Liebe Leser:innen,
mein Blutdruck ist bis auf eine leichte Weißkittelhypertonie meistens ziemlich in Ordnung. Außer ich fühle mich zur Närrin gehalten, dann hat das die Wirkung eines vierfachen Espressos mit hundert Prozent Robusta-Bohnen. Diese Woche ging mir das so mit einer Presseanfrage ans Bundesinnenministerium.
Es ging um die deutsche Position zur Chatkontrolle. Das Innenministerium führt in Brüssel die Verhandlungen im Rat, ist also die geeignete Ansprechpartnerin. Aus einem Positionspapier aus dem Februar wissen wir: Bei der deutschen Regierungsposition gab es noch einige klärungsbedürftige Punkte, denn vor allem Innen- und Justizministerium waren sich nicht ganz einig. Außerdem wissen wir: Einige Punkte aus der Chatkontrolle-Verordnung widersprechen deutlich der deutschen Position. Wir wissen auch: In zwei Wochen wollen die EU-Staaten in Brüssel über die Ratsposition abstimmen. Die Zeit ist also denkbar knapp. Ein guter Moment, nachzuhaken.
Meine Fragen waren einfach: Sind die offenen Punkte geklärt? Mit welchem Ergebnis? Was ist, wenn die kritischen Punkte im Verordnungsentwurf sich nicht mehr ändern? Stimmt Deutschland dann mit „Nein“ oder enthält es sich?
Für die Antwort habe ich dem Innenministerium 28 Stunden Zeit gegeben, bis 18 Uhr am Dienstag. Mehr als genug für Fragen, zu denen das Haus wohl nicht erst ausführlich in alten Akten aus dem Keller recherchieren muss. Natürlich war am Dienstag Abend keine Antwort da. Am Mittwoch morgen hatte ich dann eine E-Mail in meiner Inbox, die aber den Namen „Antwort“ nicht verdient. Zumindest nicht auf meine Fragen.
Ich bekam vor allem Zitate aus dem Positionspapier. Das kenne ich, keine Sorge, denn immerhin haben wir es selbst veröffentlicht. Komplettiert mit Phrasen wie: „Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin aktiv in die Verhandlungen auf EU-Ebene einbringen.“ Eine Aussage mit dem Neuigkeitswert von „YouTube ist eine Video-Plattform“. Oder: „Ein Apfel ist eine rundliche, fest-fleischige, aromatisch schmeckende Frucht mit Kerngehäuse, die an einem Baum wächst.“
Respektlos gegenüber der Öffentlichkeit
Ich schrieb also zurück. „Mit Bedauern musste ich feststellen, dass einige meiner Fragen unbeantwortet geblieben sind.“ Und wiederholte meine Fragen. Außerdem verwies ich aufs Justizministerium. Das hatte mir nämlich in der Zwischenzeit immerhin verraten, dass die Verhandlungen zur deutschen Position noch nicht fertig sind. Ich setzte eine neue Frist, diesmal nur noch 4,5 Stunden. Und bekam – vier Minuten nach Ablauf der Zeit – die Absage: „Die Nachfragen beziehen sich auf einen noch laufenden Abstimmungsvorgang. Daher können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine näheren Informationen übermitteln.“
Ich fühle mich, entschuldigt die Wortwahl, doppelt verarscht. Zum einen ganz persönlich, weil man bis zur letzten Minute und darüber hinaus wartet, um mir zu sagen, dass man mir nichts sagen wird. Das behindert und verzögert unsere Arbeit. Zum anderen, weil die Regierung hier bei einem wichtigen und dringenden Thema mauert. Und das regt mich noch mehr auf, weil es bei Weitem nicht nur mich betrifft. Sondern alle, die sich dafür interessieren, wie ihre Regierung sich bei einem so grundrechtsrelevanten Thema verhalten wird. Ich finde das zutiefst respektlos – gegenüber der gesamten Öffentlichkeit.
Klar, das ist kein Einzelfall. Ich hatte schon unzählige Nicht-Antworten in meiner Inbox, schon tagelange Verzögerungen, weil die Anfrage noch „in der Fachabteilung liegt“. Auch mein Kollege Sebastian hat diese Woche seine Blutdruck-Momente mit einer Pressestelle gehabt, in diesem Fall: Google. Bestimmt sagen manche: Es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen. Und stimmt, ein bisschen gewöhnt man sich dran. Aber ich finde auch: Ein gutes Maß an Empörungsenergie hilft beim Weitermachen.
Ein schönes Wochenende mit gesundem Blutdruck wünscht euch
anna
Willkommen.
Gelebter Alltag in der Verwaltung.
Solange verleugnen und verweigern bis ein:e Richter:in eine Entscheidung fällt.
Kostet ja nix.