NetzneutralitätDigitalministerium kritisiert Datenmaut als „Zwangsabgabe“

Die von EU-Kommission geplante Datenmaut für Inhalteanbieter wie Netflix und YouTube stößt in Deutschland auf wenig Gegenliebe. Vor allem aus dem Digitalministerium gibt es scharfe Kritik. Es lasse sich kein Marktversagen feststellen, das einen derart folgenreichen Eingriff in das Internet rechtfertigen würde.

Stefan Schnorr, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr
Stefan Schnorr, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, bezweifelte gegenüber Bundestagsabgeordneten die Notwendigkeit einer „Zwangsabgabe“ – Stefan Schnorr: Bundesregierung/Sandra Steins; Hintergrund: Pixabay/timwesterhoff; Montage: netzpolitik.org

Nur selten sind sich alle Bundestagsfraktionen derart einig. Der in Brüssel diskutierten Datenmaut für Inhalteanbieter konnte in einer gestrigen Sitzung des Digitalausschusses niemand so recht etwas abgewinnen. Auch der vor den Ausschuss geladene Stefan Schnorr, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), zeigte sich ausgesprochen skeptisch über die Forderung großer europäischer Netzbetreiber. Sie wollen Anbieter wie etwa YouTube oder Netflix zusätzlich zur Kasse zu bitten, weil sie viel Datenverkehr erzeugen – daher auch der Ausdruck Datenmaut.

Weder lasse sich ein Marktversagen feststellen, noch habe die EU-Kommission ausreichend geprüft, welche Auswirkungen eine solche Gebühr auf die Netzneutralität, die Medienvielfalt und den Wettbewerb haben könnte, sagte Schnorr. Für einen derartig tiefen Eingriff seien die „regulatorischen Hürden aus unserer Sicht sehr hoch“.

„Zwangsabgabe“ statt „Fair Share“

Seit knapp einem Jahr diskutieren Expert:innen über den Vorstoß einer Handvoll Ex-Monopolisten wie der Telekom Deutschland oder des französischen Betreibers Orange. Die Branchengrößen klagen: Vor allem aus den USA kommende Anbieter wie YouTube oder Netflix würden sich eine goldene Nase mit Internetinhalten verdienen, den teuren Netzausbau müssten aber die Netzbetreiber stemmen. Von diesem Kuchen wollen sie auch etwas abhaben, weswegen sie das im Fahrwasser des Digital Services Act und Digital Markets Act gestartete Unterfangen als „Fair Share“ zu verkaufen versuchen. Er selbst nenne es „Zwangsabgabe“, sagte Schnorr.

Offenkundig wird auch im BMDV darüber gerätselt, warum die EU-Kommission diesen Plan überhaupt verfolgt. „Die Forderung nach einer Kostenbeteiligung ist nicht neu“, sagte Schnorr. Vor zehn Jahren wurde diese Debatte zuletzt geführt, die Kommission habe die Forderung damals aus guten Gründen abgelehnt. Seitdem haben sich die Argumente dafür und dagegen kaum verändert: Die Netzbetreiber wünschen sich weiterhin möglichst viel Verhandlungsmacht bei der Zusammenschaltung von Netzen sowie zusätzliche Einnahmequellen. Auf der anderen Seite warnen Regulierungsbehörden, Netzaktivist:innen und Verbraucherschützer:innen vor Schäden für das Internet-Ökosystem und die Netzneutralität.

Digitalministerium hofft auf transparenten Prozess

Immerhin sei Brüssel dem Wunsch Deutschlands nachgekommen, eine öffentliche Konsultation durchzuführen, bevor sie einen konkreten Gesetzesvorschlag auf den Tisch legt, sagte Schnorr. Allerdings seien die Fragen der letzte Woche gestarteten Befragung „tendenziös“, bedauerte der Staatssekretär. Die Kommission scheine eher abzufragen, wie man die Zwangsabgabe am besten abwickeln könnte und nicht, ob sie überhaupt notwendig sei, so Schnorr. „Wir werden im Rahmen der Konsultation Stellung beziehen, hätten uns aber ergebnisoffenere Fragen gewünscht“, sagte Schnorr. Er erwarte aber, dass die Kommission das Ergebnis „wertfrei und offen analysiert“ und alle Positionen berücksichtige.

Wie genau sich Deutschland zu einem Vorschlag stellen wird, lasse sich noch nicht abschließend sagen, so Schnorr. Das hänge von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzentwurfs ab, zudem müsse sich die Bundesregierung intern abstimmen. Indes seien ihm keine Positionen anderer Ministerien bekannt, die von der kritischen Haltung des BMDV abweichen würden. Auch die Bundesnetzagentur, die sich derzeit ein eigenes Bild mache, sei laut Schnorr „sehr skeptisch, ob es so eine Abgabe überhaupt braucht“. Die Frage der Notwendigkeit von Zugangsgebühren werde die Bundesregierung in ihren Antworten auf die Konsultation darlegen, kündigte Schnorr an. Und wohl auch auf das Beispiel Südkoreas verweisen, wo ein ähnlicher Ansatz „krachend gescheitert“ sei.

Geld für Ausbau genug vorhanden

Dass die Branche auf das Zubrot angewiesen ist, zweifelte der Staatssekretär grundsätzlich an: „Im BMDV gehen wir nicht davon aus, dass es an finanziellen Mitteln im Festnetz und im Mobilfunk mangelt“. Schließlich hätten die Netzbetreiber angekündigt, innerhalb der nächsten Jahre allein in Deutschland rund 50 Milliarden Euro in den Ausbau investieren zu wollen. Auch würden sie ständig darauf hinweisen, dass der staatlich geförderte Breitbandausbau eigenwirtschaftliche Mittel verdrängen würde, zudem seien die Baukapazitäten ohnehin „am Anschlag“, so Schnorr.

Außer dem nebulösen Argument, dass es „einen fairen Ausgleich geben müsse zwischen bösen US-Unternehmen und guten EU-Telcos“ habe Schnorr sonst keine Argumente gehört, die für eine Datenmaut sprechen würden. Auch nicht in Barcelona, wo derzeit die Branchenmesse Mobile World Congress stattfindet, und wo er etwa mit seinen spanischen und italienischen Amtskolleginnen geredet hätte. Zusammen mit Frankreich setzen sich diese Länder besonders stark für die Zugangsgebühren ein. „Dass es an Geld mangelt, den Ausbau zu betreiben, hat mir keines dieser Länder bestätigt“, sagte Schnorr.

Von Schnorr unbeantwortet blieb die Frage, warum EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in seinen Argumenten so auffallend der Branche folgt. Vor seiner Zeit in der Politik war Breton unter anderem Chef des Ex-Monopolisten France Télécom (heute Orange). Die Frage sei schwierig zu beantworten, wich Schnorr lachend aus, er könne dieser Sicht aber nicht widersprechen. „Es ist schon bemerkenswert, dass man sich so an eine Seite anschmiegt“.

2 Ergänzungen

  1. Die EU vertritt die meinung von Lobbyisten. Nirgendwo in Europa ist der Traffic so teuer wie in Deutschland. Die Provider kassieren i. d. R. beim Verbraucher nach Traffic. Ob das Streaming oder anderer Traffic ist, kann der Infastruktur egal sein, der Aufwand ist derselbe. Die Provider sollten lieber bessere Anschlüsse für die Verbraucher bereitstellen, d. h. GF mit DualStack und symmetrische Datenraten. 100/100 Mbit/s mit Flatrate für 50 EUR wäre angemessen.

    1. Deutschland hat inzwischen einen Rentneranteil von bald 25%; dazu ein Niedriglohnsektor von fast gleicher Größer (circa 22-23%). Die Rentner-Generation braucht in der erdrückenden Mehrzahl keine Glasfaser, die Niedriglöhner können es sich schlicht nicht leisten. Da ist der „Markt“ für schnelles Internet schon mal halbiert, und es bleiben von 80 Millionen Bevölkerung nur 40 Millionen potentielle Kunden übrig. Auf Haushalte gerechnet sieht es wohl nochmal schlechter aus, da gerade alte Menschen überdurchschnittlich oft alleine leben. Der Ausbau soll aber trotzdem gemessen an Haushalten geleistet werden. Das macht es am Ende für die tatsächlichen Kunden extrem teuer. (Das UMTS-Fiasko der frühen 2000er-Jahre muss man wohl gar nicht mehr erwähnen).

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