Einigung zu Quick FreezeVorratsdatenspeicherung ist jetzt „Leiche im Keller“

Offenbar an Innenministerin Nancy Faeser vorbei hat sich die Ampel auf die Einführung des Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt, das als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung gilt. Doch auch dieses Verfahren bietet Schlupflöcher für größere Überwachungen – zudem bleibt eine Leiche als möglicher Zombie im Keller.

Marco Buschmann und Nancy Faeser.
Haben offenbar bei der Einigung nicht geredet: Justizminister Buschmann und Innenministerin Faeser. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Gestern sah es noch ganz anders aus, zumindest für die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser: Mit deutlichen Worten forderte sie bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik wieder einmal die Vorratsdatenspeicherung. Nur einen Tag später scheint diese Form der anlasslosen Überwachung jedoch vorerst vom Tisch. Das Kabinett hat sich auf das alternative Quick-Freeze-Verfahren geeinigt – offenbar an der Innenministerin vorbei. Über die Einigung hatte zuerst LTO berichtet.

Ausgangspunkt der künftigen Regelung soll der Referentenentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) von Oktober 2022 sein, den wir im Volltext veröffentlicht haben. Ganz soll die Vorratsdatenspeicherung dem Vernehmen nach allerdings nicht verschwinden: Wie mehrere Quellen aus der Ampel gegenüber netzpolitik.org bestätigen, sollen die bislang im Telekommunikationsgesetz (TKG) verankerten Regeln weiterhin bestehen, aber wie bisher ausgesetzt bleiben. Das Versprechen, die rechtlich wacklige Vorratsdatenspeicherung endgültig aus der Welt zu schaffen, stammt aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien.

Langer Streit in der Ampel

Dennoch konnten sich die Regierungspartner lange Zeit nicht einigen. Vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) setzte sich bis zum gestrigen Tag dafür ein, eine möglichst weitgehende Regelung vorzulegen, die einschlägigen Urteilen des Europäisches Gerichtshofs (EuGH) gerecht wird. Sie forderte etwa die Speicherung von IP-Adressen.

Offenkundig konnte sich die sozialdemokratische Innenpolitikerin bei ihren Koalitionspartnern damit nicht durchsetzen. Dem Vernehmen nach sei Faeser nicht an den jüngsten Verhandlungen beteiligt gewesen. Diese seien „auf höchster Ebene“, also zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Marco Buschmann (FDP) geführt und abgeschlossen worden, heißt es aus Regierungskreisen.

Offenbar um das Gesicht zu wahren, bleiben zum einen die bisherigen Speicherpflichten erhalten, wenn auch nur auf dem Papier. Zudem wird in einer Art Kuhhandel die Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsmärkten bis ins Jahr 2029 verlängert, die Ende 2025 auszulaufen drohte. Auch dies war eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbart, aber Streitpunkt in der Koalition gewesen.

„Leiche bleibt im Keller“

Thorsten Lieb, stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses und Berichterstatter für die Vorratsdatenspeicherung und das Mietrecht der FDP-Bundestagsfraktion erklärt gegenüber netzpolitik.org, dass mit dem Verfahren nun die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes rechtssicher umgesetzt würden. „Damit ist endlich Schluss mit einer Politik, die jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin unter Generalverdacht stellt“, so Lieb weiter.

Auch der grüne Koalitionspartner zeigt sich zufrieden. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei, erinnerte daran, dass die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung entgegen wiederholter Gerichtsentscheidungen an diesem Instrument festgehalten hätten. Mit der „Einführung eines Quick-Freeze-Verfahrens wird eine zentrale Forderung auch bündnisgrüner Bürgerrechtspolitik endlich umgesetzt“, so von Notz. Er kritisierte aber, dass die Vorratsdatenspeicherung weiterhin im Gesetz stehen bleibe. „Diese Leiche einer völlig überholten, Grundrechte negierenden Sicherheitspolitik bleibt also im Keller“, so von Notz in einer Presseerklärung. Aus SPD-Kreisen erhielten wir kurzfristig keine Antwort.

Die Digitalorganisation D64 sagt, dass die Vorratsdatenspeicherung „vorerst Geschichte“ sei. „Das ist ein Erfolg für die Zivilgesellschaft und progressive Digitalpolitiker:innen“, so Erik Tuchtfeld von D64.

Was ist Quick Freeze?

Quick Freeze gilt als die grundrechtsschonendere Alternative zur Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen und anderen Daten wie Standortinformationen. Während bei der Vorratsdatenspeicherung ohne einen Anlass und verdachtsunabhängig solche Daten für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden, beginnt die Speicherung (das Einfrieren) bei Quick-Freeze üblicherweise erst nach einem Verdacht und nach einem richterlichen Beschluss. Gesichert werden die bei den Providern verfügbaren Daten, die sie beispielsweise für Verrechnungszwecke kurzfristig aufheben oder die nach der Anordnung anfallen.

Die Maßnahme muss sich laut dem bisherigen Gesetzentwurf nicht gegen eine Person richten, sondern kann auch einen Ort betreffen. Bei den einzufrierenden Daten handelt es sich um Informationen wie IP-Adressen, Standortdaten und Metadaten zu Kommunikationsverbindungen, also etwa wer zu welchem Zeitpunkt mit wem telefoniert hat und wo die Person dabei war.

Quick Freeze gilt zwar als grundrechtsschonender als die VDS, bietet aber auch Schlupflöcher für umfangreiche Überwachungen. Denn eine Überwachungsmaßnahme kann sich sehr spezifisch gegen einen Anschluss richten, könnte aber auch ganze Stadtgebiete oder Orte betreffen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte damals zudem kritisiert, dass bei Quick Freeze Mandatskontakte in die Hände der Strafverfolger gelangen könnten.

Im Gesetzentwurf des Justizministeriums aus dem Jahr 2022 war bei Quick Freeze eine doppelte Sicherung nötig: Sowohl das Einfrieren der Daten wie auch das spätere „Auftauen“ sollten jeweils eine eigene Erlaubnis von Richter:innen benötigen, den sogenannten Richtervorbehalt. Wie der aktuelle Entwurf das regeln wird, ist noch nicht bekannt, dem Vernehmen nach soll er sich jedoch am Referentenentwurf orientieren. Aus Koalitionskreisen verlautete, dass ein konkreter Entwurf „zeitnah ins Kabinett“ kommen solle. Danach steht die Behandlung im Bundestag an.

14 Ergänzungen

  1. Wenn ganze Orte oder Regionen dem Quick-Freeze-Verfahren unterzogen werden dürfen, stellt sich die Frage, ob man alle Personen eines Ortes oder einer Region unter Verdacht stellen kann.
    In jedem Fall würde das die Daten einer Menge Unschuldiger betreffen, die an einem Tatvorgang beteiligt sein müssten, was sehr unwahrscheinlich ist.

    Somit wird das eigentlich zu verhindernde Prinzip ausgehöhlt, nämlich das anlasslose Speichern zu verhindern und so die Vorgaben des EUGH umzusetzen.

    Eine QuickFreeze-Anordnung kann sich immer nur gegen einzelne, einer Straftat von erheblicher Bedeutung konkret verdächtigen Personen oder Personengruppen richten, nicht aber gegen einen Ort oder eine Region, die nicht als „juristische Personen“ definiert werden können.

  2. Zur ganzen Wahrheit gehört die Mietpreisbremse aka. Mietendeckel dazu.
    Was hat das mit Quick Freeze zu tun? Gar nix, außer dass das eine von der SPD stammt, das andere von der FDP. Das Spiel lautet: Stimmts du für meinen Kram, kriegst du Stimmen für deinen Scheiß (ja, die lieben sich nicht wirklich).

    Der Deal erinnert stark daran, als Heiko Maas (SPD) damals bei der Vorratsdatenspeicherung umkippte. Der Preis war damals im Gegenzug die Zustimmung zum Mindestlohn. Ein ähnlicher Deal. Die Kunst war damals den Preis für die VDS hoch zu treiben, obwohl man nicht wirklich dagegen war.

    Wenn natürlich ein Gesetz später höchstrichterlich kassiert wird, und das andere dagegen Bestand hat, dann lacht zuletzt am besten, wer noch was zum Lachen hat.

  3. Also die „Leiche im Keller“ ist nach Meinung von Sebastian Fiedler (SPD)
    https://www.deutschlandfunk.de/einigung-auf-quick-freeze-verfahren-interview-mit-sebastian-fiedler-spd-dlf-7ad363e0-100.html
    keinesfalls schon im Quick-Freezer der FDP – Parteizentrale eingelagert worden.

    Die im Telekommunikationsgesetz (TKG) verankerten Regeln bleiben weiterhin bestehen und wie bisher ausgesetzt, aber nur solange (ein Schelm der Böses dabei denkt) bis das TKG nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes die Verfahren rechtssicher umsetzt.

    Nolens volens würden sich dann zum Ende der Legislatur zwei Verfahren (Quick Freeze / VDS ) im „kriminaltaktischen Instrumentenkasten“ der Sicherheitsbehörden befinden…..

    1. Danke NP.org und Quick Freezer Burn

      https://www.bverwg.de/140823U6C6.22.0

      Zitat : Eine unionsrechtskonforme Auslegung kommt wegen des vom EuGH hervorgehobenen Grundsatzes der Bestimmtheit und Normenklarheit weder hinsichtlich der Regelungen in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG noch derjenigen in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG in Betracht.

      >> nationale Rechtsvorschriften >>müssen<< , um dem unionsrechtlichen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen, sodass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen.

      Diese Rechtsvorschriften müssen nach nationalem Recht bindend sein und insbesondere Angaben dazu enthalten, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 – C-793/19 und C-794/19 – Rn. 69).

      Die Bestimmung präziser Eingriffsvoraussetzungen für die Vorratsdatenspeicherung im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen ist daher nicht Sache der Gerichte, sondern des Gesetzgebers.

      Vielleicht gibt es ja schon einen Referentenentwurf zur Novelle des TKG und Anfrage nach IFG bzw. kleine Anfrage an BuReg wäre sicherlich zu begrüssen : )

  4. Mir wäre es lieber, wenn es weder Vorratsdatenspeicherung noch Quick Freeze („VDS durch die Hintertür“) gäbe, aber das will vermutlich in der Politik niemand außerhalb der irrelevant gewordenen (an der Stelle ein „Danke“ an Linke, Grüne und Feministinnen für ihre gute Arbeit /s) Piratenpartei.

    1. Bei Europawahlen bekommt die Piratenpartei von mir noch immer meine Stimme – ich bin eben einfach sehr zufrieden mit der Arbeit von Patrick Breyer (und zuvor auch noch Felix Reda).

      1. Patrick Breyer ist bei der kommenden EU-Wahl nicht mehr Spitzenkandidat der Piraten. Ich wüsste nicht, warum dies ein Grund wäre dieser Partei meine Stimme zu geben, die mehr Schlagzeilen damit (passiv) produziert, wenn Leute wie Mühlberg endlich den Parteiausgang gefunden haben.

        1. Meine Meinung:
          Also wenn ich mir die letzten Jahre anschaue, sehe ich – vor allem im Digitalen – keine Partei, die sich so offenkundig und intensiv FÜR Bürgerrechte einsetzt/ eingesetzt hat, wie die Piraten.

          Von den Parteien, die bei der Europawahl wohl am meisten Stimmen haben werden (CDU / SPD / AFD) ist aus meiner Sicht eine schlimmer als die andere.
          Ich bin mir ziemlich sicher, dass, wenn die Piraten stärkste Kraft wären, so ein Irrsinn wie Vorratsdatenspeicherung, Chatkontrolle usw zumindest solange die das Ruder haben, nicht kommen würde.

          Anja Hirschel scheint, wenn man in den Netzpolitik-Artikeln liest, aber ähnliche Ansichten zu haben wie Patrick Breyer.

          Ich bin der Ansicht, dass es gerade heute wichtiger denn je ist, dass die weiter dabei sind.
          Die EU steht so nahe wie nie an der Schwelle zu einer Überwachungsdikatur ohnegleichen.
          Und in CDU und SPD sind viel zu viele Leute pro Überwachungsdiktatur.
          Und wenn die Ergebnisse wie immer sind, stehen für CDU und SPD alle Zeichen vermutlich auf „Weiter so“

          1. > Die EU steht so nahe wie nie an der Schwelle zu einer Überwachungsdikatur ohnegleichen.

            Waren Sie einer Überdosis Sybille Berg ausgesetzt? Manche Reizworte schaden der eigenen Argumentation, falls eine solche überhaupt beabsichtigt gewesen sein sollte. Glücklicherweise kann die EU als Staatenbund niemals eine Diktatur werden.

            Falls Sie jedoch digitale Überwachungszustände wie in der VR China, oder in Ländern wie Iran und der Russischen Föderation gemeint haben sollten, dann wäre der Vergleich auch ziemlich schräg.

          2. Oder nach dem Ausschlussprinzip. Da bleibt kaum was über 3% übrig, also in der Summe jetzt.

      2. Ein Patrick Breyer produziert noch Pressemitteilungen auf seiner Webseite, aber eigentlich sind die Piraten mittlerweile weitgehend irrelevant. Unter anderem dank der oben erwähnten Unterwanderung durch entsprechende Elemente, die sich toxisch „eingebracht“ haben und durch die die Piraten irgendwann mit „zerstrittener Haufen, der sich nicht auf’s Wesentliche konzentrieren kann“ assoziiert wurden.

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