KW 3Die Woche, in der es gut gerüttelt hat

Die 3. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 18 neue Texte mit insgesamt 140.369 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Ein Fraktal mit Regenbogenfarben
Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

ob in Buxtehude, Bochum oder Berlin: Überall gehen gerade Menschen gegen Rechts und für eine freiheitliche Gesellschaft auf die Straße. Mal sind es ein paar Hundert, mal Zehntausende. „Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden“, sagt Freiburgs Fußballtrainer Christian Streich in einer großartigen und bewegenden Rede zwischen Produktplatzierungen von Milch und Cola. Die Enthüllungen von Correctiv über die Massenvertreibungspläne von Menschen aus Deutschland, die den Rechtsradikalen nicht deutsch genug sind, haben die Gesellschaft kräftig durch- und aufgerüttelt.

Bei mir haben sie vor allem eines ausgelöst: ein Wenn-nicht-jetzt-wann-dann-Gefühl.

Anfang des neuen Jahres war ich etwas müde vom beständigen Kampf gegen Windmühlen. Viele von euch kennen das bestimmt, egal ob ihr euch für Verwaltungsdigitalisierung, Klimaschutz oder gerechte Mieten einsetzt. Weil diese Kämpfe meist sehr zäh und Fortschritte selten sind, fragt man sich dann irgendwann: Was bringt das eigentlich?

Seit Jahren schreibe ich über digitalisierte Migrationskontrolle und was daran problematisch ist. Doch der Bundesregierung fällt nichts anderes ein als Hardliner-mäßig immer weiter die Regeln zu verschärfen. Schon vor Jahren bin ich auf Demos gegen Nazis gegangen und habe mich ihnen in den Weg gestellt, aber was hat sich geändert? Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen und das entmutigt manchmal.

Aber nach der Recherche von Correctiv, als ich die ersten Bilder von den vollen Plätzen deutscher Städte gesehen habe, die von Handylichtern der Demonstrierenden erleuchtet werden, habe ich mich von der inneren, lähmenden Liste verabschiedet.

„Es ist fünf vor zwölf“, sagt Freiburg-Trainer Streich auch. Stimmt – und die oft bemühten, metaphorischen fünf Minuten Kampf schaffen wir noch, sonst ist es sowieso zu spät. Aus meiner Müdigkeit wurde Entsetzen, aus meinem Entsetzen wurde Empörung. Und Empörung ist ein Antrieb, der Wellen schlagen kann und der besser wach macht als ein doppelter Espresso. Also: Wenn nicht jetzt, wann dann? Und wer, wenn nicht wir alle?

Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass wir „um zwölf“ in einer freiheitlichen Gesellschaft leben. Auf den Straßen, an den Tastaturen, im eigenen Wohnzimmer. Wir müssen dafür sorgen, dass der Faschismus aus den Parlamenten und den Köpfen verschwindet und nie wieder hineinkommt.

„Kein Fußbreit dem Faschismus“ heißt auch, jetzt denen auf die Füße zu treten, die in den vergangenen Jahren mit stetigen, kleinen Schritten dem rechten Rand entgegengetrippelt sind. Weil sie dachten, man könne den Rechten Zustimmung entziehen, indem man sich ihnen annähert. Das hat nicht funktioniert und es wird nicht funktionieren. Das ist heute klarer als es je zuvor war.

Wir können uns keine Politik leisten, die Protestierende beklatscht und im nächsten Moment mehr Abschiebungen als verbesserte Rückführung durch den Bundestag winkt. Wir können es uns nicht leisten, jetzt Gesetze zu akzeptieren, die irgendwann den Feinden der Menschlichkeit als Starthilfe für ihre Deportationsfantasien in die Hände fallen könnten. Wir brauchen – und ich bemühe ein letztes Mal Christian Streich – eine klare Kante. Mutig, entschlossen, gemeinsam und ohne feige Kompromisse.

Ein ermutigendes Wochenende wünscht euch
anna

PS und apropos gemeinsam: Am 13. September 2024 machen wir eine große Konferenz mit anschließender Party. Haltet euch den Kalender frei!


Panoptischer Rewe-Supermarkt Einkauf mit Skelettkontrolle

Wir haben eine Rewe-Filiale in Berlin besucht, in der eine neue Generation von Supermärkten getestet wird. Hunderte Kameras überwachen jede Bewegung. Ein System führt Buch, welche Waren man aus dem Regel nimmt. Am Ende weiß die Kasse automatisch, wie viel man bezahlen muss. Wie funktioniert dieses System und wie sensibel sind die erfassten Daten?

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DegitalisierungDas Einsparparadox

2024 droht ein knausriges Jahr zu werden, auch in der Digitalisierung der Verwaltung und des Gesundheitswesens. Vielleicht aber ist Geld hier gar nicht das Problem. Sondern was wir stattdessen brauchen, ist offene Vielfalt. Sie ermöglicht Synergien, die Kosten sparen und gemeinsame Verbindlichkeit schaffen.

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Verhütung erst "ab 18"Deutschlands wichtigster Jugendschutz-Filter blockiert Hilfsangebote

JusProg soll das Internet für Kinder sicherer machen und automatisch bedenkliche Websites sperren. Aber Recherchen von netzpolitik.org und dem Bayerischen Rundfunk zeigen: Die Software blockierte in Dutzenden Fällen seriöse Hilfsangebote, etwa zu Verhütung, Coming Out oder Suizid-Beratung. Betroffene sprechen von einem „Skandal“.

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"Going Dark" mal andersZivilgesellschaft bleibt im Dunkeln bei EU-Beratungen zu Verschlüsselung

Europäische Bürgerrechtsgruppen wollen sich von der EU-Kommission nicht länger abspeisen lassen. Derzeit laufende Beratungen über die Zukunft von Verschlüsselung dürften nicht unter Ausschluss der Zivilgesellschaft ablaufen, fordern sie in einem offenen Brief.

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Kostenloser Livestream„Geheimplan gegen Deutschland“ auf der Theater-Bühne

Eine investigative Recherche von Correctiv bewegt das ganze Land. Am heutigen Mittwochabend inszeniert nun das Berliner Ensemble die Enthüllungen über das Geheimtreffen, bei dem neben Neonazis auch hochrangige Vertreter:innen der AfD anwesend waren. Die Aufführung wird als Livestream übertragen.

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Neues aus dem Fernsehrat (104)Bericht des Zukunftsrats mit wenig Zukunft und viel Rat

Der von den Ländern eingerichtete „Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ hat nach knapp einem Jahr Arbeit seinen Bericht vorgelegt. Darin finden sich einige wichtige Klarstellungen, ein fragwürdiger Vorschlag und eine Leerstelle – letztere just wenn es um digitale Potenziale geht.

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Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

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3 Ergänzungen

  1. > Wir können es uns nicht leisten, jetzt Gesetze zu akzeptieren, die irgendwann den Feinden der Menschlichkeit als Starthilfe für ihre Deportationsfantasien in die Hände fallen könnten.

    Absolut richtig, denn wir können es uns nicht im Geringsten leisten, Gesetze zu schaffen, welche den Feinden der Domokratie in irgendeiner Weise nützlich sein können, unsere freiheitliche Demokratie zu beschneiden oder zu kippen.

    Zur „Starthilfe für Deportationsfantasien“

    Diese kruden Fantasien, wurden zum Zweck der Geldbeschaffung vorgetragen. Die Teilnehmer haben dafür einiges hinblättern müssen, um in den Genuss einer Wohlfühl-Veranstaltung unter Gleichgesinnten teilnehmen zu dürfen. Ein resilienter Staat muss in der Lage sein, die Gelder dieser kriminellen Vereinigung einzuziehen.

  2. Die Regierung scheint die Proteste gegen die AfD vor allem als Rechtfertigung für ein „weiter so“ und Machterhalt zu nehmen. Eine Inhaltliche Interpretation scheint nicht stattzufinden. Schade.

    1. > Die Regierung scheint …

      Sie scheinen noch das alte monolithische Bild von Regierung im Kopf zu haben. Die Realität besteht aus einer Dreier-Koalition. Der Kanzler hat zwar formell die Richtlinienkompetenz, kann sie jedoch nur sparsamst einsetzen, weil ihm sonst die Koalitionäre abhanden kommen. Informell regiert der Koalitionsrat mit großer Mühe gegen innere gegenseitige Blockaden.

      Ich bin fest davon überzeugt, dass niemand sich in Kanzleramt und Ministerien sich noch einem „weiter so“ hingibt, wie Sie es insinuieren. Die Lage ist dynamisch und das ist schon weitgehendst erkannt. Meiner Auffassung sind es eher Teile der Bevölkerung, die ein „weiter so“ einer dringend notwendigen Verhaltensanpassung aus verschiedensten Gründen vorziehen.

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