Die Grünen im Bundestag wollen die deutschen Geheimdienste wirksamer kontrollieren und haben dazu einen Antrag im Parlament eingebracht, der heute auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Im Gespräch betonte Hans-Christian Ströbele, das dienstälteste Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), neun Punkte aus dem Zehn-Seiten-Papier:
- Das PKGr muss von Bundesregierung und Geheimdiensten „vollständig, wahrheitsgemäß und qualifiziert“ unterrichtet werden. Ströbele: „Das sind eigentlich alles Selbstverständlichkeiten, so steht es im Gesetz. Es entspricht aber leider nicht der Praxis. Wir wollen die gesetzlichen Definitionen verbessern.“
- Falls die Bundesregierung trotzdem weiterhin das PKGr „schuldhaft nicht, nicht vollständig, zeitnah rechtzeitig oder wahrheitsgemäß unterrichtet“, sollen Sanktionen verhängt werden.
- Bisher gibt es von den PKGr-Sitzungen nur „Protokolle wie beim Amtsgericht, mit ein bis zwei Sätzen pro Tagesordnungspunkt“. Wenn Jahre später die Frage aufkommt, ob das PKGr ordentlich informiert wurde, ist das damit oft nicht mehr nachvollziehbar. Deswegen sollen „die Sitzungen des PKGr […] grundsätzlich auf Tonträger aufzunehmen“ sein.
- Über die Sitzungen von PKGr, Vertrauensgremium und G-10-Kommisssion dürfen die Ausschussmitglieder mit niemandem sprechen. Die Grünen fordern, zumindest ihre Fraktionsvorsitzenden „über wichtige Angelegenheiten aus den jeweiligen Beratungen vertraulich unterrichten“ zu dürfen.
- Bisher dürfen die Mitglieder des PKGr in der Öffentlichkeit dort besprochene Sachverhalte nur politisch „bewerten“, ohne die Sachverhalte selbst mitzuteilen. Auch letzteres soll erlaubt werden, „sofern das PKGr dies mit Mehrheit beschließt, außer die Sicherheit oder das Wohl von Personen oder der Bundesrepublik Deutschland würden hierdurch gefährdet“.
- In den USA werden die Chefs der Geheimdienste im Parlament öffentlich befragt. Das soll auch der Bundestag dürfen: „Das PKGr kann […] ohne absolute Geheimhaltung tagen, etwa öffentliche Anhörungen der Chefs der Nachrichtendienste durchführen“. Auch dieses Kontrollmittel wurde in den USA nach Geheimdienstskandalen erkämpft, ist mittlerweile aber normal.
- Im PKGr sitzen nur neun Abgeordnete, die auch zahlreiche andere Aufgaben wahrnehmen. Für ein bessere Arbeitsverteilung und mehr Sachverstand sollen die Abgeordneten „je einen Mitarbeiter zu den PKGr-Sitzungen und deren Vorbereitungen hinzuziehen“ können, was bisher nicht erlaubt ist.
- Das PKGr soll „einen ständigen Nachrichtendienst-Ermittlungsbeauftragten mit eigenem Arbeitsstab mit Arbeitsaufträgen ernennen“ können. Dieser soll jedoch „die Kontrolltätigkeit des PKGr nicht [ersetzen, sondern ergänzen und zuarbeiten], so dass sichergestellt bleibt, dass die Mitglieder der PKGr die jeweiligen Kontrolltätigkeiten selbst bestimmen und nachvollziehen können.“ Hier hat die Opposition aus der Erfahrung mit dem „Sonderermittler“ Kurt Graulich gelernt, mit dem die Bundesregierung den Abgeordneten einen eigenen Einblick in die illegalen NSA-Selektoren verweigert.
- Trotz Kontrollgremien erhält Ströbele auch immer wieder Hinweise von Informanten direkt aus den Geheimdiensten. Falls diese nicht gleichzeitig ihre Dienstvorgesetzten informieren, ist das derzeit ein Gesetzesverstoß. In Zukunft sollen Geheimdienst-Mitarbeiter „sich mit Hinweisen direkt an ein PKGr-Mitglied ihrer Wahl wenden (ebenso des Vertrauensgremiums oder der G-10-Kommission), ohne wie bisher parallel den Dienstvorgesetzten informieren zu müssen.“
„Wir fordern nichts, was nicht geht.“
Alles in allem sind die Vorschläge der Grünen nicht radikal oder revolutionär. Ströbele selbst: „Wir fordern nichts, was nicht geht. Das sind alles keine Zumutungen, sondern Selbstverständlichkeiten, die dringend erforderlich sind, um parlamentarische Kontrolle wirksam werden zu lassen.“
Trotzdem steht zu befürchten, dass ein Antrag einer Oppositions-Fraktion – wie so oft – von der übergroßen Regierungskoalition komplett ignoriert wird. Dabei können auch Union und SPD nicht verdrängen, dass die Granden des deutschen Verfassungsrechts zum Auftakt des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses postulierten: „Die gesamte deutsche Auslandsaufklärung ist rechtswidrig.“ Seitdem wurden weitere Rechtsbeugungen, Rechtsbrüche und „grob rechtswidrige Praxen“ bekannt.
Kanzleramt stoppt Geheimdienst-Reform
Weil dieser Status Quo rechtlich unhaltbar ist, hat auch die SPD-Fraktion im letzten Jahr ein Eckpunkte-Papier für eine BND-Reform vorgelegt. Laut Medienberichten wurde jedoch sogar dieses Reförmchen vom Kanzleramt vorläufig gestoppt.
Von netzpolitik.org gefragt, warum der aktuelle Grünen-Vorschlag nicht die Praxis der Geheimdienst-Überwachung reformieren will, sondern lediglich die Kontrolle im Nachhinein, antwortete Ströbele: „Die derzeitige Praxis des BND ist illegal, rechtswidrig, gesetzeswidrig. Das BND-Gesetz ist dringend reformbedürftig. Wir arbeiten derzeit an einem größerem Sicherheitspapier.“
Konstantin von Notz, Obmann im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss, stimmt zu: „Ein weitergehender Reformvorschlag der Geheimdienste kommt bald, er ist in der finalen Kurve.“ Wir sind gespannt: Missstände sollten nicht nur bekannt, sondern abgeschafft werden.
Herr Ströbele,
falls Sie Kommentare auf netzpolitik.org lesen: *** 1000 Dank !!! ***
Es hat mir schon richtig gut getan, Ihre 9 Punkte hier zu lesen.
ich frage mich, wie man deutsche Politik aushält und so locker, freundlich, konstruktiv bleibt,
…
Mich trösten nur noch Fernsehbeiträge über jüngere Geschichte: wenn das Ehepaar Klarsfeld oder Fritz Bauer die Nazis in den einflussreichen Positionen bekämpft, und ich erkennen muss, dass es „früher“ bei uns womöglich noch weniger Freiheit Recht und Aufrichtigkeit gab als heute. – Aber ausreichen tut mir dieser Trost nicht.
Ströbele hat es auf den Punkt gebracht, was hierzulande dringend notwendig wäre. Aber er wird, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel, leider ein „Rufer in der Wüste“ mit seinen höchst vernünftigen Forderungen bleiben. Die herrschende politische Linie ist und bleibt, daß die über uns – selbst außerhalb demokratischer Kontrolle stehenden – Herrschenden Zugeständnisse an mehr Demokratie fürchten wie der Teufel das Weihwasser.Die Bonner Alt-BRD hatte kurzzeitig einen Bundeskanzler namens Willi Brandt, der versprach, „mehr Demokratie wagen“ zu wollen. Das war ehrlich gemeint, und deswegen durfte er nur von 1969 bis 1974 Kanzler sein. Eine Politik an den Bürgern vorbei und über ihre Köpfe hinweg wird eben favorisiert. Wie schrieb doch Sebastian Haffner so treffend? „Demokratie kontra Obrigkeitsstaat, das ist das Fundamentalproblem deutscher Politik“. In der Demokratie wäre das Volk der Souverän; zu schön, um wahr zu werden.
Warum so zaghaft ? Genauso wie es sich bei unserer Armee um eine Parlamentsarmee handelt könnte der Bundestag auch die Geheimdienste übernehmen, somit die totale Kontrolle über letztere herstellen & sie zunächst einmal durch Zusammenlegen verschlanken. Anschließend kann die Regierung über einen Beauftragten einelne oder komplexe Ausforschungsersuchen stellen oder sich sogar mit einer einstweiligen Generalvollmacht für die laufende Legislaturperiode ausstatten lassen. Die bewährte Trennung von Geheimdienst(en) & Polizei wäre auch wieder gewährleistet.
Der BND mit seiner braunen Vergangenheit aber auch der Verfassungsschutz mit seinen vielen Länderämter übrigens auch mit brauner Vergangenheit sind der Wurmfortsatz der NSA. So sagte dies mal der ehemalige NSA-Mitarbeiter Tomas Drake. Der NSA-Ausschuss zeigt doch ganz ausführlich wie kompromitiert die deutschen Sicherheitsdienste bis zur heutigen Zeit sind.
Wer nach Reformen der Sicherheitsdienste ruft lenkt davon ab das diese NICHT REFORMIERBAR sind.
Diese Geheimdienste sind ein Fremdkörper in einer wirklichen Demokratie, welche in der BRD nur simuliert wird. Auch Herr Ströbele weiß das diese nicht reformierbar sind. Schon seit über 30 Jahren hat er in Interviews öfters gesagt das es eine wirkliche Kontrolle der Geheimdienste nicht gibt.
Also abschaffen oder lasst das Palaber sein!!!