Netzpolitischer Wochenrückblick KW 26: Neue Trojaner und alte Kämpfe

Die vergangene sieben Tage beschäftigten uns amtliche Datensammeleien von Berlin bis Brüssel und die Aufregung über Datenschutzthemen. Auch setzen wir uns für neue Utopien ein: Die Konferenz Bits & Bäume will zwischen Netzpolitik und Nachhaltigkeit Synergien mobilisieren. Und: Günter Wallraff übergab uns einen Preis.

– Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Vera Barus

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Wir würden gerne von unseren Leserinnen und Lesern hören! Diese Woche startet die dritte Umfrage in der fünfzehnjährigen Geschichte von netzpolitik.org. Die Befragung wird uns helfen, die Interessen und Wünsche unserer Leserschaft und allen netzpolitisch Interessierten herauszufinden. Wir bitten darum, bei der Befragung mitzumachen und die Umfrage breit zu verteilen!

Wiedermal beschäftigte uns diese Woche staatliche Überwachung: Knapp sechs Millionen Euro gab das Bundeskriminalamt (BKA) für zwei nun einsatzbereite Staatstrojaner aus. Das berichteten wir unter Berufung auf geheime Unterlagen, um deren Herausgabe es ein längeres Tauziehen gab. Die Bundesregierung verweigert weiterhin Angaben über die beteiligten Firmen und die Einsätze der Schadsoftware.

EU-weit ausgebaut werden indes die Überwachungsmöglichkeiten mit Hilfe eines Projekts des früheren deutschen Innenministers Thomas de Maizière: Im „gemeinsamen Identitätsspeicher“ werden künftig 53 Millionen Fingerabdrücke und Gesichtsbilder zusammen mit Personendaten in einer einzigen durchsuchbaren Datei gespeichert. Dass das europaweite Datensammeln Grenzen haben muss, fordert indes ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen in einem offenen Brief gegen Vorratsdatenspeicherung.

Der echte WM-Fail

Der Staat sammelt Daten nicht nur, er gibt sie auch weiter: Die Namen von 30 echten oder angeblichen deutschen Fußball-Hooligans aus der Datei „Gewalttäter Sport“ schickten die deutschen Behörden vor der Fußball-WM der Männer nach Russland. Die Betroffenen müssen etwa mit Intensivkontrollen an Flughäfen rechnen und werden damit aus Sicht von Fananwälten zu Unrecht stigmatisiert.

Wie schwer generell die Kontrolle der Überwachung durch Behörden ist, macht ein Gastbeitrag von Christopher Hamich deutlich. Er hat sich mit dem vor einem Jahr zu Ende gegangenen NSA-Untersuchungsausschuss beschäftigt und kommt zu dem Schluss: Seine Aufklärungsarbeit wurde an diversen Stellen unterdrückt und verhindert. Passend zum Thema US-Geheimdienste: Für eine Whistleblowerin wurden im Vorjahr verräterische gelbe Punkte zum Verhängnis. Die Spuren des Laserdruckers enttarnten sie und führten zu ihrer Verhaftung. Doch Forscher der TU Dresden haben eine Methode gefunden, diese Überwachungsmethode zu umgehen.

Überwachung muss freilich nicht immer staatlich sein: Elektronische Geräte im Haushalt können schnell zum Mittel der Machtausübung und Kontrolle durch nahestehende Personen werden. Auch lagern Behörden die Durchsetzung von Maßnahmen immer weiter an Private aus, wie der mit 88.000 Dateien bestückte Uploadfilter deutlich macht, der den EU-Staaten die Bekämpfung terroristische Inhalte leichter machen soll.

Vom angeblichen Blogsterben

Die neuen Datenschutzregeln der EU nahm so mancher Blogbetreiber als Ausrede, um längst irrelevant gewordene Beiträge unter Protest vom Netz zu nehmen. Wir haben uns das Phänomen angesehen und resümieren: „Blogsterben“ wollen wir das lieber nicht nennen. Einen notwendigen Weckruf witterte Jurist und Gastautor Malte Engeler indes bei einer EuGH-Entscheidung zur Verantwortung von Seitenbetreibern auf Facebook. Das Urteil sei eine Chance, die Abhängigkeit von den Plattformen zu beenden und digitale soziale Medien als Ort der freien Meinungsäußerung zu stärken.

Facebook reagiert auf Kritik und macht bezahlte Anzeigen auf seiner Plattform ein stückweit transparenter. Doch zu echter Nachvollziehbarkeit insbesondere von politischer Werbung ist es noch ein weiter Weg.

Im Bundestag läuft dieser Tage eine Enquete-Kommission zu Künstlicher Intelligenz und algorithmischen Entscheidungsprozessen an. Die Parlamentarier kommt damit allerdings der Bundesregierung ins Gehege, die eine nationale KI-Strategie vorlegen will und in ihrer Datenethikkommission ähnliche Fragestellungen behandelt. Die Ergebnisse der Debatten im Bundestag könnten ebenso versanden wie die vorheriger Enquete-Kommissionen, schreibt unser Chefredakteur Markus Beckedahl.

Außerdem gibt es Neues aus dem Fernsehrat: Unser Autor Leonhard Dobusch berichtet, wie die Entsendung von Mitgliedern in den Programmbeirat von ARTE hinter den Kulissen abläuft.

Neues von Olaf und Horst

Schwierige Debatten stehen bei den Digitalsteuerplänen der EU bevor. Zwar bekennen sich Deutschland und Frankreich zu der Absicht, Internetkonzerne zur gerechten Besteuerung ihres Einkommens zu zwingen. Steuer-Tiefstapler wie Irland und Luxemburg hingegen wollen Goldesel wie Google und Facebook nicht durch neue Abgaben belastet sehen. Auch das Bundesfinanzministerium von SPD-Steuergegner Olaf Scholz ist skeptisch und hintertreibt im Stillen die Absichtserklärungen, die die Bundesregierung öffentlich leistet, wie bei uns veröffentlichte Antworten auf eine kleine Anfrage der Grünen zeigen.

Den Preis fehlender Transparenz mussten die Behörden vor kurzem im Bundestag eingestehen. Zwischen 2009 und 2017 gab die Bundesregierung 1,8 Millionen Euro aus, um Auskunftsansprüche nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) oder Pressegesetzen abzuwehren. Besonders widersinnig erscheinen damit die Verfahren wegen Gebührenbescheiden: Diese kosten die Bundesministerien inklusive aller Kosten mehr, als sie mit den Gebühren einnehmen. In den von FragDenStaat ausgerufenen Transparenz-Meisterschaften zwischen den Ministerien, läuft derzeit das Halbfinale. Horst ist noch im Rennen.

Außerdem verklagen FragDenStaat und die Gesellschaft für Freiheitsrechte die Bundesrechtsanwaltskammer auf Herausgabe von Dokumenten zum elektronischen Anwaltspostfach beA. Die Kammer will Verträge und Sicherheitstests zu dem Millionenprojekt geheimhalten. Für die Finanzierung der Klage bitten die Organisationen um Spenden.

Neue Arbeit, neue Städte

Die Möglichkeiten zu Mitsprache für Klick-Arbeiter auf Plattformen wie Amazons Mechanical Turk sind wenig untersucht. Eine Studie für die Hans-Böckler-Stiftung leistet wichtige Nachholarbeit und zeigt, dass die Teilhabemöglichkeiten für Crowd-Arbeitskräfte noch ausbaufähig sind. Apropos Partizipation: Eine Initiative möchte in Berlin ein CityLAB starten. Es soll ein Ort für „CivicTech“ werden und damit die digitale Stadt für alle öffnen. Auf einer Veranstaltung wurde klar, dass es dafür noch einiges zu klären und erklären gibt.

Auch das Thema Lesen beschäftigt uns: Seit über einem Jahrzehnt ist über die Plattform Onleihe der Buchverleih über das Internet möglich. Ihr Name hat es inzwischen sogar in den Duden geschafft. Doch das Konzept leidet noch immer an zahlreichen Kinderkrankheiten, schreibt unser Autor Arne Cypionka.

Wie viel Umwelt steckt in der Netzpolitik? Dieser Frage geht die Konferenz mit dem schönen Namen Bits & Bäume nach, die im November in Berlin stattfindet. Ziel ist, die digitale Zivilgesellschaft und die Umweltbewegung zusammenzubringen und einen Auftakt zu feiern, um gemeinsame Utopien und Projekte zu entwickeln. Wir sind als Medienpartner dabei.

Und zum Schluss noch eine gute Nachricht: Die Initiative Nachrichtenaufklärung ehrt uns für unsere journalistische Arbeit mit dem Günter-Wallraff-Preis. Der legendäre Investigativjournalist übergab die nach ihm benannte Würdigung kürzlich in Köln.

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