Wochenrückblick KW 42Von Razzien und Regulierungsversuchen

Die Corona-Pandemie stellt alle vor Herausforderungen, auch öffentlich-rechtliche Medien. Facebook packt immer weitere Maßnahmen gegen Hetze und Desinformation aus und dazu kommen noch obligatorische Sicherheitslücken der Woche an anderer Stelle. Die Woche im Rück- und Überblick.

Braun-weißes Pony vor einem Zaun
Das Leben ist kein Ponyhof, sagen die einen. Außer man ist selber eins. – Vereinfachte Pixabay Lizenz Alexas_Fotos

Wir starten ins Ende einer Woche mit alarmierend hohen Zahlen der gemeldeten Corona-Neuinfektionen. Gerade jetzt ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit gut informiert ist. Damit die Maßnahmen wirken können und auch in den kommenden Wochen die Versorgung schwer Erkrankter durch das Gesundheitssystem geleistet werden kann.

Auch bei uns ist Corona Thema. Jana Ballweber kommentierte ein unkritisches Interview mit einem Corona-Leugner im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Anstatt eine kritische Öffentlichkeit herzustellen, hat sich der Hessische Rundfunk für dessen Diskursstrategie instrumentalisieren lassen. Dass es sich bei diesem Thema um das heiße Eisen der Stunde handelt, haben wir auch in den Kommentaren bei uns auf dem Blog und bei Facebook gemerkt.

Zur Aufgabe des Journalismus, Wissenschaft und Wahrheit, der Rolle der Öffentlich-Rechtlichen mussten viele grenzüberschreitende Kommentare moderiert werden. Aber wir freuen uns sehr, wenn unsere Community durch Gegenrede die Kommentarspalten ausgleicht (fühlt euch gerne angesprochen, mitzumachen).

Razzia bei FinFisher nach unserer Anzeige

Nachdem wir letztes Jahr den Münchner Staatstrojaner-Hersteller FinFisher mit anderen NGOs zusammen angezeigt haben, gab es Anfang Oktober groß angelegte Razzien in und um München und in Rumänien. Der Zoll ermittelt wegen des Verdachts, dass Software „ohne die erforderliche Ausfuhrgenehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ausgeführt worden sein könnte“.

Die Anwält:innen von FinFisher hatten zuvor per einstweiliger Verfügung erreicht, dass wir einen Artikel offline nehmen mussten, weil die Berichterstattung einseitig und vorverurteilend gewesen sei. Wir werden über weitere Entwicklungen berichten. Der Artikel zu den Razzien ist auch auf Englisch erschienen.

Geheimdienstkontrolle: Deutschland hinkt hinterher

Die Reform des BND-Gesetzes läuft nach dem aktuellen Stand darauf hinaus, dass anstatt besserer Kontrolle neue Überwachungsbefugnisse eingeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai verfassungswidrige Teile des Gesetzes gekippt. Im internationalen Vergleich sind die Nachrichtendienste in Deutschland sehr schlecht kontrolliert. In sechs Vorschlägen zeigen wir, was von anderen Ländern in Sachen guter Überwachungskontrolle übernommen werden könnte.

Auf der internationalen Ebene gibt es einen neuen Vorstoß gegen Ende-zu-Ende Verschlüsselung. Die Länder des „Five Eyes“-Geheimdienstverbunds sind sich mit Indien und Japan einig, dass die Tech-Industrie ihre Produkte nach den Wünschen der Strafverfolgungsbehörden umbauen soll. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Hersteller diese Wünsche ohne Widerstand erfüllen, ändert sich nichts daran, dass der Druck auf Privatsphäre-Technologie weiterhin groß ist.

Unter Druck steht auch die Internetfreiheit. Im zehnten Jahr in Folge stellt der Freedom on the Net Report fest, dass insgesamt die Rechte der Nutzer:innen des Internets stärker verletzt werden. Die Coronapandemie wird vielerorts für Repressionen genutzt. Im Ranking wird an Deutschland der „signifikante Ausbau“ von Online-Überwachung kritisiert.

Künstliche Intelligenz im Schleppnetz

Ein ähnliches Urteil könnte man der EU-Kommission ausstellen. Mit dem neuen Projekt „Roxanne“ lässt sie eine Abhörplattform entwickeln, die mit Sprachanalyse und Gesichtserkennung arbeitet. Dieses Instrument soll Polizeibehörden in Europa ermöglichen, Personen anhand ihrer Stimme in überwachten Telefonaten zu identifizieren und ihr Netzwerk offenzulegen. Die verräterischen Daten zur Zuordnung sollen aus öffentlichen Überwachungskameras und Internetquellen wie Facebook und YouTube abgegriffen werden.

Wie leicht man durch Schleppnetz-Methoden der Internetüberwachung ins Fadenkreuz von Ermittlungen geraten könnte, zeigt ein Gerichtsfall in den USA: Eine einfache Google-Suche reicht aus, um verdächtigt zu werden. Die Polizei hatte eine Rasterfahndung anhand eines Suchbegriffs durchgeführt und Google gab die IP-Adressen aller derjenigen Nutzer:innen heraus, die diesen eingegeben hatten.

Kurswechsel bei Facebook

In dieser und der vorherigen Woche kamen zahlreiche Meldungen über neue Verbote bestimmter gefährlicher Inhalte in Sozialen Medien heraus. Facebook hat sich nun zu dem Schritt durchgerungen, auch weltweit Holocaustleugnungen zu verbieten. Zuvor waren auch Seiten mit Verbindungen zur QAnon-Verschwörungserzählung gelöscht worden. Die Entscheidung ist ein Kurswechsel für Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der sich trotz massiver Probleme mit Desinformation lange für eine sehr weite Auslegung von Redefreiheit auf seiner Plattform ausgesprochen hat.

Gerade erst wurde bekannt, dass eine Gruppe über Facebook die Entführung der Gouverneurin von Michigan geplant haben soll. Das FBI enttarnte die Operation, nachdem sie selbst durch Facebook auf die bewaffnete Miliz aufmerksam geworden waren. Den konkreten Anschlagsplanungen gingen unverblümte Aufrufe zu Gewalt, Umsturzfantasien in „privaten“ Facebook-Gruppen und Schießtrainings mit ähnlich eingestellten Milizen voraus. Die Gouverneurin Gretchen Whitmer ist auch durch verbale Angriffe von US-Präsident Trump zur Hassfigur schwer bewaffneter Rechtsextremisten geworden.

Neues aus dem Bundeskabinett

Die Macht Sozialer Medien über die Öffentlichkeit im Internet wird auch beim Einsatz von Uploadfiltern gegen Urheberrechtsverletzungen deutlich. Die Umsetzung der EU-Urheberrichtslinie in Deutschland könnte darauf hinauslaufen, dass die dominanten Konzerne ihre Marktmacht weiter konzentrieren und kleinere Anbieter Schaden nehmen könnten. Julia Reda analysiert den Entwurf des Justizministeriums und zeigt, wo die Probleme für Datenschutz, Meinungsfreiheit und Plattformvielfalt liegen.

Ein Entwurf aus dem Bundesfamilienministerium wurde am Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen, weshalb jetzt in den Medien wieder über die Gefahren von vernetzten Geräten für Kinder und Jugendliche berichtet wird. Um Risiken wie Mobbing und sexuelle Belästigung einzudämmen sowie Altersbeschränkungen und Datenschutz zu verbessern, wird das Gesetz zurück in die Gegenwart geholt. Denn in den letzten 17 Jahren hat sich die Medienwelt von Kindern – und nicht nur denen – offensichtlich stark gewandelt.

In ihrer bei uns zweitveröffentlichten Kolumne „Edit Policy“ appelliert Julia Reda für neue Strukturen, um die Entwicklung von freier und offener Software zu unterstützen. Der Open Technology Fund in den USA war ein (Geld-)Segen für viele Projekte, die unter anderem Privatsphäretechnologie entwickeln. Dieser ist nun eingestellt worden. Zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft gäbe es eine Gelegenheit, einen europäischen Ausgleich mit einer langfristigen Strategie für die Open-Source-Szene zu verbinden.

Kreative Wege um Regulierung drum herum

TikTok versucht sich derweil unter die chronisch träge Kontrolle der irischen Datenschutzaufsicht zu stellen, doch diese wehrt sich dagegen. In Irland hat man seitenweise Bedenken gegen den Plan des zum chinesischen Konzern ByteDance gehörenden App-Anbieters in einem Brief formuliert, der uns vorliegt. Bisher gibt es keinen EU-Hauptsitz und daher herrscht Verwirrung unter den Datenschutzbehörden, wer zuständig ist. Es gibt zahlreiche offene Fragen bezüglich des Schutzes von Jugendlichen und wer das letzte Wort bei TikTok darüber hat, ob Daten aus Europa nach China abfließen.

Einen noch fragwürdigeren Weg, um bestehender Regulierung zu entgehen, wählen derzeit Firmen der Plattformökonomie rund um Uber in Kalifornien. Sie bauen ihre Geschäftsmodelle auf dem Rücken sogenannter Gig-Worker auf, die in die Scheinselbstständigkeit gedrängt wurden. Gerade erst waren solche App-basierten Dienste dazu verdonnert worden, ihren Arbeiter:innen die hart erkämpften Rechte von Angestellten zu gewähren. Jetzt versuchen sie mit unlauteren Taktiken ihre Kund:innen für eine Volksabstimmung zu mobilisieren, die die Zeit zurück drehen soll und die Ausbeutung zemetieren könnte.

Und sonst so?

Gerade erst letzte Woche habe ich an dieser Stelle die ersten „Apps auf Rezept“ erwähnt, jetzt sind außerordentlich peinliche Sicherheitslücken bekannt geworden. Erst durch unabhängige Sicherheitsforscher:innen ist etwa aufgefallen, dass durch einfaches Auswürfeln einer vierstelligen PIN Accounts in einer App für psychisch Erkrankte übernommen werden konnten. Und das, obwohl die App ein Prüfverfahren durchlaufen hatte, aber offenbar nicht nach Aspekten der Datensicherheit.

Die Bundesregierung veröffentlichte einen Zwischenbericht zu ihrer Open-Government-Strategie. Damit soll unter anderem die Regierungsarbeit transparenter und offener für die Mitwirkung der Zivilgesellschaft werden. Die Bundesregierung sieht sich auf einem guten Weg, die eigenen Ziele zu erreichen. Kritik gibt es allerdings gerade beim wichtigen Punkt Open Data, wo noch großer Handlungsbedarf herrscht.

Eigentlich soll der Negativpreis „Goldener Aluhut“ Verschwörungsideologien entlarven und lächerlich machen sowie nebenbei vor ihnen warnen. Die Organisation „Querdenken-711“, die im Sommer Anti-Corona-Demos mitorganisiert hatte, die viele Teilnehmende aus dem rechten Spektrum anzogen, war für die Abstimmung des Publikumspreises nominiert. Doch nach Anzeichen über gefälschte Stimmen und DDoS-Angriffe wurde sie disqualifiziert. Wahnwitzigerweise wehrt sich der Querdenken-Gründer Michael Ballweg nun juristisch gegen die Disqualifizierung vom Negativpreis. Im Zuge dessen kommen neue Details über die Organisationsstrukturen der Stuttgarter Coronamaßnahmen-Gegner:innen raus.

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!

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