KW 19Die Woche, als das EU-Parlament beim AI Act Hoffnung machte

Die 19. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 13 neue Texte mit insgesamt 127.702 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser*innen,

vielleicht habt ihr diese Woche ein paar Jubelmeldungen gelesen, die sich um den AI Act drehen. Das ist die geplante Verordnung der EU, die „Künstliche Intelligenz“ umfassend regulieren soll. Zwei wichtige Ausschüsse im EU-Parlament haben sich am Donnerstag auf Positionen geeinigt, die Hoffnung machen. Zum Beispiel verlangen die Abgeordneten starke Einschränkungen bei biometrischer Massenüberwachung, Predictive Policing und Emotionserkennung. Das finde nicht nur ich sehr gut.

Das Ding ist nur, dass man bei Gesetzgebung einen starken Geduldsfaden braucht, am besten eine Schiffskette aus Stahl (so eine hier hätte ich gerne). Auch wenn das von mir jeden Tag frequentierte Nachrichten-Portal Techmeme hoffnungsfroh titelt: „EU-Gesetzgeber einigen sich auf ein Verbot der Gesichtserkennung in der Öffentlichkeit“ – in Wahrheit ist es nur ein Zwischenschritt auf Ausschuss-Ebene. Die Einigung bedeutet nicht einmal, dass es die Positionen durchs Plenum schaffen, die Abstimmung im Parlament soll Mitte Juni sein. Und erst dann können die Verhandlungen starten mit den notorisch rückwärtsgewandten EU-Organen Kommission und Ministerrat.

Mein Geduldsfaden ist noch keine Schiffskette aus Stahl, aber ich arbeite dran. Gemeinsam mit Chris und Daniel habe ich in den letzten zwei Wochen haufenweise Texte zum AI Act gewälzt. Einige davon sind schon zwei Jahre alt. Mindestens zwei weitere Jahre dürften vergehen, bis irgendetwas daraus Realität wird. Zum Lesestoff gehören etwa der Entwurf der EU-Kommission vom April 2021 (rund 140 Seiten), die Position des Ministerrats vom November 2022 (rund 220 Seiten) , außerdem die Positionen von Verbänden und Fachleuten (rund 300 Stück), die Folgenabschätzung (rund 150 Seiten), die jüngsten Positionen der Parlamentsausschüsse (rund 160 Seiten), und manches mehr.

Schon klar, wir lesen da nicht jedes Wort. Aber wir wollen uns auch nicht damit begnügen, bloß die Zitate von Politiker*innen und Fachleuten zu sammeln – und darauf zu vertrauen, dass sich daraus ein komplettes Bild ergibt. Andere Redaktionen machen das mangels Zeit, das kann ich nachvollziehen. Wir wollen uns diese Zeit nehmen.

Nach einigen Tagen Dokumente-Wälzen haben wir beschlossen, wir dampfen es zunächst auf ein paar rote Linien herunter: Die größten Probleme im AI Act, und zwar solche, die sich jeweils in einem schlichten Satz zusammenfassen lassen. Mehrere Tage lang haben wir die Veröffentlichung verschoben, weil wir den Eindruck hatten: Wir haben es immer noch nicht ausreichend durchdrungen. Bereits der erste Entwurf der Kommission ist ein verwinkeltes Konstrukt, das ich ohne ausführliche Notizen, klärende Gespräche und ein paar aufschlussreiche Podcasts nicht geblickt hätte. An einem Tag hatte ich verzweifelt in unser gemeinsames Dokument geschrieben: „Ist der gesamte AI Act in irgendeiner Weise sinnvoll?“.

Inzwischen bin ich nicht mehr verzweifelt, und ihr könnt hier nachlesen, welche sechs größten Probleme wir in dem durchaus sinnvollen Gesetz sehen. Das EU-Parlament hat mir diese Woche Hoffnung gemacht, dass trotz der Bedenken in den Verhandlungen auch gute Regulierungen für Grundrechte im Netz entstehen können. Vielleicht.

Ich wünsche euch ein geduldiges Wochenende
Sebastian

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