Die Europäische Kommission entwickelt ein Verfahren zur Identifikation von Personen anhand ihres gesprochenen Wortes. Die Plattform „Roxanne“ soll große Datenmengen verarbeiten und kombiniert dafür Audiodateien mit anderen Informationen, die Personen hinterlassen. Um Netzwerke von Verdächtigen zu erkennen, wertet die Plattform etwa auch Videos mithilfe von Gesichtserkennung aus. Diese stammen aus öffentlichen Überwachungskameras oder werden bei Anbietern wie Youtube und Facebook heruntergeladen.
Mit dem Projekt will die Kommission die Ermittlungsfähigkeiten von Polizeibehörden insbesondere bei großen Kriminalfällen verbessern. 24 europäische Organisationen aus 16 Ländern machen bei „Roxanne“ mit, davon die Hälfte Strafverfolgungsbehörden und Innenministerien. Aus Deutschland sind die Universitäten des Saarlandes und aus Hannover beteiligt. Als einziger Drittstaat entsendet Israel ExpertInnen des Ministeriums für öffentliche Sicherheit in das EU-Projekt. Zum Konsortium gehören außerdem Interpol und der Konzern Airbus.
Stimmen von Männern untersucht
Die Technik soll zur so genannten Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) eingesetzt werden, bei der Telefongespräche abgehört werden. Die Polizei will damit nach bestimmten GesprächsteilnehmerInnen suchen. Auch IP-Telefonie, etwa über Messengerdienste wie WhatsApp, soll mithilfe von „Roxanne“ abgehört werden.
Noch befindet sich das System in der Entwicklung. Vor zwei Wochen haben die Beteiligten einen ersten Test absolviert – mit Sprechproben von Freiwilligen. Einem Blogeintrag zufolge sei dies erfolgreich verlaufen, untersucht wurden aber nur die Stimmen von Männern.
Die tschechische Polizei hat die Wirksamkeit der Technologie außerdem bei Ermittlungen zum Drogenhandel gezeigt. In „riesigen Datenmengen“ seien dabei die Beziehungen von Mitgliedern eines kriminellen Netzwerks visualisiert worden.
Projekt soll „Durchbruch“ bringen
Mit dem „Speaker Identification Integrated Project“ (SIIP) hat die EU-Kommission bis 2018 bereits ein ähnliches Verfahren zur Identifikation von „Kriminellen und Terroristen“ anhand ihrer Stimme finanziert. Auch damals war Interpol beteiligt, außerdem das deutsche Bundeskriminalamt und Airbus.
In der Projektbeschreibung von „Roxanne“ heißt es dazu, der zuvor genutzte Ansatz, der nur auf der Analyse von Sprachbiometrie basiert und keine weiteren Daten einbezieht, habe sich als wenig erfolgreich erwiesen. Außerdem würden beim Einsatz der „derzeit besten Technologie zur Sprecheridentifikation“ mit einem Prozent Falschpositiven nach wie vor zu viele Fehlalarme produziert.
Von „Roxanne“ und der darin genutzten Netzwerkanalyse erwarten sich die Beteiligten deshalb einen „Durchbruch“. Hierzu sollen sämtliche Informationen verarbeitet werden, die bei polizeilichen Ermittlungen anfallen können.
Gezielte Suche nach zusätzlichen Merkmalen
Weil Verdächtige häufig Prepaid-SIM-Karten nutzen, will „Roxanne“ die dahinter stehenden Personen mithilfe von früher genutzten Telefon- und IMEI-Nummern sowie Geodaten und Zeitstempeln ermitteln. Auch Inhalte aus früheren abgehörten Gesprächen werden verglichen, um anhand gleichlautender Phrasen die Identifikation der gesuchten SprecherInnen zu verbessern. Die Audiodaten werden anschließend mit einer Sprach-zu-Text-Software verschriftlicht. Daraus werden weitere Metadaten gewonnen, darunter Orte, Personen und Firmen. Auch die Analyse mehrsprachiger Audiodateien soll möglich sein.
Ist bekannt, dass manche GesprächsteilnehmerInnen selten das Wort ergreifen, kann gezielt nach diesem Merkmal gesucht werden. Die Software soll außerdem automatisch das Alter, Geschlecht und den Akzent der GesprächsteilnehmerInnen bestimmen. Das soll dabei helfen, das gesuchte Sprachsignal auf bestimmte Personen einzugrenzen. Als Beispiel nennt die Projektwebseite die Identifizierung eines Zuhälters, der vorwiegend Personen im Alter über 20 Jahren anrief.
Als zusätzliches Metadatum wird etwa das „Lieblingsauto“ genannt, das über die Signatur der Fahrgeräusche während des Telefonierens identifiziert werden könnte. So könnten Verdächtige auch mit wechselnder Mobilfunknummer leichter ermittelt werden.
Rüge vom EU-Datenschutzbeauftragten
In zwei Jahren endet das sieben Millionen Euro teure Projekt. Dann will „Roxanne“ einen Prototyp vorstellen. Die Technik soll in Fallbearbeitungssysteme der Polizei integriert werden können. Genannt wird das geläufige IBM i2 Analyst Notebook, auf dem viele nationale Systeme basieren oder entsprechende Schnittstellen anbieten.
Der Prototyp soll laut der Webseite von „Roxanne“ den Erfordernissen des Datenschutzes entsprechen. Ob die polizeiliche Rasterfahndung jedoch bei Polizeiorganisationen wie Interpol erlaubt ist, ist zweifelhaft.
Auch Europol beteiligt sich als Beraterin an „Roxanne“. Die EU-Polizeiagentur erhält aus den Mitgliedstaaten umfangreiche Daten über einen „Large File-Exchange Server“, darunter aus der TKÜ oder aus beschlagnahmten Telefonen und Datenträgern. Bei der Analyse geraten zwangsläufig Personen ins Raster, die keiner Straftat verdächtig sind, was der geltenden Europol-Verordnung widerspricht. Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat der Polizeiagentur deshalb vor zwei Wochen in einem Schreiben eine Rüge ausgesprochen.
Die Frage wäre hier auch ob das automatisierte herunterladen von Videos bei Youtube/Facebook und co nicht gegen deren AGBs und die Urheberrechte der Nutzer verstößt. Hier wäre es dann mal interessant entsprechende Klagewege auszukosten um den Datenschutz und Menschenrechte gegen den Überwachungsstaat zu verteidigen.
Der Staat sieht sich, wenn es um Überwachung geht, doch inzwischen über den Gesetzen – den bockigen Wunsch nach Totalüberwachung hat man in den letzten 20 Jahren schon mehrfach versucht durchzusetzen; bisher zum Glück immer an Karlsruhe gescheitert. Bisher! …
Und der Geheimdienst ist ja grundsätzlich deswegen geheim, damit die dort Beschäftigten nicht für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden können.
Mit 7Mio Fördersumme ist das ein kleines EU Projekt und unterstützt Arbeit die bei den Partnern sowieso stattfindet. Ich würde davon ausgehen, das bei den „großen“ Analysefirmen um Faktoren höhere Summen hier investiert werden.
Weil der Bedarf für Lösungen dafür existiert.
Nicht bei allen Themen kann man einfach Keller mit Geld auffüllen, auf dass sie zu Fundamenten werden…
Nicht dass ich das einschätzen könnte, aber gemessen an dem, was man im „ersten Jahr“ tun kann, könnte das auch eine hinreichende Menge Geldes sein, um bestehenden Instituten schmackhaft zu machen, mal nach den Verbindungsebenen ausschau zu halten. In zwei Jahren hat man dann vielleicht eine gute Idee was funktionieren könnte, wie man es ausgestalten müsste, und wer nicht mitlaufen wollte – alles halt etwas konkreter. Mit ganz viel mehr Geld kann man schneller mehr erreichen, und vielleicht ist das wirklich nur ein vorsichtiges Tasten, allerdings kann man auch sehr viel Geld regelrecht verbrennen, weil der Sprint eben doch ineffizient ist.
Hier geht es ja nicht darum, einen jungfräulichen Markt schnell zu erobern…