In Kooperation mit OpenDataCity veröffentlichen wir E-Mails, die Lobbyisten mit Beamten des Innenministeriums austauschten.
Wir erinnern uns: Anfang März berichtete der Spiegel über die Bemühungen von Lobbyisten, Einfluss auf die deutsche Position in den laufenden Verhandlungen zur EU-Datenschutzgrundverordnung zu nehmen. An sich wäre das kein grundlegendes Problem, schließlich ist genau das die Aufgabe von Interessens- und Unternehmensvertretern – wenn diese nur nicht überproportional hohen Einfluss genießen würden, gerade auf EU-Ebene. Diese Nähe äußert sich auch im oft kumpelhaften und vertrauten Ton der E-Mails.
So begrüßt etwa der Tactum-Geschäftsführer und Lobbyist Peter Bisa die Adressaten im Innenministerium mit „Liebe Mitstreiter“, um in der angehängten Kurzumfrage bei deutschen Unternehmen das Opt-In-Prinzip zu beklagen, das im Falle einer Umsetzung das „Ende des Dialogmarketing (z.B. Werbebriefe)“ einläuten würde. Auch die Zweckbindung angesammelter Daten würde ein „Ende neuer Ideen“ bedeuten. Überhaupt seien zahlreiche geplante Regelungen „kostenintensiv“, „praxisfremd“ und „unrealistisch“. Deutsche Unternehmen hätten demnach international nur dann eine Chance, „wenn wir bei Datenschutz zu einer Umkehr unserer bisherigen Position kommen“.
Die Argumentation erinnert an die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf dem Wirtschaftstag 2015 unter anderem forderte, „ein solches Big Data Management zu machen, dass Wertschöpfung hier auch in Europa stattfinden kann.“ In der Kompromissfindung dürfe nicht das Big Data Management gewinnen, „das den restriktivsten Zugang zu den Daten hat, sondern es muss ein fairer Kompromiss gefunden werden“. Neben seiner Lobbyisten-Tätigkeit ist Bisa übrigens Vorstand des „Expertenkreises Internet und Digitale Gesellschaft des Wirtschaftsrat der CDU“. Der familiäre Umgang – und direkte Zugang zu Beamten – sollte also nicht allzu sehr überraschen.
Wortgleiche Stellungnahmen
Andere Akteure wiederum tanzen auf mehreren Hochzeiten und sprechen mit einer Stimme für die Industrie, während die andere als Verfechterin der Zivilgesellschaft auftritt. Der Rechtsanwalt Jan Mönikes etwa arbeitet für die Kanzlei Schalast & Partner, zu deren Tätigkeitsschwerpunkten Beratungsleistungen im Bereich „Telekommunikation und Multimedia“ gehören. Daneben sitzt Mönikes im Vorstand des deutschen Ablegers der Internet Society (ISOC), seine Kanzlei berät aber gleichzeitig die Initiative Europäischer Netzbetreiber (IEN), die Telekom-Riesen wie Verizon, Orange oder Vodafone zu ihren Mitgliedern zählt. Beide Organisationen gaben Stellungnahmen ab, die jeweils am 20. beziehungsweise am 21. März 2012 abgeschickt wurden – und die sich nicht nur inhaltlich weitgehend überlappen, sondern stellenweise wortgleich formuliert sind. So schreibt Mönikes im Namen der Internet Society, benutzt aber seine Kanzlei-Mailadresse als Absender:
Die ISOC.DE hält es für dringend geboten, aus Anlass der Neufassung der europäischen Normen, auch einmal ganz grundsätzlich zu hinterfragen, weshalb der Entwurf der Verordnung mit Art. 6 DSVO eine Perpetuierung des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt vorsieht und ob dieses Prinzip aus analogen Zeiten ins Internetzeitalter übertragen werden sollte. In diesem Zusammenhang sollten auch Vorschläge wie das Recht auf Vergessen (Art. 17 DSVO), die Regelungen zur Portabilität von Daten (Art. 18 DSVO) nachgebessert werden, da die Fragen des Datenschutzrechts deutlich komplexer und weitreichender sind, als dass sie auf Problemfelder der sozialen Netzwerke oder Suchmaschinen reduziert werden dürften.
Einen Tag später meldet sich die Providerinitiative in einer E-Mail zu Wort, die von der Geschäftsführerin Malini Nanda abgeschickt wurde – eine anwaltliche Kollegin von Mönikes im Berliner Büro von Schalast & Partner:
Die IEN möchte zunächst hinterfragen, weshalb der Entwurf der Verordnung mit Art. 6 DSVO eine Perpetuierung des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt darstellt und dieses Prinzip aus analogen Zeiten ins Internetzeitalter übertragen will. In diesem Zusammenhang sollten auch Vorschläge wie das Recht auf Vergessen (Art. 17 DSVO), die Regelungen zur Portabilität von Daten (Art. 18 DSVO) nachgebessert werden, da die Fragen des Datenschutzrechts deutlich komplexer und weitreichender sind, als dass sie auf Problemfelder der sozialen Netzwerke oder Suchmaschinen reduziert werden könnten.
Das sogenannte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt untersagt grundsätzlich jegliche Erhebung, Verarbeitung sowie Nutzung von personenbezogenen Daten und erlaubt die Weiterverarbeitung nur dann, wenn Nutzer ihre ausdrückliche Zustimmung dafür gegeben haben. Tatsächlich ist die explizite Zustimmungspflicht in die Datenverarbeitung im Ratsvorschlag nicht mehr enthalten. Darüber hinaus reicht es in gewissen Fällen aus, ein „berechtigtes Interesse“ an der Nutzung der Daten anzumelden, um sie auch ohne Einwilligung beliebig weiterverarbeiten zu dürfen.
Wie die Plattform LobbyPlag dokumentiert hat (ebenfalls von OpenDataCity realisiert), finden sich viele der Lobbyisten-Vorschläge in der Verhandlungsposition des EU-Rates wieder: Das Opt-In-Prinzip wurde an wesentlichen Stellen ausgehöhlt, die Zweckbindung aufgeweicht und am Prinzip der Datensparsamkeit gerüttelt. Kritik daran übten nicht nur NGOs und Verbraucherschützer, sondern auch die ehemalige Justizkommissarin Viviane Reding, die vor Věra Jourová für die Reform zuständig war.
„Sobald Schutzgesetze greifen, sind sie nicht mehr passend“
Dass sich die Standpunkte von Industrie und Beamten allzu oft gleichen, verwundert den Datenschutzexperten Max Schrems nicht, wie er gegenüber Netzpolitik.org kommentierte: „Die Leute im Ministerium sind ja sowieso der Meinung, dass man gar kein Recht an seinen Daten hat. Die Zweckbindung ist da nur ein Teil von dem, was die als vollkommene systematische Veralterung beziehungsweise Fehlkonzeption des Grundrechts auf Datenschutz sehen. Also haben wir eine Koalition von Industrie und BMI, die fröhlich die Zweckbindung killen wollen.“
An der Argumentation lasse sich ablesen, woher der Wind weht: „Diese Prinzipien wurden in den 70ern und 80ern erfunden, weil man Angst vor Massensammlungen und der Verknüpfung all dieser Daten hin zu einem gläsernen Bürger hatte. Jetzt, wo das technisch möglich wurde („Big Data“), sagt die Industrie, dass die Gesetze, die genau dagegen schützen sollen, nicht mehr aktuell sind. Die Logik dahinter: Sobald Schutzgesetze greifen, sind sie nicht mehr passend“, so Schrems.
Wir wollten uns selbst ein Bild machen und haben diese E-Mails via Informationsfreiheitsgesetz angefordert. Die haben wir auch erhalten, allerdings in einem Format, das benutzerunfreundlicher kaum sein könnte: Die in eine EXE-Datei verpackten Daten lagerten auf einer CD, die wir in Ermangelung entsprechender Laufwerke und Betriebssysteme nicht ohne Weiteres extrahieren konnten beziehungsweise wollten.
OpenDataCity hat die Mails aus den Containern befreit und sie übersichtlich aufbereitet: Sie lassen sich nun wie in einem Mail-Programm durchklicken und ergeben eine spannende Fallstudie, die darüber Auskunft gibt, wie Lobbyisten Einfluss auf Beamte ausüben.
Wir wünschen viel Spaß beim Stöbern! Sollten wir in der Fülle der Mails etwas Aufsehenerregendes übersehen haben, freuen wir uns auf Hinweise in den Kommentaren.
Wie genau kommt ihr an die Lobby-Mails?
@Anonym
Wie ein Magier seine Tricks nicht verrät, werden im Jornalismus die Quellen nicht verraten. Oder was glaubst Du warum gegen Informanten von Netzpolitik.org ermittelt wird…
IFG-Anfrage gestellt.
Max Schrems ist also Datenschutzexperte und kein Lobbyist in eigener Sache. Aha.
Herr Zuckerberg?
Liebes Netzpolitik.org-Team,
bitte leistet weiter diese wichtigen Recherchen im Dienste der Transparenz! Nur so kann sich jeder ein Bild der Zusammenhänge machen, was für mich als wichtige Basis freier Meinung dient! Danke!!!
Ist die Zweckbindung gemäß Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht in Verfassungsprinzipien begründet und kann gar nicht abgeschafft werden, ohne diese zu verletzen?
Ihr werdet sehen, was passiert. Man schickt uns wieder ungefragt Werbung in den Briefkasten, ohne das wir dem zustimmen müssen, man wird uns überall im Internet verfolgen und analysieren. Banken werden unser Einkaufsverhalten, das wir mit EC-Kartenzahlungen preis geben analysieren und diese Daten an Werbetreibende verlaufen. Wir werden nur noch verkauft und ausgenommen so wird es werden. Dann kommen wieder die Türken mit ihren miesen stinkenden Teppichen die sie andrehen wollen und die Klinkenputzer werden an der Haustür schlage stehen … kaum auszudenken, was man im Internet veranstalten wird.
Damit Herr Bisa seine Opt-Out Methode nochmals überdenkt:
An:
Lieber Mitstreiter Herr Bisa,
wie ich soeben auf Netzpolitik.org erfahren habe, sind Sie auch ein Befürworter der Opt-Out Methode bei nicht ausdrücklich verlangten Werbemails. Das trifft sich gut — Ich auch!
Ich mache es daher kurz — Sie erhalten von mir alle nicht ausdrücklich verlangten Mails zukünftig automatisiert zugesendet (somit auch kritische Anhänge). Sie können diese dann gern für mich abbestellen. Ich weise weiter darauf hin, dass Spammer damit meine Adresse verifiziert für weitere nicht ausdrücklich verlangten Werbemails haben. Wir werden damit beide nicht arbeitslos — Ich muss meine FW- Automatisierung anpassen und Sie meine Mails opt-outen.
Vielen Dank Lieber Mitstreiter für Ihre Hilfe bei der Abbestellung unerwünschter Software!
Nachdem ich versuchte, unerwünsche Werbemails abzubestellen, hat sich die Frequenz mehr als verdreifacht. Das Bedürfnis, empfindlich zurück zuschlagen ist nicht klein.
Welche Methoden gibt es? Forward, redirect? Wie macht man es? Gibt es bevorzugte mail-Adressen, wo man den Müll entsorgen kann?
Das Bedürfnis, möglichst empfindlich zurück zu schlagen, kenne ich gut. Bringt aber Nichts. Umleitung nach /dev/null ist immer noch die beste Lösung.
Ebenfalls nützlich ist es, das Mailprogramm so zu konfigurieren, dass nur Text-Mails angezeigt werden. Den ganzen html-Quark mit all seinen Werbebildchen kann man getrost löschen. Damit bekommt man die schlimmsten Auswüchse gar nicht erst zu sehen.
Ebenfalls (für mich) nützlich ist eine Umkehr des Spam-Filters. Ich filtere jetzt e-mails raus, die wahrscheinlich kein Spam sind, und verschiebe diese automatisiert in einen Ordner. Was übrig bleibt, wird automatisiert entsorgt. Was dann noch übrig bleibt, sind Spam-Mails von Freunden, deren Mailaccount anscheinend gehackt wurde. Ein kleiner Hinweis wirkt hier Wunder.
Wenn das allgemeiner Brauch würde, wäre das ein massiver Schlag gegen Spammer. Aber der Verzicht auf süße Katzenbildchen in der Mail ist natürlich untragbar.
@Siegfried, kannst Du mal bitte erklären, vielleicht in einem separaten Blog-Posting, wie Du die Umkehr der Spam-Filter-Logik praktisch gelöst hast? Danke!