G20-Gipfel: Kontrolle „sicherheitsbehördlicher Bedenken“ bei Entzug von Akkreditierungen unmöglich

Der Entzug von Presse-Akkreditierungen beim G20-Gipfel ist nicht objektiv kontrollierbar. Das ist das Ergebnis einer Überprüfung des Datenschutzbeauftragten in Baden-Württemberg. Der Verfassungsschutz hatte seine Entscheidung nicht schriftlich dokumentiert. Zudem fehlt eine Gesetzesgrundlage für den Grundrechtseingriff.

Hinter Stacheldraht: Am 7. und 8. Juli 2017 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zum G20-Gipfel in Hamburg. CC-BY-NC 2.0 Kevin Hackert

Gestern stellte der Landesdatenschutzbeauftragte im baden-württembergischen Landtag einen Bericht über seine Untersuchung der Akkreditierungsablehnungen von Journalisten beim G20-Gipfel in Hamburg vor. Sowohl Landes- als auch Bundesbehörden haben dabei Fehler gemacht. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Stefan Brink, benennt konkrete strukturelle Mängel und Lücken bei der Kontrolle der Geheimdienste. Er gibt außerdem dringende Empfehlungen zur Verbesserung ab.

Polizeibeamte hatten beim G20-Gipfel Hamburg im Juli 2017 anhand von Listen einer Reihe von Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen. Insgesamt waren 32 Medienvertreter betroffen, gegen die angebliche Sicherheitsbedenken vorgelegen haben sollen. Das Bundeskriminalamt hat später für mehrere dieser Listen eingeräumt, dass sie niemals zum Einsatz hätten kommen sollen.

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Schon im August räumte das Bundesinnenministerium Fehler beim BKA ein und versprach Abhilfe. - Christoph Proessl

Die BKA-Informationen waren teilweise falsch, manchmal veraltet oder beinhalteten lediglich unbelegte Vorwürfe. Solche Fehler betreffen allerdings nicht nur Journalisten, sondern zehntausende Menschen.

Grundlage des aktuellen Berichts ist die Prüfung der Vorfälle von sechs betroffenen baden-württembergischen Journalisten. Das BKA hatte das dortige Landeskriminalamt nicht hinzugezogen, allerdings auf die Einträge im länderübergreifenden Informationssystem der Polizei INPOL zugegriffen. Dort speichern auch baden-württembergische Polizeidienststellen Daten ein. In den untersuchten Fällen stellte sich heraus, dass einige Datenspeicherungen in INPOL rechtswidrig waren.

Prüfung „faktisch kaum möglich“

Das Landesamt für Verfassungsschutz war zusätzlich in vier der sechs baden-württembergischen Fälle vom Bundesamt für Verfassungsschutz „jeweils um ein ausdrückliches Votum gebeten“ worden, wie es in der Pressemitteilung des Landesdatenschutzbeauftragten heißt. Das BfV nutzte dafür das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS) und gab dem LfV eine Beantwortungsfrist von maximal zwei Tagen vor. Daraufhin sei in allen vier Fällen kurzfristig an das BfV gekabelt worden, dass beim LfV Sicherheitsbedenken bestünden.

Der Landesdatenschutzbeauftragte Brink kontrollierte daher auch die Verfahrensakten des Landesamts für Verfassungsschutz, weil es damit an den Entscheidungen zum Widerruf der Akkreditierungen beteiligt war. Dabei tauchte allerdings das Problem auf, dass „die tragenden Gründe“ vom Landesverfassungsschutz nicht aus den Akten hervorgehen, wie er gestern den Parlamentariern erläuterte. Denn die „sicherheitsbehördlichen Bewertungen“ hat das Amt „nicht schriftlich dokumentiert“. Wie die Geheimdienstler also zu ihrer Bewertung kamen und was letztlich den Ausschlag für den nachträglichen Akkreditierungseinzug gab, bleibt für die Kontrollbehörde ein Rätsel.

Der Landesdatenschutzbeauftragte hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es nicht vielleicht gute Gründe für die Verfassungsschutz-Einschätzungen gegeben haben könnte. Allerdings sei das Prüfen „ohne entsprechende Dokumentation“ eben „faktisch kaum möglich“. Das erklärte Brink auch den baden-württembergischen Parlamentariern bei der Vorstellung seines Berichts:

Wenn der LfDI [Landesdatenschutzbeauftragte] im Nachhinein nicht mehr feststellen kann, welche der teilweise zahlreichen Erkenntnisse der fachlichen Einschätzung zugrunde gelegt wurden und welche nicht, wenn der LfDI nicht erkennen kann, welche Erkenntnisse besonders stark gewichtet und welche nur beiläufig betrachtet oder gar außer Acht gelassen wurden, dann kann er diese fachlichen Einschätzungen des LfV nicht objektiv prüfen.

Letztlich haben die Geheimdienstler dann freie Hand und müssen sich keinerlei nachgelagerter Kontrolle stellen. Deswegen gibt Brink auch die Empfehlung ab:

[…] das Parlament [sollte] dem LfV die Pflicht auferlegen, bei der Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen die für die Entscheidung maßgeblichen Erkenntnisse prüffähig zu dokumentieren.

Das sei auch schon deswegen anzuraten, weil diese Entscheidungen über den Umweg des BKA unmittelbare Auswirkungen auf die betroffenen Journalisten gehabt haben könnten, die dadurch in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt werden:

Soweit sich das BKA bei seiner sicherheitsbehördlichen Empfehlung ausschließlich auf die Bewertung durch das Verfassungsschutzamt gestützt hat, hing die Frage der Erteilung oder Nichterteilung von Akkreditierungen damit in letzter Konsequenz an der (inneren) Bewertung eines Verfassungsschutzmitarbeiters, die mangels Dokumentation nicht überprüfbar war.

Daumen hoch oder Daumen runter: Nachvollziehbar ist diese Entscheidung im Nachhinein nicht mehr.

Grundsätzliche Mängel bei der Akkreditierungsprüfung

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Der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink.

Der LfDI übt in seinem Bericht auch grundsätzliche Kritik an der Art der Zuverlässigkeitsüberprüfung zur Akkreditierungsvergabe. Zunächst sei sie nicht zu verwechseln mit einer Sicherheitsüberprüfung nach dem Landessicherheitsüberprüfungsgesetz, denn dafür liege schließlich eine gesetzliche Grundlage vor. Nicht so bei der ungeregelten Prüfung zur Akkreditierung.

Das sei nicht akzeptabel angesichts der Tatsache, dass „massiv in die Grundrechte von Betroffenen“ eingegriffen werden könnte: etwa in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, in die Berufsausübungsfreiheit, in die Gewerbefreiheit sowie in die Meinungs- und Pressefreiheit. Der Landesbeauftragte betont, dass er sowohl das Landesinnenministerium als auch das Parlament bereits mehrfach aufgefordert hat, eine spezifische gesetzliche Grundlage zu schaffen. Darin müssten die Eingriffsvoraussetzungen konkretisiert und gegenläufige Grundrechte gewichtet werden. Der Gesetzgeber müsse nun handeln:

Da insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit vom Bundesverfassungsgericht als „für unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend“ angesehen wird, stellt sich die nach wie vor fehlende gesetzliche Regelung als verfassungsrechtlich inakzeptabel dar.

Dass die Zuverlässigkeitsüberprüfung zur Akkreditierungsvergabe schlicht gar nicht gesetzlich geregelt wurde, ist also ein schweres Versäumnis des Gesetzgebers. Wenn keine gesetzliche Grundlage vorliege, dann seien solche Überprüfungsverfahren in vielerlei Hinsicht „problematisch und fehleranfällig“.

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5 Ergänzungen

  1. Es ist zu begrüßen, dass auf verschiedenen Ebenen untersucht wird.

    Wichtig ist jedoch, dass die Diskussion jetzt nicht im klein-klein versandet.

    Die Beweislast liegt bei der Organisation, die die Journalisten bei ihrer Arbeit behindert hat, offenbar dem BKA. Wenn das BKA Berufsverbote erteilt und nicht klar beweisen kann, dass es dafür eine Grundlage gibt, dann wurden Gesetze gebrochen. Es ist zu hoffen, dass netzpolitik.org und andere den Druck so lange aufrecht erhalten, bis dienst-, straf- und zivilrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen gezogen wurden.

  2. Kaum vorstellbar was passiert wäre, wenn die Akkreditierung von Journalisten aus dem rechten Spektrum entzogen wäre. Thema meinungsdiktatur und so.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.