Einerseits ist es in Europa verboten, Online-Diensteanbieter dazu zu zwingen, von Nutzern hochgeladene Inhalte zu überwachen. Andererseits will die EU-Kommission genau das von den Plattformbetreibern: beispielsweise, um Urheberrechtsverletzungen aufzuspüren oder um gegen terroristische Propaganda im Netz vorzugehen.
Aber wer Inhalte einschätzen und aussieben will, muss hineinschauen. Entsprechend abenteuerlich fällt der Versuch aus, diesen Widerspruch aufzulösen. Manchmal heißt es, dies wäre keine allgemeine Überwachung, da es ja lediglich um einzelne Kategorien von Inhalten ginge. Andere Male wiederum würden etwaige Vorschriften nur bestimmte Anbieter betreffen, der an sich für alle (anderen) Plattformbetreiber geltende Schutz wäre somit sichergestellt.
Mit letzterer Begründung verteidigt nun die Bundesregierung den derzeit auf dem Tisch liegenden EU-Gesetzesentwurf, der die Verbreitung mutmaßlich terroristischer Inhalte im Internet verhindern soll. Geht es nach der Kommission, dann sollen künftig „proaktive Maßnahmen“ zum Einsatz kommen, die solche Inhalte automatisiert sperren.
Überwachung im „Einzelfall“
„Grundsätzlich“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Abgeordneten Manuel Höferlin, weiche der Verordnungsentwurf nicht von der geltenden Rechtslage ab. Diese ist recht eindeutig: Laut Artikel 15 der E-Commerce-Richtlinie dürfen die EU-Staaten Anbietern nicht allgemein verpflichten, „die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen“.
Einen Widerspruch sieht die Bundesregierung nicht: „Die Durchführung proaktiver Maßnahmen bedarf der Prüfung im Einzelfall auf Grundlage einer Risikoanalyse des jeweiligen Unternehmens“, schreibt sie in ihrer Antwort. Und: „Es soll keine allgemeine Überwachungspflicht begründet werden.“
Das ist nicht nur schwer mit der E-Commerce-Richtlinie oder mit einschlägigen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes vereinbar – im Verordnungsvorschlag ist anderes zu lesen. Dort steht nichts von einer formalen Risikoanalyse, die als Grundlage dienen soll, den Einsatz von Uploadfiltern anzuordnen.
Laut dem Verordnungsvorschlag soll eine einzige Entfernungsanordnung reichen, um Plattformanbieter zu jährlichen Rechenschaftsberichten zu verpflichten. Darin sollen „die von [der Plattform] ergriffenen spezifischen proaktiven Maßnahmen, einschließlich der Verwendung automatisierter Werkzeuge“ erklärt werden. Die Formulierung legt nahe, dass Betreiber, die trotzdem auf Uploadfilter verzichten, Probleme bekommen dürften. Unternimmt ein Betreiber mutmaßlich zu wenig gegen terroristische Inhalte auf seinem Dienst, kann eine zuständige Behörde Uploadfilter sogar anordnen.
Vom Einzelfall zu hunderten Anbietern
Anders als die Bundesregierung suggeriert, geht es bei dem Gesetzesvorschlag nicht um einige wenige Plattformen. Bis zu 400 Online-Dienste sollen derzeit laut EU-Kommission Inhalte vorhalten, die zu „terroristischer Radikalisierung“ führen könnten. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich die Brüsseler Behörde dazu entschieden, die Verordnung für alle in Europa tätigen Betreiber gelten zu lassen: Es soll kein Schlupfloch offenbleiben für kleinere, unbekannte oder dezentral organisierte Dienste, auf die womöglich Terroristen ausweichen könnten.
Den Verordnungsentwurf stellte die Kommission im vergangenen Herbst vor. Neben Uploadfiltern enthält dieser auch eine äußert knappe Löschfrist von nur einer Stunde, innerhalb derer Online-Anbieter auf Entfernungsanordnungen von Behörden reagieren und ihnen gemeldetes Material sperren oder löschen müssten. Im Unterschied zum EU-Rat, der den Vorschlag weitgehend deckungsgleich übernommen hat, strichen die EU-Abgeordneten im Parlament kürzlich die „proaktiven Maßnahmen“ aus dem Gesetz – schon allein, um es mit der geltenden Rechtslage vereinbar zu machen.
Eine Einigung auf den fertigen Gesetzestext steht noch aus, die Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament dürften erst im Herbst beginnen. Wie es mit der mittlerweile angezählten E-Commerce-Richtlinie weitergehen wird, die derzeit mit den Planungen unvereinbar wäre, steht in den Sternen: Viele erwarten jedoch, dass die nächste Kommission das Regelwerk grundsätzlich überarbeiten wird müssen.
Frage an den Autor, auf was bezieht sich der erste Satz: „Einerseits ist es in Europa verboten, Online-Diensteanbieter dazu zu zwingen, von Nutzern hochgeladene Inhalte zu überwachen.“?
Auf die e-Commerce-RL und auf das EuGH-Urteil im Fall SABAM vs. Netlog.
Das scheint jetzt aber ein Fall von selektivem Lesen zu sein. Die e-commerce-RL:
Artikel 15
Keine allgemeine Überwachungspflicht
(1) Die Mitgliedstaaten erlegen Anbietern von Diensten im Sinne der Artikel 12, 13 und 14 keine allgemeine Verpflichtung auf, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.
dann aber lustigerweise
(2) Die Mitgliedstaaten können Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft dazu verpflichten, die zuständigen Behörden unverzüglich über mutmaßliche rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen der Nutzer ihres Dienstes zu unterrichten, oder dazu verpflichten, den zuständigen Behörden auf Verlangen Informationen zu übermitteln, anhand deren die Nutzer ihres Dienstes, mit denen sie Vereinbarungen über die Speicherung geschlossen haben, ermittelt werden können.
Und der SABAM Fall wäre eine klassische Uploadfiltergeschichte und ist damit Makulatur.