Gesichtserkennung Argentiniens rechter Präsident will Demonstrierenden Sozialleistungen streichen

Gegen den neuen Präsidenten von Argentinien formiert sich erstmals sozialer Protest. Dessen Regierung reagiert mit Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sowie der Drohung, die Teilnehmenden per Gesichtserkennung zu identifizieren und ihnen Sozialleistungen zu streichen.

Zelte und Menschen auf einer Straße
Piqueteros blockieren eine Straße in Buenos Aires im März 2022. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Newscom / GDA

Es klingt wie in einem schlechten Film: Die Regierung des neuen rechtsradikalen Präsidenten von Argentinien, Javier Milei, hat angekündigt, Protestierende mit Gesichtserkennung zu identifizieren und dann von Sozialleistungen auszuschließen. Das berichtete die argentinische Zeitung El Clarin am gestrigen Dienstag.

Für den heutigen Mittwoch sind in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires Proteste von tausenden Piqueteros (Liveticker) geplant, es ist der erste größere Protest gegen die Politik des neuen Präsidenten. Milei hatte schon im Wahlkampf angekündigt, im großen Stil Sozialleistungen abbauen und Staatsausgaben radikal kürzen zu wollen. Argentinien hat trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Krisen eine lange sozialstaatliche Tradition.

Die Regierung verkündete laut El Clarin und der Nachrichtenagentur ADNSur nun: „Wer blockiert, wird nicht bezahlt“. Dahinter steht der Plan, dass Demonstrierende mit Kameras aufgenommen und dann per biometrischer Gesichtserkennung identifiziert würden, um ihnen so die Sozialleistungen zu streichen.

Argentinien hat verschiedene Systeme zur Gesichtserkennung

Laut den Berichten gibt es in Argentinien verschiedene Systeme zur Gesichtserkennung. Eines davon wird seit dem Jahr 2018 in argentinischen Fußballstadien im Rahmen des Programms „Tribuna Segura 2.0“ eingesetzt. Das Programm hatte die konservative Politikerin Patricia Bullrich in ihrer ersten Amtszeit Ministerin für Innere Sicherheit ins Leben gerufen. Bullrich hat unter Milei jetzt das gleiche Amt inne.

Das zweite System dient dazu, flüchtige und vermisste Personen zu identifizieren. Es wurde in Kooperation mit der Stadt Buenos Aires eingeführt und seit 2019 an Haltestellen für öffentliche Verkehrsmittel eingesetzt. Inzwischen hat die Polizei von Buenos Aires dieses Netz auf rund 7.000 Kameras erweitert. Sie sind an den zentralen Punkten der öffentlichen Straßen sowie an den Hauptbahnhöfen und Knotenpunkten des U-Bahn-Netzes installiert. Seit 2022 ist das System aufgrund eines Urteils des Richters Roberto Gallardo ausgesetzt, wenig später wurde es für verfassungswidrig erklärt.

Das dritte System setzen Sicherheitsbehörden bei der Suche nach Verdächtigen ein. Hierbei handelt es sich um ein System der nachträglichen Gesichtserkennung. Damit sammelt etwa die Bundespolizei Bilder von Verdächtigen und gleicht diese dann mit der Ausweis-Datenbank Renaper ab, um so die Identität der gesuchten Personen zu ermitteln.

Eventuell nur eine Drohung

Welches der drei Systeme die neue Regierung gegen die Protestierenden einsetzen wird, ist derzeit noch offen. Laut dem Bericht von ADNSur verweigere das Sicherheitsministerium Einzelheiten darüber, wie die Gesichtserkennungsaktion durchgeführt wird. Bei der Stadtverwaltung von Buenos Aires zeigte man sich derweil verwundert darüber, dass ein rechtswidriges System, das nicht einmal für die Suche nach Verdächtigen eingesetzt werden darf, nun ausgerechnet zur Identifikation von Demonstrierenden genutzt werden soll.

El Clarin zufolge ist ebenfalls unklar, welches System genutzt werden soll, um die identifizierten Personen mit Empfänger:innen von Sozialleistungen abzugleichen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung nur damit droht, um Menschen davon abzuhalten, ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Zusätzlich zu der Drohung mit der Gesichtserkennung hat die Regierung laut der Publikation InfoBae angekündigt, dass die Proteste den Straßenverkehr nicht behindern dürften und auf dem Bürgersteig stattfinden müssten. Gegen diese Auflagen haben die Protestierenden Klage eingereicht.

5 Ergänzungen

  1. Ich habe erst vor kurzem zwei Proteste in lateinamerikanischen Ländern mitbekommen und die laufen ein bisschen anders als wir das kennen: In Panama wurde gegen ein Minenabkommen demonstriert, indem die Demonstranten wichtige Brücken im Land beschlagnahmt und gesperrt haben, wodurch der Warenverkehr in weiten Teilen des Landes zum Erliegen kam.

    In Costa Rica haben Taxifahrer gegen die Duldung der Applikation Uber demonstriert, indem sie alle Zugangsstraßen zum Stadtzentrum gesperrt haben. Natürlich gab es kein Durchkommen für Einsatzkräfte oder ähnliches.

    Es scheint so, als seien die Maßnahmen nicht gegen die Demonstrationen als solche gerichtet, sondern gegen die Art des Demonstrierens. Dafür spricht der Satz „Wer blockiert, wird nicht bezahlt“ im Artikel. Ob die Maßnahmen angemessen sind, sei dahingestellt, aber man sollte auch anerkennen, dass man Demonstranten nicht einfach öffentliche Infrastruktur als Geisel nehmen lassen kann, damit sie ihre Forderungen durchdrücken können.

    1. Nun gelten Aktionen zivilen Ungehorsams, wie Blockaden, schon lange zum Repertoire demokratischen Protests und es gibt gute Argumente, warum das Demokratien auch gut tut, wenn das so ist. Ich habe dazu früher schon einmal etwas geschrieben: https://netzpolitik.org/2019/klimaproteste-warum-ziviler-ungehorsam-gut-fuer-die-demokratie-ist/

      Mal ganz abgesehen davon, sollten sich in einem Rechtsstaat die Strafen immer konkret auf die Tat beziehen. Wer wegen einer Blockade (und hier bspw. wegen Nötigung) verurteilt wird, der sollte die Strafe für Nötigung bekommen – und nicht Sozialleistungen gekürzt oder den Führerschein verlieren.

  2. an diesem beispiel sollte man sehr genau sehen können wie schnell solche maßnahmen radikal mißbraucht werden können und auch irgendwann sicher mißbraucht werden. nur eine frage der zeit und nich ob.

    1. Gesichtserkennung, KI und die AfD stärkste Kraft im Osten, noch Fragen?
      Und diesmal werden keine Alliierten kommen und das ganze nach zwölf Jahren beenden.
      Ein Alptraum, und er wirkt schon jetzt konkret auf die Menschen.

  3. „FDP will bei Sozialkürzungen „noch weiter gehen““
    – 17.12.2023, 12:22 Uhr, Berliner Morgenpost

    Obwohl man verfassungsrechtlich eher gebunden ist die Leistungen zu erhöhen. Hier wird es für das bloße existieren bereits gekürzt, also wo bleibt der Schock. Selbst wenn man an den „Weiterbildungsmaßnahmen“ nicht teilnimmt, welche vielerorts belanglose Aktivitäten wie „Murmelbahn“-bauen, oder Mandalas ausmalen beinhaltet, wird einem was gekürzt.

    https://www.youtube.com/watch?v=kT1OpVDsSZM&themeRefresh=1

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.