EU-Konsultation zu Zugangsgebühren„Ohne Verbraucher:innen brauchen wir weder Big Tech noch Telcos“

Mit einer Konsultation will die EU-Kommission Meinungen dazu einholen, ob YouTube, Meta & Co. den europäischen Breitbandausbau mitfinanzieren sollen. Der industriefreundliche Ansatz stößt jedoch auf breite Kritik, zivilgesellschaftliche Gruppen bieten Unterstützung beim Ausfüllen des Fragebogens an.

Thierry Breton stellt Maßnahmenpaket in Brüssel vor.
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei der heutigen Vorstellung des Maßnahmenpakets, welches die Netzneutralität gefährden könnte. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Wire

Zur Vorbereitung ihres geplanten Gesetzes zur Kostenbeteiligung von Tech-Konzernen am europäischen Gigabitausbau hat die EU-Kommission heute eine lange erwartete öffentliche Konsultation gestartet. Darin will sie unter anderem ermitteln, wer künftig in welchem Ausmaß die Kosten für den Infrastrukturausbau tragen soll. Zur Debatte stellt sie auch Zugangsgebühren für sogenannte OTT-Anbieter (Over-The-Top) wie YouTube, Facebook oder Netflix. Womöglich müssten sie dann zusätzliche Aufschläge an Netzbetreiber bezahlen, um ihre Kund:innen in der EU zu erreichen.

Die Konsultation ist Teil eines Bündels an Maßnahmen, mit dem die EU-Kommission den Breitbandausbau in Europa vorantreiben will. Zeitgleich mit der Konsultation hat EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton den „Gigabit Infrastructure Act“ (GIA) präsentiert, der die EU-Richtlinie zur Kostensenkung für den Breitbandausbau ablösen soll. Flankiert wird der Verordnungsentwurf von einem an nationale Regulierungsbehörden gerichteten Vorschlag, um EU-weit harmonisierte Regeln für den regulierten Zugang für kleinere Wettbewerber in die Netze von Ex-Monopolisten wie der Telekom Deutschland zu schaffen.

Wünsch dir was

Besonders viel Sprengkraft bergen aber die geplanten Zugangsgebühren für OTT-Dienste. Die Idee geht auf Ex-Monopolisten wie die Deutsche Telekom oder den französischen Betreiber Orange zurück. Schon seit langem wünschen sie sich eine Kostenbeteiligung dafür, dass Internet-Dienste ihre Online-Angebote durch ihre Netze transportieren. Bislang sind sie mit ihrem Wunsch nach einem sogenannten „Sending Party Network Pays“-Ansatz stets abgeblitzt, scheinen bei der aktuellen EU-Kommission aber auf offene Ohren gestoßen zu sein – trotz Warnungen von Regulierungsbehörden, der Wissenschaft, Verbraucherschützer:innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Die Kommission beteuert, die bis zum 19. Mai laufende Konsultation leite einen „offenen Dialog“ mit allen Akteur:innen ein. Grundsätzlich steht die Befragung allen Interessierten offen, die Auswahl der Fragen macht indes deutlich, dass sie vor allem die Interessen der Industrie im Blick hat. Der Fragebogen gleicht weitgehend jenem, den wir jüngst veröffentlicht haben.

Verbraucherschutz nur Nebensache

Allein die Fragestellungen stoßen Tiemo Wölken, dem rechtspolitischen Sprecher der Europa-SPD, sauer auf. Thierry Breton habe bei der heutigen Vorstellung des Vorhabens davon gesprochen, dass er gerne alle Stakeholder einbinden will, so Wölken. „Aber die Fragen zu möglichen Netzgebühren richten sich fast ausschließlich an große Tech-Unternehmen und Netzanbieter.“ Es sei bedauerlich, dass die Mehrheit der Kritiker:innen jetzt in der Konsultation „durch tendenziöse Fragen mehr oder weniger ausgeschlossen“ werde, so der EU-Abgeordnete.

Nicht alle lassen sich davon abschrecken. „An der Konsultation zu Netzgebühren werden wir in jedem Fall teilnehmen“, bestätigt Susanne Blohm vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) gegenüber netzpolitik.org. Allerdings sei schwer nachvollziehbar, dass die Kommission zwar nach der Zukunft der Telekommunikation frage, explizite Verbraucher:innenfragen aber nur zum Universaldienst behandelt würden – und das zum Großteil auch wieder bezogen auf die Finanzierung. „Das Thema Netzneutralität wird kurz am Rande behandelt und alle weiteren Verbraucherthemen werden gar nicht angesprochen“, bedauert Blohm.

Dabei seien Verbraucher:innen aber integraler Bestandteil des Marktes: „Ohne Verbraucher:innen brauchen wir weder Big Tech noch Telcos“, so Blohm. „Das heißt, der Einfluss von möglichen Netzgebühren muss ganz klar auch aus Verbrauchersicht analysiert werden. Das ist bisher nicht ausreichend geschehen.“ In einer Stellungnahme hatte sich der VZBV im Vorjahr klar gegen den Vorschlag der Telekommunikationsindustrie ausgesprochen, Zugangsgebühren für Inhalteanbieter einzuführen.

Nicht alle Netzbetreiber sind gleich

Aus der Industrie kommen gemischte Signale. Die vom Lobbyverband ETNO (European Telecommunications Network Operators’ Association) vertretenen großen Betreiber sehen die Konsultation erwartungsgemäß als „positiven und dringenden Schritt, der das große Ungleichgewicht im Internet-Ökosystem adressieren“ soll. Etwas skeptischer gibt sich dagegen der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko), der in Deutschland die Interessen vieler Telekom-Wettbewerber vertritt.

Eine Beteiligung der großen Tech-Unternehmen an den Kosten könne die Dynamik im Glasfaserausbau weiter stärken, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands. Entscheidend sei jedoch, dass die Umsetzung so erfolgt, dass der „faire Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt gesichert“ bleibt.

Die „wesentlichen Bedingungen“, an die der Breko seine Unterstützung für die Initiative knüpft, dürften den Ex-Monopolisten und wohl auch Thierry Breton nur wenig schmecken. So lehnt der Verband individuelle Verhandlungslösungen über etwaige Gebühren ab. Sonst drohe die Gefahr, dass große Netzbetreiber ihre Verhandlungsmacht ausnutzten. „‚Fair-Share‘-Beiträge dürften nur dann umgesetzt werden, wenn auch alternative Netzbetreiber zu gleichen Konditionen daran teilhaben können.“

Der Verband besteht auch darauf, dass mögliche Zahlungen von OTT-Diensten ausschließlich zweckgebunden für den Glasfaserausbau verwendet werden. Eine derartige Zweckbindung wäre zwar eigentlich eine zwingende Voraussetzung für die erklärten Ziele der EU-Kommission, aber wohl nur mit hohem bürokratischem Aufwand umsetzbar – den die Kommission ja verringern möchte. Zudem haben Vertreter:innen von Ex-Monopolisten wiederholt durchblicken lassen, dass die Mehreinnahmen nur zu einem kleinen Teil in den Ausbau fließen würden, wenn es nach ihnen geht.

Warum die großen Betreiber diese Finanzspritze überhaupt brauchen, bliebt ohnehin unklar. Erst heute gab etwa die Deutsche Telekom eine Verdoppelung ihres Jahresgewinns bekannt, der sich im Jahr 2022 auf 8 Milliarden Euro belaufen hatte. Der US-Tochter geht es sogar so gut, dass sie im großen Stil Aktienrückkäufe plant.

Ein Mal Internet, doppelt bezahlt

Die Internetwirtschaft selbst steht dem Vorhaben naturgemäß ablehnend gegenüber. „Wir begrüßen, dass die Öffentlichkeit endlich konsultiert wird, befürchten aber, dass sich die EU-Kommission die Forderung der großen Betreiber nach Zugangsgebühren bereits zu eigen gemacht hat“, schreibt die Computer and Communications Industry Association (CCIA). Diese vertritt Branchengrößen wie Amazon, Apple und Meta.

Zudem weist die CCIA darauf hin, wer letztlich auf den Zugangsgebühren sitzen bleiben würde: „Europäer:innen zahlen bereits heute ihre Betreiber für den Internetzugang, sie sollten die Betreiber nicht ein zweites Mal mittels verteuerter Streaming- und Cloud-Dienste bezahlen. Ein Aufschlag auf Datentransfers würde europäischen Verbraucher:innen schaden und das offene Internet untergraben, indem Daten unterschiedlich behandelt würden“, so die CCIA.

Zivilgesellschaft stellt sich auf

Thomas Lohninger von der digitalen Nichtregierungsorganisation epicenter.works betont außerdem, dass Zugangsgebühren nicht nur eine Handvoll großer Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley treffen würden. „Weder wird mit einer solchen doppelten Bezahlung an beiden Enden der Internetleitung das Problem des Netzausbaus gelöst, noch kann dieses Instrument auf die großen amerikanischen Anbieter beschränkt werden“, so Lohninger zu netzpolitik.org.

„Rundfunkgebühren in Deutschland könnten steigen, wenn das Hosting von ARD bei Google bald teurer wird. Angesichts teurerer Abopreise werden kleine und mittlere Unternehmen ebenso betroffen sein wie Netflix-Kunden“, warnt Lohninger. „Ob diese gesamtgesellschaftliche Umverteilung zu Gunsten der Telekomindustrie überhaupt notwendig ist, wird mit keiner Frage von der Kommission adressiert.“

Geschlagen gibt sich der Netzaktivist aber noch lange nicht. epicenter.works werde Hilfestellungen zum Ausfüllen des Fragebogens anbieten, kündigt Lohninger an. „Betroffene Institutionen und interessierte Privatpersonen können sich unter nn@epicenter.works melden.“

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8 Ergänzungen

  1. Es gibt ein sinnvolles Szenario: eine Infrastrukturzulage für alles und jeden, insbesondere noch einen Batzen extra drauf für alles, was Geld hat.

    Damit werden die Netze von Privatunternehmen Zwangsrückgekauft, zu einem festgelegten Preis, also ohne Verhandlungsbasis. Vielleicht sollte man so auch gleich das Stromnetz aufklaren.

  2. Wie konnte es überhaupt so weit kommen. Zahlen die OTT für ihren Internet-Zugang so drastisch zu wenig da sie quasi Umgekehrtes ADSL nutzen (Mehr Uploadmenge zum Internet als Down)?

    Den „nächsten Schritt“ kann man doch schon ahnen. Wenn das durch kommt fällt irgend jemandem ein das Kunden die ihren Upload komplett ausreizen (z.b. Grafiker, Youtuber o.a. die viel Content produzieren) wegen „Beschädigung der vitalen Geschäftsinteressen des Providers“ ein Zweites mal zur Kasse geben würden. Dabei ist es in beiden Fällen doch das gleiche. Der Provider hat seine Eigene Kalkulation versaubeutelt und will jetzt Alimentiert werden. Ein No-Go!

  3. Und man verklagt sich inzwischen sogar gegenseitig wegen „Behinderung des Netzausbaus“. Tolles Erfolgsmodell, diese Privatisierung von Infrastruktur [bzw. was zu welcher wird, privat zu lassen].

    Komme man mir nicht mit einem funktionierenden Rechtsstaat [Zeitfaktor, vgl. Stromtrassen…].

    1. Wie ich in meinem (nicht veröffentlichten Kommentar) schon mal meinte: Das Problem ist nicht automatisch die Privatisierung – in der Kommunikation ist’s vielleicht gar nicht soo schlecht, wenn zB die Strafverfolgung nur mittelbar Zugriff hat – sondern der Betrieb mit Gewinnerzielungsabsicht.

      Wenn das ein regulierter Betrieb mit gedeckeltem Profit ist, läuft das wahrscheinlich sogar relativ geräuschlos.

      1. Geschätzter Herr Engstrand!

        Wie ich nach dreistündiger Suche in unserem Papierkorb feststellen musste, ist kein Kommentar von Ihnen gelöscht worden. Sofern Sie hier etwaige Kommentare unter erdachten Fremdnamen schreiben oder aber Ihren eigenen Namen mit Rechtschreib- und/oder Grammatikfehlern versehen, bitte ich um kurze Mitteilung.

        Zum freundlichen Gruße,
        Team „Unser Blog soll freundlicher werden“

        1. Geschätzte Frau Dr. Kurz,

          ich bin ziemlich sicher, das ich eine bis zwei Zeilen geschreiben hatte iSv „staatliche Kommunikationsprovider vereinfachen die Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung drastisch“.

          Aber wo die Nachricht versandet ist (Browser oder Uplink probleme), kann ich auch nicht nachträglich feststellen – es sei denn ich habe das via Arbeitscomputer getan, dann könnte ich unser Netzwerkmonitoring fragen.

          Letzendlich hätte es die Diskussion nicht bereichert und ich verstehe vollkommen wenn die AutorInnen da filtern.

          Weil das Blog ja freundlicher werden sollte.

          In dieser unfreundlichen Zeit.

    2. Ohne Privatisierung geht’s nicht! Das hat mehrere gute Gründe. Außerdem ist die Telekom zwar Privatisiert und der Markt irgendwo auch, aber die Politik mischt hinter den Kulissen mehr ab als man glauben kann. Der Staat hat ja finanziell auch was davon. Meiner Meinung sollte der Staat keinerlei Aktien oder Anteile mehr an bestimmten Unternehmen halten.

      In Köln macht jetzt bald auch ein neues Modell schule: Filialen der Sparkasse werden an bestimmten Wochentagen für Behördengänge umfunktioniert. Dadurch erhofft sich die Sparkasse auch Neukunden. Der Staat hat ja auch was davon! Sollte man ebenfalls unterbinden, diese Pläne

      1. „Ohne Privatisierung geht’s nicht! Das hat mehrere gute Gründe.“ – ich warte auf eine Auflistung.

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