Um Verstöße gegen die Netzneutralität zu verhindern, hat gestern die Bundesregierung eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) beschlossen. Darin enthalten sind Bußgeldregelungen, nach denen bis zu 500.000 Euro Strafe fällig werden, sollte ein Anbieter in unzulässiger Weise den Datenverkehr beschränken, also Verkehrsmanagementmaßnahmen einsetzen, die etwa einzelne Anwendungen diskriminieren oder nicht verhältnismäßig sind.
Bis zu 100.000 Euro müssen Netzbetreiber dann zahlen, wenn sie ihre Kunden nicht ordnungsgemäß über die tatsächliche Geschwindigkeit des Internetzugangs informieren, die in der Praxis von der vertraglich vereinbarten abweichen kann. Strafzahlungen in gleicher Höhe kann die Bundesnetzagentur dann verlangen, wenn sich Anbieter über „vertragsgemäße Beschränkungen des offenen Internetzugangs“ ausschweigen. Das könnte etwa dann zum Tragen kommen, sollte ein Kunde einen Spezialdienst bestellen, beispielsweise eine Überholspur für ein bestimmtes Videoangebot, der ihm Bandbreite seines normalen Internetzugangs wegnimmt.
Klare Regeln fehlen noch
Die im letzten Herbst beschlossene EU-Verordnung zur Netzneutralität soll einen diskriminierungsfreien Zugang zum offenen Internet sicherstellen, weist jedoch eine Reihe an Schlupflöchern und Schwammigkeiten auf. Vorläufig bleibt noch unklar, wie stark die Regeln in der Praxis ausfallen werden. Einerseits liegt das daran, dass noch keine endgültigen Leitlinien feststehen, die das Gremium der europäischen Regulierungsbehörden, BEREC, bis Ende August ausarbeiten wird.
Die vor einem Monat vorgestellte Entwurfsfassung fiel zwar besser aus als erwartet, erlaubt aber immer noch diskriminierende Geschäftsmodelle wie unter anderem Zero Rating. Damit können Inhalteanbieter wie Spotify weiterhin Verträge mit Netzbetreibern abschließen und dafür sorgen, dass der Konsum ihrer Inhalte nicht auf das monatliche Datenvolumen der Nutzer angerechnet wird.
Zum anderen bleibt es in bestimmten Bereichen den nationalen Regulierungsbehörden wie der Bundesnetzagentur überlassen, zu kontrollieren, ob gegen die Vorgaben der EU-Verordnung verstoßen wird, und gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen. Darauf zielt der nun vorgestellte Gesetzentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium ab. Doch im europäischen Vergleich, beispielsweise zu den Niederlanden, fallen die Bußgeldandrohungen relativ zahnlos aus.
Potenzielle Strafen in den Niederlanden deutlich höher
Dort hat Anfang Mai die Tweede Kamer, das (ausschlaggebende) Unterhaus des Parlaments, ein Gesetzespaket verabschiedet, das Praktiken wie Zero Rating eine klare Absage erteilt und sie schlicht verboten hat. Abschrecken sollen zudem drohende Bußgelder, die die Regulierungsbehörde ACM bei jeglichen Verstößen gegen die Netzneutralität verlangen kann: Es geht um Beträge von bis zu 450.000 Euro oder bis zu zehn Prozent des Umsatzes. Paddy Leerssen, der sich für AKVorrat und SaveTheInternet.eu im Detail mit dem Gesetzentwurf beschäftigt hat, bestätigte uns gegenüber, dass im Sanktionsfall derjenige Betrag fällig wird, der höher ist. Große Netzbetreiber dürften sich deshalb genau überlegen, ob sie es darauf ankommen lassen, die Regeln zu verletzen.
„De facto hat die Bundesregierung damit Netzneutralität aufgegeben“, meinte dazu Thomas Lohninger von AKVorrat und fügte hinzu: „Die Telekom zahlt diese Strafen aus der Portokasse!“ Tatsächlich konnte die Telekom Deutschland GmbH im Jahr 2015 einen Umsatz von 22,4 Milliarden Euro verbuchen, während das Mutterunternehmen Deutsche Telekom AG einen Konzernüberschuss von 4,1 Milliarden Euro verkündete. Auf Anfrage teilte uns ein Sprecher der Deutschen Telekom lapidar mit, die neue Regelung „zur Kenntnis genommen“ zu haben. Kleinere Netzbetreiber vertretende Interessensverbände wie Breko oder Vatm gaben sich ebenfalls zurückhaltend. „Es kommt wie immer auf die konkrete Fallgestaltung an, und hier gibt es ein weites Ermessen der Behörden, das hier aus heutiger Sicht überhaupt nicht beurteilt werden kann“, sagte uns etwa Vatm-Geschäftsführer Jürgen Grützner.
Für Joe McNamee, Direktor der „European Digital Rights“ (EDRi), liegt der Knackpunkt darin, dass die EU-Verordnung weiterhin diskriminierende Geschäftsmodelle zulässt. Das spiegelt sich auch im Abschnitt der BMWi-Presseaussendung wider, laut der „die Internetzugangsanbieter die Endnutzer über die Auswirkungen von Geschäftsmodellen auf den Zugang zum offenen Internet informieren“ müssen. „Wie kann ein ‚Geschäftsmodell‘ Auswirkungen auf eine Internetverbindung haben?“, ärgerte sich McNamee. „Das impliziert, dass einigen Diensten erlaubt wird, den Internetanschluss zu beschränken.“
Bald werden dann sämtliche Businesstarife mit dem Feature „unbeschränkter Zugriff auf alle Internetdienste“ angeboten. Die bisherigen Endkundentarife enthalten dann undurchsichtige Klauseln.
Zum Glück hat die Telekom jetzt erfahren müssen, was Zero-Rating für die eigene Infrastruktur heißt: Der Spotify-Tarif wurde wegen zu hohen Trafficaufwandes beerdigt … dabei ging es hier nur um einen Audiostream ;) Musik lokal abspielen ist vielleicht doch naheliegender …