Wochenrückblick KW 35: Zölle für YouTube und eine Schule im Datenschutzstress

Das Oberlandesgericht hält die Klage des Bundeskartellamts gegen Facebook für unzulässig, in Genf wird über die Zukunft des digitalen Handels diskutiert und in Schweden muss eine Gemeinde 20.000 Euro Strafe zahlen, da sie die Anwesenheit ihrer Gymnasiast:innen mit einer Gesichtserkennungssoftware überprüft hatte. Die Themen der Woche im Überblick.

Googles Mitarbeiter:innen dürfen sich in ihrer Arbeitszeit nicht weiter über Politik unterhalten. Ob sie sich daran halten werden? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sid Balachandran

Zu Beginn zwei Dinge in eigener Sache: Am Freitag, dem 13. September feiern wir den 15. Geburtstag von netzpolitik.org mit unserer „Das ist Netzpolitik!“ – Konferenz, einer Gala der digitalen Zivilgesellschaft und einer Party in der Volksbühne Berlin.

Wir bieten ab Mittag auf drei Bühnen parallel ein dichtes Programm. Zu unseren Gästen zählen der Harvard-Professor Lawrence Lessig, der unter anderem Creative Commons mitgegründet hat, sowie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum, der mit Constanze Kurz über den ewigen Kampf für Freiheit und Grundrechte sprechen wird. Hier gibt es das Programm, Tickets gibt es ab zehn Euro im Vorverkauf.

Wir setzen uns für Transparenz ein und wollen selbst ebenfalls transparent sein. Deswegen geben wir regelmäßig einen Überblick über unsere Finanzen. Diese Woche ist der Monat Juni dran: Wir hatten 46.460 Euro Ausgaben, die zum Großteil Personalkosten und die Miete unseres Büros umfassen. Durch Spenden, den Verkauf unseres Merchandise und eine Telekomerstattung kamen 34,534 Euro zusammen. Um den Verlust auszugleichen, haben wir auch in diesem Monat unsere Bitcoin-Reserve weiter aufbrauchen müssen. In der ersten sechs Monaten haben wir aber dennoch die Hälfte unseres Spendenziels erreicht. Wir danken allen Leser:innen, die uns mit ihren Spenden unterstützen und motivieren!

Sind YouTubes Algorithmen mitverantwortlich?

Die Annahme, dass die Empfehlungsalgorithmen von YouTube seine Nutzer*innen politisch radikalisieren, ist nicht neu. Jetzt wird sie von einer neuen Studie unterstützt, die ein brasilianisches Informatiker:innen-Team durchführte: Durch die Analyse von 300.000 Videos, 2 Millionen Empfehlungen und 79 Millionen Kommentaren fanden die Forscher:innen starke Belege dafür, dass YouTubes Empfehlungssystem das Entdecken von rechtsextremen Kanälen unterstützt.

Kartellamt vs. Facebook, Datenschutzbehörde vs. Skellefteå

Diese Woche hat das Bundeskartellamt einen großen Rückschlag einstecken müssen: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat eine Anordnung gegen Facebook vorläufig außer Kraft gesetzt, die das soziale Netzwerk zu einer Trennung zwischen Whatsapp-, Instagram- und Facebooknutzer*innendaten zwingen soll. Die Richter:innen haben „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens: auch wenn Facebook gegen die Datenschutzbestimmungen verstoße, könne nicht mit Kartellrecht dagegen vorgegangen werden. Da die Betroffenen Facebooks Nutzungsbedingungen zustimmen, finde eine Datenverarbeitung unter „Wissen und Wollen“ statt. Ein Datenschutzverstoß sei, laut den Richter:innen, zweifelhaft. Unser Autor Ingo Dachwitz attestiert dem Gericht deshalb einen „Tunnelblick“ auf die Sache.

Die Macht von Facebook wurde in den letzten Tagen auch an anderer Stelle sichtbar: Um mehr über Wahlmanipulation und die Verbreitung von Falschmeldungen zu erfahren, hatte Facebook im April 2018 angekündigt, seine Datensätze für unabhängige Wissenschaftler:innen zu öffnen. Die warten immer noch. Die Leitung des Forschungsprojektes ist mit ihrer Geduld nun am Ende.

Die schwedische Datenschutzbehörde DPA zeigt indes Zähne. Aber nicht etwa gegen einen großen Konzern, sondern gegen eine Gemeinde im nordschwedischen Skellefteå. Die kontrollierte die Anwesenheit ihrer Schüler:innen via Gesichtserkennung. Vielleicht hatte ja ein Hund das Klassenbuch aufgegessen?

WTO: Indien fordert Zölle im Internet

In Genf diskutierten mehrere Länder über neue Regeln des digitalen Welthandels – hinter verschlossenen Türen und fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Die Pazifikstaaten wollen den Freihandel weiter stärken, die EU setzt sich für mehr Datenschutz ein. Scharfe Kritik gibt es von Indien und anderen Ländern des globalen Südens. Sie wollen ihre eigene Industrie mit digitalen Zöllen schützen.

Zensur im Internet

Hongkong geht immer härter gegen die Proteste vor: Die Regierung drohte damit den Ausnahmezustand auszurufen. Der Hongkonger Verband der Internetprovider zeigt sich darüber alarmiert. Es könnte das Ende der Telekommunikationsdrehscheibe Hongkong mit mehr als 100 Rechenzentren und dem größten Internetknoten der Region bedeuten.

Das Internet Archive bietet seinen Nutzer*innen nicht nur den Zugriff auf eine riesige Mediensammlung, sondern auch auf über 340 Milliarden gespeicherte Websites. Dementsprechend ist sie eine wertvolle Wissensquelle. In Russland könnte die komplette digitale Bibliothek nun wegen einer Urheberrechtsklage vor der Sperrung stehen. Das Internet Archive käme dann auf die immer länger werdende Liste von Seiten, die russische Internet-Service-Provider sperren müssen.

In Deutschland wurde vor zwei Jahren die Open-Posting-Plattform „linksunten.indymedia.org“ verboten. Warum sie das Verbot für einen Schlag gegen die Pressefreiheit und die Beteiligung des Verfassungsschutzes am Verbot für problematisch hält, erklärt die Anwältin Angela Furmaniak in einem Gastbeitrag.

Google macht eine klare Ansage an seine Mitarbeiter:innen: Macht die Arbeit, für die ihr eingestellt wurdet, anstatt über politische Dinge zu diskutieren. Mit den neuen Unternehmenskultur-Richtlinien reagiert Google laut einer Sprecherin auf die „zunehmenden Unhöflichkeiten“ auf den internen Foren und Mailinglisten. Es liegt aber nahe, dass Google damit auch das politische Engagement seiner Mitarbeiter:innen einschränken will. Das hatte sich im letzten Jahr immer öfter gegen den Konzern gerichtet.

Deliveroo-Klage und Instagram-Wolken

Deliveroo zog seinen Lieferdienst vor zwei Wochen aus Deutschland zurück. Den Fahrer:innen wurde eine Woche vor dem Aus gekündigt. Weil viele von ihnen zwar als Selbständige gemeldet, Deliveroo aber ihr einziger Auftraggeber war, klagen einige der Fahrer*innen nun mit dem Vorwurf der Scheinselbständigkeit.

Eine Influencerin macht derweil auf Instagram auf gut Wetter. Mit einer App fotoshoppte sie sich immer wieder die gleiche Wolkenformation auf jedes Foto. Auf Twitter brach sie dadurch eine Debatte über die Integrität von Bildern vom Zaun. Die Enthüllung hat ihr nicht geschadet, im Gegenteil: Nach dem „Skandal“ hatte sie 12.000 Follower:innen mehr.

Nostalgie, Brutale Arbeitsbedingungen und Freie Software für alle

Ein großer Teil unserer Redaktion war auf dem CCC-Camp dabei. Markus Beckedahl hat dort über die vergangenen 15 Jahre netzpolitik.org geschwelgt und einen chronologischen Rückblick geliefert.

Als Wochenendlektüre empfehlen wir unseren dieswöchigen Gastbeitrag über den Apple-Lieferanten Foxconn aus dem Buch der Bits & Bäume-Konferenz. Die Herstellung von Hightechgeräten findet nicht in einer glänzenden Silicon-Valley-Utopie statt, im Gegenteil: Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken der chinesischen Firma Foxconn sind brutal.

Warum Software, die durch Steuergelder finanziert wird, als Freie Software veröffentlicht werden sollte, erklären Matthias Kirschner und Katharina Nocun in unserem aktuellen Podcast. Sie stellen ihre Kampagne „Public Money, Public Code“ vor und diskutieren über die ökonomischen und demokratischen Vorteile von Freier Software in der öffentlichen Verwaltung.

Wir wünschen allen ein sonniges Wochenende!

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