Gutachten zum NetzDGGesetz gegen Hasskriminalität verfassungswidrig

Die schon beschlossene Erweiterung und Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes hängt wegen verfassungsrechtlicher Bedenken beim Bundespräsidenten fest. Ein neues Gutachten hält große Teile des Gesetzes für verfassungswidrig.

Hass am Handy
Darf Hasskriminalität die Begründung für Datenabfragen liefern? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Rami Al-zayat

Ein neues Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hat festgestellt, dass das geplante Gesetz gegen Hasskriminalität verfassungswidrig ist. Das Gutachten beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Juli 2020. Dieses Urteil hatte die bisherigen Regelungen zur so genannten Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig erklärt.

Das Gutachten [pdf] stellt fest, dass Teile des Hasskriminalität-Gesetzes unverhältnismäßig sind, weil es an begrenzenden Eingriffsschwellen fehlt. Weder die Telekommunikationsdienstleister dürften Daten an das Bundeskriminalamt übermitteln, noch dürfte dieses die Daten abfragen. Das ist aber ein Kern des Gesetzes gegen Hasskriminalität.

Ein weiteres Gutachten, aus dem der Spiegel zitiert, bewertet das Gesetz ebenfalls als verfassungswidrig. Auch der renommierten IT-Rechtler Matthias Bäcker kommt laut dem Nachrichtenmagazin in einer schriftlichen Bewertung zur selben Einschätzung.

Bundespräsident muss noch unterschreiben

Das Gutachten kommt für die Bundesregierung, die das Gesetz zur Erweiterung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes als eine Art Prestigeprojekt vorangetrieben hatte, zu einem unglücklichen Zeitpunkt. Das Gesetz hat Bundestag und Bundesrat schon passiert. Im Bundestag wurde es von der großen Koalition bei Enthaltung von FDP und Grünen und gegen die Stimmen von Linken und AfD beschlossen.

Nun muss noch der Bundespräsident unterschreiben. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zögert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier allerdings wegen verfassungsrechtlicher Bedenken mit seiner Unterschrift.

Kern des Gesetzes nicht verfassungsgemäß machbar

Die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sieht vor, dass die sozialen Netzwerke vermeintlich strafbare Inhalte direkt an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. Dort wird dann entschieden, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird. Das BKA kann dabei eine Bestandsdatenauskunft durchführen, IP-Adressen abfragen und Zugangsdaten anfordern. Danach leitet das BKA als Zentralstelle die Verfahren an Länderpolizeien und Staatsanwaltschaften weiter.

Nun heißt es jedoch im Gutachten, dass es fraglich sei, „ob das Bundeskriminalamt überhaupt die Befugnis dazu hat, anhand der ihm vorliegenden IP-Adresse, die Identität des Nutzers bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten und Telemediendiensten abzufragen.“

Gleichzeitig heißt es, dass Anbieter von Telekommunikationsdiensten keine Befugnis hätten, dem Bundeskriminalamt und anderen in der Vorschrift genannten Stellen anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse ermittelte Daten, z.B. die Identität des Nutzers, zu übermitteln.

Deswegen kommt das Gutachten zum Schluss:

Da es also weder verfassungsmäßige Übermittlungsbefugnisse noch verfassungsmäßige Abfragebefugnisse für durch Zuordnung von IP-Adressen gewonnene Bestandsdaten gibt, kann das Bundeskriminalamt die – sofern möglich – von dem Anbieter eines sozialen Netzwerks übermittelte IP-Adresse nicht dazu verwerten, den Nutzer zu identifizieren.

Insofern ist die Übermittlung nicht dazu geeignet, den gewünschten Zweck – die Strafverfolgung – zu erreichen oder zu befördern.

Daher ist die Pflicht, die IP-Adresse zu übermitteln, nicht verhältnismäßig und daher nicht verfassungsgemäß.

Die Bundesregierung will das Gesetz dennoch haben, berichtet zumindest die Süddeutsche Zeitung. Ginge es nach dem Willen der Regierung, soll der Bundespräsident das Gesetz vorerst unterschreiben. Die Bundesregierung möchte dann eine Art Reparaturgesetz nachliefern.

Update 18.09.2020: Der Verweis auf das andere Gutachten und die Einschätzung von Matthias Bäcker wurden nach Erscheinen des Artikels hinzugefügt.

7 Ergänzungen

  1. …und bei naechster Gelegenheit klagen die gleichen Politiker dann wieder ueber Politikerverdrossenheit und Vertrauensverlust in die Demokratie.

    Occam’s Razor kippt mittlerweile von „Unfaehigkeit“ zur „Vorsatz“: man will den Rechtsstaat und die FDGO anscheinend „von oben“ zersetzen. Vermutlich haelt man Machtposition und Ideologie fuer hinreichend gefestigt, um das Recht des Staerkeren wieder einzusetzen. China, Russland und USA machen es vor.

    1. „Vermutlich haelt man Machtposition und Ideologie fuer hinreichend gefestigt, um das Recht des Staerkeren wieder einzusetzen“
      Man ist nach 15 Jahren Merkel bzw. 11 Jahren GroKo einfach nicht mehr an Opposition gewohnt.
      Das Grundgesetz wird gern gelobt wenn es gegen Nazis geht, aber das eigene Handeln soll sich nicht daran messen müssen, da es ja „nötig“ (also alternativlos) ist um „Gutes“ zu tun. Und dem „Guten“ darf (soll? will??) das GG doch nicht im Weg stehen, genau so wenig wie der Polizei bei Ermittlungen.

  2. „Die Bundesregierung will das Gesetz dennoch haben, berichtet zumindest die Süddeutsche Zeitung. Ginge es nach dem Willen der Regierung, soll der Bundespräsident das Gesetz vorerst unterschreiben. Die Bundesregierung möchte dann eine Art Reparaturgesetz nachliefern.“

    Die Bundesregierung fordert den Bundespräsidenten also offen zu einem Verstoß gegen die Verfassung/GG auf, habe ich das richtig verstanden? Das ist doch unglaublich! Noch unglaublicher ist nur, dass so etwas scheinbar nicht mal mehr große Empörung in weiten Teilend der Gesellschaft hervorrufen kann, denn diese Haltung ist und bleibt ein Skandal. Aber so sehr scheint man sich schon daran gewöhnt zu haben, dass Demokratie und Rechtsstaat immer mehr erodieren und nimmt es schulterzuckend hin…

    Und ich bin wirklich gespannt, was Steinmeier jetzt macht. Mit Grundrechten hatte er es ja noch nie so richtig (Fall Kurnaz), aber das kann er doch jetzt unmöglich durchgehen lassen…

  3. Das muss aber übel aussehen, wenn selbst Bundespräsident Steinmeier (noch) nicht unterschreiben will. Der setzt seine Unterschrift doch sonst auch routinemäßig und ohne Zögern unter alles, was dann ein paar Jahre später das BVerfG für verfassungswirdig erklärt.

  4. „[..] zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse ermittelte Daten, z.B. die Identität des Nutzers, zu übermitteln.“
    Ich halt’s nicht aus! Wieder dieses idiotische Halbwissen und die falsche Vorstellung, dass IP-Adressen Nutzer/Menschen „identifizieren“ könnten. Das stimmt nicht! Im Normalfall wird das der Hausanschluss sein – bei jedem Mehrpersonenhaushalt wird es dann schwierig (und auch bei Einpersonenhaushalten mit Gästen). Oder will man dann vielleicht wirklich alle Wohnungen durchsuchen lassen, alles digitale Gerät beschlagnahmen lassen, und jeden Bewohner als Verdächtigen abfertigen???

  5. Dieser Reigen an Gesetzen und Richtlinien verhindert auch privatsphärenbewusste Entwicklung, weil es dann (irgendwann) technisch nicht mehr geht.

    Gerade einzelne Entwickler und kleine Teams setzen oftmals auf die (im Zweifel noch entstehende) Community, was aber bei Achtung der Privatsphäre nicht mehr in der Form geht. Man kann natürlich Kopf-in-den-Sand spielen und mitlaufen, oder man stellt solche „Bestrebungen“ eben ein. Oder man arbeitet drum herum, bis diese „Lücken“ auch geschlossen werden. Die Kosten sind klar: höherer Aufwand, geringere Sichtbarkeit. Abgesehen vom Ausschluss legal operierender Suchmaschinen mittels robots.txt, laufen die Daten sonst irgendwann über Echtzeitfilter, die man zukaufen darf, wobei – Überraschung – die Bundesregierung sicherlich keinen weiteren Reglungsbedarf sehen wird, will z.B. heißen: der Webseitenbetreiber stimmt den AGB eines Filters z.B. von Google zu, und lässt seine Nutzer auch zustimmen, auf dass die Konzerne also sämtliche Benutzerinteraktion bzw. Waspassiertwodaten des Internets in Echtzeit frei Haus geliefert bekommen, UND DIESE dann auch noch auswerten dürfen, sowie de facto Zensur etablieren (helfen) können. Die Alternative wird natürlich Haftung oder Dichtmachen sein. Die Gesetze variieren im Geltungsbereich, so dass nicht alles immer alle trifft, doch gemein bleibt der Kahlschlag.

    Diese Vorstöße sollte man nicht verniedlichen. Hier wirkt ein „Geist“, um es kurz zu halten. Man hätte sicherlich bezahlbare intelligente Leute an diese Probleme setzen können, andere unbezahlbare einbinden, stattdessen kommt das plötzliche und plumpe „jetzt aber vorwärts“ Gerufe des schrägen Heinrichs vom Pferde.

  6. „Die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sieht vor, dass die sozialen Netzwerke vermeintlich❗ strafbare Inhalte direkt an das “

    Nein, nicht vermeintlich, sondern mutmaßlich. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Vermeintlich bedeutet nämlich, dass eine Strafbarkeit nicht gegeben ist. Mutmaßlich bedeutet, dass möglicherweise eine Straftat vorliegt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.