Positiv fällt die ungarische Medienaufsicht nur selten auf. Sie war in den letzten Jahren daran beteiligt, die Medienvielfalt in Ungarn abzubauen, hat Übernahmen und Fusionen regierungsnaher Medien durchgewunken sowie Funklizenzen unabhängiger Radiosender nicht verlängert. In der Rangliste von Reporter ohne Grenzen findet sich das vom rechtsnationalistischen Autokraten Viktor Orbán regierte Land derzeit auf dem Platz 85 von 180 Ländern.
Die Medien- und Kommunikationsbehörde NMHH ist auch für die Regulierung des Internets zuständig. Vor kurzem hat sie neue Aufgaben erhalten: Sie soll mutmaßlich terroristische Inhalte auf Online-Diensten wie Facebook oder Blogs melden. Solche Inhalte müssen dann binnen einer Stunde aus dem Internet verschwinden. Das sieht die EU-Verordnung gegen Terrorinhalte für alle Mitgliedstaaten so vor.
„Die Unabhängigkeit der NMHH wird oft kritisiert“, sagt Emese Pásztor von der ungarischen Grundrechteorganisation TASZ (Hungarian Civil Liberties Union auf Englisch). Denn diese „Unabhängigkeit“ fällt selbst auf dem Papier nur sehr schwach aus: Bestellt wird das fünfköpfige Führungsgremium der Regulierungsbehörde von der regierenden Orbán-Partei Fidesz.
Das kommt auch bei der EU-Kommission nicht gut an. In ihrem letzten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn stellt sie die „effektive Unabhängigkeit“ der Behörde in Frage. Im Fall der Abschaltung des Radiosenders Klubrádió hat sie ein eigenes Verfahren eingeleitet. Daneben laufen diverse weitere Verfahren gegen Ungarn, da die Fidesz-Regierung unter anderem die Demokratie aushöhlt und Grundrechte von Minderheiten missachtet.
Unliebsame Inhalte aus dem Netz fegen
„Es ist hochproblematisch, dass eine Behörde, die Regierungsweisungen unterliegt, Inhalte europaweit löschen lassen kann“, sagt der EU-Parlamentarier Patrick Breyer zu den neuen Befugnissen der ungarischen Medienaufsicht. „Das droht für politische Zwecke missbraucht zu werden“, warnt der Piratenabgeordnete.
Dass womöglich politisch abhängige Behörden mit grenzüberschreitenden Entfernungsanordnungen unliebsame Inhalte aus dem Netz fegen könnten, stand schon vor der Verabschiedung der Verordnung gegen Terrorinhalte in der Kritik. Schließlich einigte sich die EU darauf, dass eine Kopie der Anordnung an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats gehen muss, in dem der Hostingdiensteanbieter angesiedelt ist. Diese Behörde kann die Anordnung zwar kontrollieren und ihr innerhalb von 72 Stunden widersprechen, muss sie allerdings nicht ausdrücklich bestätigen, damit sie wirksam wird.
Mehraufwand für Irland
In vielen Fällen dürften diese Kopien in Irland landen. Dort sitzen zahlreiche große Online-Dienste wie Alphabet (Google, Youtube) und Meta (Facebook, Instagram). Schon bei der Datenschutz-Grundverordnung hatte sich das Land als Nadelöhr erwiesen, weil die dortige Datenschutzbehörde bei der Durchsetzung der Datenschutzregeln schwächelte.
Das soll sich nicht wiederholen, sagt Conor O’Riordan, ein Sprecher des irischen Justizministeriums. Die Regierung plane, „adäquate Ressourcen“ bereitzustellen, um mit dem erhöhten Pensum zurechtzukommen. Zuständige Behörde soll dort die Nationalpolizei (An Garda Síochána) werden, zudem sollen weitere Behörden für Aufsicht und Sanktionen benannt werden. Welche das sein sollen, ist noch nicht geklärt: Wie viele andere Länder, darunter Deutschland und Frankreich, hat Irland seine Gesetze noch nicht fertig angepasst.
Hierzulande soll das Bundeskriminalamt (BKA) verdächtige Inhalte an die Anbieter melden, während die Bundesnetzagentur die Hostingdiensteanbieter kontrollieren soll. Der entsprechende Gesetzentwurf muss noch durch den Bundestag. Indes meldet das BKA schon seit Jahren massenhaft Inhalte an Online-Dienste oder an Europol, meist dürfte es sich um „jihadistische Propaganda“ handeln. Allein im Vorjahr hat die BKA-Meldestelle für Internetinhalte über 14.000 solcher Meldungen verschickt.
Grundsätzlich sind die Regelungen bereits Anfang Juni in Kraft getreten. Als Verordnung gilt das Gesetz unmittelbar in der ganzen EU, manche Details wie die Benennung der zuständigen Behörden müssen aber die EU-Länder selbst klären. Säumige Länder hat die EU-Kommission bislang noch nicht sanktioniert, aber beobachte die Situation, heißt es aus Kommissionskreisen. In der Zwischenzeit werden die Inhalte auf der Grundlage der freiwilligen Zusammenarbeit durch die Übermittlung von Verweisen entfernt.
Überwachungsskandal in Polen
Auch in Polen verspätet sich die Umsetzung. Wie bei Ungarn läuft gegen das Land ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Auch dort wurden wie in Ungarn Oppositionelle mit der Spionagesoftware Pegasus abgehört, die offiziell nur gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität eingesetzt werden darf. Parlamentarische Untersuchungen verliefen bislang im Sand, laut der rechtskonservativen Regierungspartei PiS war der Pegasus-Einsatz rechtens.
Wojciech Klicki von der polnischen Digital-NGO Panoptykon erklärt sich das gemächliche Tempo der Umsetzung mit den ohnehin weitreichenden Befugnissen des Inlandsgeheimdienstes Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego (ABW). Seit 2016 darf der Geheimdienst mutmaßlich terroristische Inhalte sperren, wenn auch nur innerhalb Polens. Zwar müssen dazu ein Gericht und der Generalstaatsanwalt zustimmen, allerdings ist die Justiz in Polen eben nicht mehr unabhängig. Es sei unbekannt, so Klicki, wie oft solche Sperren angeordnet wurden, problematisch sei zudem die unklare Definition von Terrorismus.
Eine noch größere Gefahr sei jedoch das polnische Telekommunikationsgesetz, sagt Klicki. Dieses ermächtigt mehrere Behörden, darunter den ABW, Netzsperren anzuordnen, wenn die „staatliche Sicherheit“ oder die „öffentliche Ordnung“ gefährdet ist. Hierbei fehle jegliche Kontrolle und Aufsicht, sagt Klicki: „Der ABW ist in solchen Fällen sowohl Ankläger als auch Richter.“
Netzsperren gegen E-Mail-Leaks
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine seien auf dieser Grundlage vor allem Inhalte gesperrt worden, die russische Narrative über den Krieg verbreitet hätten, so Klicki. Das Gesetz wurde im Vorjahr aber auch dazu verwendet, um den Zugriff auf eine Webseite und mehrere Telegram-Kanäle zu sperren. Dort waren geleakte E-Mails hochrangiger Regierungsvertreter aufgetaucht. Unter anderem sollen diese diskutiert haben, mit dem Militär gegen Protestierende im Zusammenhang mit Abtreibungsgesetzen vorzugehen. Einige der E-Mails sollen gefälscht gewesen sein, so die polnische Regierung.
Selbst wenn die EU-Verordnung zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte nur mangelhaft und spät umgesetzt wird, bleiben polnischen Behörden immer noch genügend Mittel, um gegen Online-Inhalte vorzugehen, sagt Klicki: „Diese Möglichkeiten bedrohen die Meinungsfreiheit, weil sie nicht unabhängig kontrolliert werden und die polnischen Geheimdienste, etwa bei der Überwachung von Oppositionellen mit Pegasus, bereits gezeigt haben, dass sie eine Gefahr für Grundrechte und Freiheiten darstellen“.
Wie so vieles in diesen Tagen, hätte man es längst wissen können, wenn man es nur hätte wissen wollen:
https://www.heise.de/tp/features/Achtung-Geheimdienste-ausser-Kontrolle-3420813.html
In Deutschland wird heftig über das umstrittene BKA-Gesetz debattiert, das aufgrund der Zweifel in der sächsischen SPD nun doch nicht in Kraft treten dürfte. In Polen wäre man jedoch froh, wenn sich die inländischen Sicherheitsdienste überhaupt an die Gesetze und die Verfassung halten würden.
Das war Ende 2008. Fünf Jahre vor Snowden, und sechs Jahre vor der Besetzung der Krim. Wegschauen ist ja so bequem.
Mal gegen den ganzen Hass auf Facebook und Twitter vorgehen, komischerweise passiert da kaum was.
Und JA, da hätte man sehr, sehr viel zu tun…
Hass und Hetze von „BILD“ und „welt“ sind ein sehr viel realeres und groesseres Problem, seit Jahrzehnten, und da passiert: nichts. Die werden sogar von der Mehrheit der Medien als „Kollegen“ und „Journalisten“ betrachtet, bezeichnet und verteidigt.