Netzpolitischer Wochenrückblick KW29: Neues vom Staatstrojaner

Das Bundeskriminalamt will eine mächtigere Version des Staatstrojaners einsetzen. Weltweit versuchen Staaten ihre Medien und Bürger einzuschüchtern und die Position von Strafverfolgern zu stärken. Außerdem haben wir ein Dossier über den NSA-Untersuchungsausschuss zusammengestellt. Die Themen der letzten Woche im Rückblick.

CC-BY 2.0 Gary Winfield

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Auch wenn sich diese Woche ein Überwachungsroboter in Washington augenscheinlich selbst ertränkt hat, ist die Überwachung nicht tot – ganz im Gegenteil.

Wir haben einen geheimen internen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) veröffentlicht. Nachdem der Bundestag den Einsatz des Staatstrojaners kürzlich deutlich ausgeweitet hat, will das BKA noch in diesem Jahr digital aufrüsten und künftig auch Messenger-Apps wie WhatsApp hacken.

Nach dem Ende des NSA-Untersuchungsausschusses geht die Aufarbeitung weiter. Dabei helfen soll unser neues Themendossier, wo wir alle wichtigen Dokumente, Etappen, unsere Live-Blogs sowie Einschätzungen der letzten Jahre übersichtlich aufbereitet haben.

Auf Landesebene gibt es auch Neuigkeiten zu Geheimdiensten: Fünf Bundesländer wollen ein gemeinsames Überwachungszentrum einrichten. Das soll 2019 an den Start gehen, in Dresden und Leipzig sollen dann Telefongespräche abgehört, SMS mitgelesen und Internetverbindungen mitgeschnitten werden.

So geht Transparenz

Im Unterschied zu all diesen Behörden ist uns Offenheit wichtig, wie unser Transparenzbericht für diesen Juni zeigt. Leider haben wir dennoch Minus gemacht.

Ebenfalls veröffentlicht haben wir erste Programm-Einblicke für unsere „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz am 1. September in Berlin. Tickets gibt es zu unterschiedlichen Preisen im Vorverkauf oder selbstverständlich auch anonym vor Ort (zumindest solange der Vorrat reicht).

Ausbau von Rechten – heute für die Polizei, aber morgen auch für Nutzer?

Bayern hat diese Woche das Gefährdergesetz verschärft und kann damit verdächtigte Personen präventiv und theoretisch unendlich lang in Gewahrsam nehmen. Die Kieler Nachrichten werfen der Landespolizei Schleswig-Holstein vor, zwei ihrer Journalisten mit Peilsendern überwacht zu haben.

Eine Gruppe europäischer Strafverfolger hat außerdem ihre Fantasien für die Zukunft der Polizeiarbeit vorgestellt. Dabei fordern sie unreflektiert die Einführung von Smartphones für Polizisten und wollen dabei auch auf Daten aus sozialen Medien zugreifen – ohne dabei ethische und rechtliche Fragen zu beachten. Google hat seinen Transparenzbericht aktualisiert und übersichtlicher gestaltet. In Bezug auf Deutschland steht dort, dass deutsche Behörden nach den Daten von 26.745 Nutzer gefragt haben. 45 Prozent der Anfragen hat Google positiv beantwortet.

Die Türkei hat sechs Menschenrechtler unter abwegigen Vorwänden in Untersuchungshaft genommen. Zwei von ihnen haben ein Workshop zu Informationsmanagement, Trauma und Stress gegeben und werden angeklagt, damit eine bewaffnete terroristische Organisation unterstützt zu haben.

Algorithmen regulieren, aber wie?

In Sachen Nutzersouveränität gibt es dagegen immer konkretere Ideen: Ein Beratungsgremium des Justizministeriums hat umfangreiche Vorschläge und Forderungen vorgelegt. Algorithmische Entscheidungsverfahren sollen einem Auditing-Prozess unterzogen werden und Nutzer sollen durch ein Datendashboard die Kontrolle über ihre Daten zumindest ein Stück weit zurückerlangen.

Zudem haben wir ein Interview mit dem US-Rechtswissenschaftler und “Black-Box”-Experten Frank Pasquale geführt und ihn befragt, wie Algorithmen und große Plattformen unser Leben formen – und wie sie sich regulieren lassen.

Die Deutsche Bahn hatte wieder Probleme mit dem Wlan ihrer Züge. Darüber konnten Daten von Nutzern ausgelesen werden – nachdem die Bahn versichert hatte, die Sicherheitslücke geschlossen zu haben. Nicht gerade souverän.

Staaten versuchen zu schweigen und zum Schweigen zu bringen

Während die Veröffentlichung der sogenannten „Afghanistan-Papiere“ den Europäischen Gerichtshof beschäftigen wird, schiebt eine Kunstaktion die Dokumente Seite für Seite auf Twitter und wehrt sich so gegen das „Zensurheberrecht“. Sitzungen der Stadtvertretung Schwerin werden seit einigen Jahren im Internet übertragen, mit großem Erfolg. Unverständlich ist aber, dass Zuschauern mit Strafen von bis zu 250.000 Euro gedroht wird, wenn sie den Livestream mitschneiden und beispielsweise auf YouTube hochladen.

Österreich hat in den letzten Wochen ein umfangreiches “Sicherheitspaket” inklusive Staatstrojanern, Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung auf den Weg gebracht. Die Bürgerrechtsorganisation epicenter.works hat die Bevölkerung eingeladen, sich zu diesen Vorhaben zu äußern, woraufhin das Justizministerium E-Mails der Organisation blockiert hat.

Der Europäische Gerichtshof verpflichtet die EU-Kommission, mehr Schriftsätze im Kontext von Rechtsverfahren öffentlich zu machen. Die Kommission kann aber immer noch Dokumente zurückhalten, “soweit ein übergeordnetes öffentliches Interesse dies rechtfertigt.”

China zensiert mittlerweile wohl auch Bilder in Echtzeit, beispielsweise des verstorbenen Friedensnobelpreisträgers Lui. Nutzer werden aber kreativ und umgehen die Zensur, indem sie die Bilder rotieren. Die Kommunikationsbehörde in Südsudan blockiert den Zugang zu wichtigen nationalen Nachrichtenwebseiten – 10 Tage zuvor wurde bereits der Chef des staatlichen Fernsehens festgenommen und hat bislang keinen Zugang zu einem Anwalt.

Letztes Wochenende hat sich der türkische Präsident Recep Erdoğan in die Telefonate aller Bürger eingeklinkt und damit gezeigt, dass am ersten Jahrestag des gescheiterten Putsches in der Türkei niemand an ihm vorbeikommt. Russische Abgeordnete scheinen zudem das im Bundestag verabschiedete Netzwerksdurchsetzungsgesetz zu kopieren und haben einen Gesetzentwurf zur Kontrolle von Internetinhalten eingebracht. Den begründen sie unter anderem mit dem deutschen Gesetz.

Fernsehen, Zeitungsverleger und Facebook

Wir haben die Online-Stellungnahmen zum Telemedienauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks analysiert. Im Streit darum, wie lange Beiträge der Öffentlich-Rechtlichen in Zukunft online verfügbar sein sollen, sind sich die Parteien einig, fordern aber ein konkretes Einnahmemodell.

In den USA wiederum plant Facebook ein neues Abo-Modell und will Zeitungsverleger damit für Artikel entlohnen, die auf Facebook gelesen werden. Das klingt zwar gut, könnte aber nicht nur die Macht der Plattform weiter stärken, sondern auch zu Lasten der Nutzer gehen.

Mobbing im Netz

Eine Studie hat Jugendliche zu Mobbing im Netz befragt. Zwischen zwei und sieben Prozent der Jugendlichen geben an, wegen ihres Aussehens online gemobbt zu werden.

Wer sich am Wochenende mit den Grenzen von Musik beschäftigen will kann den Beitrag von Alex lesen, der algorithmische Musik thematisiert und dort auch ein Beispiel hören. ZDFinfo hat eine Doku zu Falschmeldungen im Internet ausgestrahlt, der Deutschlandfunk eine einstündige Sendung zu “Drohnen am Himmel: Spielzeug oder Angriff aufs Privatleben?”.

Wir wünschen ein entspanntes Wochenende und eine gute neue Woche!

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9 Ergänzungen

  1. @Markus Beckedahl oder Redaktion

    Habt ihr gehört, dass jetzt Bankschließfächer aller Bürger überwacht werden?
    Und dass der Staat jetzt 10 Jahre speichert, wo man welche Konten hatte?

    Konkret:
    Das Kontenabrufverfahren wird erweitert (das wurde zur Terrorbekämpfung eingeführt und wird heute gegen kleinste Delikte eingesetzt; die Abrufzahlen sind stark gestiegen, die abrufberechtigten Behören wurden enorm ausgedehnt).
    Bankschließfächer sind jetzt ebenfalls erfasst. Der Staat kann wie bei Bankkonten jetzt auf Knopfdruck erfahren, wo die Bürger Bankschließfächer haben.
    Außerdem speichert der Staat jetzt nicht mehr drei Jahre die historische Kontoverbindungen aller Bürger, sondern 10 Jahre. Der Staat kann somit jetzt auf Knopfdruck alle Konten der letzten 10 Jahre erfahren, bisher wurde die Historie nach 3 Jahren gelöscht.
    Ferner werden Adresse, SteuerID zusätzlich im Kontoregister gespeichert.

    Könnt ihr bitte darüber berichten (wenigstens als Kurzmeldung)?

    Diese neue Datensammel- und Überwachungsmaßnahme ist völlig unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit hindurchgesegelt und wurde heimlich, still und leise beschlossen.
    Es ist ein Beispiel, wie staatliche Überwachungsmaßnahmen schrittweise ausgebaut werden, wenn sie einmal eingeführt wurden. Erst ging es nur gegen Terror, dann gegen alles. Erst durften nur Strafverfolgungsbehörden abrufen, dann fast alle Behörden inklusive Steuerbehörden. Erst wurde nur 3 Jahre gespeichert, dann 10 Jahre. Erst waren es nur Bankkonten, jetzt sind es auch Schließfächer. Ein Musterbeispiel für Salamitaktik.

    1. Ich glaube zwar nicht, dass netzpolitik.org Dir antworten oder das Thema verbloggen wird, aber ich habe selbst mal recherchiert und das hier gefunden:

      https://www.gesetze-im-internet.de/kredwg/__24c.html

      Krass, ich hätte nicht gedacht, dass die so dreist sind und sowas einfach so durchdrücken.
      Als ob Überwachung von Schließfächern irgendetwas mit Kriminalitätsbekämpfung zu tun hätten. Hier ist der Zweck Kontrolle der (unbescholtenen) Bevölkerung offensichtlich. Insbesondere wenn man überlegt, dass viele Bürger wegen Nullzinsen (oder drohender Negativzinsen) und den Anti-Bargeld-Bestrebungen diverser Akteure Bargeld in ihren Schliefächern bunkern. Jeder Winkel, der sich bisher (noch) den Kontrollbestrebungen des Staates entzieht, soll offensichtlich ausgemerzt werden.

      1. na ja, mal schön ruhig bleiben ihr zwei. netzpolitik hatte schon nichts dazu, daß laut den australiern der gchq signal knacken kann. auf der sha2017 wirds einen vortrag dazu geben, wie tor knackbar ist (schlechte opsec und ähnliches). dazu hat netzpolitik auch nichts. viele themen bleiben einfach liegen in der redaktion. wenns mehr spenden gibt, dann gibts auch mehr coverage. einfache rechnung. mehr geld mehr qualität. bis es soweit is, müssen wir uns selbst behelfen und selber informieren. netzpolitik ist ganz nett, aber sicher keine top-quelle für informationen zu diesem themenkreis.

      1. @ Constanze:

        Ah, auf Stänkerer wie „Lückenpresse“ und seine absurden „die deutsche Presse schweigt“-Vorwürfen antwortest Du, aber auf die weiter oben beschriebenen neuen Überwachungsmaßnahmen (Schließfächer, Kontenabruf) gehst Du (oder einer Deiner Kollegen) nicht ein? Hm…

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