Die Verlage Hachette Book Group, HarperCollins, John Wiley Sons und Penguin Random House haben 2020 das gemeinnützige Internet Archive verklagt. Das Archiv stellt Bücher in seiner Bibliothek kostenlos zur Verfügung und nutzt dafür nicht die übliche kommerzielle Infrastruktur der Verlage. Die Verlage wollen für 127 mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen um die 19 Millionen US-Dollar, was etwa dem Jahresbudget des Internet Archives entspricht. Nun wehrt sich das Archiv mit einem Antrag auf Beendigung dieser existenzbedrohenden Klage.
Die Electronic Frontier Foundation (EFF) verteidigt das Internet Archive. In einer Mitteilung schreibt sie, dass die „radikale Klage“ der Verlage darauf abziele, das Ausleihen in Bibliotheken zu kriminalisieren. Die digitale Ausleihe des Internet Archives habe die Verlage „nicht einen Cent an Einnahmen gekostet“, argumentiert die EFF in der Verteidigungsschrift. Konkrete Beweise würden zeigen, dass die digitale Ausleihe des Archivs den Markt für Bücher nicht beeinträchtige und auch in Zukunft nicht beeinträchtigen werde. Das Internet Archive sieht sein Bibliotheksmodell als Fair-Use im Rahmen des US-amerikanischen Urheberrechts gedeckt.
„Sollten wir Bibliotheken davon abhalten, Bücher zu besitzen und zu verleihen? Nein“, sagt Brewster Kahle, der Gründer des Internet Archive und digitaler Bibliothekar laut Pressemitteilung. „Wir brauchen Bibliotheken, um unabhängig und stark zu sein, jetzt mehr denn je, in einer Zeit der Fehlinformation und der Herausforderungen für die Demokratie. Deshalb verteidigen wir das Recht der Bibliotheken, ihre Kunden dort zu betreuen, wo sie sind, nämlich online.“
Kampf um das alte Bibliotheksprinzip
Das Internet Archive nutzt für die Ausleihe ein Modell, das „Controlled Digital Lending (CDL) heißt. Die EFF beschreibt das Verfahren so: „Über CDL erstellen und verleihen das Internet Archive und andere Bibliotheken digitale Scans von gedruckten Büchern aus ihren Beständen, wobei sie strengen technischen Kontrollen unterliegen. Jedes Buch, das über CDL ausgeliehen wird, wurde bereits gekauft und bezahlt, sodass die Autoren und Verleger bereits vollständig für diese Bücher entschädigt wurden.“ Nutzer:innen benötigen zum Ausleihen lediglich einen Account bei der Bibliothek des Internet Archives.
Auf dem US-Bibliotheksmarkt ist „Controlled Digital Lending“ nicht der Standard. Vielmehr haben sich Geschäftsmodelle durchgesetzt, bei denen Unternehmen wie Overdrive den Bibliotheken die Bücher gegen eine Gebühr verleihen. In der Regel ist das deutlich teurer als bei analogen Büchern, heißt es in einem Artikel des New Yorker. Für Rechteinhaber ist das Modell lukrativer.
Laut einem Bericht von The Daily Dot hat das Internet Archive das Prinzip des Controlled Digital Lending in der Anfangszeit der Pandemie und nach der Schließung vieler Bibliotheken umgangen, indem es die „Nationale Notfallbibliothek“ ausrief. Im Gegensatz zur üblichen Funktionsweise des CDL erlaubte das Internet Archive während dieser mehrmonatigen Phase den gleichzeitigen Zugriff auf dieselbe digitale Kopie eines Textes. Das löste damals einen Aufschrei bei Schriftstellerverbänden aus. Die Verlage reichten Klage ein.
Doch es geht den Verlagen und dem Schriftstellerverband „Authors Guild“ nicht nur um die Notfallbibliothek, sondern um das 1-zu-1-Verleihprinzip CDL selbst. Der Verband erklärte laut Daily Dot: „Es gibt einfach keine gesetzliche Grundlage dafür, ganze Bücher einzuscannen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“ Ebenso wird das Grundprinzip des Controlled Digital Lending in der Klageschrift der Verlage als hinfällig und „aus dem Hut gezaubert“ bezeichnet.
Verlage wollen Kontrolle über Bibliotheken
Den Verlagen und dem Verband ist es also ein Dorn im Auge, dass das alte analoge Prinzip des Bücherverleihens nach gleichen Regeln in die digitale Welt übertragen wird. Das wirft auch die EFF den Verlagen vor: „Sie streben ein neues Recht an, das dem US-amerikanischen Urheberrecht fremd ist: das Recht zu kontrollieren, wie Bibliotheken die Bücher, die sie besitzen, ausleihen dürfen“, sagt Corynne McSherry, Leiterin der Rechtsabteilung der EFF. Laut dem Internet Archive gefährdet die Klage 1,4 Millionen Bücher, die teilweise nur in diesem Projekt digital vorliegen.
„Das Internet Archive und die Hunderte von Bibliotheken und Archiven, die es unterstützen, sind keine Raubkopierer oder Diebe. Sie sind Bibliothekare, die sich bemühen, ihren Kunden online genauso zu dienen, wie sie es seit Jahrhunderten in der stationären Welt getan haben. Das Urheberrecht hindert eine Bibliothek nicht daran, ihre Bücher an ihre Kunden auszuleihen, und zwar eines nach dem anderen“, so McSherry weiter. Auch Creative Commons unterstützt das Archive in dieser Position.
Zugang zum Internet-Erbe
Das Internet Archive bietet nicht nur eine Bibliothek, sondern speichert unter anderem Webseiten. Diese historische Datenbank archivierter Webseiten leistet einen unverzichtbaren Beitrag für die Nachwelt und auch für journalistische Recherchen. Seit 1996 hat sich das Internet Archive zum Ziel gesetzt, universellen Zugang zu Wissen zu ermöglichen.
Nach eigener Auskunft hat das Archiv bislang 625 Milliarden Webseiten, 38 Millionen Bücher und Texte sowie viele Millionen Audios, Videos und Bilder archiviert. Seit 2006 scannt das Internet Archive in Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken auch Bücher.
In Deutschland ist die Situation folgendermaßen:
Digitales Leihen von Büchern und anderen Medien wird von den öffentlichen Bibliotheken als Dienstleistung eingekauft, nahezu ausschließlich bei der Divibib unter dem Markennamen „Onleihe“ Overdrive wird nur ganz vereinzelt genutzt, was auch daran liegt, dass die Divibib (inzwischen) zur Ekz gehört, dem größten Büchereizulieferer und -ausstatter in Deutschland.
Jedes angebotene Buch muss von den Bibliotheken oder Verbünden als Lizenz eingekauft werden. Diese Lizenzen sind in der Regel begrenzt, entweder zeitlich (i.d.R. 4 Jahre), oder über eine gewisse Anzahl an Ausleihen. Die Lizenzen kosten etwa ähnlich viel wie das gedruckte (Taschen)-Buch. Jede Ausleihe wird gezählt, das heißt, es können parallel nur so viel Leserinnen das Buch ausleihen, wie Exemplare/Lizenzen eingekauft wurden. Ein beliebtes gedrucktes Buch hält in einer Bücherei deutlich länger.
Gleichzeitig dürfen Bibliotheken gedruckte Bücher jederzeit in den Bestand aufnehmen. Wegen Neuland entscheiden bei E-Books die Verlage, wann und ob sie ein Buch für den Verleih freigeben. Diese Handhabung – das E-Books anders zu behandeln sind als gedruckte Bücher – steht im Gegensatz zur Buchpreisbindung, die lange auch für E-Books gelten sollte.
Insgesamt haben Verlage also mehr Kontrolle über und mehr Einnahmen durch E-Books. Dennoch waren sie sich nicht zu fein, einige Starautoren für die Aktion „Fair lesen“ gegen das digitale Ausleihen in Stellung zu bringen. Was nicht gefordert wurde: die Bibliothekstantieme, die ein Ausgleich für Autoren für möglicherweise ausgefallene Einnahmen durch Bibliotheken ist, auch für E-Books zu etablieren.
In Deutschland ist es also so, dass Bibliotheksnutzerinnen in der Regel über ihre Bibliotheksmitgliedschaft kostenlos digital leihen können, die (erheblichen) Kosten dafür aber die Bibliotheken/die öffentliche Hand tragen. Wo Overdrive in den USA den „Digitalleihaufschlag“ unmittelbar verdient, verdient die Divibib in Deutschland diesen mittelbar über die Bibliotheken. Der Ausgang des Verfahrens ist daher durchaus von Interesse auch für die Bewertung digitaler Bücher in Deutschland: Könnte der Deutsche Bibliotheksverband Bücher scannen und den Bibliotheken zum Verleih zur Verfügung stellen?
Links:
Fair Lesen: https://www.initiative-fair-lesen.de/
Der Deutsche Bibliotheksverband zur Ausleihe von E-Books: https://www.bibliotheksverband.de/e-books-bibliotheken
Wichtig in diesem Zusammenhang finde ich, dass wieder einmal der Erschöpfungsgrundsatz durch den Verkauf einer Nutzungslizenz für eBooks umgangen wird. Die Verlage machen es jedem Käufer unmöglich ein eBook zu kaufen. Bestätigt werden sie darin durch die deutschen und europäischen Gerichte, die sich weigern dieses Handeln als unsittlich aus der Vertragsfreiheit auszuklammern. Dass ein Verlag mit einmaligem Arbeitseinsatz beliebig oft Geld verdienen kann, schädigt unsere Volkswirtschaft.
Das Urheberrecht behandelt diesen Grundsatz explizit für die Verbreitung von Werken und legt fest, dass die Verbreitung einer Werkskopie nach Veräußerung nicht unterbunden werden darf (§17). Genau hier versagt unsere Justiz und weigert sich diesen Grundsatz auf eBooks anzuwenden, indem es den Winkelzug des unbegrenzten Nutzungsrechts nicht als sittenwidrig einstuft, da er eindeutig nur dazu dient den Erschöpfungsgrundsatz auszuhebeln.
Informationsaustausch-Freiheit, nicht nur die Freiheit zur Meinungsäußerung, das muss die Antwort auf diese überbordende einseitige Rechtsauffassung für das sog. „geistige Eigentum“ und insbesondere die Verwertungsrechte sein!
Für die Möglichkeit mit „geistigem Eigentum“ Geld verdienen zu dürfen, müssen Produzenten in die Pflicht genommen werden einen Informationsaustausch zu ermöglichen. Eine absolute Hoheit über die verkäufliche Information darf es nicht mehr geben. Es muss endlich wieder eine wirksame Erschöpfung der Verfügungsgewalt stattfinden, wenn mit einem Produkt Geld verdient wird. Diese wird durch die Unabnutzbarkeit von rein elektronischen Produkten zur Zeit umgangen und das schädigt unsere Gesellschaft.
Wäre es doch wirklich ein unbegrenztes Nutzungsrecht; oft ist es jedoch nicht einmal das. Oft ist die Nutzung des Ebook an irgendwelche Online-Services gebunden – und sobald diese eingestellt werden oder aus anderen Gründen nicht mehr verfügbar sind ist die Nutzung nicht mehr möglich.
Randnotiz, der klagende Verlag „Penguin Random House“ gehört dem deutschen Unternehmen Bertelsmann (RTL, Gruner + Jahr,…).
Keine Frage, das Internet Archiv speichert viele noch urheberrechtlich geschützte Werke und macht sie illegalerweise unbeschränkt kostenlos zugänglich für alle. Die zeitbegrenzte Ausleihe von eBüchern via CDL ist nur ein kleiner Teil des Internet-Archivs, aber sicher der einzige der eindeutig das Urheberrecht NICHT verletzt. Dagegen zu klagen darf nicht erfolgreich für die Verlage sein. Wer schon Werke veröffentlicht, bei dem ich den Inhalt nicht reklamieren darf (Roman entgegen Werbung langweilig, Sachbuch sachlich falsch, Photobände schlechte Bildqualität) weil es eben kein Produkt mit Gewährleistung ist und der Verlag auf keinen Fall regresspflichtig für den Inhalt sein will, der darf nicht andererseits den Kunden stärker gängeln als bei einem echten Produkt „du hast den Roman gekauft, ätsch, auch wenn er dir inhaltlich nicht zusagt darfst du ihn nicht weitergeben sondern musst deinen Fehlkauf für den wir nicht verantwortlich sein wollen nun wegschmeissen“.
Das Gratisangebot der Büchereien führt ganze Generationen ans Medium Buch.
Wissenshunger in der finanziell schwachen Jugend wird hier schon immer auf’s Beste bedient.
Das sind ganz klar die Buchkunden der Zukunft.
Wollen sich’s die Kläger mit denen verscheissen? – nur weiter so, denn noch mehr Verblödung und Engstirnigkeit sind genau der richtige Weg in eine längswischende und querdenkende, nachplappernde verschworene Onlinegesellschaft.
Bertelsmann und Co, how dare you! …..