BreitbandWenn der Hund die Hausaufgaben frisst

Jahr für Jahr stellt die Bundesnetzagentur fest, dass deutsche Netzbetreiber nicht die Leistung liefern, für die Kunden bezahlen. Obwohl alle einen Handlungsbedarf sehen, handelt niemand.

Zwei Spidermen zeigen mit dem Finger auf den anderen
Wer ist schuld an der deutschen Breitbandmisere? (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Spiderman

Seit 2017 veröffentlicht die Bundesnetzagentur einen Jahresbericht ihrer Breitbandmessung. Und jedes Jahr ist das Ergebnis das gleiche: Demnach täuschen deutsche Netzbetreiber ihre Kunden systematisch und liefern oft nicht die beworbene Internetgeschwindigkeit, mit der sie werben.

Verantwortlich für den untragbaren Zustand fühlt sich allerdings niemand, in die Irre geführte Nutzer haben kaum Möglichkeiten, sich effektiv zu wehren. Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, sieht angesichts der aktuellen Zahlen „nach wie vor Handlungsbedarf bei den Breitbandanbietern“.

Von netzpolitik.org kontaktierte Netzbetreiber reagieren geradezu empört auf solche Statistiken, sofern sie überhaupt reagieren. Einen Handlungsbedarf ihrerseits können sie nicht nachvollziehen. Schuld seien in aller Regel die Kunden, so der Tenor. An ihren Netzen liege es jedenfalls nicht.

Handlungsbedarf ja, handeln nein

Diese Nonchalance geht seit Jahren durch, weil den Betreibern keinerlei Konsequenzen drohen, wenn sie nicht die bezahlte Leistung liefern. Geprellte Kunden können weder Schadenersatz einfordern noch ihren Vertrag herabstufen lassen oder vorzeitig kündigen.

Die letztlich verantwortlichen Regierungsparteien gehen entweder auf Tauchstation oder zeigen mit dem Finger auf den Koalitionspartner. Tankred Schipanski, der netzpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, konnte aufgrund der Osterferien keine Stellungnahme abgeben.

Jens Zimmermann von der SPD antwortete auf die Anfrage von netzpolitik.org. Er weist etwa darauf hin, dass in der Telekommunikations-Transparenzverordnung einige – gut dokumentierte – Lücken klaffen. Von daher bestehe „unübersehbar Handlungsbedarf“ bei den Anbietern, sagt Zimmermann.

Kein Recht auf billigeren Tarif

„Was aus verbraucherpolitischer Sicht aber weiterhin fehlt, ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Tarif mindern oder wechseln sowie kündigen können“, legt Zimmermann den Finger auf die Wunde.

Zwar sei jetzt rechtlich endlich klar, wann ein Vertrag nicht erfüllt werde. „Für die Durchsetzung der daraus resultierenden Rechte müssen Verbraucherinnen und Verbraucher aber immer noch auf die Kulanz der Anbieter hoffen oder vor Gericht ziehen“, sagt Zimmermann.

Genau das kritisieren Verbraucherschützer und Opposition schon seit Jahren. Zwar könnten Kunden „theoretisch ein Sonderkündigungsrecht“ erwirken, sagt Susanne Blohm vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. „Vor Gericht ziehen ist allerdings teuer und langwierig“, sagt Blohm. „Verbraucher sitzen dann eher den Vertrag aus“.

Auch die Schlichtungsstelle der Bundesnetzagentur ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Teilnahme an einem Verfahren ist freiwillig und kann auf Wunsch einer jeden Partei jederzeit beendet werden. In knapp 20% der Fälle haben sich Netzbetreiber gar nicht erst auf so ein Verfahren eingelassen und habe eine Schlichtung schon im Vorfeld abgelehnt, wie aus dem letzten Tätigkeitsbericht hervorgeht. „Auch hier sitzen Unternehmen immer noch am längeren Hebel“, sagt Blohm.

Öffentlicher Pranger führt nicht zu „Qualitätswettbewerb“

Dennoch verzichtete die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode darauf, spürbare Sanktionen für Netzbetreiber gesetzlich festzuschreiben – trotz des damals schon festgestellten „dringenden Handlungsbedarfs“.

Lieber entschieden sich Regierung und Aufsichtsbehörden dazu, die Testergebnisse im Internet zu veröffentlichen. Das sollte „Druck auf die Anbieter mit schlechteren Werten“ ausüben, sagte vor über drei Jahren der BNetzA-Vizepräsident Wilhelm Eschweiler in einer Anhörung im Bundestag. Zu dem erhofften „Qualitätswettbewerb“ ist es jedoch bis heute nicht gekommen.

Nun könnte die Bundesregierung einfach handeln, um den regelmäßig festgestellten Handlungsbedarf ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Tatsächlich stellt das in dieser Frage zuständige Bundeswirtschaftsministerium in Aussicht, bei einer anstehenden Novelle des Telekommunikationsgesetzes die „Wirksamkeit der den Verbrauchern zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe“ zu prüfen.

Darauf verweist auch Zimmermann. Konkret wünscht sich der SPD-Abgeordnete eine Prüfung, „ob es gesetzliche Sonderkündigungsrechte oder noch dringender ein Minderungsrecht geben muss, denn die Kündigung ist für Verbraucherinnen und Verbraucher mangels Alternativen oft häufig nicht zweckdienlich“ – ein Seitenhieb auf den weiterhin praktizierten „Infrastrukturwettbewerb“, der bislang ähnlich effektiv war wie der „Qualitätswettbewerb“.

Bitte warten

Doch Zimmermann gibt sich geschlagen. Es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Minderungs- und Sonderkündigungsrecht „in dieser Koalition und mit einem Unionswirtschaftsminister tatsächlich umgesetzt werden kann“. Das mag sein. Freilich war es aber Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Vizekanzler und Wirtschaftsminister, der zuletzt die Chance verstreichen ließ, den Bußgeldkatalog anzupassen.

Nun lässt auch die derzeit geplante Überarbeitung auf sich warten. Nach der Präsentation eines Eckpunktepapiers im Frühjahr 2019 war ein erster Referentenentwurf für Dezember angekündigt, dann für Februar 2020, dann für Anfang April. Auf dem Tisch liegt noch immer nichts. So heißt es weiterhin für Nutzer, die zu viel für eine nicht erbrachte Leistung bezahlen müssen: Bitte warten.

10 Ergänzungen

  1. Es wäre ja schon geholfen wenn die Preise nur nach tatsächlich verfügbaren Mbits erhoben werden. Wenn im Dorf nur 1Mbits aus der Leitung kommt dann muss Kunde eben nur 1 Euro/Monat zahlen. Wenn die Bandbreite 30Mbits erreicht kann der Provider 30 Euro verlangen und so weiter.

    Da wäre dann sehr schnell ein Anreiz da ordentlich auszubauen um den Markt zu erschließen. Solange die Provider auch für einen langsamen Anschluss genauso viel kassieren können wie für einen schnellen wird da wenig passieren.

  2. „liefern oft nicht die beworbene Internetgeschwindigkeit, mit der sie werben“ – kann irgendjemand mal Werbung vorlegen die exakte Bandbreiten verspricht?

    Alles was ich kenne ist „50Mbit/s maximal Download und max 10Mbit/s im Upload“ – und genau das wird geliefert.

    1. Diese Rauswieselformulierung ist doch gerade das Problem. An der Zahl mit der ich prominent werbe muss ich mich messen lassen, egal ob ich ein „bis zu“ davor setze.

    2. Mir ist das „bis zu“ schon lange ein Dorn im Wettbewerbsrecht-Auge. Wieso wird diese irreführende, schwammige, rechtslückige Aussage nicht verboten, und in ein „ab“ umgemünzt?

    3. Problem Nr. 1: Netzbetreiber stellen in ihrer Werbung selbstverständlich die Maximalgeschwindigkeit und nicht die normalerweise zu Verfügung stehende in den Vordergrund. Und „Bis zu“ ist bestenfalls eine Krücke.

      Problem Nr. 2: Sie müssen inzwischen minimal-, normalerweise– und maximal-Geschwindigkeiten in ihren Broschüren ausweisen, können aber selbst entscheiden, was da für Werte stehen. Da werden dann im Kleingedruckten aus „Bis zu 100 Mbit/s“ ganz schnell 60 Mbit/s.

      Problem Nr. 3: Laut Messergebnissen der BNetzA liefern sie oft nicht einmal die Minimalgeschwindigkeit.

      1. @Tomas Rudl
        Alles soweit verständlich, richtig, und seit Äonen gelebte Praxis. Meine Frage war aber: wie kann eine solch schwammige Formulierung immer noch im Recht um Werbung/Verbaucher/Aussagen gültig sein?
        Wie wäre es mit einem Feldzug aller Verbraucherschützer gegen die von der Wirtschaft oftmals nur aus Verschleierungsgründen genutzte Angabe „bis zu“. Bei beworbenen Leistungen müsste V_min zwingend erforderlich sein.

        1. @Jan, eine der weniger schönen Wahrheiten der Netzwerktechnik ist es, das für IP Netzwerke keine garantierte Mindestgeschwindigkeit existiert. Jetzt gibt’s natürlich ein paar Tricks das so aussehen zu lassen, als ob das funktioniert uA wenn man Zugriff auf bestimmte Dienste priorisiert – aber damit holt man sich sofort die Netzneutralitätsdebatte ins Boot.

  3. “(…) Obwohl alle einen Handlungsbedarf sehen, handelt niemand. (…)

    Nö, eben nicht alle. Die deutschen Netzbetreiber stört es offensichtlich nicht, dass sie ihre vollumfängliche (vertraglich zugesicherte) Leistung gegenüber ihren KundInnen nicht erfüllen. Die Netzbetreiber zählen zu einem millionenschweren Wirtschaftszweig welcher – wie üblich – über einflussreiche Lobbyisten verfügt. Laut der freiwilligen Auskunft im Lobbyregister der EU hat bspw. die Deutsche Telekom im Jahr 2015 1,141 Mio. Euro für Lobbyarbeit auf EU-Ebene ausgegeben.

  4. Es geht leider nicht nur um die reine Bandbreite sonder zudem um die zur Verfügung gestellte
    Funktionalität. Ich habe einen Anschluss der Deutschen Glasfaser mit 600/400Mbit erhalten.
    Da dieser mittels NAT444 auf das IPv4 Netz zugreift und sehr bescheiden konfiguriert ist werden remote Verbindungen nach 2-4min Inaktivität gnadenlos getrennt. Damit scheitert dann sowohl Homeoffice und ich kann auch meine Server im Internet, bei einem Service Provider, nicht mehr vernünftig administrieren. Da zudem eine dynamisches IPv6 mit einem /64 Präfix geliefert wird, ist auch kein gesicherter externer Zugriff auf meine eigenen Server sowie die Hausautomation möglich. Ich habe für diesen Anschluss sofort eine außerordentliche, fristlose Kündigung beauftragt, da ich mit den 2-5% Internet Funktionalität nicht leben will. Da ist mir mein 8/2,4Mbit Anschluss der Deutschen Telekom wesentlich lieber. Zum großen Glück habe ich diesen nicht gekündigt. Ich bin immer sehr vorsichtig bei Versprechen neuer ISP bin.
    Für diesen Ausbau wurde ein Förderantrag mit einem Volumen von rund 97 Millionen für rund 3335 Haushalte verabschiedet und genehmigt. Dies ist Steuerverschwendung im höchsten Maß.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.