Debatte um DigitalministeriumAnkommen in der Gegenwart

Die FDP will eins, die CDU auch. Die Grünen wollen die Digitalisierung weiter vom Kanzleramt aus koordinieren und die SPD weiß nicht recht. Braucht Deutschland wirklich ein Digitalministerium?

Bundeskanzleramt Detailaufnahme
Bisher koordiniert eine Unterabteilung im Bundeskanzlerinnenamt das Digitale. FDP und CDU reicht das nicht. CC-BY 2.0 Alexander Hüsing

Es gibt diese Debatten, bei denen man den Eindruck hat, sie würden schon seit Jahren immer wieder entlang des gleichen Skriptes geführt. Die Debatte um ein Digitalministerium, die Notwendigkeit oder Unsinnigkeit eines solchen, ist eine dieser netzpolitischen Endlosschleifen. Bereits nach der vergangenen Wahl wurde darüber gestritten, dann gab es stattdessen mit Dorothee Bär (CSU) eine Digitalstaatsministerin ohne Budget, eine Abteilung für Digitales im Kanzlerinnenamt, und mit Helge Braun (CDU) einen als Digitalkoordinator sichtbaren Kanzleramtsminister. Außerdem einen Digitalrat, der die Bundesregierung beraten sollte.

Zum gewünschten Effekt hat es nicht geführt. Deutschland liegt in so ziemlich allen internationalen Vergleichen auf den letzten Plätzen unter den Industrienationen. Innerhalb der EU hängen nicht nur Estland und Dänemark, sondern auch Spanien, Irland, Malta und die Niederlande die Bundesrepublik ab. In Dänemark kann man inzwischen online heiraten und sich wieder scheiden lassen, Mausklick reicht. Ob Rentenantrag, Ummeldung oder Kitaplatz, all das läuft dort digital. Behördenpost auf Papier gibt es nicht mehr.

In Deutschland ist dagegen vor allem die Liste der zuletzt gescheiterten Digitalprojekte beeindruckend. Die App, die den digitalen Führerschein aufs Smartphone bringen sollte, wurde wegen Sicherheitslücken kurz nach dem Launch schon wieder aus dem App-Store genommen. Die Notruf-App Nora ebenso, die Server waren wegen „hoher Nachfrage“ überlastet. Und das E-Rezept, das auf der elektronischen Patientenakte basieren sollte? Am Tag vor dem Launch von der dafür verantwortlichen Gematik abgeblasen, wohl um eine öffentliche Blamage zu verhindern. Das ist nur ein Auszug der vergangenen drei Wochen.

„Aus den 80ern gefallene Idee“

Es läuft also nicht gut, doch die Ansichten dazu, wie es besser laufen soll, gehen auseinander. Auch unter den Parteien, die nun in den Sondierungsgesprächen für eine neue Regierung sitzen. Die FDP fordert schon lange ein Digitalministerium. „Die Bundesregierung braucht ein Digitalministerium, um Verwaltung und Netzinfrastruktur zu modernisieren“, sagt Parteichef Christian Lindner. Auch der FDP-Digitalpoltiker Manuel Höferlin glaubt, dass nur ein eigenes Ministerium verhindern könne, dass Projekte weiter zwischen den einzelnen Ressorts versanden.

Die Grünen wollen dagegen alles Digitale weiterhin vom Kanzlerinnenamt aus steuern – dort allerdings mit mehr Personal und Budget ausstatten. Das hatte Kanzlerkandidatin Anna-Lena Baerbock im Wahl-Triell nochmal deutlich gemacht. Auch der Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz äußerte sich skeptisch. „Das Symbol alleine hilft uns nicht, es geht um Entscheidungsstrukturen am Kabinettstisch“, sagte er bei einer Veranstaltung des IT-Verbandes Eco. Kategorisch gegen ein Ministerium sei er aber auch nicht.

Am wenigsten festgelegt scheint derzeit die SPD. Die Frage nach einem Digitalministerium sei „nicht so einfach zu beantworten“, sagte Parteichefin Saskia Esken zuletzt. Das klang lange Zeit noch anders, denn gerade die sozialdemokratische Digitalexpertin hatte in der Vergangenheit massiv gegen ein Ministerium geschossen. Eine „aus den 80er-Jahren gefallene Idee“ sei das, sagte sie im vergangenen Jahr dem Handelsblatt, und plädierte weiter dafür, Vorhaben im Digitalkabinett zu koordinieren. Inzwischen scheint auch sie nicht mehr kategorisch dagegen.

Digitalfragen haben keine Priorität

Warum hinkt Deutschland in der Digitalisierung überhaupt so hinterher? Das Thema sei sehr wohl in den Ministerien angekommen, sagt Jeanette Hofmann, Leiterin der Forschungsgruppe „Politik der Digitalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Jedes Ministerium habe dafür inzwischen eigene Abteilungen aufgebaut.

„Was wir aber festgestellt haben: Die Abteilungen im Ministerium unterwerfen die Digitalfragen immer dem dominanten Interesse des Ministeriums.“ Im Falle des Innenministeriums sei das etwa Sicherheit, im Wirtschaftsministerium das Schicksal mittelständischer Unternehmen. Das Hauptproblem an diesen so genannten schlanken Lösungen: „Das Digitale wird so immer zum Instrument für etwas Drittes, es genießt keine Priorität.“

Vor einigen Jahren plädierte Hofmann aus diesem Grund selbst noch für ein Ministerium. Im Falle des Umweltministeriums habe man etwa gesehen: „Zum echten Schutzgut wurde das Thema erst, als auch ein entsprechendes Ministerium dahinter stand.“

Ebenso gute Argumente dafür wie dagegen

Inzwischen sei ihre Position viel weniger klar. „Es sprechen heute ebenso viele gute Gründe dafür wie dagegen“, sagt Hofmann. Am Ende gehe es um eine Abwägung der Vor- und Nachteile und die Frage, was man höher hängt. „Wenn einem wichtig ist, einen Ort zu haben, an dem große digitalpolitische Strategien entwickelt werden, dann geht das in so einem Ministerium sicher besser als in einer kleinen Abteilung im Kanzleramt. Wenn man denkt, morgen muss es losgehen, dann spricht alles gegen ein Ministerium.“

Denn der Aufbau einer solchen Institution dauert an sich schon zwei bis drei Jahre, davor warnen auch viele der Kritiker:innen bei SPD und Grünen. Es müssen erst Abteilungen und Personal aus anderen Ministerien zusammengezogen werden. Wertvolle Zeit, die man jetzt nicht mehr verlieren dürfe.

Hofmann sieht noch ein weiteres Risiko: „Ich fürchte, dass man einen Papiertiger schafft.“ Ein Ministerium, das den großen Erwartungen nicht nachkommen können wird, weil andere Ministerien jetzt schon darauf hinweisen, dass sie nicht dazu bereit sind, ihre mühsam aufgebauten Abteilungen und Mitarbeiter:innen herzugeben. „Die Frage ist: Wie viele Ressourcen und Entscheidungsmacht würde so ein Ministerium überhaupt bekommen?“ Ein starkes Ministerium in der jetzigen Logik brauche Verhandlungsmacht, bis hin zum Vetorecht wie es etwa das Finanzministerium hat. Wenn es im Konzert der Ressorts nur eine schwache Stimme hat, würde man wieder Jahre verlieren.

Wenig Ahnung, viel Beratung

Braucht es überhaupt eine zentrale koordinierende Stelle oder hakt es eher an der mangelnden Kompetenz in den einzelnen Ministerien? Digitalpolitik, das ist schließlich alles von der Cybersicherheit im Verteidigungsministerium bis zur elektronischen Patientenakte im Gesundheitsministerium.

Die Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann, die sich zuletzt kritisch mit Digitalprojekten der Bundesregierung beschäftigt hat, sagt deshalb, im Grunde brauche man eine „krasse Internalisierung der Digitalkompetenz in jedem Haus.“ Das Problem aus ihrer Sicht: „Der Fachkompetenzmangel in der Verwaltung, also das Menschen dort IT-Projekte leiten, die eigentlich keine Ahnung haben, was sie da tun. Sondern für die das halt nur das nächste Projekt ist.“ Es hake zu oft hier im Maschinenraum der Ministerien bei der Umsetzung der Projekte. So lande man dann bei externen Beratungshäusern, die alles von der Ausschreibung bis zur Projektsteuerung machten oder wiederum an Firmen mit mangelnden Kompetenzen vergeben. Und am Ende komme dann ein teures und kaputtes Projekt raus.

Auch Jeanette Hofmann sieht diese Probleme. „Beim Projektmanagement tut sich die deutsche Verwaltung schwer. Das kann man nicht und dann wird das nach außer verlagert und man wird von Dritten über den Tisch gezogen.“

Fehlende Vorbilder

Vorbilder für funktionierende Digitalministerien findet man schwer, zumindest in den EU-Ländern, die es besser machen. Dänemark etwa, wo die Verwaltung vorbildlich durchdigitalisiert ist, hat zum Beispiel keins. Dort koordiniert seit 2011 eine Digitalisierungsbehörde die neuen Lösungen – sie ist Teil des Finanzministeriums. „In vielen erfolgreichen Länder, gerade in Skandinavien oder Österreich, sieht man, dass das Digitale an ein starkes anderes Ministerium angegliedert ist, also sei es Wirtschaft oder Finanzen. Entscheidend ist nicht die institutionelle Verankerung, sondern der politische Wille zur Umsetzung“, sagt auch Ralph Müller-Eiselt von der Bertelsmannstiftung im Deutschlandfunk. Wichtiger als die Einrichtung eines eigenen Ministeriums scheint eine klare Digitalstrategie zu sein, zu diesem Schluss kommt auch eine Expertise der Stiftung.

Für die Parteien hat die Forderung nach einem Digitalministerium damit vor allem einen entscheidenden Vorteil: Es klingt so, als würde sich endlich  jemand um das Thema kümmern. Für eine Bevölkerung, die in zwei Jahren Corona die Mängel der deutschen Digitalisierung eindrücklich vor Augen geführt bekam, ist das ein verlockendes Versprechen. Ob es auch die Probleme lösen wird, ist eine andere Frage. Am Ende, sagt Hofmann, spüre man vor allem eine große Sehnsucht nach Kompetenz und einer koordinierenden Autorität. Ob diese in einem Digitalministerium gebündelt wird, ist dann Abwägungssache.

Aus Sicht der digitalen Zivilgesellschaft ist ohnehin eine andere Frage drängender: Seit Jahren kritisieren Nichtregierungsorganisationen, dass ihre Expertise zu wenig gehört wird. Ob man von mehreren Einzelministerien oder von einem einzigen Zentralministerium nicht eingebunden wird, macht aus dieser Perspektive keinen Unterschied. Wichtiger als die Organisationsstruktur wäre der Wille, den digitalen Wandel als gesellschaftpolitisches Projekt zu begreifen und ihn gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zu gestalten.

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21 Ergänzungen

  1. Ein neues Ministerium bedeutet zunächst einmal mehr Bürokratie – gern und oft die (Schein-)Lösung in Deutschland. Nun scheitert Digitalisierung in der Praxis aber sehr oft an zu viel *existierender* Bürokratie und Regulierung, siehe etwa Gesundheitswesen und Bankensektor. Einige möchten nun aber offenbar wieder den Lieblingsfehler vieler Bürokraten begehen: Fight fire with fire.

    Wie wäre es, statt dessen die schlimmsten Exzesse der Bürokratisierung zu bekämpfen und dann zu schauen, wie die Institutionen und Unternehmen darauf reagieren? Man müsste nur mal auf Arztpraxen/Krankenhäuser, Vereine, kleinere Unternehmen oder untergeordnete Behörden hören bzw. ihre Klagen ernst nehmen. Dann würde sich Digitalisierung vielerorts von selbst ergeben, ohne dass sie Bundespolitiker damit befassen müssen.

    Wichtig ist eine Änderung der Denkungsart in Deutschland, nicht noch mehr Symbolpolitik.

    1. Weil 86228 verschiende Ansaetze von Leute ohne Ahnung von skalierender Infrastruktur ganz sicher die Loesung bringen 8)

    2. Das sehe ich auch so. Wenn in der Pandemie-Zeit die Behörden bspw. Lehrern erklären, welche Tools sie alle NICHT benutzen dürfen, aber keine praktische Hilfestellung geben, was denn nun genutzt werden kann oder gar etwas bereitstellen, dann zeigt das doch genau das Problem.

      Es hakt immer noch beim Föderalismus, bspw. müsste geregelt werden, dass ein digitales Basisangebot in jeder Kommune zur Verfügung steht und eigene/andere Lösungen nur dann möglich sind, wenn sie besser als dieses garantierte Bundes-Mindestniveau sind. Alle haben immer besondere Anforderungen, aber die Umsetzung wird oft nicht geschafft – und das darf nicht zu Lasten der Bürger:innen gehen bzw. die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gefährden.

      Und wir müssen wirklich schnell was ändern, das Problem der Digitalisierung der Verwaltung wird immer größer: In Berlin sind ja schon die Paradedisziplinen der analogen Verwaltung – die Terminvergabe und die Verteilung von (Wahl-)Formularen – nicht mehr gewährleistet.

      1. @ Jens

        Genau. Deutschland und die Deutschen sind Weltmeister darin zu sagen, was alles nicht geht. Hier müssen wir ansetzen. Und genau das ist schwierig, denn es ist immer sehr einfach, „nein“ zu sagen: Kann nicht funktionieren, haben wir noch nie so gemacht, gefällt mir persönlich nicht, kann nicht im Interesse derjenigen sein, die sich dafür entscheiden. Das ist die deutsche Besserwisserei, die der Digitalisierung im Weg steht.

        1. Jens/Tim: Digitalisierung kann nur dann funktionieren, wenn die Entscheider Kompetenz in Sachen IT und deren Sicherheit samt echtem Datenschutz entwickeln bzw. vorweisen.

          Solange man sich aus falsch verstandener „Partnerschaft“ von den USA und den dortigen Konzerngrößen abhängig macht, Totalüberwachung zulässt und u. a. aus diesen Gründen den flächendeckenden Einsatz sicherer Open Source-Software samt alternativer, transparenter Betriebssystemen wie z. B. auf Linuxbasis ablehnt, wird man weder technisch vorankommen noch das Vertrauen derjenigen Bürger gewinnen, die sich der Digitalisierung verweigern, sei es privat oder behördlich.

          Da gibt es für die kommende Ampel-Regierung sehr viel zu tun bzw. zu reparieren, wo die bisherige auf ganzer Linie versagt hat.

          1. @Bit-te-1-Bit
            Dem kann ich zustimmen und möchte nicht missverstanden werden: Es geht mir nicht um das naive, bedingslose übernehmen von „US-Software“, sondern um deren pragmatische Nutzung bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen. Ich nutze (beruflich) ca. 4 Videokonferenz-Systeme, selbstverständlich könnte darunter auch eines auf Basis von Open Source Software sein. So wie ich beruflich Thunderbird für E-Mail nutze, aber an Outlook für Termine nicht vorbei komme. Einmal gab es auch eine (halb-berufliche) Videokonferenz mit problemloser Nutzung, aber eben auf ehrenamtlicher Infrastruktur von Freifunk, also engagierten Experten.

            Dein letzte Satz ist doch der Schlüssel: Ich würde sagen, wir müssen jetzt auch mithilfe von propritären Systemen dringend und in der Breite IT-Kompetenzen aufbauen, damit wir überhaupt souverän werden können und die Arbeit der OSS-„Einzelkämpfer“ überhaupt nutzen können.

  2. Die unerledigte Arbeit bereits bestehender Ministerien wird in neue Ministerien verschoben und bleibt dort wieder liegen.

  3. In der Wirtschaft verzichtet man auf Vorstände oder Stabsstellen für digitales, denn schließlich ist alles digital und überall muss eine entsprechende Denkweise implementiert werden.

    „In Dänemark kann man inzwischen online heiraten und sich wieder scheiden lassen, Mausklick reicht.“

    Witzig, ausgerechnet diese Verwaltungsdienstleistung will man in DE auf gar keinen Fall digitalisieren.

    „Ob Rentenantrag, Ummeldung oder Kitaplatz, all das läuft dort digital. Behördenpost auf Papier gibt es nicht mehr.“

    In DE haben wir zwischen 500 und 700 Datenbanken von verschiedenen Anbietern mit hunderten Versionsständen in jedem Rathaus, in den Kreishäusern noch mehr. Zuständig sind letztendlich die Bürgermeisterinnen und Landrätinnen. Wer will das migrieren? Hinzu kommt dass viele der kleinen Systemhäuser quasi ausschließlich als Dienstleister der Verwaltung arbeiten und als Schattenpersonalstamm dienen – und ein Wirtschaftsfaktor sind.

    Dann kommen so dämliche Regelungen iwe die der Zustellung aus der ZPO. In Estland gilt ein Brief dann als zugestellt wenn die Bürgerinnen die Information im Cockpit abrufen. Geschieht das nicht, ruht das Verfahren einfach. Man stelle sich die Unionsparteien vor wenn Gerichtsverfahren auch nach 30 Jahren noch ruhen weil Vorladungen als nicht zugestellt gelten.

    1. „In der Wirtschaft verzichtet man auf Vorstände oder Stabsstellen für digitales, denn schließlich ist alles digital und überall muss eine entsprechende Denkweise implementiert werden.“

      Du solltest Dich mal mit einem erfolgreichen CIO Deiner Wahl unterhalten, falls Du dessen Existenz nicht leugnen solltest 8)

  4. Dass es an IT-Kompetenz mangelt in der öffentlichen Verwaltung, wird nicht besser werden, wenn man nicht in Nachwuchs investiert. Der Staat gibt ohne Bedenken Milliarden für KI-Forschung aus, weil das ja irgendwie Zukunft und wichtig ist – wie wäre es mal mit ein paar Professuren, die sich mit der Digitalisierung von Prozessen nach aktuellen Datenschutzstandards auseinandersetzen? Ein paar Praktika, Werkstudentenstellen in den lokalen Behörden? Vielleicht lassen sich ja tatsächlich ein paar Überzeugungstäter:innen finden, wenn man zeigt, dass einem eine Lösung des Problems wichtig ist (und muss nicht zu Verzweiflungstaten wie übertariflicher Bezahlung greifen).

  5. Prinzipiell könnte man sicherlich die Koordinierung des Digitalen an eines der existierenden, wichtigen Ministerien hängen. Nur das Problem ist, dass ein Machtkampf zwischen BMF, BMI, BMVI, tw. BMVG und nun auch Bundeskanzleramt bei diesem Thema hier seit Jahren tobt. Man hat mehrmals versucht die Zuständigkeiten neu zu schneiden und es ist kaum besser geworden – trotz mancher sehr engagierter Personen, wie etwa dem CIO des Bundes, die die Zusammenarbeit sehr fördern. Ich bin der Ansicht, dass hier eigentlich schon zu viel verbrannte Erde ist. Wenn man dies dennoch tun würde, dann müsste dies sehr konsequent passieren, ohne wieder mal Lücken zu lassen welche die jeweils anderen Ressorts für sich nutzen würden.

    Leichter und Gesichtswahrender wäre dies mit einem neuen Ministerium, welches natürlich mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein muss. Konkrete, sehr gute Vorschläge für eine bereits ziemlich ausgereifte Governance und einen schnellen Start hat der Verein Next e.V. (er kümmert sich um die Ebenen-übergreifende Vernetzung der IT-Mitarbeitenden des ÖD) dazu erarbeitet.

  6. Wenn man etwas haben will, braucht es gute Gründe. Wenn einem Verlangen nachgeben soll, braucht es noch bessere. Zunächst sei daran erinnert, dass es z.B. in Deutschland schon lange ein Ministerium für Wirtschaft gibt, dass 2013 in Ministerium für „Wirtschaft und Energie“ umbenannt wurde. Lebenserfahrung zeigt, dass die Existenz von Ministeriens kein Garant dafür ist, dass sich deren Sachbereiche gedeihlich entwickeln. Man denke an das Verkehrsministerium dessen Minister, mit „stiff upperlip“ bekundet, „sein Job macht immer noch Freude und ich würde gerne weiter machen“.

    Bürger (sollten) fragen, ob ein Ministerium ihnen nützt – oder vielmehr anderen, aber nicht ihnen. Ein „Ministerium für Digitales“ braucht vorzügliche Gründe für seine Existenz. Eine lapidare wie flache Begründung, „wir müssen Digitalisierung vorantreiben“, reicht bei weitem nicht aus, beispielhaft sei der Problembereich „Energiewende“ genannt.

    Von Digitalisierung versprechen sich vor allem Unkundige in der Sache „Vereinfachung“, „Bequemlichkeit“, „Zeitersparnis“. Ein wenig naiv ist das schon, und deswegen eignen sich diese Versprechen gut. Und so werden sie unermüdlich von Wirtschaft, Lobbyisten und Politikern gerne der Bürgerschaft als Möhren vor die Nase gehalten.

    Vereinfachung hat ihren Preis. Bequemlichkeit hat ihren Preis. Und Zeitersparnis kommt auch nicht kostenfrei. Selbst wenn diese (gut versteckten) Kosten durch „Bequemlichkeit & Friends“ es wert wären, so ist das höchstens ein „Narrativ“ aber nicht die ganze Story. Wenn Digitalisierung als gefühlte Entlastung versprochen wird, handeln sich sämtliche Beteiligte („Stakeholder“) an anderer Stelle Probleme ein, die gravierend und hoch komplex sein können. IT-Affinen fallen sofort Problembereiche ein, vor welchen „die Bequemen (User)“ ihre Augen gerne unbekümmert verschließen.

    Man muss seit 2013 nicht mehr über Überwachung, Kontrolle und Cyber schwadronieren. Jeder kann das wissen, ein Wissen-Wollen selbstverständlich vorausgesetzt (sapere aude!). Gegenwärtig stehen höher im Kurs u.a. digital-bequeme Verlagerungen von Profiten in Steuer-Oasen, und ubiquitäres Data-Mining sowohl für Digital-Wirtschaft als auch Digital-Herrschaft, digitale Kriegsführung inbegriffen.

    Man möge sich selbst fragen, wie es um eine „durchdigitalisierte Gesellschaft“ stünde, wenn die dafür benötigte elektrische Energie schlicht nicht mehr ausreicht, oder gar länger als wenige Tage ganz ausfällt. Wenn digitales Bezahlen von einer Infrastruktur abhängig ist, die nicht ausfallen darf, was passiert genau dann, wenn Infrastruktur wegbricht? Für Stunden, Tage, Wochen … nach welcher Stunde schlagen wir uns dann unsere digitalen Köpfe ein?

    Die „Fraktion der Bequemen“ nennen das Phantastereien von Apokalyptikern. Kein Problem, alles wird gut!

    1. Also mit Hausdurchsuchungen bei IT-Dienstleistern, die im Auftrag eines Kunden eines anderen Anbieters einen Softwarefehler findet, von letzterem Anbieter ignoriert und nach Veröffentlichung angezeigt wird, würde ich sagen: NEIN.

      Kaputt, jetzt schon. Das trifft es eher.

      1. Ein Programmierer, der im Juni 2021 ein großes Datenleck bei der Firma Modern Solution entdeckte, wurde angezeigt, seine Firma von der Polizei durchsucht und Geräte beschlagnahmt.

        Potenziell waren von der Sicherheitslücke 700.000 Kun­d:in­nen bei großen Online-Marktplätzen wie Check24, Otto oder Kaufland betroffen. Transaktionen ließen sich bis zum Sommer 2018 einsehen inklusive Anschriften und dazugehöriger Bankverbindungen.

        https://taz.de/IT-Experte-wird-angezeigt/!5808171/

  7. Aus meiner beruflichen Praxis kann ich sagen: Wenn du Leute hast die den Job tatsächlich machen könnnen ist die Organisationsform relativ egal.

    Aber an den Fachkräften, die sowohl die Probleme verstehen als auch gelernt haben Lösungen anzubieten mangelt es (ein bisschen). (und über die Lohnsituation im öffentlichen Dienst / Behörden brauchen wir nicht erst anzufangen zu diskutieren …).

    1. Diese Leute haben und ihnen entsprechenden Einfluss geben.

      Die Arbeit mit grossen völlig inkompetenten Teilen von Politik und Verwaltungsspitzen tut sich fast nur noch an, wer ohne Rücksicht aufs Ergebnis seinen Gewinn optimieren kann. Sie wollen partout 5 sinnlose blockchains statt eines funktionierenden Designs? Kein Problem.

      1. Statt „Zweie gerade sein lassen“ sollte in der IT jetzt also „Fünfe Blockchain sein lassen“ der Leitspruch werden!

        1. Zitat: Statt „Zweie gerade sein lassen“ sollte in der IT jetzt also „Fünfe Blockchain sein lassen“ der Leitspruch werden!

          Trifft doch schon zu:
          >>>MIT EINER GEWISSEN WAHRSCHEINLICHKEIT.<<<

  8. Ein vorbildhaftes Beispiel für ein gut laufendes, kompetentes und wirkungsvolles Digitalisierungs-Ministerium scheint Taiwan zu liefern, zumindest den Medienberichten nach zu urteilen, die ich dazu gelesen habe. Im Rahmen der Berichterstattung über die taiwanesischen Corona-Maßnahmen wurde die Ministerin Audrey Tang mehrfach interviewt, und mein erster Eindruck -ohne weitere eigene Recherche- war sehr positiv. Auch wenn einige Maßnahmen recht kritisch sind in Sachen Datenschutz (Funkzellenabfrage, Verknüpfung von verschiedenen Datenbanken mit sensiblen Daten), scheinen die doch mit Kontrolle, Zugangsbeschränkung, enger Zweckbindung und Befristung einer demokratischen Kontrolle zu unterliegen.
    Die Ministerin vertritt das Motto „Hack Democracy“, und meint damit das gute Hacken, das Fehler findet und Verbesserungen vorschlägt und streamt ihre Meetings.

    Das kann/will ich mir bei der Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Dorothea Bär, irgendwie nicht vorstellen…

  9. Antwort an dieser Stelle zu „Jens sagt: (15. Oktober 2021 um 10:45 Uhr)“, da direkte Antwort oben nicht mehr einfügbar:

    Du schreibst im letzten Satz, man müsse proprietäre Software einsetzen. Falls du damit datensichere, womöglich sogar in Deutschland oder in der EU entwickelte meinst, stimme ich Dir zu. Ansonsten müsste bei Apple wie bei Windows u. a. ein grundlegender (!) Wandel hin zu datensicheren, überwachungsfreien Systemen erfolgen. Da dies aber nicht zu erwarten ist, müssen wir auf eigene Lösungen setzen. Und – da gebe ich Dir recht – hier liegt die Chance unserer neuen Regierung, dies so schnell, kreativ und unbürokratisch wie möglich umzusetzen bzw. durch kluge Köpfe umsetzen zu lassen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.