Infrastrukturminister Alexander Dobrindt (CSU) hat gestern das „Kursbuch Netzausbau 2016“ vorgestellt. Dieses soll die Fortschritte beim Breitbandausbau dokumentieren und die Arbeit der nicht sonderlich transparent agierenden „Netzallianz Digitales Deutschland“ zusammenfassen, die beinahe ausschließlich aus Vertretern von Netzbetreibern besteht. Den Arbeitskreis hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) 2014 ins Leben gerufen, um im geschlossenen Raum Maßnahmen zu erörtern, die den Netzausbau „schnellstmöglich voranbringen“ sollen – schließlich hat sich die Koalition das Ziel gesteckt, bis 2018 flächendeckend Breitbandanschlüsse von mindestens 50 MBit/s im Downstream auszurollen.
Bislang blieben greifbare Erfolge jedoch weitgehend aus. Zwar hat es die Regierung im letzten Jahr tatsächlich geschafft, ein Förderprogramm für den Breitbandausbau aufzulegen, die Umsetzung einer EU-Richtlinie auf den Weg zu bringen und Funkfrequenzen zu versteigern. Um große Würfe handelt es sich in Summe allerdings nicht: zu wenig, zu spät, zu unkoordiniert lautet die gängige Kritik. Von der verfehlten Vectoring-Entscheidung der Bundesnetzagentur, die der deutschen Telekom ein beinahes exklusives Ausbaurecht einräumt und damit den Wettbewerb sowie nachhaltigen Netzausbau gefährdet, gar nicht zu sprechen.
Breitbandwüste Deutschland
So beschränkt sich das aktuelle Papier denn auch darauf, vage Absichtserklärungen in den Raum zu stellen und Zahlenspiele zu betreiben. Im ländlichen Raum habe es etwa einen „erheblichen Zuwachs um 21,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gegeben“, was die Zahl der Anschlüsse mit mindestens 50 MBit/s betrifft.
Das klingt zunächst gut, jedoch ergibt sich ein anderes Bild, wenn man die nackten Zahlen heranzieht: Von 23,3 Prozent im Jahr 2014 gab es eine Steigerung um fünf Prozentpunkte hin zu mageren 28,3 Prozent. Im halbstädtischen Raum sieht es mit 58,4 Prozent ebenfalls verhältnismäßig düster aus, und selbst Haushalte in Städten können nicht davon ausgehen, einen schnellen Anschluss zu erhalten (85,8 Prozent). Von einer flächendeckenden Breitbandversorgung sind wir nach wie vor meilenweit entfernt.
Welchen Weg Deutschland noch zurücklegen muss, verdeutlicht auch die Aussage, dass man mit der „stetig zunehmenden Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen mit 50 Mbit/s und mehr bereits den Weg in die Gigabitgesellschaft eingeschlagen“ habe. Zum Vergleich: Eine Übertragungsrate von einem GBit/s entspricht geschlagenen 1000 MBit/s, also dem Zwanzigfachen des Breitbandziels der Bundesregierung.
Ohne Studien kein Ausbau
Zudem könne man derzeit gar nicht abschätzen, wie es mit dem mittel- bis langfristig zu erwartenden Breitbandbedarf in Deutschland aussehe. Da es angeblich an aktuellen Untersuchungen mangle, soll nun eine weitere Studie „technische, zeitliche, qualitative und ordnungspolitische Rahmenbedingungen für den Weg in die Gigabitgesellschaft“ beleuchten. Als Zeithorizont ist das vierte Quartal 2016 angegeben.
Anders gesagt, das Infrastrukturministerium braucht also noch bis Ende des Jahres, um überhaupt einschätzen zu können, ob Deutschland nun wirklich Glasfasernetze benötigt oder nicht. Und falls ja, bis wann.
Vielleicht sollte Dobrindt einfach mal bei seinen Kollegen im Wirtschaftsministerium anklopfen, die mit der „Digitalen Strategie 2025“ genau so eine Studie erstellt haben und darin auf zahlreiche andere verweisen. Der Grundtenor lautet wenig überraschend: Wir brauchen flächendeckend Glasfasernetze, und zwar gestern.
Darüber hinaus benötige man noch weitere Untersuchungen, heißt es im Kursbuch. So werde man bis Ende des Jahres prüfen, „ob ein Aufbau einer Baustellendatenbank die Koordinierung des Glasfaserausbaus erleichtern könnte“, Hinweise erstellen, die zur Mitverlegung von Leerrohren und Glasfaser geeignet sind und den „Kreis der Einsichtnahmeberechtigten“ in den für den Ausbau wichtigen Infrastrukturatlas erweitern, um nur einige der Absichtserklärungen anzuführen.
„Verschleierungstaktik von Dobrindt“
„Im Kursbuch stehen keine neuen Ansätze“, erklärte dazu Tabea Rößner, Sprecherin für Digitale Infrastruktur der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Es wird einfach immer nur weiter rumgewurschtelt, auch wenn dies bisher keinen wirklichen Erfolg brachte“, so Rößner. Statt weiter auf Brückentechnologien wie Vectoring zu setzen, sollte sich der Fokus hingegen auf Glasfaser richten.
Es handle sich um ein „einziges großes Ablenkungsmanöver“, sagte der VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner gegenüber netzpolitik.org. Grützner, dessen „Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten“ in der Netzallianz sitzt, sprach von einer „Ankündigungspolitik“, die jede klare Festlegung vermeide und die Vectoring-Politik der Bundesregierung verschleiere. „In den kommenden 12 bis 18 Monaten wird entschieden, was gebaut wird“, so Grützner. Wie es derzeit aussieht, dürfte das auf Kupfer basierende Vectoring das Rennen machen. „Aber wo die deutsche Telekom Vectoring verlegt, wird kaum ein Zweiter dann ein Glasfasernetz legen und die Telekom selbst so spät wie möglich. Das rechnet sich wirtschaftlich für die Telekom, ist aber schlecht für unseren Wirtschaftsstandort“, erklärte Grützner.
In einer gemeinsamen Aussendung forderten denn auch die an der Netzallianz beteiligten Verbände ANGA, BREKO, BUGLAS und VATM von der Politik, jetzt die richtigen Anreize zu setzen. „Die Schaffung neuer Monopole in Bereichen des nicht zukunftsfähigen Kupfernetzes“ gehörten nicht dazu, ebensowenig „ein staatlich angeordneter Überbau von Gigabit-Netzen durch leistungsschwächere Infrastruktur.“
Neue Einnahmequellen gesucht
Wir haben bereits mehrfach darüber berichtet, wie praktisch die Netzallianz für die Telekom-Lobby ist: Hinter verschlossenen Türen hat man sich einen direkten Draht ins Verkehrsministerium gelegt und tauscht beispielsweise Ausbauzusagen gegen die Netzneutralität ein. So betont das aktuelle Kursbuch, wie viel man seit 2014 erreicht habe und führt etwa die Spezialdienste an, die die Netzbetreiber künftig unter bestimmten Voraussetzungen anbieten dürfen. Bezahlte Überholspuren wünscht sich die Industrie seit langem, um von den Inhalteanbietern und/oder Nutzern Gebühren abzukassieren und damit den Netzausbau quer zu subventionieren.
Zeitgleich hat die EU-Kommission eine Überprüfung des Ordnungsrahmens im Telekommunikationssektor eingeleitet, die auf die Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes abzielt. Dabei sollen unter anderem die Rahmenbedingungen angeglichen werden, die für althergebrachte Telekommunikationsanbieter auf der einen und für neue Dienste wie WhatsApp oder Skype auf der anderen Seite gelten. Konkret heruntergebrochen bedeutet das nicht nur eine Überprüfung der Geschäftsmodelle, sondern beispielsweise auch der Kompatibilität der einzelnen Dienste untereinander oder auch vergleichsweise simple Fragen wie die, ob man über die neuen Dienste etwa auch Notrufe erreichen können sollte.
Die Chance, an dieser Neugestaltung mitzuwirken, will die Branche natürlich nicht an sich vorüberziehen lassen und fordert im Kursbuch eine „investitions- und wettbewerbsfördernde Regulierung“ sowie „die Schaffung eines Level-Playing-Fields mit Over-the-top-Anbietern (OTT)“, also Diensten wie WhatsApp, die keine eigene Netzinfrastruktur unterhalten. Das Gremium der Netzallianz, das ursprünglich nur den lahmenden Breitbandausbau in Deutschland voranbringen sollte, wandelt sich nun also zu einem Akteur, der noch weit mehr mitreden und an der Umverteilung der Pfründe teilhaben möchte. Zu entsprechenden Themen von „hoher Relevanz“ für die Netzallianz sollen demnach „bei Bedarf ad hoc gemeinsame Positionen und Grundsätze erarbeitet“ werden – unter sich im stillen Kämmerlein, denn Daten- oder Konsumentenschützer sucht man in der Arbeitsgruppe vergebens.
Bewusst verursachtes Chaos
Wo genau die Forderung nach mehr Einflußnahme bei der Plattformregulierung herkommt, konnte Jürgen Grützner nicht beantworten, verwies aber auf die Deutsche Telekom, die versuche, „das immer wieder reinzudrücken“. So werde Zugangsregulierung wild mit Datenschutz und Level-Playing-Field gegenüber den OTTs vermischt und letztlich „ein Chaos verursacht, damit sich keiner mehr auskennt“, sagte Grützner. Das betreffe auch das „Nebeneinander der Ministerien“, nicht nur bei der Breitbandpolitik, sondern auch bei der Plattformregulierung.
Hart ins Gericht ging Tabea Rößner mit der Netzallianz, die sich zusehends zu einem intransparenten Industrie-Lobby-Klüngel entwickle. „Das neue ‚Kursbuch Netzausbau‘ zeigt, dass bei den Geheimtreffen der Netzallianz längst nicht mehr nur über den Breitbandausbau geredet wird, sondern auch über neue Regelungen für die Anbieter von Internetdiensten, also zum Beispiel für Messenger-Dienste, oder auch über die Kabeleinspeiseentgelte, die eigentlich ein klassisches Thema der Rundfunkregulierung sind“, so Rößner gegenüber netzpolitik.org.
Letzteres spielt auf den ebenfalls neu hinzugekommenen Aufruf der Netzallianz an, von öffentlich-rechtlichen Sendern Geld zu verlangen, um deren Programme in ihre Netze einzuspeisen. Dazu verpflichtet sie der Rundfunkstaatsvertrag. „Zur Unterstützung der Förderung des Netzausbaus setzt sich die Netzallianz für die Zahlung von Einspeiseentgelten an Netzbetreiber für Übertragungsverpflichtungen ein und erstellt eine gemeinsame Erklärung an die Chefs der Staats und Senatskanzleien“, heißt es im Kursbuch.
„Dieser Lobbyklüngel muss aufhören“, erklärte dazu Rößner, denn „die aktuellen Entwicklungen der Telekommunikations- und Rundfunkregulierung müssen im Rahmen transparenter Konsultationsverfahren mit allen Betroffenen erörtert werden, nicht auf Geheimtreffen im BMVI.“
Bei der Zählung der Anschlüsse mit über 50 Mbit/s sollte nicht vergessen werden, dass die vermutlich meisten Menschen keinen Mehrwert gegenüber einem Anschluss mit 16 Mbit/s haben oder sehen, und viele ihn darum nicht gegen Mehrkosten bestellen würden, auch wenn er zur Verfügung stünde.