Geburtstag der "Digitalen Gesellschaft"Der Kampf für digitale Grundrechte geht weiter

Vor zehn Jahren wurde der Verein Digitale Gesellschaft gegründet. In seinem Gastbeitrag wirft DigiGes-Vorstand Benjamin Bergemann einen Blick zurück auf dieses Stück netzpolitischer Geschichte und denkt über das Engagement für Freiheit und Demokratie im digitalen Zeitalter nach.

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Foto von einer DigiGes-Demo anlässlich der Snowden-Enthüllungen am Checkpoint Charlie 2013. CC-BY-SA 2.0 Digitale Gesellschaft e.V.

Deutschland im Jahr 2010: Das Land diskutiert über Netzsperren, eine Internet-Enquete-Kommission berät den Bundestag und in ungezählten Podiumsdiskussionen diskutieren Menschen über die Chancen und Risiken des Internets. Im gleichen Jahr gründen neun Menschen, die bereits seit langem zu den Themen arbeiten, die jetzt plötzlich alle interessieren, die „Digitale Gesellschaft“. Ihr Ziel: Das Versprechen von Freiheit und Demokratie im Internet verteidigen. Eine professionelle zivilgesellschaftliche Organisation aufbauen, die weder parlamentarische Anhörungen noch Demonstrationen scheut.

Seitdem ist das Themenfeld explodiert. Was ist im Jahr 2020 nicht alles „Netzpolitik“ – oder „Digitalpolitik“, wie vor allem Parteipolitik und Wirtschaft das Politikfeld umtauften? Das ist in der Tat schwer zu sagen. Doch die grundlegenden Konflikte sind die gleichen geblieben.

Zehn Jahre Urheberrecht, Datenschutz und Überwachung

Da ist zum einen das Urheberrecht und seine Durchsetzung. Die grundrechtswidrige Kontrolle von Nutzenden und Inhalten zur Durchsetzung eines überkommenen Urheberrechts im Handelsabkommen ACTA war eines unserer ersten Themen und Erfolge. Beinahe erschreckend sind die Parallelen zu den Uploadfiltern, deren gesetzliche Einführung fast ein Jahrzehnt später Realität werden könnte. Beide Male waren – und sind – wir auf der Straße, erklären das Thema der Öffentlichkeit und verfassen Stellungnahmen. (Wer mehr wissen will, findet hier den Rückblick unseres Vorstands Volker Grasmuck auf zehn Jahre Urheberrecht und Uploadfilter.)

Zwischen 2010 und 2020 liegen auch die Enthüllungen Edward Snowdens. 2013 veröffentlichte der NSA-Whistleblower Dokumente über das Ausmaß der weltweiten Überwachung der westlichen Geheimdienste. Kurz nach den ersten Leaks demonstrierten wir am Checkpoint Charlie in Berlin gegen Massenüberwachung und unkontrollierte Geheimdienste und haben der internationalen Snowden-Berichterstattung dezidiert andere Bilder geliefert. (Wer mehr wissen will, findet hier den Rückblick unseres Vorstands Rüdiger Weis auf zehn Jahre staatliche Überwachung, Kryptographie und Open Source.)

10 Jahre DigiGes sind untrennbar verbunden mit der Entstehung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die wir seit dem ersten Entwurf begleiten, erklären und verbessern. Die DSGVO ist eines der wenigen rechtlich verbindlichen Instrumente, die vor Durchleuchtung, Diskriminierung und Kontrolle durch Behörden und Unternehmen schützen. (Wer mehr wissen will, findet hier meinen Rückblick auf zehn Jahre Datenschutzdebatte.)

Zehn Jahre Dranbleiben

Daneben gab und gibt es verwandte Themen und Initiativen, die uns begleiten. Hierzu gehört das leider nicht verhinderte Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder die auf unseren Druck hin weitgehend abgeschaffte Störerhaftung. Hierzu gehören die kleinen Schwestern und Brüder der Geheimdienstüberwachung wie die Fluggastdatenspeicherung. Hierzu gehören Spezialfragen des Datenschutzes wie Tracking und Gesundheitsdaten.

Was unsere Arbeit an diesen Themen eint: Sie überdauert die üblichen Aufmerksamkeitszyklen. Sie ist oft trocken, vor allem wenn es in die Details geht. Und: Sie bleibt oft unsichtbar. Gespräche hinter den Kulissen und die Vernetzung von Organisationen und Personen sind vertraulich. Seitenlange Stellungnahmen sind kein tausendfach geteiltes Meme.

Nicht zuletzt erscheinen vielen unsere Themen angesichts globaler Herausforderungen wie Migration, Klimawandel und Corona-Krise nicht immer als die wichtigsten. Wer genauer hinschaut, erkennt, dass all diese Herausforderungen auch eine digitale- bzw. netzpolitische Dimension haben. Sei es der Datenschutz bei Corona-Apps oder die Frage, ob Plattformen politische Meinungsäußerungen verhindern, etwa durch Uploadfilter. Gerade deshalb heißt 10 Jahre DigiGes auch 10 Jahre Dranbleiben.

Zehn Jahre Probieren und Dazulernen

Bei der Gründung der DigiGes war die Schaffung einer professionellen „Lobby“ für digitale Grundrechte keine Selbstverständlichkeit. Heute ist die Zahl der Organisationen in der erweiterten digitalen Zivilgesellschaft enorm gewachsen. Die Organisationen haben sich in ihren Themen und Methoden differenziert. In diesem Konzert ist die Digitale Gesellschaft mit ein bis zwei bezahlten Mitarbeiterinnen eher klein. Das darf sich in den nächsten zehn Jahren gern ändern. Zugleich ist Wachstum kein Selbstzweck und – wie wir gelernt haben – auch kein Automatismus.

Wir haben experimentiert, Fehler gemacht und lernen ständig dazu. Wie schafft man es, hauptamtliche und ehrenamtliche Arbeit zu verbinden? Welche Aktionsformen funktionieren? Und vor allem: Wo kommt das Geld her? Wie wir uns genau finanzieren, haben wir auf unserem Blog erklärt. Im Moment tragen uns neben einer Basisfinanzierung durch die Open Society Foundations (OSF), die allerdings in diesem Jahr ausläuft, vor allem unsere Fördermitglieder. Vielen Dank dafür!

Experimentiert haben wir auch mit Projektarbeit als Einnahmequelle. Heute steht für uns fest, dass wir in Zukunft vollständig spendenfinanziert sein wollen, um unabhängig und langfristig arbeiten zu können. Wir freuen uns über jede Spende und jedes neue Fördermitglied. Der Kampf für digitale Grundrechte ist nicht umsonst.

Zehn Jahre gemeinsam

Wir machen Kampagnen- und Lobbyarbeit. Andere hacken, klagen, berichten, machen Musik, Kunst und vieles andere. Die Vielfalt, Dezentralität und auch das Maß an ehrenamtlichem Engagement in der digitalen Zivilgesellschaft in Deutschland sind besonders. Am großartigsten war und ist es zusammen. Bei den Protesten gegen Uploadfilter zum Beispiel, wo die üblichen Verdächtigen neben tausenden jugendlichen Netzbewohnerinnen und -bewohnern demonstrierten.

Kaum zu unterschätzen sind auch die europäischen Netzwerke wie EDRi und Communia, deren Teil wir sind. Wir bedanken uns bei allen Organisationen und vor allem bei den Personen dahinter. Ohne euch wäre das Netz nur ein überwachtes Einkaufzentrum.

Besonders bedanken möchten wir uns aber bei denen, die Digitale Gesellschaft möglich gemacht haben und machen: Den Gründern, Mitgliedern und Vorständen, die unzählige Stunden ehrenamtliche Arbeit in den Verein gesteckt haben, allen früheren und heutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die weit über das Erwartbare hinaus für den Verein gearbeitet haben, unseren Admins und der c-base für bald 100 Netzpolitische Abende. Der Kampf für digitale Grundrechte geht weiter.

Zehn Jahre feiern: Netzpolitischer Abend und Revue

Am Dienstag, den 1. September 2020, ab 20:00 Uhr, feiern wir unseren 10. Geburtstag auf dem 97. Netzpolitischen Abend. Als Geburtstagsgäste dürfen wir den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber, Informatikprofessor und Vorstand der Gesellschaft für Informatik Hannes Federrath sowie Netzpolitik-Journalistin Anna Biselli begrüßen. Den Abend gibt es coronabedingt als Stream aus der c-base.

Am darauf folgenden Samstag, den 5. September 2020, ab 19:00 Uhr, veranstalten wir eine kleine Revue mit Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern auf der c-base. Wir sprechen mit Rena Tangens (Digitalcourage) über das große Ganze, John Weitzmann (Wikimedia) über Urheberrecht, Katharina Nocun über Datenschutzaktivismus und Bijan Moini (Gesellschaft für Freiheitsrechte) über Geheimdienstüberwachung. Danach legt Tasmo für euch auf. Auch die Revue gibt es als Stream aus der c-base.


Offenlegung: An der Gründung der Digitalen Gesellschaft waren mehrere Menschen aus dem Umfeld von netzpolitik.org beteiligt, in der Anfangszeit teilte man sich ein Büro. Auch wenn heute noch einige unserer Autor:innen ehrenamtliche Mitglieder des Vereins sind, sind es getrennte Organisationen mit voneinander unabhängigen Strukturen und Finanzen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

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