Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhebt heute gemeinsam mit dem Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ Verfassungsbeschwerde gegen das seit Januar 2022 geltende Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen. Das umstrittene Gesetz war trotz schwerwiegender Bedenken von Sachverständigen und monatelanger Proteste auf der Straße fast unverändert von der schwarz-gelben Landesregierung im Jahr 2021 verabschiedet worden. Die schwarz-grüne Nachfolgeregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag keine Änderungen am Versammlungsgesetz festgelegt.
Die nun vor dem Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen eingereichte Beschwerde greift vor allem neue Straftatbestände, erweiterte Überwachungsbefugnisse und das präzedenzlose Totalverbot von Versammlungen auf Autobahnen an, heißt es in der Pressemitteilung der GFF. In der Kombination schreckten diese verfassungswidrigen Regelungen Menschen davon ab, ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuüben, so die Grundrechteorganisation. Sie will erreichen, dass das Gericht die angegriffenen Vorschriften für nichtig erklärt. Per Eilantrag sollen einige Normen zudem bereits vorläufig außer Kraft gesetzt werden.
Autobahnen stärker geschützt als der Landtag
Laut der GFF sind die neuen Regelungen des Versammlungsgesetzes NRW zum Störungsverbot, zum Vermummungsverbot sowie zum Militanzverbot sehr weitreichend und unbestimmt formuliert, sodass Protestierende nicht wissen könnten, wann sie sich strafbar machen. Daneben weite NRW die Befugnis zur staatlichen Videoüberwachung von Versammlungen enorm aus, so die Bürgerrechtsorganisation. Auch das könne einschüchtern und von der Teilnahme an Protesten abschrecken. Das bundesweit einmalige Pauschalverbot aller Versammlungen auf Bundesautobahnen nimmt zudem einen Teil des öffentlichen Raumes prinzipiell von der Versammlungsfreiheit aus. Autobahnen werden damit stärker geschützt als der NRW-Landtag und NS-Gedenkstätten, so die Bürgerrechtsorganisation.
Besonders betroffen sei die Klimabewegung. Bei der Verschärfung des Militanzverbots verweise die Gesetzesbegründung auf Klimaproteste und ziele insbesondere auf diese ab.
Die damalige Landesregierung hat das im Versammlungsgesetz des Bundes enthaltene Uniformierungsverbot, das wegen der Erfahrungen von SA-Aufmärschen in der Weimarer Republik eingeführt wurde, weiter verschärft. Sie hat es es zu einem sogenannten Militanzverbot ausgeweitet. In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass damit auch eine einheitliche farbliche Kleidung oder weiße Maleranzüge gemeint sind.
Diese weißen Overalls, die seit Jahren bei den Klimaprotesten genutzt werden, stellt das Gesetz damit historisch in eine Reihe mit uniformierten Aufmärschen von SA und SS. Dabei attestiert das Gesetz ihnen wie auch Marschtritt und Trommelschlagen eine „suggestiv-militante, aggressionsstimulierende und einschüchternde Wirkung“.
Auch das Versammlungsverbot auf Autobahnen richtet sich eindeutig gegen Aktivist:innen, die dort protestieren, um auf die sich zuspitzende Klimakrise aufmerksam zu machen. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber habe hier seine staatliche Neutralität gegenüber zulässigen Versammlungsanliegen aufgegeben und schränke so die Grundrechte aller Aktivist:innen verfassungswidrig ein, sagt die GFF.
Unterstützung durch weitere Bürgerrechtsorganisationen
Laut der GFF hat kein anderes Bundesland ein derart restriktives Versammlungsgesetz. Mit der Verfassungsbeschwerde will die GFF nach eigener Aussage ähnlichen Tendenzen bei der Gestaltung künftiger Landesversammlungsgesetze vorbeugen und so eine schrittweise Aushöhlung der Versammlungsfreiheit verhindern. Die acht Beschwerdeführenden sind Mitglieder unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Nordrhein-Westfalen, die ihr Engagement durch das Versammlungsgesetz in Gefahr sehen. Sie werden vertreten durch Professor Tristan Barczak von der Universität Passau. Die Verfassungsbeschwerde wird unterstützt vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV).
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hat noch nie erlaubt während der Versammlung Straftaten wie gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (z.B. Betreten einer Autobahn als Fußgänger oder Errichten von Hindernissen) oder Hausfriedensbruch (durch Betreten von eingezäuntem oder anderweitig markiertem Privatgrund) zu begehen.
In dieser Hinsicht ist das neue Gesetz redundant und in allem Anderen gefährlich, weil es klar definierte Rechtsbegriffe aufweicht, den Exekutivbehörden übermäßig viele Rechte einräumt, Grundrechte (insbesonder Privatsphäre mit Füßen tritt) und den Rechtsstaat noch weiter untergräbt.