Die Entscheidung dürfte jahrzehntelang das Internet prägen: Am Donnerstag legt das Europaparlament seine Position zur EU-Urheberrechtsreform fest. Stimmen die Abgeordneten in Straßburg dem vorliegenden Entwurf ohne Änderungen zu, sind erhebliche Einschränkungen der Freiheit im Netz vorprogrammiert. Bisher gelang es Verlagslobbyisten und konservativen Abgeordneten, ihre umstrittenen Copyright-Vorschläge ohne richtig große öffentliche Debatte durch das Parlament zu bringen. Doch nun regt sich langsam Widerstand. Es dürfte die vorerst letzte Chance sein, weitläufige Zensur auf Internetplattformen zu verhindern.
Seit Jahren herrscht ein Tauziehen um ein aktualisiertes Urheberrecht. Bislang setzte sich die EU-Kommission mit ihrem ursprünglichen Vorschlag durch, der Uploadfilter und ein EU-weites Leistungsschutzrecht enthält. Im Mai stimmten die Mitgliedstaaten nach langwierigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zu, gegen die Stimme Deutschlands. Aus dem EU-Parlament kamen zunächst gemischte Signale, doch letztlich segnete der federführende Rechtsausschuss den umstrittenen Vorschlag des CDU-Abgeordneten Axel Voss ab.
Somit entsprechen nun alle Entwürfe weitgehend den Forderungen der Verlagslobby und anderer Rechteinhaber, mehr Kontrolle über das Internet zu erhalten – wenn nicht noch das EU-Parlamentsplenum dazwischengrätscht.
Filterpflicht und ein Zombie-Gesetz
Der umstrittenste Punkt der Reform: Betreiber von Internetplattformen müssen nach Artikel 13 des neuen Gesetzes schon im Vorhinein jedes von Nutzern hochgeladene Bild, jede Tonaufnahme und jedes Video auf Urheberrechtsverletzungen prüfen. Schlägt das System an, muss es das Hochladen unterbinden. Das gilt für große Anbieter wie Youtube und Facebook, aber auch unzählige andere Seiten, die von Nutzern erstellte Inhalte anbieten. Erfüllen lässt sich die Verpflichtung nur mit Software-Filtern, die für kleine Anbieter schwer leistbar sind und bei den großen Plattformen bereits jetzt fälschlicherweise viele Inhalte aus dem Netz fegen.
Die Filterpflicht überlässt der Software von Facebook und Youtube die Entscheidung darüber, was Nutzer hochladen dürfen und was nicht. Damit bedroht sie Netzkultur-Phänomene wie Memes, unautorisierte Remixe und nach Angaben der Wikimedia-Stiftung sogar das Medienarchiv der Wikipedia.
Artikel 11 wiederum erweckt mit dem Leistungsschutzrecht einen politischen Zombie aus Deutschland zum Leben. Das Gesetz macht selbst kleine Textausschnitte und sogar einzelne Sätze oder Überschriften zu vergütungspflichtigen Inhalten. Die Verlagslobby will sich einen Anteil an den Werbeeinnahmen sichern, die Google und andere Plattformen mit Anzeigen rund um Anreißertexte und Links zu Verlagsangeboten verdienen.
Die absurde Folge: Überall im Netz müssten dann Textschnipsel und Links auf Urheberrechtsverletzungen überprüft werden. Bisherige Vorschläge von Rat und Kommission sind zudem äußerst vage formuliert. In ihrer härtesten Form stellen die Vorschläge aus Sicht eines Expertenberichtes des EU-Parlaments eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar. Allein die Unklarheit spricht gegen den vorliegenden Entwurf des Leistungsschutzrechts.
Die Schlacht tobt bis zuletzt
Jahrelang verhallten Warnungen der Bürgerrechtsorganisation EDRi und der Wikimedia-Stiftung gegen die Urheberrechtsvorschläge der Kommission. Doch in den vergangenen Wochen gab es immer mehr kritische Medienberichte, auch die deutsche Politik wacht langsam auf. Selbst Parteikollegen des CDU-Abgeordneten Voss, der im EU-Parlament auf ein möglichst hartes Urheberrecht drängt, sind skeptisch. Er sei „fassungslos“, sagte etwa der netzpolitische Sprecher der CDU, Thomas Jarzombek, auf Twitter.
Aus anderen EU-Staaten hagelt es ebenfalls Kritik: Italiens Vize-Premierminister Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung erklärte, mit der Urheberrechtsänderung werde „das Internet geknebelt“. Seine Regierung erwäge sogar, die EU-Reform nicht in nationales Recht umzusetzen. Gegen den Voss-Entwurf dürften zudem alle konservativen EVP-Abgeordneten aus Österreich stimmen. Es seien „noch viele Fragen ungeklärt“, sagte der EU-Abgeordnete Othmar Karas, der den Ausschussbeschluss nicht im Schnellschussverfahren durchwinken und lieber das gesamte Plenum über diesen folgenschweren Schritt entscheiden lassen will. Ähnlich sieht das sein schwedischer Fraktionskollege Christofer Fjellner, der sich im Vorfeld der Abstimmung zuversichtlich zeigte. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei will das Thema am Mittwochabend nun nochmal debattieren. Eine automatische Mehrheit ist dem Entwurf im Parlament vermutlich nicht mehr gewiss.
Damit reihen sich die konservativen Politiker in eine lange Liste von Kritikern ein, die von Bürgerrechtsorganisationen über Verbände der Internetwirtschaft bis hin zum WWW-Erfinder Tim Berners-Lee reicht. Allesamt warnen sie davor, das Internet von einer offenen Plattform in ein Werkzeug für „automatisierte Überwachung und Nutzerkontrolle“ zu verwandeln, hieß es jüngst in einem offenen Brief zahlreicher Internet-Größen. Sein Lobbygewicht warf überdies der Internetgigant Google in die Waagschale, der in einem Schreiben an von ihm finanziell unterstützte Verlage und Firmen gegen die Reform Stimmung machte. Und über 200 Akademiker aus über 25 Forschungszentren sprachen sich vor wenigen Tagen klar gegen die beiden heiß umkämpften Artikel des Gesetzesvorschlages aus.
Die nächsten Schritte
Am kommenden Donnerstag findet zunächst die Abstimmung im Plenum statt, die über das Verhandlungsmandat des Parlaments entscheidet. Dieses ist notwendig, um den sogenannten Trilog, also die Verhandlungsrunde aus EU-Kommission, Mitgliedstaaten und dem Parlament, beginnen zu können. Stimmen die Abgeordneten für die Uploadfilter und das Leistungsschutzrecht, dann ist dieser Zug abgefahren, die Filterpflicht und die befürchtete Link-Steuer werden in der einen oder anderen Form Gesetz.
Stemmt sich das Plenum jedoch dagegen, wäre dies nicht nur ungewöhnlich, denn üblicherweise folgen die Abgeordneten dem Vorschlag des federführenden Auschusses. Es würde die Tür öffnen für Änderungsanträge, die in der darauffolgenden Sitzungswoche eingebracht werden könnten. Je nach Abstimmungsergebnis würden diese über die Verhandlungsposition des Parlaments entscheiden. Selbst bei einem günstigen Ausgang wäre das offene Internet noch nicht endgültig gesichert – aber es wäre ein unbedingt notwendiger erster Schritt dazu. Es wäre ein unübersehbares Signal der einzig direkt gewählten EU-Institution, dass Zensurmaschinen nicht zu einer offenen Gesellschaft passen. Und das könnten weder die Kommission noch der Ministerrat einfach vom Tisch wischen.
Wer also seiner oder ihrer Stimme Gehör verschaffen und dabei das Internet retten will, sollte sich schnell bewegen. Einfach macht dies eine von Aktivisten ins Leben gerufene Plattform, über die sich die richtigen Abgeordneten kostenlos anrufen, anschreiben oder antwittern lassen, Argumentationshilfe inklusive. Wie die letzten Wochen gezeigt haben, wackeln viele Stimmen über Parteigrenzen hinweg. Ein kleiner Stoß könnte den Ausschlag geben.
Hätten die Konservativen so ein Gesetz schon Ende der 90er Jahre eingeführt – hätten sie heute keine Smartphones. Wäre vielleicht nicht schlecht gewesen. Heute erscheint mir dieser politische Aufwand einfach als Geldverbrennung. Es wurden die letzten 10 Jahre so dermaßen viele (digitale) Erfindungen gemacht – oft zeitgleich an unterschiedlichen Orten der Erde, s. Nobelpreisvergaben.
Ich werde mich dann lieber an Orten aufhalten wo ein lächelnder Buddha aufgestellt wird, statt eines leidenden Jesu‘ gegen die Wand erhängt.
Wir sind darauf angewiesen, dass die sogenannten Konservativen gegen Internetfilter, gegen Zensur stimmen -Au weia.
Ich hoffe, dass das diesesmal so kommt und die Zensur keine Chance hat.
Zu befürchten ist eher das übliche Gemauschel mit hinterher angeblichen Kopfschmerzen und ….wunderhübschen Meinungskontroll-/Zensurgesetzen
Danke für den Link am Ende des Artikels. Ich war erst auf der Webseite des EU-Parlaments, um ein Parlamentsmitglied zu kontaktieren, hatte aber Schwierigkeiten zwischen den über 90 Abgeordneten für Deutschland diejenigen zu finden, die ich am besten anschreiben sollte.
Die von euch verlinkte Webseite hat die Hürde diesbezüglich deutlich reduziert und ich hab nun eine selbstgeschriebene Mail an die laut der Webseite relevanten Parlamentsmitglieder raus geschickt.
Keine Angst vor dem Leistungsschutzrecht, aber …
LINKGEBÜHREN für Verlinkungen werden dazu führen, dass online befindliche Verlagsangebote nicht mehr verlinkt werden.
Derzeit brodelt es in der Netzgemeinschaft: Linkblocker werden für und von Webmastern entwickelt, die das Setzen von Links zu Angeboten besagter Verlage unterbinden. Sammlungen von deren Domainnamen finden regen Austausch und wachsen rasant.
Das ist erst der Anfang. Die großen Suchmaschinenbetreiber werden das bemerken und das Rating betroffener Domains nach unten korrigieren. Niemand wird auch nur einen Cent für eine Dienstleistung, die er Anderen gegenüber erbringt, Geld zahlen.
Das alles führt zum Downrating von Internetangeboten dieser Verlage: Aufgrund mangelhafter Verlinkung werden diese auf jeden Fall nur noch schlecht bis gar nicht mehr gefunden.
Experten sprechen von Search Engine Optimization (SEO), die sich die Verlage damit selbst verhageln.
Es ist abzusehen, dass nach einiger Zeit jede/r Blogger/in von diesen Verlagen reichlich dafür entlohnt werden wird, damit sie/er einen Hyperlink auf deren verbliebene Verlagesangebote setzt. Nicht umgekehrt, wie beabsichtigt.
Bis dahin werden allerdings etliche Online-Angebote der Verlage verschwunden sein. Partner-, Auto-, Immobilienbörsen, um nur einige zu nennen.
Nimmt man den UPLOADFILTER und die HAFTUNG für Plattformbetreiber für Nutzeruploads hinzu, ist die EU-Urheberrechtsreform in ihrer derzeitigen Fassung an Absurdität nicht mehr zu überbieten.
HAFTUNG: Stell Dir vor Du bist Barinhaber: Ein Gast kommt rein, nimmt Platz, beginnt Passanten auf der Straße zu erschießen. Du, als Inhaber wirst dafür verhaftet, Dein Gast, der Mörder, kommt straffrei davon.
Noch Fragen?
Diese Urheberrechtsreform birgt einen nicht absehbaren Kollateralschaden für Meinungsfreiheit, freien Wettbewerb, Innovationskraft, Digitalisierung und Arbeitsplätze in der EU.
„Noch Fragen?“
Nur eine. Setzen Sie das kopieren von Filmen mit Mord gleich?
Wenn ja, kann ich ihnen darin gar nicht zustimmen.
Dafür ist das kopieren von Filmen zu banal und anders als von den Medienunternehmen dargestellt wirtschaftlich ganz sicher kein Problem.
Würde sich das EU-Parlament um echte Probleme mit der selben Energie kümmern, wäre die Gesellschaft wesentlich weiter.
Der Witz ist: wenn ein Journalist der angebeteten Qualitaetsmedien seine naechste clickbait-Schlagzeile dichtet, muss sein Arbeitgeberoligarch alle anderen Konkurrenten bezahlen, die vorher aehnliche Wortfolgen verbreitet haben. Ganz zu schweigen von den banalen Artikelinhalten, die sich gleichen wie ein CDU-Politiker dem andern beim fanatischen Beklatschen MERKELscher Rechtsbrueche.
Die Anwaelte werden dick und fett werden. Die grosse Zeit der Textsuche wird anbrechen: alle noch nicht benutzten Wortkombinationen werden wertvoller als Gold, da sie ewige Tantiemen abwerfen.
„Stimmen die Abgeordneten [am Donnerstag] für die Uploadfilter und das Leistungsschutzrecht, dann ist dieser Zug abgefahren, die Filterpflicht und die befürchtete Link-Steuer werden in der einen oder anderen Form Gesetz.“
Ich dachte bisher die finale Abstimmung kommt auch in diesem Fall Ende des Jahres. Kann dann nicht noch alles abgelehnt werden?
Äußerst unwahrscheinlich, wenn vor Verhandlungsbeginn (Trilog) alle EU-Institutionen ähnliche Entwürfe absegnen.