Wochenrückblick KW37Die Alarmglocken läuten (nicht)

Bei zielgerichteter Werbung ist doch nicht alles erlaubt, ein Journalist muss sich vor Gericht verantworten und der Warntag fiel für einige ins Wasser – weswegen einige ins Wasser fallen könnten. Die Themen der Woche im Überblick.

Ein Kalb steht auf einer grünen Wiese und blick in die Kamera.
Die großen Konzerne melken unsere Daten aus uns heraus. Doch die News der Woche zeigen, dass wir mit Protesten und juristischem Druck dabei nicht wehrlos sind. – Vereinfachte Pixabay Lizenz TheDigitalWay

Habt ihr euch eigentlich schon mal gefragt, warum netzpolitik.org so detailliert und unmittelbar von den netzpolitischen Geschehnissen auf EU-Ebene berichten kann? Ganz einfach: Wir haben da jemanden vor Ort. Unser Korrespondent Alexander Fanta behält seit zwei Jahren das Tun und Lassen der Europäischen Union aus nächster Nähe im Auge. Wie das Arbeiten so ist in unserem Brüsseler Büro berichtet Alex in der neuesten Ausgabe des Off-the-Record-Podcasts: Liebesgrüße aus Brüssel.

Der Rest der Redaktion sitzt weiterhin die meiste Zeit im Home Office, in Berlin oder auch ganz woanders. Das hindert uns aber nicht daran, Konzernen, Regierungen und Behörden auf die Finger zu schauen. Auch in dieser Woche machten und Facebook, Google und TikTok Sorgen, in Deutschland in allerlei schief gelaufen und die Corona-Pandemie zeigt sich auch weiterhin als Digitalisierungsbeschleunigerin – mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen. So muss beispielsweise der ChaosCommunicationCongress dieses Jahr digital stattfinden.

Targeted Advertising

Wenn die Hacker:innen also 2020 zum Jahresende nicht nach Leipzig pilgern, bekommt zumindest Google nicht automatisch mit, dass seine Nutzer:innen am Kongress teilnehmen, indem es deren Standortdaten auswertet. Personalisierte Werbung, die auch mit Standort- und Bewegungsdaten auf die Nutzer:innen zugeschnitten wird, ist der Kern des Geschäftsmodells des Konzerns. Interne Dokumente und Aussagen von Mitarbeiter:innen zeigen, dass Google die Daten selbst dann verarbeitet, wenn Kund:innen dem explizit widersprochen haben. Mit dieser fragwürdigen Praxis beschäftigt sich nun ein amerikanisches Gericht.

Nochmal eine ganze Ecke unappetitlicher sind die Werbepraktiken der Kolleg:innen bei Facebook. Immerhin schaltete das Unternehmen jetzt die Funktion des „multikulturellen Marketings“ ab. Werbetreibenden konnten bislang ihre Anzeigen auf bestimmte Nationalitäten oder kulturelle Hintergründe zuschneiden. Das führte dazu, dass in den USA Afroamerikaner und Hispanics von Anzeigen für Jobs und Wohnungen ausgeschlossen wurden. Die Maßnahme wird aber nicht ausreichen, um das Problem der Diskriminierung zu lösen, berichtet unser Redakteur Ingo Dachwitz.

Die Daten, die ich (nicht) rief

Um Werbung individualisieren zu können, sind die Daten der Nutzer:innen von Nöten. Wie Facebook diese Daten in Zukunft legal von Europa in die Vereinigten Staaten transportieren möchte, ist unklar. Denn in dieser Woche teilte die irische Datenschutzbehörde mit, dass der Konzern sich nach dem Ende des Privacy Shields auch nicht auf Standardvertragsklauseln berufen darf. Die endgültige Anweisung der Behörde steht noch aus.

Wer unendlich viele Daten von seinen Nutzer:innen sammelt, verschafft sich damit natürlich auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten. Eine aktuelle Studie der Stiftung Neue Verantwortung mahnt nun, dass Kartellbehörden bei Firmenübernahmen das Datenschutzniveau nicht ausreichend berücksichtigen würden. Nutzer:innen behalten so oft weniger Privatsphäre, nachdem ein Online-Dienst den Eigentümer gewechselt hat.

Was man mit Daten noch so alles anstellen kann, zeigt sich bei Wirtschaftsauskunfteien wie der Schufa. Hier gibt es offenbar Konzepte für Datenbanken, in denen Energieversorger Kund:innen identifizieren können, die häufig den Anbieter wechseln, um von Angeboten und Boni zu profitieren. Um sich Schnäppchenjäger:innen vom Leib zu halten, sollen deren Daten nun also gesammelt werden.

Law & Order

In Portland hat die Stadtverwaltung automatisierter Gesichtserkennung den Kampf angesagt. Bemerkenswert ist, dass nicht nur öffentlichen Stellen der Einsatz der Technik verboten wird; auch private Unternehmen dürften keine biometrischen Daten mehr sammeln und auswerten. In Europa tut sich in dieser Hinsicht weiterhin wenig.

Nachdem das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz in den letzten Wochen eine internationale Karriere hingelegt hat, wurde es nun zum ersten Mal seit Einführung vom Justizministerium überprüft. Ergebnis: im Prinzip alles im Lot. Sagt zumindest die Ministerin. Sie sieht keine Anzeichen von Overblocking unerwünschter Inhalte, gegen Hass im Netz komme das Gesetz gut an. Bei der Streitschlichtung bestehe aber noch Nachholbedarf, berichtet Tomas Rudl.

Bei der Berichterstattung über Gerichtsverfahren hat man als Journalist:in selten das Gefühl, „in eigener Sache“ zu berichten. Beim Prozess gegen Julian Assange, der diese Woche in London gestartet ist, verhält sich das ein bisschen anders. Denn auch wenn man über seinen Persönlichkeit und sein Auftreten streiten kann, bleiben die Vorwürfe gegen ihn ein Angriff auf die Pressefreiheit, der uns alle betrifft, kommentiert Markus Beckedahl.

Ein Angriff auf die Freiheit sind auch die Pläne von SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Mal wieder muss das Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder herhalten, um Grundrechtseingriffe für alle zu rechtfertigen, obwohl mit der Vorratsdatenspeicherung höchstens Folgeschäden adressiert werden könnten. Der Bundesrat widmet sich dem Antrag nächsten Freitag.

Freie Rede in Gefahr

Wie soll garantiert werden können, dass Online-Plattformen gegen Hass und Falschmeldungen vorgehen, bei ihrer Moderation aber nicht die Meinungsfreiheit einschränken. Das Digitale-Dienste-Gesetz, das bis Dezember von der EU erwartet wird, soll hier Regelungen schaffen. Die UN-Menschenrechtshochkommissarin Michelle Bachelet sieht offenbar besonders die freie Meinungsäußerung davon bedroht und mahnt jetzt in einem Brief an die EU-Kommission, keine Überwachungspflichten einzuführen.

Die Meinungsfreiheit mit Gesetzen zu sichern, heißt in der Praxis aber nicht, dass sie auf allen Online-Plattformen gilt. Eine australische Studie zeigt, dass TikTok Hashtags zu LBGTQ-Themen und auch politische Hashtags unterdrückt und zensiert. Man findet die Inhalte zu diesen Hashtags in der Suchfunktion nicht. Obwohl vor allem russisch- und arabischsprachige Hashtags betroffen sind, gilt die Einschränkung weltweit, berichtet unsere Redakteurin Chris Köver.

Auch Facebook musste sich mal wieder wegen einer undurchschaubaren Lösch-Aktion verantworten. Drei Tage lang war die Seite vom belgischen Ableger der Klimaaktivist:innen von Extinction Rebellion gesperrt. Erst nach lauter Kritik ging die Seite wieder online. Facebook begründet die Löschung mit einem Fehler eines automatischen Systems.

Das Klima wird ungemütlich

Aufmerksam verfolgen sollten alle Klimaschützer:innen eine neue Studie des Umweltbundesamtes zu den CO2-Emissionen durch Streaming. Wer klimagerecht Serien, Filme und Videos schauen möchte, sollte diese am besten über einen Glasfaseranschluss in niedriger Auflösung schauen. Das Mobilfunknetz ist weniger klimafreundlich.

Wenn Klimapolitiker:innen weltweit weiterhin so wenig Anstalten machen, wirksame Entscheidungen zu treffen, ist in nicht allzu ferner Zukunft mit immer mehr Naturkatastrophen wie Stürmen und Überschwemmungen zu rechnen. In einem solchen Fall müssen Behörden die Möglichkeit haben, die Bevölkerung zu warnen. Am Donnerstag sollten alle Systeme bundesweit getestet werden. Das funktionierte nur so mittelgut, zeigt Markus Beckedahl in seinem Kommentar. Teile der Redaktion wären auf jeden Fall abgesoffen, weil Apps und Sirenen still blieben.

Damit sich die Absauf-Gefahr für uns alle reduziert, sind in den vergangenen Jahren vor allem Schüler:innen auf die Straße gegangen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Sie haben sich informiert und weitergebildet, oftmals vor allem online. Damit diese Bildungschancen allen unabhängig vom finanziellen Status ihrer Eltern offen stehen, plant das Bundesbildungsministerium eine Bildungsflatrate für Schüler:innen. Doch die Pläne sind fragwürdig, der Zeitplan womöglich nicht zu halten und sowohl Anbieter als auch die Bundesländer haben noch ein Defizit an Durchblick.

Offenen Frage gibt es auch bei einem ganz anderen Thema. Gefangene, die aus einer Jugendvollzugsanstalt Telefongespräche führen, dürfen das nur unter bestimmten Bedingungen und zu sehr hohen Preisen. Wie genau Länder und die Telio GmbH zusammenarbeiten, war bislang unbekannt. netzpolitik.org veröffentlicht jetzt die Leistungsbeschreibung aus dem Rahmenvertrag zwischen der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und Telio.

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!

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