Baden-WürttembergDas „Sicherheitspaket“ des grün-schwarzen Südens

Während die Parteien im Bundestag über das sogenannte Sicherheitspaket diskutieren, hat die baden-württembergische Landesregierung ihre Vorstellung von Maßnahmen vorgelegt. Auch dabei geht es um automatisierte Datenauswertung und eine restriktive Migrationspolitik.

Thomas Strobl und Winfried Kretschmann tuscheln im Landta
Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (Krawatte anthrazit) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Krawatte grün). – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / imagebroker

In den vergangenen Tagen riss die Kritk am „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung nicht ab. Nach einer Sachverständigenanhörung im Bundestag meldeten die Ampelparteien Änderungsbedarf an. Das Konglomerat aus Asylrechtsverschärfungen, Überwachungsmaßnahmen und Freiheitseinschränkungen erzürnt viele. Währenddessen hat die baden-württembergische Landesregierung jetzt ihr eigenes Paket geschnürt, das am Dienstag der Ministerrat verabschiedet hat.

Der Plan aus dem grün-schwarz regierten Bundesland besteht aus 31 Maßnahmen. Einige davon beziehen sich auf Bundesgesetze, zu denen die Landesregierung Bundesratsinitiativen einbringen will. Andere werden erst den Landtag passieren müssen.

Mehr Stellen und KI für den Verfassungsschutz

So soll etwa der Landesverfassungsschutz im Haushaltsentwurf für die kommenden zwei Jahre mehr Stellen bekommen und außerdem mit sogenannter Künstlicher Intelligenz das Internet beobachten. KI soll es auch für die Polizei geben, in Form der Recherche- und Analyseplattform VeRA. Dieses Palantir-Produkt wird seit Kurzem in Bayern eingesetzt, begleitet von deutlichem Protest von Datenschutzfachleuten und Opposition.

Mehr Automatisierung wünscht sich die Landesregierung auch bei der Auswertung von Videomaterial. Die Polizei soll Lizenzen für Software kaufen, um in Aufnahmen Gesichter und Gegenstände wie Waffen und Fahrzeuge zu erkennen. Auch Kennzeichenlesesysteme sollen ausgerollt werden. Bei der Live-Videoüberwachung heißt es jedoch: „Die rechtlichen Voraussetzungen zur Detektion von Gegenständen sind zu gegebenem Zeitpunkt gesondert zu prüfen.“ Wie im Bundespaket auch will das Land Waffen- und Messerverbotszonen sowie damit verbundene Kontrollen und schnellere Abschiebungen.

Der letzte Teil des baden-württembergischen Regierungsvorschlags beschäftigt sich mit Präventionsmöglichkeiten. Dafür sollen etwa mobile Beratungsteams in Geflüchtetenunterkünften präsent sein, an den Schulen sollen Extremismuspräventionsangebote sowie Demokratiebildung ausgebaut werden und Integrationsmanager in den Kommunen sollen Geflüchtete begleiteten.

Die grüne Landtagsfraktion begrüßte offiziell die Vorschläge der Minister:innen. Der Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz bezeichnete sie als „robuste Antwort auf die Gefahren unserer Zeit“. Laut Medienberichten hatte es jedoch in der Fraktionssitzung Kritik gegeben.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Der CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sagte: „Wir Christdemokraten sind Pragmatiker. Wenn sich die Sicherheitslage verändert, muss sich auch die Sicherheitsarchitektur verändern. Mit unserem Sicherheitspaket nehmen wir uns dieser Sorgen an und handeln.“ Die oppositionelle SPD im Landtag kritisierte hingegen, das Papier enthalte kaum neue Maßnahmen. Das bezieht sich beispielsweise auf die Integrationsmanager, die es bereits seit einiger Zeit gibt.

Inhaltliche Kritik kam vom Landesverband der Grünen Jugend in Baden-Württemberg. Die Sprecher:innen Anne Mann und Elly Reich kritisierten die Vermischung von Migration und Sicherheitspolitik und sagten dem SWR: „Um Terror zu bekämpfen, sollte sich auf effektive Maßnahmen in diesem Bereich fokussiert werden, statt zu implizieren, dass Migration per se ein Sicherheitsproblem wäre.“

Auf Bundesebene hat unterdessen der Vorstand der Grünen Jugend geschlossen den Rücktritt und Austritt aus der Partei bekanntgegeben. Er kritisierte dabei auch die Migrationspolitik, die die Bundespartei mitmache. Nun wollen die Zurücktretenden einen neuen, „dezidiert linken Jugendverband“ mit Perspektive auf eine neue Partei gründen.

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12 Ergänzungen

  1. Wenn Grüne sich wieder mal als Opfer inszenieren möchten, dass sie sich ungewollt dem Druck anderer Parteien und Stimmungen beugen müssten, und deshalb repressive Gesellschafts-, Überwachungs- und menschenfeindliche Migrationspolitik durchdrücken müssten, sollte man hierauf aufmerksam machen. Diese Partei treibt das ganz von selbst voran, dort wo ihre Machtverhältnisse sogar am größten sind. Das Gerede von Bürgerrechten war für sie offenkundig nur Wähler*innenfang und Schönwettergrundrechtelyrik.

    1. Nö, die Bürgerrechte umfassen eben auch ein Recht auf Sicherheit, funktionierende Infrastruktur, Gesundheitswesen, Schulen.

      Das alles hat nur begrenzte Kapazitäten, nur begrenzte Flexibilität, und das alles setzt einen Konsens zu Verhalten und Nutzung voraus.

      Tübingen zum Beispiel als relativ reiche Uni Stadt mit grüner Mehrheit ist ziemlich erfolgreich bei Unterbringung und Integration, und selbst die stößt an ihre Grenzen. Den auch da sehr engagierten OB Palmer haben die Grünen ja rausgeworfen, um dann die OB Wahlen auch mangels irgendwie relevanter Alternativvorschläge krachend zu verlieren.

      Die Grünen in BaWü sind zT arg konservativ, aber sie bekommen einige wichtige Dinge auf die Reihe. Andere wichtige Dinge opfern sie, und einiges machen sie knallhart egoistisch falsch. Nur ist die CDU in allem wesentlich schlimmer.

      1. „Nö, die Bürgerrechte umfassen eben auch ein Recht auf Sicherheit, funktionierende Infrastruktur, Gesundheitswesen, Schulen.“ Diese Rechte werden nicht durch anlasslose Massenüberwachung, Datenausbeutung, Polizeiermächtigungsgesetze zur anlasslosen Kontrolle und ähnlichen Polizeistaatsallüren der Grünen und ihrer Gleichgesinnten gefördert. Ganz im Gegenteil. Darum geht es auch gar nicht bei diesen Vorhaben.

        Es geht einerseits und aktuell primär um rechtspopulistischen Wählerfang, denn nicht nur die Grünen in BaWü sondern die Partei insgesamt ist zunehmend offen rechtskonservativ und nähert sich zum Machterhalt jetzt eben immer weiter der CDU an, von der sie sich immer weniger unterscheidet. Und das macht sie eis kalt auf Kosten von Menschen in Not und Bürgerrechten, aber das interessiert halt bei den Grünen und ihren anspruchslosen linksliberalen Wähler*innen niemanden mehr, außer vielleicht die paar Jungspunde, die jetzt austreten und dafür von der Parteielite verbale Tritte hinterherbekommen.

        Und andererseits sollte man diese digital-autoritären Programme vor dem Hintergrund eines Umbaus zu einem stärker regulierten Obrigkeitsstaat kapitalistischer Ausrichtung sehen, bei dem Überwachungsstaat und Überwachungskapitalismus einander ergänzen. Es geht um neoliberale Kostenoptimierung, Ressourcen- und Verhaltensregulierung, die man erreichen möchte, indem man die Privatsphäre und die Grundrechte der persönlichen Entfaltung und Selbstbestimmung fast aller Menschen mit allen möglichen Vorwänden schleift und am Ende ein Kontrollsystem aufgebaut hat, das der Profitsteigerung der wenigen Profiteure dient und in Krisenzeiten die Macht und das an sich scheiternde System möglichst lange erhalten kann.

        1. Sich als „progressiv links“ sehende Parteien verlieren gerade massiv Wähleranteile. Das führt bei den Machtmechanikern der Grünen gerade zu Panik.

          Linke Wähler lassen sich nicht von Rechten überzeugen, rechts zu wählen. Das sehe ich auch in meinem eher linken Umfeld: die Rechten sind der Gegner, denen glaubt man nicht, denen hört man nichtmal richtig zu, und die wählt man nicht.

          Linke Wähler hören allerdings den Linken zu. Und stellen vermehrt fest, dass man sie leider nicht wählen kann, denn sie haben keine Konzepte, nicht alles kaputt zu machen. Sie haben dafür eine hohe Bereitschaft zur Feindseligkeit. Oder man kann sie nicht wählen, weil sie nicht links genug sind, oder unakzeptable Kompromisse gemacht haben, oder was auch immer. Leute wie Sixtus haben die „progressiv linken“ auf social media mehr linke Stimmen gekostet als alle rechten Trolle zusammen.

          Die linken Wähler sind damit für die Machtmechaniker keine sichere oder ausreichende Basis. Was also tun?

          Oh: ganz ohne Machtmechaniker ist man vielleicht konsequent, aber es ist mangels Macht irrelevant. Haben Die Linken bei der EU Wahl demonstriert.

        2. Die Grünen müssen sich entscheiden: entweder Wohlfühlpolitik für die Stammwähler und keine signifikante Machtoption, oder Machtpolitik für die Masse der Wähler mit Machtoption zum Angehen des existentiellen Themas dieser und folgender Generationen, der Klimakrise.

          2021 haben sie sich für Baerbock und Wohlfühlpolitik entschieden, mit den bekannten Ergebnissen.

          Habeck ist bereit für die Machtoption, und er hat die Fähigkeiten dazu.

          Die Wähler müssen sich auch entscheiden: bequem im Gefühl der moralischen Überlegenheit den Planeten abfackeln und nach ihnen die Sintflut, oder Prioritäten setzen.

          Ehrlich gesagt habe ich da auch weniger Vertrauen in die „linken“ Wähler als in die Normalos.

  2. Die Grünen haben die Städte hier in BaWü ziemlich fest gewonnen, und diese Städte haben hohe Migrationsanteile schon aus „Gastarbeiter“ Zeiten. Stuttgart über 40%.

    Diese Städte haben recht gut funktionierende Strukturen und Infrastruktur. Die ehemaligen Gastarbeiter haben sich was erarbeitet, die erwachsenen Kinder haben gute Jobs, Ausbildung oder Studium, und viele dieser Nettosteuerzahler haben Wahlrecht, denn die wollen auch mitreden.

    Ist im, ganz ohne Häme von hier aus gesehen tribalisierten failed state Berlin vermutlich nicht vorstellbar.

    Und die Bürger würden das gerne erhalten. Sie kennen den Aufwand von Integration und die notwendige Bereitschaft auf allen Seiten, und sie erleben den derzeitigen Zustand. Wir haben hier mittlerweile auch Security in Notaufnahme, Notfallpraxen, Freibädern, Ämtern, und steigende Gewalt an Schulen.

    1. Gerade die Wähler mit Migrationshintergrund hier haben idR sehr „robuste“ Vorstellungen zu Migration und staatlichen Hilfen.

      Survivor bias, klar, aber die haben sich alles erarbeitet und bekamen nichts geschenkt, die haben nichts zu verschenken. Die sind eher konservativ, ordentlich, und wählen auch so. Und sie haben mit traditionellen arabisch, syrisch oder afghanisch Parallelgesellschaften echte Probleme.

        1. „Nö. Falscher Begriff.“

          Von der Seitenlinie: Ich meine, das kann gar kein falscher Begriff sein. Wenn überhaupt, dann trifft die implizit aufgestellte These, dass die übriggebliebenen Migranten einer Aufbaugeneration
          sich hochgearbeitet hätten und damit dann entsprechend jene beschriebenen Haltungen oder Verhaltungen aufwiesen, irgendwie nicht. Wo genau, wäre dann zu klären, oder anzudeueten. Z.B. gibt es vielleicht gar keine Überlebenden? Oder keine Migranten, oder keine Aufbaugeneration, oder kein Verhalten, oder nicht dieses! Keiner weiß es, spezifizieren Sie, alle beide!

  3. BaWü Grün regiert – in der Fläche sabotiert. Nicht nur die Grüne Jugend verzweifelt an organisierter Böswilligkeit im Ländle.

    Windkraft-Gegner, nein man muss sie Feinde nennen, haben unnötige Papierberge produziert.
    Die Bürgerinitiative „Gegenwind Neckar-Alb“ hat etwa 440.000 Stellungnahmen gegen geplante Windkraftflächen allein in der Region Neckar-Alb gesammelt.

    280.000 davon haben die Mitglieder ausgedruckt und dann beim Regionalverband in 718 Kartons auf Paletten abgeliefert. Das ist kein Sand mehr im Getriebe, sondern Schotter.

    Bitsch und seine Mitstreiter haben die Einsprüche online mit vorgefertigten Stellungnahmen gesammelt. Erst dann wurde der Großteil ausgedruckt, teilweise in Briefumschläge gesteckt und beim Regionalverband abgeliefert. Obwohl die Möglichkeit bestand, auch alles digital abzugeben.

    „Zum Teil haben einzelne Personen bis zu 140 Einzelbriefe abgegeben“, sagt Dirk Seidemann, Direktor des Regionalverbands Neckar-Alb.
    https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/windkraft-energiewende-protest-100.html

    Die Konsequenz ist, dass künftig keine Stellungnahmen mehr auf Papier angenommen werden, was natürlich Digitalzwang bedeutet, und Ausgrenzung mittels technologische Erfordernisse und Hürden. Damit wird wiederum Staatsverdrossenheit generiert, zur Freude jener, die den Staat bzw. Landesregierungen bei jeder sich bietenden Gelegenheit sabotieren und dysfunktional machen. Das ist mehr als „nur“ ein soziologisches Problem.

  4. > Das „Sicherheitspaket“ des grün-schwarzen Südens

    So eine Headline kann man nur in Berlin fabrizieren, denn es gibt in Baden-Württemberg kein Selbstverständnis eines „Südens der Republik“, weil zum Süden eben auch der sog. „Freistaat“ rechts unten zählt, gegen den es sich lohnt abzugrenzen.

    Badener und Württemberger leben im Südwesten Deutschlands, und wer es nicht glaubt der nehme eine Karte zur Hand und werde „links unten“ fündig. Die intellektuelle Nähe zu Frankreich und seiner Kultur ist vielen wichtiger, als die zu Bierzelt- und Weißwurst-Brauchtum.

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