Balken & TortenSo schlecht argumentiert das BKA für die Vorratsdatenspeicherung

Das Bundeskriminalamt macht mal wieder Stimmung für die Vorratsdatenspeicherung. Das geht aus Folien einer Präsentation hervor, die wir veröffentlichen. Sie enthält Ungereimtheiten und verschleiert Zusammenhänge.

Martina Link
Martina Link, Vizepräsidentin des BKA. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Rolf Kremming

Das Bundeskriminalamt (BKA) kämpft seit Jahren für die Vorratsdatenspeicherung. Die Begründung wechselt von Terrorismus über Organisierte Kriminalität zu (seit einiger Zeit) Kindesmissbrauch.

Bei einem Fachgespräch im Familienausschuss des Bundestages am Mittwoch wird BKA-Vizepräsidentin Martina Link eine Präsentation mit dem Titel „Bedeutung der IP-Adresse in der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen“ halten. Die Polizeibehörde wirbt damit wieder für die derzeit rechtswidrige Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen. Wir haben uns die Folien, die wir an dieser Stelle veröffentlichen (PDF), angeschaut und haben irreführende Aussagen gefunden. Nicht zum ersten Mal.

In der ersten inhaltlichen Folie wird skizziert, wie sich die Fallzahlen bei verschiedenen Straftaten entwickeln. Hier vermischt das BKA Straftaten, die Kinder unmittelbar betreffen – etwa Tötungsdelikte und Missbrauchsfälle – und Straftaten, die mit einer Verbreitung von Inhalten im Internet zu tun haben. Aber nur für manche dieser Straftaten ist eine IP-Adresse relevant.

Aufhellung Dunkelfeld unterschlagen

Eine Grafik sticht besonders hervor. Sie betrifft den Zeitraum zwischen 2016 und 2022 und beschreibt Verdachtsfälle von „Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornographischer Schriften § 184b StGB“. Hierzu gebe es eine Steigerung von 640 Prozent. Diese Zahl braucht eine genaue Einordnung. Ansonsten entsteht der Eindruck, dass hier ein Kriminalitätsfeld mit unglaublicher Geschwindigkeit wachse. Folgende Einordnungen fehlen auf der Folie:

In der zweiten Folie bezieht sich das BKA auf gestiegene Anzahl Verdachtsmeldungen einer US-amerikanischen Organisationen names NCMEC. Die Abkürzung steht für „National Center for Missing and Exploited Children“. Das gemeinnützige NCMEC ist die weltweit wichtigste Quelle für Zahlen rund um sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige im Netz. Das Zentrum erhält über 90 Prozent seiner Verdachtsmeldungen vom Meta-Konzern, zu dem Facebook, Instagram und WhatsApp gehören.

Die vom NCMEC veröffentlichten Zahlen werden oftmals falsch wiedergegeben oder in einen falschen Kontext gesetzt, wie unsere Analyse aus dem vergangenen Jahr gezeigt hat. Das heißt: Auch eine höhere Anzahl von Meldungen des NCMEC an das BKA muss nicht bedeuten, dass es wirklich mehr Straftaten gibt.

Erfolgreich ohne Vorratsdatenspeicherung

In der vierten Folie wird präsentiert, mit welchen Fahndungsmethoden das BKA in Folge einer NCMEC-Meldung Erfolg hat. Demnach machen IP-Adressen – auch ohne Vorratsdatenspeicherung – 41 Prozent der erfolgreichen Ermittlungen aus, es folgen Telefonnummern mit 28 Prozent und E-Mail-Adressen mit 6 Prozent. 25 Prozent aller NCMEC-Meldungen führen demnach nicht zu einem Ermittlungserfolg. Die Erfolgsquote nach einer NCMEC-Meldung liegt nach der präsentierten Statistik also bei 75 Prozent. Damit liegt diese Quote um knapp 20 Prozentpunkte höher als der Durchschnitt aller Straftaten: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik werden allgemein nämlich 57,3 Prozent aller Fälle aufgeklärt.

In der fünften Folie werden die Erfolgsquoten anderer Fahndungsansätze wie Telefonnummern und E-Mail-Adressen näher untersucht. Sie kommen demnach zum Einsatz, wenn der Ansatz per IP-Adresse nicht funktioniert. Telefonnummern können zum Beispiel bei der Verbreitung von Materialien über Messenger wie WhatsApp oder Signal als Fahndungsmerkmal dienen. Spannend ist hier die niedrige Erfolgsquote von nur 49 Prozent. Immerhin lässt sich über die Telefonnummer per Bestandsdatenabfrage herausfinden, auf welchen Namen der Telefonvertrag läuft. Diese Ermittlungsmethode ist aber nur knapp erfolgreicher als die über eine IP-Adresse, die nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung oftmals nur sieben Tage lang gespeichert wird.

Längere Speicherung bringt nur geringe Vorteile

Die sechste Folie lässt sich ohne weiteren Kontext nicht mit Sicherheit deuten. Eine Tabelle listet das „Alter“ einer IP-Adresse in Tagen auf und ordnet diesem Alter einen Ermittlungserfolg in Prozent zu.

Wir interpretieren das so, dass mit dem „Alter“ der IP-Adresse die Speicherdauer der Adresse beim Provider gemeint ist. In diesem Fall würde die Folie zeigen: Auch wenn Provider die Daten nach sieben Tagen löschen, wären ihre Ermittlungen in mehr als drei Vierteln der Fälle erfolgreich. Eine Verdoppelung der Speicherfrist auf 14 Tage brächte gerade 8 Prozentpunkte mehr Fahndungserfolg. Eine weitere Erhöhung der Speicherfrist auf 26 Tage brächte dann noch einmal 6 Prozentpunkte. Das zeigt: Die längere, grundrechtlich bedenkliche Vorratsdatenspeicherung würde nur minimale höhere Erfolgsquoten erzielen.

Das ist schon lange bekannt; auch eine wissenschaftliche Studie belegt, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht zu nennenswert schlechteren Ermittlungserfolgen führt. Einschränkungen für die Polizei, ob nun durch Verschlüsselung oder durch fehlende IP-Adressen, haben bislang immer dazu geführt, dass die Polizei auf alternative Ermittlungsmethoden zurückgegriffen hat und damit auch erfolgreich war. Hinzu kommt, dass die Polizei aufgrund der Digitalisierung auf eine noch nie dagewesene Fülle von Daten zurückgreifen kann.

In der Ampel gibt es weiterhin Streit um die Vorratsdatenspeicherung. Während das Justizministerium von Marco Buschmann (FDP) die Vorratsdatenspeicherung ablehnt und stattdessen schon einen Entwurf für das Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt hat, will Innenministerin Nancy Feaser (SPD) eine neue Vorratsdatenspeicherung und an das Äußerste gehen, was das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zulässt.

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11 Ergänzungen

  1. Die verschossenen BKA-Bullets:

    1. Wenn mehr Straftaten erkannt werden, führt das zu einer Steigerung der Kriminalität. D.d. Ermittlungserfolge verschlimmern die Statistik. Mehr Verblödung geht nicht, aber PolitikerInnen sind dankbare und bauernschlaue Leser.

    2. Minderjährige produzieren als Betroffene selbst Kriminalität. Schlimm genug weil schlechte Gesetzgebung, aber gut für die BKA-Statistik.

    3. Wer Kenntnis erlangt oder als Nachrichtenempfänger wird als kriminell eingestuft. Ist zwar falsch aber trotzdem nützlich. Das kennt man aus bösen Autokratien.

    Okay, die Zahlen stammen vom National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC). Das ist eine NGO mit Agenda. Aber verantwortlich ist das BKA schon selbst, welche Quellen zitiert werden, und ob die Zahlen glaubhaft sind. Aber wenn Verdummung im Interesse des BKA ist, um Einfluss auf gefällige Gesetzgebung zu nehmen scheint jedes Mittel recht(s) zu sein.

    Propaganda von staatlichen Institutionen mit falsche Zahlen, dieses Verhalten schwappt jetzt über die Moskwa und findet Nachahmer an Rhein und Spree.

    1. > 2. Minderjährige produzieren als Betroffene selbst Kriminalität. …

      Wichtig zu wissen: Kinderpornographie umfasst nicht nur Bilder und Videos, auf denen vollständige Nacktheit zu sehen ist, sondern auch Darstellungen von leicht bekleideten Kindern in bestimmten Posen – sogenannte Posingbilder. Bei Kindern unter 14 Jahren kann es sich diesbezüglich um Kinderpornographie handeln, bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 um Jugendpornographie.

      Verschickt jemand also ein Bikini- oder Badehosen-Foto in entsprechenden Posen in einem Klassen-Chat einer 6. Klasse, können die Probleme bereits beginnen. Verschickt ein Jugendlicher expliziteres Material, etwa um sich zu profilieren, ist der Fall noch eindeutiger. Da etwa bei WhatsApp verschickte Bilder oftmals direkt auf das Handy des Empfängers gespeichert werden (diese Funktion lässt sich in den WhatsApp-Einstellungen ausschalten), sind die Empfänger solcher Bilder und Videos, also die ganze Klasse, objektiv gesehen in Besitz von Kinderpornographie.

      Werden die Bilder zur Anzeige gebracht, kann das polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen, die Handys der Schüler können eingezogen werden, sogar Hausdurchsuchungen sind möglich. Übrigens auch, wenn die Empfänger unter 14 sind.

      https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/cyberkriminologe-raet-niemals-in-klassen-chats-eintreten,SnE3O1I

      1. „Kinderpornographie“ ist deutlich umfangreicher:

        Es sind nicht nur leicht bekleidete Inhalte, sondern auch ganz normal und vollständig bedeckte erfasst. Es muss sich also lediglich um eine aufreizende Pose handeln (was auch immer das alles sein kann/soll).

        Es sind nicht nur „Kinder“ gemeint, sondern auch Erwachsene mit einem kindlichen Erscheinungsbild. Das Alter ist völlig egal, so dass kleinwüchsige, oder junge Erwachsene (18 Jährige) sich strafbar machen können, weil sie für die ältere Generation viel schwerer einzuordnen sind. Ob 18, oder 16 kann kaum unterschieden werden.

        Es sind nicht nur „Menschen“ gemeint, sondern auch „menschenähnliche Wesen“, also bspw. humanoide Tiere, Pflanzen, oder andere Fantasiekreaturen. Damit verbunden dann natürlich auch Zeichnungen, Texte und all das.

        In der Statistik wird nur zwischen „Missbrauch“ und „Posing“ unterschieden. Der Rest wird vermengt und macht nicht transparent durch was genau der Anstieg verursacht wurde. Das Ausland kann also dafür sorgen das die Politik immer strengere Einschränkungen der Grundrechte beschließt, da die Zahl der Fälle steigen, obwohl nicht klar ist, um was für Inhalte es geht.

  2. Die Reporterin gibt einem „Sugardaddy“ im Chat vor, sie sei noch 17. Für ihn stellt das kein Problem dar; er drängt sie trotzdem zu einem Treffen in einem Hotel in Berlin. Zuvor fragt er das vermeintlich minderjährige Mädchen, ob sie die Pille nehme und welche sexuellen Praktiken sie präferiere.

    Auch gibt er zu, schon mehr als zehn minderjährige „Sugarbabes“ über die Plattform kennengelernt und einige auch getroffen zu haben. Die jüngste, mit der er nach eigenen Angaben „etwas gehabt“ habe, sei erst 14 Jahre alt gewesen. Über eine Bilderrückwärtssuche findet das Vollbild-Team heraus: Der 48 Jahre alte Mann ist ein ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestags, immer noch aktiver Politiker sowie Mandatsträger auf kommunaler Ebene.

    https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/vollbild-sugardaddys-sexueller-missbrauch-minderjaehrige-100.html

    1. Solche Fälle werden leider gerne für „Anti-Porno“ bzw. „Anti-Prostitutions“-Kampagnen genutzt. Auch in dem verlinkten Artikel fand ich folgendes Zitat, wo es auch um Erwachsene geht:

      „Wenn die Person das aus einer Geldnot heraus macht oder aus einer wirklichen Zwangssituation heraus, ist das keine freiwillige Entscheidung.“

      Das ist klar, aber die Entscheidung besteht weiterhin, denn es gibt viele Möglichkeiten aus präkeren Situationen herauszukommen. Man unterstellt quasi Menschen mit Geldnot haben keinen „freien willen“. Das ist falsch. Solche Aussagen werden dann gerne als Schutzzweck missbraucht, um das Verbot von Prostituion durchzusetzen.

  3. Hej, lasst uns auf die Vorratsdatenspeicherung verzichten, denn „Hinzu kommt, dass die Polizei aufgrund der Digitalisierung auf eine noch nie dagewesene Fülle von Daten zurückgreifen kann.“.

    Merkt ihr selber, oder?

    1. Man braucht auf nichts zu „verzichten“ – die VDS wurde bereits dreimal vom BVerfG abgewatscht, da sollte inzwischen allen klar sein was Sache ist.

    2. Es gibt ja jede Menge an anderen Daten als die VDS. Man denke nur an Cloudspeicher, Festplattendaten, App-Daten, usw. Das merke ich selber.

  4. Wenn man bedenkt, was alles mittlerweile unter §184b und §184c alles fällt braucht man sich auch nicht wundern. Kann mich daher nur der Meinung von „So seriös ist das BKA: 640% Präsentations-Propaganda“ anschließen.

    Kriminelle kann man jederzeit erschaffen (s. neuste Reform und dem Anstieg v. strafbaren Sexting unter Jugendlichen). Die Zahlen werden auch weiter explodieren, wenn (falls) die Chatkontrolle kommt, denn dann wird das Dunkelfeld massiv aufghellt. Treffen wird es wieder die Minderjährigen, oder junge Erwachsene die vom System als Minderjährig eingestuft werden (man bedenke das die EU-Definition bzw. die internationale Definition von Kind „unter 18 Jahre“ bedeutet. Jeder kennt sicherlich den einen, oder anderen dessen Volljährigkeit angezweifelt wurde.).

  5. „Demnach machen IP-Adressen – auch ohne Vorratsdatenspeicherung – 41 Prozent der erfolgreichen Ermittlungen aus“

    In Deutschland gibt es eine VDS von IP-Adressen von bis zu 7 Tagen. Gäbe es diese VDS nicht, könnten diese 41 % auch nicht ermittelt werden. Im Umkehrschluss könnten noch mehr Täter identifiziert werden, hätte man eine längere IP-VDS von z. B. 4 Wochen. Von anderen Straftaten gar nicht zu sprechen, welche erst nach diesen 7 Tagen angezeigt und nicht relativ zeitnah durch NCMEC an das BKA übermittelt werden.

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