Acht Jahre lang saß Marija Gabriel als Abgeordnete für die konservative EVP-Fraktion im EU-Parlament. Am Dienstag sah die 38-jährige Bulgarin ihren alten Arbeitsplatz aus einer anderen Perspektive: Zweieinhalb Stunden lang stellte sich die designierte EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft in ihrer ersten Anhörung den Fragen ihrer Ex-Kollegen. Sie präsentierte sich in einer freundlichen Atmosphäre gut vorbereitet, aber auch vorsichtig.
Sie wolle in den kommenden zwei Jahren vor allem die Initiativen voranbringen, die bereits auf dem Tisch liegen und den digitalen Binnenmarkt vervollständigen, sagte Gabriel. Wie die Halbzeitbewertung der Kommissionsstrategie im Mai gezeigt habe, gebe es noch viel zu leisten: Offen sind unter anderem die Urheberrechtsreform, ePrivacy und Datenschutz, Cybersicherheit, kritische Infrastrukturen und Interoperabilität, die „Verantwortung von Plattformen“ und vieles mehr. Dabei wolle sie auf „Kompromisse und Dialog“ setzen, betonte die Nachfolgerin von Günther Oettinger, die mit netzpolitischen Themen bislang wenig zu tun hatte.
Kein klares Bekenntnis zu Verschlüsselung
In Detailfragen legte sich Gabriel wohl auch deswegen kaum fest oder blieb unklar. So sei es zwar für die Sicherheit und für das Vertrauen der Bürger sehr wichtig, starke Verschlüsselung zu haben, „ohne Hintertüren, ohne Wenn und Aber“. Initiativen einzelner Mitgliedstaaten gehörten der Vergangenheit an, nun sei es Zeit, weiterzugehen. Aber, räumte sie wenig später ein, wenn die „nationale Sicherheit“ bedroht sei und alle anderen Möglichkeiten erschöpft seien, käme ein „rechtmäßiger Zugang unter sehr strikten Bedingungen“ für Ermittlungsbehörden in Frage.
„Der größte Patzer in ihren Antworten“, kommentierte die Piratin Julia Reda gegenüber netzpolitik.org. Ihr Kommissionskollege und Vizepräsident Andrus Ansip hat sich hingegen sehr viel klarer gegen Hintertüren positioniert. Auch der Rest des EU-Parlaments scheint zum derzeitigen Zeitpunkt darauf zu drängen, Verschlüsselung nicht zu schwächen oder mittels Hintertüren auszuhebeln.
Online-Plattformen „Quellen des Fortschritts“
Bei Online-Plattformen wie Airbnb oder Uber, die eine „Quelle der Kreativität und des wirtschaftlichen Fortschritts“ seien, solle es nicht darum gehen, sie „überzuregulieren“, sagte Gabriel. Stattdessen soll es, etwa bei unlauteren Geschäftspraktiken, gegebenenfalls Nachbesserungen geben. Unternehmen dürften aber nicht in Bausch und Bogen bestraft werden, insbesondere Klein- und Mittelbetriebe.
Auf möglichst viel Freiwilligkeit will Gabriel setzen, um terroristische Inhalte oder Hassrede auf Plattformen wie Facebook zu entfernen. Das würde jetzt schon gut funktionieren und solle weiterhin der bevorzugte Weg bleiben. Zugleich schien Gabriel der EU-Rechtsrahmen näher am Herzen zu liegen als nationale Alleingänge – siehe etwa Deutschlands Netzwerkdurchsetzungsgesetz – bei der Regulierung solcher Inhalte, unter anderem auch beim Verbreiten von Falschnachrichten.
„Fake News sind kein neues Phänomen, das gab es schon immer“, sagte Gabriel. Geändert habe sich bloß die Rasanz, mit der sich solche Informationen verbreiten würden. Hier gelte es aber, die bestehenden Instrumente heranzuziehen, unter anderem die E-Commerce-Richtlinie oder die Richtlinie zu audio-visuellen Medien, oder Projekte wie „Media Literacy For All“ weiter auszurollen, um Medienkompetenz zu schaffen.
Initiativen besser aufeinander abstimmen
Zudem machte sie sich für eine bessere Koordination zwischen Kommission, Rat und dem Parlament stark und forderte mehr Projektteams, um die vielen Initiativen besser aufeinander abzustimmen, etwa das EU Internet Forum mit dem Verhaltenskodex gegen Hassrede. Hier würden die Plattformbetreiber auch am Tisch sitzen: „Oft kommen dabei Selbstregulierungsmechanismen und freiwillige Verpflichtungen heraus, die eine harte Gesetzgebung gar nicht erst nötig machen“, sagte Gabriel.
Entschieden positionierte sie sich für die E-Commerce-Richtlinie und stellte damit klar, dass Plattformen nur beschränkt haftbar seien. Auch könne es keine Generalüberwachung geben, beispielsweise mit verpflichtenden Upload-Filtern in diesem Bereich. „Da spricht die Richtlinie eine eindeutige Sprache“, betonte Gabriel. Sie werde im Rahmen ihrer Zuständigkeit handeln und reagieren, wenn einzelne Mitgliedstaaten diese Regeln verletzen würden. Bislang hatte die EU-Kommission signalisiert, das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht verhindern zu wollen.
Upload-Filter oder nicht?
Gar nicht ging Gabriel auf mögliche Upload-Filter ein, welche die Kommission gern gegen mögliche Urheberrechtsverletzungen auf Plattformen einsetzen würde. Zuletzt hatte sich ein Parlamentsausschuss klar gegen dieses Instrument ausgesprochen. Allerdings sollten Urheber ein Stück des (nutzergenerierten) Kuchens abbekommen können, zumindest dann, „wenn die Masse des Inhalts eine kritische Größe erreicht“. Die Genehmigung der Urheber sollte deshalb im Vorfeld eingeholt werden, damit diese rechtzeitig eingreifen könnten. Wie das konkret ablaufen soll, blieb – wie so vieles – unklar.
Immerhin habe Gabriel keine Hardliner-Positionen vertreten und sich nicht als Sprachrohr der Leistungsschutzrecht-Lobby präsentiert, zeigte sich der Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht erleichtert. Allerdings müsse man solche Anhörungen vorsichtig bewerten – vage Aussagen seien da die Regel und nicht die Ausnahme. Dennoch habe sie den Eindruck erweckt, eine Kandidatin zu sein, „mit der man arbeiten kann“, sagte Albrecht. Ihr Angebot zum Dialog werde er gern annehmen und sie gleich bei der nächsten Anfang Juli anstehenden Plenarsitzung zu einem runden Tisch zum Thema IT-Sicherheit einladen.
Gabriel habe viele Zielbeschreibungen geliefert, etwa bei Fake News und Hate Speech, resümierte die grüne Abgeordnete Helga Trüpel, aber konkret wenig gesagt. Dennoch sei der erste Eindruck „insgesamt positiv“, erklärte Trüpel. Welche Antworten Gabriel auf die vielen offen gebliebenen Fragen liefern werde, „wird sich in kommenden Monaten zeigen“. Jedenfalls habe sie Sachkenntnis gezeigt, stimmte sie mit Julia Reda und der linken EU-Parlamentarierin Martina Michels überein, die hinzufügte: „Das war während der Anhörung deutlich und deutlich anders als bei der Anhörung ihres Vorgängers Oettinger.“
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