassungsschutz weiter Überwachungssoftware nutzen darf. Außerdem sollen die Eingriffsschwellen für deren Einsatz hochgesetzt werden.

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7 Ergänzungen

  1. Unsere Demokratie wäre ohne das Bundesverfassungsgericht nicht mehr viel wert.

    Was mehr als ärgerlich ist, sind die Praktiken jener Gesetzgeber, die sich nicht an den Rahmen der geltenden Verfassung halten wollen, sondern ihren Ambitionen entsprechend „mehr“ erreichen wollen, als zulässig wäre.

    Diese kreative Praxis juristischer Gestaltung jenseits der Rechtsstaatlichkeit ist seit Jahren (2001-09-11) state of the art. Und es ist mittlerweile ein ärgerlicher Erfahrungswert, dass Exzesse der Gesetzgebung in Jahre dauernden, und Kräfte bindenden Auseinandersetzungen diese Fehlentwicklungen wieder rückgängig gemacht werden müssen.

    In diesem Fall hat es sechs Jahre gedauert, bis das Bundesverfassungsgericht bayrischen Hardlinern hinterher gewischt hat. In diesen sechs Jahren konnte agiert werden, obwohl es nicht durch die Verfassung eigentlich nicht gedeckt war. Das ist eine schändliche Praxis, aber genau das nehmen jene Akteure wohl wissend inkauf, denn sie wissen, dass mehrere Jahre braucht bis korrigierende Urteile verkündet werden können.

    Ich möchte mit großem Ernst anregen, über Sanktionierungen für jene nachzudenken, die verfassungswidrige Gesetzte verabschieden. Hierbei sind notorische Wiederholungstäter hinreichend bekannt.

    Wer Grenzen der Verfassung ändern möchte, der soll sich bitte um die dafür notwendige Mehrheit im Bundestag bemühen. Aber Gesetzgebung zu betreiben, die sich stillschweigend darüber hinweg setzt, das darf in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht geduldet werden.

    1. Ich gebe 100% Zustimmung.
      Ich habe hier in diesem Zusammenhang schon öfters die „Graphe paranomon“ erwähnt, die das antike Griechenland kannte. Das war im Grunde eine frühe Form der Verfassungsklage (bzw. Normenkontrollklage) – mit einem kleinen Unterschied zum modernen Deutschland: „Hatte die Klage Erfolg, hatte dies nicht nur die Aufhebung des angegriffenen Gesetzes oder Beschlusses zur Folge, sondern auch eine Sanktion gegen denjenigen, der es vorgeschlagen hatte.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Graphe_paranomon#Rechtsfolgen)

      1. @Mr.Tea
        Ganz herzlichen Dank für den doch sehr aufschlussreichen Wikipedia Artikel.

        Es ist wohl an der Zeit, graphē paranomōn in modernem Gewand wieder zu beleben, möglichst mit einem Veto, das die Inkraftsetzung aussetzt, bis zu einer Klärung des Einwands der Verfassungswidrigkeit.

        Vermutlich wird es eine Petition brauchen, damit darüber überhaupt beraten wird.

        Jedem sind Redewendungen bekannt, wie „eine Klatsche aus Karlsruhe …“, doch solche Klatschen bewirken keinerlei Hautrötung noch sonstige Konsequenzen für die treibenden Kräfte. Ganz im Gegenteil, sie klopfen sich auf die Schulter und bekräftigen sich grinsend vor der Tür des Sitzungssaales gegenseitig: „Immerhin hatten wir sechs gute Jahre.“

        1. Na, das is mal interessant: (Zitat aus verlinktem Wiki-Artikel): „Sobald jemand unter Eid ankündigte, er werde eine solche Klage anhängig machen, war das Gesetzgebungsverfahren oder der Beschluss bis zur Entscheidung über die Klage suspendiert.“
          Damals war man echt schon schlauer. Heutzutage darf man soclhe Gesetze einfach verabschieden und dann jahrelang nach (grund)rechtswidrigen Gesetzen gehandelt werden bis Karlsruhe ein Urteil verkündet (und selbst dann gibt es oft noch großzügige „Übergangsfristen“ die den rechtswidrigen Zustand weiterdulden).
          Ja, eigentlich gibt es da noch den Bundespräsidenten als „Hüter der Verfassung“, aber sind wir mal realistisch, das klappt seit 2001 nicht mehr so gut (Neuland, etc.).

  2. Was bedeutet das Urteil im Hinblick auf Gesetze anderer Bundesländer und des Bundes?

    1. „Es müssen wahrscheinlich der Bund und alle Länder ihre Gesetze ändern“ sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in Karlsruhe. „Denn es gibt nach meiner Kenntnis kein einziges Gesetz, das all diesen Vorgaben, die heute formuliert worden sind, entspricht.“

      Das buchdicke Urteil ist letztlich die neue Bibel für den Verfassungsschutz.

      https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/04/rs20220426_1bvr161917.html

      Ich fürchte, dass andere Bundesländer auf Zeit spielen werden. Ohne weitere Klagen wird sich auch dort nichts ändern.

  3. Der auch hier als Richter beteiligte Präsident des Gerichts, Harbarth, hat selbst das damalige, später für illegal erklärte BND-Gesetz durchs Parlament drücken helfen, als er ca. drei Jahre zuvor noch CDU-Abgeordneter war.
    Natürlich hat er damals die Argumente gegen sein Gesetz schon gehört, wurden ihm unter die Nase gerieben, u.a. von netzpolitik.org.
    Dennoch wurde es durchgepeitscht …
    Als Präsident des Gerichts musste er selbst das Urteil gegen sein Gesetz verlesen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.