Netzpolitischer Wochenrückblick KW 22: Über toxische Debatten und besseren Datenschutz

Diese Woche beschäftigten uns Attacken auf Abgeordnete im Netz, der Themenkreis staatliche Überwachung sowie der allgemeine Trubel um die DSGVO. Außerdem sammeln wir wieder Ideen für unsere diesjährige Konferenz im September und hoffen nach einem Spendenminus in den ersten Monaten des Jahres auf mehr Unterstützung.

Knuddeliger Hund
Nicht ganz so knuddelig wie dieser Hund verläuft die Debatte um Migration und Geflüchtete im Netz CC-BY-SA 2.0 Andrew Smith

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Wenn Abgeordnete in Deutschland sich positiv zu Geflüchteten, Migration und dem Islam äußern oder die AfD kritisieren, ernten sie besonders viele wütende, hasserfüllte Kommentare. Das ist das Ergebnis einer viermonatigen Recherche, an der wir gemeinsam mit Journalist*innen aus Italien, Frankreich und der Schweiz sowie der Datenwissenschaftlerin Rania Wazir aus Wien gearbeitet haben. Das „Political Speech Project“ bewertete mehr als 40.000 Kommentare, um aufgeladene Äußerung an Abgeordnete zu analysieren und identifizierte dabei länderspezifische Unterschiede.

Während in Deutschland rechte Diskurse die aufgeladenen Kommentare dominierten, fiel in Frankreich die sexistische Schlagseite vieler Kommentare auf, wie ein Überblick der Kollegin Alison Langley für Deutsche Welle deutlich macht. (Für des Italienischen mächtige Interessenten sei hier auch der Text von Francesca Sironi im Magazin L’Espresso verlinkt.) In einem Kommentar plädiert unsere Autorin Marie Bröckling dafür, Diskussionsräume zurückzuerobern und bessere Bedingungen für Debatten online zu schaffen.

Die Überwachung geht weiter

Am Mittwoch beschäftigte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage, ob der Internetknotenbetreiber DE-CIX verpflichtet werden kann, dem BND bei der Überwachung Millionen deutscher Internetnutzer*innen zu helfen. Das Gericht bejahte diese Frage. In Hessen wird derweil der Einsatz des Staatstrojaners bei der Polizei geplant. Staatliches Eindringen in IT-Geräte dürfte damit in dem Bundesland noch viel häufiger stattfinden als ursprünglich angedacht.

Wie es überhaupt zur krassen Vereinfachung des Einsatzes des Staatstrojaners kam, erklärt Professor Dr. Fredrik Roggan in einem Gastartikel. Er beleuchtet sowohl das skandalöse Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene, als auch die Gefährdung der IT-Sicherheit durch die staatliche Überwachungssoftware.

Totgesagte leben länger: Auf EU-Ebene könnte bald ein neuer Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung kommen. Nachdem sie für die ganze EU als rechtswidrig erklärt wurde, wird jetzt über die Speicherung von Daten einzelner Staaten oder Regionen diskutiert. Auch das in Deutschland nicht so wirklich funktionierende Leistungsschutzrecht könnte bald auf EU-Ebene eingeführt werden. Dabei kann oder will die Bundesregierung auch fünf Jahre nach Inkrafttreten den Nutzen des Gesetzes nicht bewerten.

In den USA musste unterdessen das FBI einräumen, in der „Going dark“-Diskussion bei den Zahlen gelogen zu haben. Aufgrund eines „Programmierfehlers“ sei die Zahl beschlagnahmter, aber nicht durchsuchbarer Geräte mit knapp 7.800 statt rund 1.200 angegeben worden.

Eine Woche DSGVO

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist letzten Freitag in ganz Europa wirksam geworden und sorgt für viel Trubel. Neben Ängsten vor Sanktionen durch Datenschutzbehörden ist vor allem die Sorge vor Abmahnungen groß. In unserem Interview fordert der Jurist Ulf Buermeyer die Große Koalition auf, dieser Praxis endlich einen Riegel vorzuschieben.

Die DSGVO war erst der Anfang, schreibt Constanze Kurz in ihrem Kommentar. Wir sollten alle wieder über Datenschutz und damit zusammenhängende fundamentale Rechte aller Menschen in Europa reden und darüber, was das unter den Bedingungen einer weit überwiegend werbeorientierten Digitalwelt bedeutet.

Pünktlich zum 25. Mai nahm auch Max Schrems Projekt „noyb – none of your business“ seine Arbeit auf. Der Verein reichte letzten Freitag Klage gegen Facebook, Google, Instagram und WhatsApp wegen Datenschutzverstößen ein und freut sich über die neuen Möglichkeiten durch die DSGVO. Was der weitere Plan der Organisation ist und was die nächsten Schritte auf dem Weg zu mehr Datenschutz sein werden, besprachen wir mit Max Schrems.

Die DSGVO hat dazu geführt, dass personenbezogene Daten von .de-Domains nicht mehr öffentlich in der Whois-Datenbank einsehbar sind. Dagegen hat die Organisation ICANN letzten Freitag Beschwerde eingelegt, da sie gerne weiter die Daten von administrativen und technischen Kontaktpersonen speichern wollten. Dieser Antrag wurde vom Landgericht Bonn am Mittwoch abgewiesen.

Handyempfang gehöre zur Grundversorgung, sagte Infrastrukturminister Andreas Scheuer jüngst in einem Interview. Der derzeitige Zustand sei für eine Wirtschaftsnation untragbar. Eine parlamentarische Anfrage wollte nun wissen, wie ernst es der CSU-Politiker mit seiner Rhetorik meint.

In eigener Sache

Zum Schluss noch etwas in eigener Sache: Wir haben immer mehr Leserinnen und Leser, was uns sehr freut. Als Wermutstropfen bleibt aber, dass unsere Spenden in diesem Jahr konstant niedriger sind als 2017, wie unser monatlicher Transparenzbericht erläutert. Wenn ihr also unsere Arbeit unterstützen wollte, dann spendet uns ein paar Euro oder richtet am besten gleich einen Dauerauftrag ein.

Außerdem wollen wir Euch alle treffen: Am 21. September 2018 findet unsere fünfte „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz in Kooperation mit der Volksbühne Berlin statt. Wir haben jetzt den Call-for-Papers begonnen und suchen kreative Bereicherungen für die Programmplanung. Eine Gelegenheit zur einschlägigen Debatte bietet sich indes bereits am 5. Juni beim 72. Netzpolitischen Abend der Digitalen Gesellschaft in Berlin.

Wir wünschen Euch ein kühles und entspanntes Wochenende!

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Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Der momentan wichtigste und teuerste deutsche Deal aller Zeiten (vielleicht der letzte, diese Woche):

    -64 Milliarden bezahlt die deutsche Firma Bayer, an wen eigentlich – die sind ab sofort Dollar, oder nicht?
    -Bayer löscht den Namen „Monsanto“ – Monsanto-Werke in Südamerika, Indien und mehr, kriegen also nun das Bayer-Symbol aufs Dach. Nicht vergessen: Wegen Monsanto (und deren „RoundUp“) ist zumindest in Indien schon mal die Suicid-Rate unter Bauern hochgeschnellt („Suicid aus Scham“)
    -und das vielleicht übelste, weil auch in vielen (Medien-)Artikeln gar nicht beschrieben: Nur unter der Auflage, daß sich Bayer von (großen) Teilen seine hergebrachten Saatgut-Geschäft trennt! Ich schätze 90% der Bauern in Deutschland kaufen ihr Saatgut eigentlich bei Bayer.

    „In zwei Tranchen muss sich der deutsche Konzern unter anderem von seinem Gemüse- und Feldsaatgut-Geschäft, …“

    https://www.zeit.de/news/2018-06/04/bayer-will-monsanto-uebernahme-am-donnerstag-abschliessen-180604-99-570294

    Wenigstens werden als erstes die Aktionäre beschissen.
    „Da jetzt die Aktienzahl etwas stärker steigt als gedacht, ist der negative Effekt auf den Gewinn je Anteil etwas höher.“
    https://www.zeit.de/news/2018-06/04/bayer-bei-monsanto-uebernahme-am-ziel-180604-99-570294

    Daten weg, Saatgut weg, Geld weg, Ruf weg.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.