Netzpolitischer Wochenrückblick KW 24: Zensurmaschine und Lügen für die Vorratsdatenspeicherung

Bald stimmen EU-Abgeordnete über eine Vorab-Filterung aller Inhalte auf Plattformen ab. Wir zeigen, was man noch gegen diese geplanten Uploadfilter tun kann! In der letzten Woche beschäftigten uns außerdem die Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung und die Bundeswehraktion auf der re:publica. Außerdem warfen wir einen kritischen Blick auf Datenschutzverletzungen in Spanien und Brandenburg.

Uploadfilter sind eine Gefahr für das freie Internet! Jens Ohlig

Es ist eine Entscheidung, die das Internet auf Jahre prägen wird. Am kommenden Mittwoch, dem 20. Juni, stimmt der federführende Rechtsausschuss im EU-Parlament über die neue Urheberrechtsreform ab. Darin enthalten ist eine Maßnahme zur Vorab-Filterung aller Inhalte auf Plattformen. Kritiker befürchten, dass sie als automatisierte Zensurinfrastruktur missbraucht werden können. Zuletzt bewertete der UN-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung Uploadfilter als mögliche Menschenrechtsverletzung. Die Reform enthält auch ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Ein ähnliches Gesetz ist in Deutschland schon krachend gescheitert.

Wie die Argumentationen in der Debatte funktionieren und wieso die Abstimmung über die Uploadfilter so wichtig ist, hat John Weitzmann von Wikimedia Deutschland auf der diesjährigen re:publica erklärt. Der Youtuber manniac hat das Vorhaben diese Woche in einem vereinfachten Erklärvideo zusammengefasst. Wenn Ihr das Internet vor den #CensorshipMachines retten wollt, findet ihr auf saveyourinternet.eu Wege, Eure EU-Abgeordneten direkt zu kontaktieren und sie aufzufordern, gegen die Einführung der Uploadfilter zu stimmen. Bisher gibt es auch dank der deutschen Konservativen eine Mehrheit für diese Ideen.

Lügen für die Vorratsdatenspeicherung

Für die Wiedereinführung einer verpflichtenden Vorratsdatenspeicherung (VDS) lassen sich zwar partout keine handfesten Argumente finden, müde werden ihre Befürworter davon allerdings nicht. Ganz vorne mit dabei ist und bleibt das Bundeskriminalamt (BKA). Erst letzte Woche hatten wir gezeigt, das BKA-Präsident Holger Münch nicht davor zurückschreckt, Zahlen für seine Zwecke zurechtzubiegen. Diese Woche veröffentlichte das BKA eine Sammlung von Einzelfällen und instrumentalisierte damit Opfer sexualisierter Gewalt, um für die Vorratsdatenspeicherung zu werben. Unser Autor Andre Meister hat diese Lügen für die Vorratsdatenspeicherung dokumentiert und auch auf die Äußerungen dieser Woche geantwortet.

Über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wurde diese Woche auch im Bundestag diskutiert, der Rechtsausschuss hatte zu einer Sachverständigenanhörung eingeladen. Anlass war ein Entwurf der FDP-Fraktion für ein sogenanntes Bürgerrechtestärkungs-Gesetz zur Abschaffung der VDS. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rechtswidrigkeit einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung muss auch das deutsche Gesetz abgeschafft werden. Das betonten Sachverständige, darunter unsere Autorin Constanze Kurz für den Chaos Computer Club, bei der Anhörung. Vertreter von Staatsanwalt- und Richterschaft sprachen sich in anekdotischen Stellungnahmen dennoch stur für VDS aus. Wir waren für Euch dort und haben die Anhörung dokumentiert.

Kritik am Privacy-Shield, EU-Kommission fordert Biometriezwang

Die Privacy-Shield-Vereinbarung zum Datentransfer zwischen der EU und den USA kann die Rechte von Europäern nicht ausreichend schützen. Zu der Erkenntnis ist in dieser Woche der Innenausschuss des EU-Parlaments gekommen und will den Rest des Parlament nun davon überzeugen, Druck auf die EU-Kommission aufzubauen. Sie soll mit den Vereinigten Staaten entweder effektiveren Datenschutz auszuhandeln oder das Privacy Shield zum 1. September aussetzen. Die liberale EU-Abgeordnete Sophie in’t Veld hält es für unwahrscheinlich, dass die Kommission dazu bereit ist, und hofft eher auf eine erneute Aufhebungsentscheidung vom EuGH. Die entscheidende Abstimmung im Parlament findet voraussichtlich im Juli statt, wir bleiben für Euch am Ball.

Entschlossener tritt die EU-Kommission mit ihrer Forderung auf, Fingerabdrücke in Personalausweisen EU-weit verpflichtend zu machen. Bei dem Vorstoß ignorierte die Kommission allerdings Ergebnisse der eigens in Auftrag gegebenen Folgenabschätzung, wie die britische Bürgerrechtsbewegung Statewatch in einem Hintergrundpapier feststellte. Wir haben uns die abenteuerliche Argumentation der Kommission noch einmal angesehen.

Gute Nachrichten gibt es aus Australien. Dort wurde die Entwicklung einer neuen gigantischen Biometriedatenbank vorerst auf Eis gelegt – leider nicht wegen Bedenken gegen Überwachungsausbau, sondern schlicht aufgrund zu hoher Kosten.

Facebook unter Druck

Derweil schlägt das Facebook-Fanpage-Urteil des EuGH weiterhin Wellen. Wir haben die durchaus verständliche Aufregung bereits in der vorherigen Woche kommentiert und finden immer noch, dass zunächst Facebook selbst in der Pflicht ist, offene Fragen über das Betreiben von Seiten zu klären. Bisher war allerdings keinerlei Reaktion seitens der kommerziellen Werbeplattform zu vernehmen. Daran stört sich die Bundestagsfraktion der Grünen und forderte den Datenkonzern diese Woche zum Handeln auf: Wenn er seine alleinige Verantwortung für den Datenschutz nicht anerkenne, wolle man gegen den europäischen Ableger des Netzwerks in Irland klagen.

Die Debatte im Netz verlagert sich zunehmend ins Private. Das geht aus einer neuen Studie des Reuters-Instituts für Journalismusforschung in Oxford hervor. Wenn Facebook mit seinen Änderungen am Newsfeed-Algorithmus weniger Nachrichtenartikel anzeigt und Debatten im Netz zunehmend von aggressiven Trollen dominiert sind, dann führe das dazu, dass Nutzer Nachrichten eher in privaten Chats oder Messengergruppen diskutieren. Wir haben uns die Studie für Euch angeschaut. Folgt man dieser Analyse, dürfte es in Zukunft immer schwieriger werden, die öffentliche Meinungsbildung im Netz überhaupt noch nachvollziehen zu können.

Listige Stadtsparkassen und die spanische Smartphone-Wanze

Dies ist kein fiktiver Fall: Mit fragwürdigen Methoden drängen Sparkassen in Brandenburg und Thüringen ihren Kunden personalisierte Werbung auf. Um auch in Zukunft erreichbar zu sein, müsse der Kunde bitte in der Filiale vorbeikommen. Eine Unterschrift sei nötig. Die List geschieht dann am Schalter: Dem Kunden wird eine dreiseitige Einwilligung vorgelegt, die er bitte unterschreiben soll. Das Ganze geschieht unter dem Deckmantel der Anpassungen an die Datenschutzgrundverordnung, Verbraucherschützer sprechen von Täuschung. Unser Autor Simon Rebiger hat diese Woche über diese Strategien recherchiert und zeigt auch, wie man sich dagegen wehren kann. Wenn Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt, also die Informationen über den Zweck nicht mit den schriftlichen Angaben in der Einwilligung übereinstimmen, dann schreibt eine E-Mail an Simon (PGP). Uns interessiert dabei besonders, wie andere Sparkassen und Finanzinstitute vorgehen.

Auch der Sport ist Schauplatz von fragwürdigem Umgang mit privaten Informationen. Das zeigen die digitalen Überwachungsmethoden der spanischen Fußballliga der Männer „La Liga“. Im Kampf gegen nicht lizenzierte Übertragungen von Spielen greift die Organisation tief in die Werkzeugkiste und missbraucht die Smartphones der Fans als Wanze. Das deutsche Pendant, die „Deutsche Fußball Liga“, nutzt das Verfahren laut eigener Aussage nicht.

Die Grenze zwischen zivil und militärisch

Die Bundeswehr-„Protestaktion“ auf der diesjährigen re:publica hat ein Nachspiel. Diese Woche tagte der Verteidigungsausschuss des Bundestages in einer nicht-öffentlichen Sitzung zu dem Thema. Zudem ist mittlerweile klar, dass die Bundeswehr und eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums Falschinformationen verbreiteten. Die selbst ernannte „Protestaktion“ der deutschen Streitkräfte war eine von Halb- und Unwahrheiten getriebene mediale Kaperung einer eigentlich militärfernen Konferenz. Damit war sie auch erfolgreich – das Thema Bundeswehr nahm bei den re:publica-Diskussionen viel Raum ein und überschattete damit wichtige netzpolitische Debatten, die die Konferenz eigentlich in die Öffentlichkeit bringen will.

Auch in Brüssel ging es in dieser Woche um die Rolle des Militärs. Das EU-Parlament fordert die EU-Staaten zur Militarisierung der „Cyberabwehr“ auf, man solle bei Verteidigung von IT-Systemen stärker die Kooperation mit der NATO suchen. Das Verwischen von Grenzen zwischen zivil und militärisch bei der Verteidigung von wichtiger Infrastruktur sei dabei „unvermeidbar“, beschloss die breite Mehrheit der Parlamentarier vergangene Woche. Diese Verteidigungsstrategie setze Kriminalität, Terrorismus und Militärisches gleich, kritisierte die Fraktion der Linken im EU-Parlament und forderte ein striktes zivil-militärisches Trennungsgebot.

Das Ende der Netzneutralität in den USA

Ende letzten Jahres hatte die amerikanische FCC (Federal Communications Commission) die unter Obama geschaffenen Regeln zum Schutz des offenen Internets gekippt. Der Beschluss gilt nun seit dieser Woche, die Post-Netzneutralitäts-Ära für US-Nutzer hat somit begonnen.

Dass US-Nutzer nun von einem auf den anderen Tag das halbe Internet vorenthalten wird, hält unser Autor Tomas Rudl für unwahrscheinlich, schließlich sei die US-Öffentlichkeit extrem sensibilisiert, was die Netzneutralität angeht. Wahrscheinlicher sei eine schleichende Verschlechterung. Dennoch bleibe es ein schwarzer Tag für das Internet in den USA. In der EU garantiert zwar eine EU-Verordnung die Regeln für ein freies und offenes Internet, doch nagen das Schlupfloch von Zero-Rating-Angeboten in Verbindung mit einer mangelhaften Rechtsdurchsetzung der Regulierungsbehörden an der Netzneutralität.

Unsere WM-Serie „Eingenetzt“

Vergangene Woche hat mit der Fußball-WM der Männer auch unsere WM-Serie „Eingenetzt“ begonnen, in der wir einen Blick auf Freiheitsrechte in den Spielernationen werfen werden. Zum Auftakt standen sich zwei Giganten der Internetzensur gegenüber: Russland und Saudi-Arabien. Am Sonntag warteten wir mit einer Vorspielberichterstattung zur Begegnung Deutschland gegen Mexiko auf – unter anderem mit „Außenverteidigerin“ Ursula von der Leyen.

Wir wünschen eine schöne Woche!

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

0 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.