Liebe Leser:innen,
Anfang der Woche habe ich in einem Kommentar beschrieben, warum ich als Beschwerdeführerin gemeinsam mit neun weiteren Menschen und der Gesellschaft für Freiheitsrechte vors Bundesverfassungsgericht ziehe. Es geht um die Neuregelung des Verfassungsschutzrechts, die allen 19 deutschen Geheimdiensten den Einsatz von Staatstrojanern ermöglicht.
Staatstrojaner haben Konsequenzen. Für meine Arbeit als Journalistin zum einen – denn wenn ich recherchiere und mit Quellen kommuniziere, bin ich darauf angewiesen, dass diese Gespräche vertraulich bleiben. Vor allem aber für die Sicherheit unserer gesamten digitalen Kommunikation. Deshalb war für mich schnell klar: Das will ich nicht einfach hinnehmen.
Trotzdem habe ich mir im Vorfeld Gedanken gemacht, ob ich Beschwerdeführerin sein will. Was bedeutet das für meine tägliche Arbeit als Journalistin? Ich habe in den letzten Jahren immer wieder über Staatstrojaner und damit verbundene Verfassungsbeschwerden berichtet. Geht das dann noch? Wie verhalte ich mich, wenn wir in unserer Morgenkonferenz über das Thema diskutieren? Kann ich das überhaupt machen oder sollte ich es lieber lassen?
In vielen Köpfen schwebt noch immer das vermeintliche Idealbild vom objektiven Journalismus. Auch in meinem. Ich erinnere mich an eine Übung im Deutschunterricht zurück, irgendwann in der 5. oder 6. Klasse muss das gewesen sein. Wir sollten eine Zeitungsmeldung über einen Unfall schreiben. Bei meiner Meldung war alles in Ordnung, wichtige Informationen alle in den ersten Sätzen untergebracht, top. Nur eine Kritik hatte die Lehrerin damals. Ich hatte geschrieben: „Leider wurde XY verletzt.“ (Oder so ähnlich. Es ist lange her, die Details verschwimmen.)
Die Lehrerin störte sich am Wort „leider“. Weil das nicht neutral war. Und ich störte mich daran, dass sie sich störte, weil es mir nicht richtig vorkam. „Leider“ kann an dieser Stelle doch nicht falsch sein, dachte ich. Denn zu welcher anderen Einschätzung sollte man kommen, wenn ein Mensch zu Schaden kommt? Diese Situation und meine Unzufriedenheit damit habe ich bis heute nicht vergessen. Ich bin der Meinung, dass vollständige Neutralität oder Objektivität nicht unser Ziel sein kann.
Weil wir alle Menschen sind. Wir sind ständig von den Themen betroffen, über die wir schreiben. Journalisten, die über Kita-Versorgung schreiben, sind auch Eltern. Reporterinnen, die von einer Demo für gerechte Mieten berichten, müssen selbst irgendwo wohnen. Wir können so tun, als würden wir unsere Persönlichkeit, unsere politische Haltung, unsere Erfahrungen, Hoffnungen und Ängste an der Tastatur abgeben. Doch ich glaube, das ist zum Scheitern verurteilt. Es scheitert nicht erst bei dem Text, der erscheint. Sondern schon bei der Entscheidung, ob man über ein Thema berichtet und ihm Bedeutung zumisst oder eben nicht. Und ich glaube, es ist nicht mal nötig.
Viel wichtiger als vermeintliche Objektivität finde ich, fair zu bleiben in der Berichterstattung. Bereit zu sein, den eigenen Standpunkt immer wieder zu hinterfragen und nicht nur nach dessen Bestätigung zu suchen. Und transparent damit umzugehen, aus welcher Perspektive man berichtet.
„Wir verstehen uns als journalistisches Medium mit Haltung, das für Grund- und Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter eintritt“, steht auf unserer Seite. Bei der Staatstrojanerbeschwerde geht es genau darum: Grund- und Freiheitsrechte zu verteidigen – und noch dazu journalistisches Arbeiten. Deshalb will ich meinen Teil dazu beitragen.
Wenn ich künftig über das Verfahren oder eng damit verbundene Aspekte berichte, werde ich das meist kommentierend tun. Unter oder in den Texten werde ich offenlegen, dass ich eine der Beschwerdeführer:innen bin. Bei der Einschätzung, ob ein bestimmter Aspekt des Verfahrens relevant ist, bin ich froh, dass wir ein Team mit vielen klugen Köpfen sind. Und gemeinsam diskutieren und abwägen, worüber wir schreiben und wie wir es tun.
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende!
anna