Wochenrückblick KW36Über Werbung für Verschwörungstheorien, einen Geburtstag und ein Vorschaltbanner

Amazon empfiehlt Verschwörungsbücher, Facebook will politische Werbung vor den US-Wahlen einschränken und Österreich bringt sein eigenes Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf den Weg. Unsere Themen der Woche im Überblick.

Eichhörnchen
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen – so ist es auch beim Datenschutz. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Drei Kubik

Diesen Wochenrückblick und alle anderen unserer Artikel gäbe es gar nicht, wenn wir nicht zahlreiche großzügige Spender:innen hätten. Doch wir hören immer wieder, dass Menschen gar nicht wissen, dass netzpolitik.org durch Spenden finanziert wird. Deswegen machen wir im September ein Experiment: Seit dieser Woche ploppt ein Spendenbanner vor unseren Artikeln auf, mit dem wir vor allem Gelegenheitsleser:innen auf unsere Finanzierung aufmerksam machen möchten. Wir freuen uns über Feedback dazu und auf Eure Ideen, wie wir Gelegenheitsleser:innen auf die Spendenfinanzierung hinweisen können.

Ein Projekt, das auch uns am Herzen liegt, hat in dieser Woche Jubiläum gefeiert: Der Verein „Digitale Gesellschaft“, auch liebevoll DigiGes genannt, hat sich vor zehn Jahren gegründet. Vorstand Benjamin Bergemann blickt in einem Gastbeitrag zurück ins Jahr der Gründung und beschreibt, was sich in einem Jahrzehnt netzpolitischen Engagements alles getan hat.

Schlag gegen US-Geheimdienste

In diesen zehn Jahren liegen auch die Enthüllungen von Edward Snowden über die Massenüberwachung der NSA. Ein Gericht in den USA hat nun geurteilt, dass die Vorratsdatenspeicherung des US-amerikanischen Geheimdienstes illegal und möglicherweise verfassungswidrig war. Edward Snowden zeigte sich erfreut über das Urteil. Strafverfolgung muss er in den USA trotzdem weiterhin fürchten.

Wer noch nach Gründen sucht, um seinen Bekanntenkreis vom Einkauf bei Amazon abzuhalten, dem liefert vielleicht eine neue Studie weitere Argumente. Sie beleuchtet, wie der Konzern seine Mitarbeiter:innen in den USA überwacht und sie auf Leistungssteigerung trimmt. Der Internationale Gewerkschaftsbund bezeichnet die Arbeitsbedingungen bei Amazon als „schockierend“.

Mehr Überwachung will auch die EU-Kommission, jedoch in einem anderen sensiblen Feld: Sie plant ein Gesetz zur Durchleuchtungspflicht von Online-Kommunikation. Begründet wird dies mit der Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern. Diese Pflicht soll zum Beispiel für Dienste wie Facebook oder GMail gelten. Datenschützer:innen kritisieren unter anderem einen möglichen Angriff auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengern.

Verschwörungstheorien und Hassrede machen die Runde

Nach den Corona-Demonstrationen am vergangenen Wochenende reißt die Diskussion über den gefährlichen Mix aus Verschwörungstheorien und rechtsradikaler Ideologie nicht ab. Dass große Online-Plattformen bei der Verbreitung von Desinformation eine bedeutende Rolle spielen, haben Daniel Laufer und Sebastian Meineck in ihrer Recherche über Amazon aufgedeckt. Der mächtigste Buchhändler der Welt empfiehlt seinen Kund:innen gerne Literatur über Verschwörungsmythen.

Auch auf Facebook fallen Falschinformationen oft auf fruchtbaren Boden. Jetzt hat der Konzern angekündigt, vor den Präsidentschaftswahlen in den USA verstärkt dagegen vorgehen zu wollen. Zu den Maßnahmen gehört, dass die beiden Kandidaten eine Woche vor der Wahl keine neuen Anzeigen mehr schalten dürfen und Falschbehauptungen zu den Wahlen konsequenter gelöscht werden sollen. Ob Zuckerbergs Pläne tatsächlich Manipulationen von Wähler:innen verhindern werden, wird sich zeigen.

Facebook, Twitter und Co. betreiben eine Datenbank mit digitalen Fingerabdrücken von terroristischem Material, um gegen dessen Verbreitung vorzugehen. Die Kontrolle über diese Inhalte wurde so jedoch privatisiert, demokratisch legitimiert ist sie offenbar nicht. Und die Gefahr, dass die falschen Inhalte gesperrt werden, ist hoch, analysiert Tomas Rudl.

Um Hassrede im Netz zu unterbinden, hat jetzt auch Österreich ein Gesetz auf den Weg gebracht, welches sich am deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz orientiert. Mit dem „Kommunikationsplattformen-Gesetz“ will die Regierung Plattformen ab einer bestimmten Größe verpflichten, beleidigende und hetzerische Inhalte, die Nutzer:innen ihnen melden, binnen 24 Stunden oder längstens einer Woche zu löschen. Das Gesetz geht aber womöglich zulasten kleinerer Anbieter.

Regulierung von Big Tech-Machenschaften

Dass Big Tech wie Facebook und Amazon in Deutschland nicht walten können, wie es ihnen beliebt, hat ihnen im vergangenen Jahr das Bundeskartellamt nahegelegt. Die Marktwächter beschäftigten sich im vergangenen Jahr viel mit großen Digitalkonzernen, wie in seinem frisch veröffentlichten Jahresbericht zu lesen ist. Dabei ging es nicht nur gegen massenhafte Datenverarbeitung vor, sondern auch um Verbraucher:innenschutz.

Datenaktivist Max Schrems wehrt sich seit Jahren vor den obersten EU-Gerichten dagegen, dass Facebook und Google Daten europäischer Nutzer:innen in die USA weitergeben. Dort sind sie vor dem Zugriff der Geheimdienste per Gesetz nicht geschützt. Mit der Annulierung des Privacy Shield hatte Schrems einen Erfolg erzielt. Er berichtete diese Woche im EU-Parlament jedoch, dass Facebook nicht vor hat, seine Praxis zu ändern. Schrems glaubt, dass nur eine Reform der US-Geheimdienstgesetze wirklichen Datenschutz bringen könnte.

Die Show um den Verkauf von TikTok in den USA nähert sich wohl ihrem Finale. Kurz vorher hat die chinesische Regierung aber noch ihre Exportregeln für Technologien geändert, sodass der Verkauf der chinesischen App von einer Genehmigung abhängen könnte. Ganz unabhängig ist ByteDance dann doch nicht von der chinesischen Führung.

Der Schweizer Messenger Threema will nach jahrelanger Kritik seinen Code einsehbar machen. Gleichzeitig kündigte das Unternehmen an, dass eine deutsch-schweizerische Investmentfirma bei ihm einsteigen wird. Threema ist vor allem bei deutschsprachigen Nutzer:innen beliebt, die ihre Daten nach der WhatsApp-Übernahme nicht Facebook anvertrauen wollten.

Politik im Rückschritt

Wir wundern uns nicht mehr darüber, dass die konservativen Parteien immer wieder die Vorratsdatenspeicherung fordern, wenn staatliche Behörden versagt haben. Das konnte man bei den Corona-Demos in der vergangenen Woche mitansehen, als Rechtsradikale die Treppen des Bundestag bestiegen und von einer angeblich völlig überraschten Polizei aufgehalten wurden. Kurz darauf wurde die Forderung nach Vorratsdatenspeicherung und dem Staatstrojaner wieder laut. Warum das ein Ablenkungsmanöver ist, kommentiert Markus Beckedahl.

Das Bundesgesundheitsministerium hat indes ein Portal an den Start gebracht, das es interessierten Bürger:innen erleichtern soll, medizinische Informationen richtig einzuordnen. Dort finden sich unter anderen Informationen zu den 200 häufigsten Krankheiten, zur Pflege und digitalen Medizin. Das Portal soll eine unabhängige Alternative zu privaten Anbietern sein und bezeichnet sich als politisch unabhängig – was ob nicht abgebildeter Debatten zu Gesundheitsthemen jedoch fraglich erscheint.

In der vergangenen Woche hatte Markus Reuter über die Pläne des Innenministerium berichtet, die Steuer-Identifikationsnummer als Personenkennziffer einzuführen. Das ist problematisch, weil damit technisch eine Zusammenführung aller Register möglich würde. Am letzten Freitag äußerten die Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder jedoch Bedenken zu dem dazugehörigen Gesetzentwurf: Sie halten ihn für verfassungswidrig. Noch könnte das Innenministerium nachbessern, wenn es denn wollte.

Und sonst so?

Der freiheitsliebende Ruf, den Australien unter Tourist:innen genießt, gilt leider keinesfalls für seine strikte Einwanderungspolitik. Die Regierung sperrt Geflüchtete teilweise jahrelang in Lagern ein. Jetzt hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, inhaftierten Geflüchteten ihre Handys wegzunehmen. Damit verlieren die Geflüchteten den Zugang zum Internet und ihren Draht zu Familie, Freund:innen und Anwält:innen.

Youtuber und Medienschaffende kritisieren sich auf Youtube gerne gegenseitig. Wer dabei aus den Videos anderer zitiert, muss in Deutschland allerdings aufpassen. Ein aktueller Fall um den Medienjournalisten Holger Kreymeier zeigt, wie streng das Zitatrecht hier ausgelegt werden kann. Leonhard Donbusch kommentiert, was sich bessern muss.

In unserem Podcast ging es diese Woche um Kriminalliteratur, aber mit Bezug zur Netzpolitik. Markus Beckedahl hat mit der Schriftstellerin Zoe Beck besprochen, wie sie schwierige Themen einem Massenpublikum vermittelt und was sie dabei motiviert.

In einer weiteren Folge „Neues aus dem Fernsehrat“ berichtet Leonhard Dobusch über die Schließung des Institut für Rundfunktechnik, einer Forschungseinrichtung der öffentlich-rechtlichen Sender. Offenbar war das kein großes Thema im Fernsehrat, wobei fraglich ist, wie die Sender in Zukunft gemeinsam Technologien für digitale Angebote entwickeln wollen.

Das war es für diese Woche – bis bald!

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