EU-GeneralanwaltKlares Nein zur deutschen Vorratsdatenspeicherung

Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs erteilt in seinen Schlussanträgen der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine Absage. Und macht deutlich, dass das auch allen längst klar sein müsste.

Landesflaggen und Schild des Europäischen Gerichtshofs
Muss wieder über Vorratsdatenspeicherung entscheiden: der Europäische Gerichtshof – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Patrick Scheiber

Der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona am Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheint genervt. Es geht, mal wieder, um die Vorratsdatenspeicherung. Gerichte aus Deutschland und Irland hatten dem EuGH Fragen zur Speicherung von Verkehrsdaten vorgelegt. In Deutschland geht es um die Klagen von Telekom und dem Provider Spacenet gegen die Bundesnetzagentur. Die Grundfrage: Sind die nationalen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung mit EU-Recht vereinbar?

In seinen Schlussanträgen vertritt Sánchez-Bordona die Auffassung, dass die Antworten bereits in der Rechtsprechung des EuGH gegeben sind oder zumindest „unschwer aus ihr abgeleitet werden könnten“, heißt es in der Pressemitteilung des EuGH. Eine deutliche Ansage an die Gesetzgeber, die doch offenbar wider besseren Wissens auf nationaler und EU-Ebene immer wieder versuchen, eine Vorratsdatenspeicherung in leicht umgefärbten Gewand einzuführen. Hier ein bisschen kürzer, da ein bisschen spezifischer. Nur damit die Regelungen nach langwierigen Gerichtsverfahren wieder kassiert werden.

Nein. Wirklich nein.

Es ist längst nicht der erste Fall, in dem das EU-Gericht zu den Regelungen der Mitgliedstaaten Stellung bezieht. Das Ergebnis lautete jedes Mal: Nein, eine anlasslose, massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat geht nicht. Wirklich nicht. Zuletzt gab es dazu Urteile zu den Regelungen aus Großbritannien und Frankreich. Laut EuGH sei zu erwarten gewesen, „dass der Debatte damit ein Ende gesetzt wurde“. Doch, so geht es in der Aussendung ungewöhnlich konsterniert weiter, „scheint die Debatte noch kein Ende gefunden zu haben.“

Zu den deutschen Fällen stellt der Generalanwalt fest, dass sich die gesetzliche Regelung einer „allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf eine große Vielzahl von Verkehrs- und Standortdaten erstrecke“. Dass der Gesetzgeber die Speicherung zeitlich beschränkt hat, reiche nicht aus, denn grundsätzlich dürfe eine Speicherung nur selektiv erfolgen. Das heißt: In konkreten Fällen, bei einem konkreten Verdacht und nicht eben, wie das Wort schon sagt: auf Vorrat ohne guten Grund. Das ginge nur, so heißt es zum irischen Fall, wenn es um den Schutz der nationalen Sicherheit gehe. Der Zugriff auf die Daten bedeute immer einen „schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Familien- und Privatleben sowie den Schutz personenbezogener Daten“.

Die Schlussanträge des Generalanwalt sind nicht bindend, sie geben jedoch meist einen guten Ausblick darauf, wie das Urteil des EuGH ausfallen wird. Und so richtig überraschen dürfte es, nach all der Wiederholung, auch niemanden. Immerhin liegt die deutsche Regelung schon seit Jahren auf Eis.

Zukünftige Regierung sollte sich von der Vorratsdatenspeicherung verabschieden

Die Ampel-Koalitionsverhandler stritten zuletzt laut einem Bericht des Handelsblatts über eine Weiterführung der Vorratsdatenspeicherung. Die SPD wolle sie nicht aufgeben und begründete das mit dem Kampf gegen Kindesmissbrauch. FDP und Grüne hielten sie für verfassungswidrig.

Der Verband der Internetwirtschaft eco, der die Klage von Spacenet unterstützt, nennt die Schlussanträge einen „wichtigen Meilenstein für das Ende der Vorratsdatenspeicherung“ und fordert die künftige Regierung auf, für Datenschutz und Grundrechte einzustehen.

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19 Ergänzungen

  1. „Und macht deutlich, dass das auch allen längst klar sein müsste.“

    Wirklich allen? Nein! In einem kleinen Ministerium in Berlin gibt es [noch] unbeugsame Grokodile denen nichts klar ist, und die gerne auch nochmal mit neuem Anlauf versuchen würden mit dem Kopf durch die Wand zu rennen.

    1. Man warnt uns gerne, dass die Gefahr für unsere Grundrechte von den Extremisten links oder rechts käme – dabei ist die Gefahr _auch_mitten_unter_uns. Es sind jetzt schom zig Jahre in denen die Zurschaustellung tiefster Miss- und Verachtung gegenüber Verfassung und Grundrechten durch sogenannte „Sicherheitspolitiker“ und Akteure aus polizeilich-geheimdienstlichem Spektrum ganz offen zutage treten!

    2. Das ist denen absolut klar, es interessiert sie aber nicht. 2016, 2018, 2020, Ende 2021, es wird der naechste Anlauf kommen und 2023 das naechste Urteil. Die haben alle Zeit und alles Geld der Welt, das immer weiter zu versuchen.

      1. Das schlimme ist ja, dass diese Politiker tatsächlich denken man müsste nur oft genug Versuchen ein Grundrecht so weit zu stutzen, dass man es als abgeschafft ansehen kann, um am Ende Erfolg damit zu haben. So ein Verhalten wirft einen sehr dunklen Schatten auf das Demokratie- und Freiheitsverständnis dieser „Mächtigen“, und auch auf unsere Zukunft.

  2. Ganz andere Töne hörte man noch gestern von Horst Seehofer anlässlich einer Veranstaltung zu einem BKA-Jubiläum (Quelle: phoenix live Schalte).

    Das Wort „Vorratsdatenspeicherung“ wurde mehrfach explizit benutzt und selbige weiterhin unbeirrbar gefordert. Begründet hat er dies im Zusammenhang mit „Kinderpornografie“.

    Die letzte Bastion der CSU-Hardliner, die noch etwas zu sagen hat, sitzt im EU-Parlament, wenngleich Seehofer es nicht versäumt hat , zu betonen, dass seine Forderung auch von den ihm bestens vertrauten Ampel-Mitgliedern weiter beharrlich verfolgt werden wird.

    1. Die Politikwelt kann damit leben, unzählige und auch zahllose fähige Fachkräfte mit solchen und ähnlich bösen Vorhaben Jahrelang in Beschlag genommen, demotiviert und sandpapiert zu haben.

      Bis zu dem Tage, an dem der Dingswieheißtdas, und dann träumen die davon.

    2. Die SPD war und ist stolz darauf, bei Polizei und Geheimdiensten die CDU/CSU rechts zu überholen.

      Von den Terrorgesetze im Otto-Katalog, die nie evaluiert und trotzdem entfristet wurden, bis zum Hamburger Folterrod durch Brechmittel in Verantwortung des vermutlich nächsten Kanzlers.

      Wer hat uns verraten?

  3. Der EUGH in Luxemburg = best court of justice ever !!!
    Es wird vielleicht nie wieder und nirgendwo einen so grandiosen multinationalen, die Verfassungs-Grundrechte, als Lektion unserer Geschichte, verteidigenden, in jedem Wortsinn: guten Gerichtshof geben, –
    ich mag Vieles an der EU, aber das allerkostbarste ist wirklich dieser EUGH.

    1. > ich mag Vieles an der EU, aber das allerkostbarste ist wirklich dieser EUGH.

      Eine Einschätzung, die nicht selten ist. Doch die Frage ist, warum Institutionen dieser Art um Längen besser arbeiten, als etwa Regierungen oder der Politikbetrieb im Allgemeinen.

      * Justiz hat ein ausgefeiltes Regelwerk nebst Verfahren.
      * in Spruchkammern wird kollegial zusammengearbeitet, trotz unterschiedlicher Auffassungen.
      * bevor verkündet wird, wird hart und lange gearbeitet
      * Grundlage ist ein umfassendes Fachwissen und langjährige Berufserfahrung.
      * Justiz ist ein System mit Fehlerkorrektur, auch wenn es relativ träge ist.

      Man möge diese Aspekte (kein Anspruch an Vollständigkeit) vergleichen mit der Art und Weise, wie Politik funktioniert bzw. wie dort Führungspersonal gewonnen wird.

      1. Die Politik verhält sich ja auch vielfach wie ein großer Kindergarten voller egomanischer Idioten. Es werden Änderungsanträge abgeleht, weil die ja von der Oposition kommen. Auch Einschätzungen von Experten (z.B. den wissenschaftlichen Dienst) werden bewusst ignoriert, was auch oft genug zu Entscheidungen führt, die nichtmal aus Sicht der Entscheider Sinn machen.

        Die Aussagen von Marco Bülow in diesem Interview sind auch sehr erschreckend.
        https://www.youtube.com/watch?v=Y1GSyum3gpo

        Generell besteht auch ein großes Problem darin, dass Fehler sofort als negativ für die entscheidenen Personen angesehen werden.
        Fehler sollten meiner Ansicht nach nicht grundsätzlich als schlimm angesehen werden. Wir sind alle nur Menschen und machen Fehler. Wenn allerdings Fehler solange geleugnet oder ignoriert werden, bis daraus dann weitreichende Probleme erwachsen, nur weil man einen Fehler nicht zugeben will, sollten daraufhin harte Konsequenzen folgen. Natuerlich gibt es aber auch einzeln Fehler die schon an sich nicht tollerierbar sind.

        Ich sehe auch Stärke in der Fähigkeit, Fehler zu erkennen und dann diese zu lösen. Es wäre wirklich schön, wenn Verheimlichung, bzw. Ignoranz gegenueber Problemen, endlich als das angesehen wird, was es ist, Inkompetenz oder Korruption.

  4. Ich meine mich zu erinnern, dass zumindest einige in der SPD damals ihre Zustimmung mit dem Koalitionsvertrag begründeten (sorry, ich finde gerade keine gute Quelle. Nicht schwer zu finden sind die Tatsachen, dass die VDS im Koalitionsvertrag stand, dass die SPD sich auch dagegen ausgesprochen hat und dass die SPD am Ende zugestimmt hat), obwohl „niemand in der SPD“ die VDS wolle.
    Das an sich finde ich schon absurd, aber es wird nochmal schlimmer, wenn die SPD jetzt an der Vorratsdatenspeicherung festhält und dabei das unsinnige Narrativ der Befürworter mit Kindesmissbrauch übernimmt. Jetzt wäre wirklich die beste aller Gelegenheiten, sich von der VDS abzuwenden, ohne dass es jemand der SPD übel nehmen könnte (verfassungswidrig, untauglich, Koalition dagegen, wollten wir eigentlich eh nie haben …). Das ist verlogen und zeigt, dass die SPD nicht „mit Bauchschmerzen ausversehen“ für die falschen Sachen stimmt, sondern dass das Überzeugungstäter sind. Wer hat die eigentlich gewählt?

  5. Ich kann in den allgemeinen Jubel nicht einstimmen. Der EuGH wird meiner Meinung zu unrecht heroisiert.

    Das Zauberwort ist „Schutz der nationalen Sicherheit“. Der EuGH liefert der nationalen Politik hier auf dem Silbertablett den Hebel, mit dem sich die Vorratsdatenspeicherung völlig rechtskonform durchsetzen lässt. Die nationale Sicherheit wird rein national definiert, so dass jede Regierung genügend Möglichkeiten finden wird, auf Vorrat zu speichern. In Frankreich wird die terroristische Bedrohung im Vordergrund stehen, in Italien vielleicht das organisierte Verbrechen, in Deutschland vielleicht die Bedrohung der Demokratie durch Querdenker. Es ist reichlich Spielraum vorhanden. Der EuGH wird niemals die politische Einschätzung der Mitgliedsstaaten selbst in Frage stellen, welche Art von Bedrohung vorliegt.

    1. Die „Erlaubnis“ zu zwecken der nationalen Sicherheit schließt dann aber immer noch die Verwendung zu anderen Zwecken (z.B. gewöhnliche/alltägliche Strafverfolgung) aus. Aber genau das ist ja das Ziel der VDS: am Ende auch gegen Parksünder angewandt werden zu können.

      1. @ MRT

        Das ist leider richtig. Es wird am Ende so laufen wie mit dem Bundesverfassungsgericht: Wenn es hart auf hart kommt, werden Gerichte von Politik & Behörden nicht ernst genommen. Kinderpornographie, organisierte Kriminalität, künftig auch Umweltverbrechen – es wird immer Themen mit Empörungspotenzial geben, mit denen die Politik ihre Wünsche durchdrücken kann. Und die „forbidden fruit“ war in Deutschland leider noch nie ein Hinderungsgrund.

    2. Aber der EUGH spricht mir aus der Seele mit diesem Teil von Annas Berichterstattung: „Eine deutliche Ansage an die Gesetzgeber, die doch offenbar wider besseren Wissens auf nationaler und EU-Ebene immer wieder versuchen, eine Vorratsdatenspeicherung in leicht umgefärbten Gewand einzuführen. “ => was ist los mit unseren nationalen Gesetzgebern, warum denken sie immer wieder und wieder über den Grundrechten stehen zu dürfen ?

      Und ein etwas das Theam wechselndes P.S.: Max Schrems & der EUGH haben gezeigt, dass sie sich anders als andere nicht von eingeschleiften bequemen Gewohnheitsrechten und mächtigen Lobbies an fairer Rechtsprechung hindern lassen. Da ist durchaus ein Stück kostbarer Unabhängigkeit, ohne double standard, vielleicht weil es ein multinationales, also diverses, Gremium ist – ich bleibe bei meiner Begeisterung! : )

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